Radiolegende Jim Sampson: A bisserl Leidenschaft wäre schön!

Jim Sampson (Bild: ©BR / Julia MuellerAls der US-Amerikaner Jim Sampson 1972 in München aus dem Flugzeug stieg und seinen Dienst als Radiomacher beim Militärsender AFN Munich aufnahm, ahnte er wohl kaum, dass ihn sein Weg nur einige Jahre später beruflich zu den damaligen Top-Wellen in Deutschland und Österreich führen sollte. Doch schon im April 1979 war Sampson erstmals auf BAYERN 3 als Vertretung von Thomas Gottschalk in „Pop nach acht“ zu hören, ab dieser Zeit produzierte er auch den „Rock ’n Roll Report“ und den „Rock Almanach“. 1986 moderierte er die zweistündige Samstagssendung „Countdown USA“. Gleichzeitig arbeitete der ausgewiesene Musikexperte auch für die Deutsche Welle und den Österreichischen Rundfunk, wo er im Programm der damaligen Welle Blue Danube Radios einige Sendungen gestaltete. 1988 dann die dauerhafte Rückkehr zu BAYERN 3, wo er – beauftragt durch den seinerzeit amtierenden Musikchef Thomas Gottschalk – mit der Einführung eines computergesteuerten Musikplanungs-Programms für eine vieldiskutierte Neuerung sorgen sollte. Sampson war beim Bayerischen Rundfunk danach lange Zeit als Musikkoordinator tätig und in dieser Funktion unter anderem  für Konzertveranstaltungen zuständig.

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Ab 2003 gestaltete Jim Sampson zudem auf BR-Klassik die Sendung „Cinema – Kino für die Ohren“. Am 12. Juli 2015 moderierte er auf BAYERN 3 zum letzten Mal den „Kultabend“, welcher Ende Juli 2015 eingestellt wurde. Sehr lange war er außerdem in der Sendung „BAYERN 3-NightLife“ am Montagabend zu hören.

Sampson hat BAYERN 3 mit seinem eigenen – durch englischen Beiklang geprägten – Moderationsstil ein wenig internationaler gemacht. Ein Stilmittel, dessen sich damals auch einige andere öffentlich-rechtliche Sender wie RIAS (mit Rik De Lisle), der WDR (mit Dave Colman, Mal Sondock und Alan Bangs) oder der NDR (mit Chris Howland) gerne bedienten.

In seiner Zeit beim BR galt Jim Sampson als einer der Top-Interviewer innerhalb der deutschen Radiolandschaft und hat für den Sender zahllose Gespräche mit Persönlichkeiten wie Alfred Hitchcock, Leonard Bernstein, Michael Jackson und Mick Jagger geführt.


RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich sprach mit Jim Sampson über seine lange Zeit beim Radio und die Einschätzungen zum Medium aus heutiger Sicht.

RADIOSZENE: Wie sind Sie damals zu Radio gekommen?

Jim Sampson im Studio B bei AFN Munich 1973 (Bild: ©C.Sampson/AFN)
Jim Sampson im Studio B bei AFN Munich 1973 (Bild: ©C.Sampson/AFN)

Jim Sampson: Schon als Kind war ich vom Radio besessen und habe in der Nacht Mittelwelle aus NY gelauscht. Zwischen 1966 und 1970 war ich stets beim College Radio in Wisconsin aktiv, meist in der E-Musik, Jazz oder bei den Nachrichten.

RADIOSZENE: Wie sehr hat Sie die Zeit beim AFN geprägt? Was konnten die deutschen Radiomacher damals vom amerikanischen Hörfunk lernen?

Jim Sampson: Bei AFN legte ich zum ersten Mal Chart-Hits auf, wie bei einem Top-40-Sender. Ich lernte Musikuhren und Backtimer zu nutzen. Wir waren in München nur fünf „Rundfunksoldaten“, waren als Moderator, Musikredakteur, Spot-Produzent und Nachrichtenjournalist im Einsatz und machten Interviews mit Musik- und Filmstars, Sportlern, Politikern und Militärangehörigen. So etwas gab es damals beim BR nicht. Was zuerst die privaten Sender, danach manche öffentlich-rechtliche vom amerikanischen Rundfunk übernommen haben, war, öfter Musik aus den Verkaufscharts zu spielen. Anfang der 80er zeigte eine Airplay-Analyse, dass die Nr. 1 der Musikmarkt-Charts nur 48mal in der Woche lief – in ganz Deutschland!

 

Vielleicht höre ich nur die falschen US-Sender, aber selten habe ich dort Persönlichkeiten oder Leidenschaft entdeckt“

 

RADIOSZENE: Hat das amerikanische Radio heute noch immer eine Vorbildfunktion? Gibt es umgekehrt auch Eigenschaften, wo das US-Radio vom deutschen profitieren kann?

Jim Sampson: Vielleicht höre ich nur die falschen US-Sender, aber selten habe ich dort Persönlichkeiten oder Leidenschaft entdeckt. Externe Berater sorgen für stark formatierten Einheitsbrei. Daheim hört man Pandora oder Spotify, im Auto Sirius. Aus den Staaten höre ich gelegentlich wieder College Radio, zum Teil ist es mit deutschem öffentlich-rechtlichem Radio vergleichbar.

Die Radiolegenden Fred Kogel, Fritz Egner, Jim Sampson und Jürgen Herrmann beim Bayern 3-Kultabend (Bild: ©BR/Julia Mueller)
Die Radiolegenden Fred Kogel, Fritz Egner, Jim Sampson und Jürgen Herrmann beim Bayern 3-Kultabend (Bild: ©BR/Julia Mueller)

RADIOSZENE: Warum sind Sie dann 1979 zum deutschen Radio gewechselt?

Jim Sampson: Ich habe Radio vermisst. Fast gleichzeitig kamen Anfragen vom BR und ORF (Blue Danube Radio). Ich habe beiden zugesagt.

RADIOSZENE: Sie gelten als Top-Experte für Musik im Radio. Welche Musik und welche Künstler haben Sie damals am meisten beeinflusst?

Jim Sampson: Die Charts haben mich beeinflusst, weil ich spielen wollte, was die Zielgruppe hören wollte, nicht, was ich besonders gut fand. Aber so habe ich auch einiges entdeckt, zum Beispiel die Country Music.

JimSamson und Keith Richards 1994 in New York (Bild: privat, Sampson)
JimSamson und Keith Richards 1994 in New York (Bild: privat, Sampson)

RADIOSZENE: Und welche Alben stehen heute weit vorne im Plattenregal?

Jim Sampson: Van Morrison, Wilhelm Furtwängler, „The Joshua Tree“, John Williams, Waylon Jennings, „Every Picture Tells A Story“, Beatles.

RADIOSZENE: Bei BAYERN 3 haben Sie eine Vielzahl populärer Sendungen gestaltet. Sehr häufig auch mit eigener Musikauswahl. Welche Vorzüge hat die Souveränität, diese selbst ausgesuchte Musik präsentieren zu dürfen?

Jim Sampson: Als ich das Tagesprogramm von BAYERN 3 koordiniert habe, spielte mein Geschmack eine untergeordnete Rolle. Nur am späten Abend, bei „Nightlife“, habe ich „meine“ Musik eingesetzt, aber stets im Mix mit bekannten Songs und Künstlern. Ich war kein Fan der alten BAYERN 3-Sendungen. Die Moderationen hatten zur Musik im Tagesprogramm kaum Bezug. Die Musikauswahl war oft gut, jedoch von der Tageslaune des Musikredakteurs abhängig.

Wolfgang Niedecken, Jim Sampson und Fritz Egner bei Bayern 3 (Bild: BR/Sampson)
Wolfgang Niedecken, Jim Sampson und Fritz Egner bei Bayern 3 (Bild: BR/Sampson)

RADIOSZENE: Fehlt es heute nicht grundsätzlich an kompetent moderierten Musiksendungen?

Jim Sampson: Bei manchen Massenwellen im Tagesprogramm mag das so sein. Ich wünschte mir manchmal mehr Persönlichkeit. Am Abend und in den „gehobenen Programmen“ höre ich gerne begründete Meinungen zur Musik, aber lieber mehr Musik und weniger Wort. Meine Wortmeldungen waren selten länger als 40 Sekunden, auch, weil ich keine spritzige Persönlichkeit war.

RADIOSZENE: Zwischenzeitlich waren Sie auch beim ORF tätig. Welche Funktion haben Sie dort ausgefüllt?

Jim Sampson: Moderator, meist bei Blue Danube Radio in meiner Muttersprache (früh, mittag, auch die Nachrichtenschiene am Abend), Interviewer, Musiknörgler. Aber einmal durfte ich als Ersatz von Casey Kasem „American Top 40“ moderieren.

Jim Sampson (Bild: ©BR / Julia Mueller
Jim Sampson (Bild: ©BR / Julia Mueller

RADIOSZENE: 1988 kamen Sie auf Wunsch von Thomas Gottschalk, der zu dieser Zeit bei BAYERN 3 für die Musik verantwortlich war, fest zurück nach Deutschland. Ihre Aufgabe: die Einführung eines computergestützten Musikplanungssystems. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk damals etwas völlig Neues. Eine Herkulesaufgabe?

Jim Sampson: Eine tolle Herausforderung, machbar, weil fast alle im Team Gottschalk und in der Hörfunkdirektion mich unterstützt haben. Die meisten Festangestellten der Leichten Musik im BR haben dagegen gekämpft.

 

„Bei Thomas Gottschalk habe ich gelernt: Je weniger du die Beiträge für ihn vorbereitest, umso besser ist er“

 

RADIOSZENE: Wie haben Sie damals die Zeit mit dem späteren Wellenchef Claus-Erich Boetzkes empfunden?

Jim Sampson: Schwierig, weil ich viele seiner Entscheidungen und auch seine Einstellung zur Musikauswahl nicht verstanden habe.

RADIOSZENE: Und die Zeit mit Thomas Gottschalk … ?

Jim Sampson: Thomas war als Chef ein toller Motivator und ist bis heute eine noch bessere Radio-Persönlichkeit. Nur habe ich gelernt: Je weniger du die Beiträge für ihn vorbereitest, umso besser ist er. Sensationell spontan. Der beste Radiomanager, den ich erlebt habe, war bei Ö3 Rudi Klausnitzer.

Thomas Gottschalk (Bild: rbb/BR/Sessner)
Thomas Gottschalk (Bild: rbb/BR/Sessner)

RADIOSZENE: Wie sehr hat sich die Radiomusik aus Ihrer Sicht über die Jahre verändert?

Jim Sampson: Die Programmauswahl ist freilich unendlich größer. Wer die richtige Musikquelle nicht findet, sollte weitersuchen. Und deutschsprachige Songs werden öfter gespielt. Ich hatte in „Nightlife“ fast immer mindestens einen Song auf Deutsch pro Stunde. In den 80er und 90er Jahren wurden in den BAYERN 3-Abhörsitzungen deutschsprachige Songs überkritisch beurteilt und zu oft abgelehnt. Mein Vorteil: ick kan schlecht deutsch, ich wollte lieber unterhaltsame Musik als druckreife Songtexte. Viele tolle englische Lyrics sind lächerlich!

RADIOSZENE: Musik ist ein weiter wichtiger Baustein des Radios. Durch die Streamingdienste verändert sich aber das Musikgeschäft gerade fundamental. Sind Sie sicher, dass das Radio auch künftig noch auf ausreichend passende neue Musik zurückgreifen kann. Die großen Stars werden immer weniger und in den Charts tauchen immer mehr One-Hit-Wonder auf …

Jim Sampson: Radio wird aber genauso oft gehört wie früher. Radio und Streaming ergänzen sich. In der Früh will ich was Lokales und Regionales mit Zeitabgabe, Wetter und Nachrichten hören. Stars brauche ich nicht unbedingt, lieber gute Songs und spannende Produktionen.

Steven Tyler (Aerosmith) und Jim Sampson (Bild: privat, Sampson)
Steven Tyler (Aerosmith) und Jim Sampson (Bild: privat, Sampson)

RADIOSZENE: Welches war das außergewöhnlichste Ereignis während Ihrer Radiokarriere?

Jim Sampson: Ich war am Abend des 4. September 1972 bei der israelischen Olympiamannschaft zu Gast und musste ein paar Stunden später in der AFN Munich Morning Show live von dem Attentat berichten, wohlwissend, dass sehr viele Olympiateilnehmer meine Sendung gehört haben.

RADIOSZENE: Was bedeutet Radio für Sie?

Jim Sampson: Eine lebenslängliche Liebesbeziehung, aber auch ein Beruf.

RADIOSZENE: Welchen Bezug haben Sie heute noch zum Radio?

Jim Sampson: Beruflich abgemeldet, aber weiterhin Intensivnutzer.

RADIOSZENE: Angenommen, die gute Fee beauftragt Sie morgen mit der Gestaltung einer Radioshow nach Ihren eigenen freien Vorgaben. Wie würde diese aussehen?

Jim Sampson: Was heißt „freie Vorgaben“? Welcher Sender, welche Zielgruppe? Meine Filmmusik-Sendung auf BR-Klassik hat irrsinnig viel Spaß gemacht. Williams, Korngold, Zimmer, Elfman, Morricone!

 

„Ich wollte lieber unterhaltsame Musik als druckreife Songtexte. Viele tolle englische Lyrics sind lächerlich!“

 

RADIOSZENE: Was macht das Radio heute besser als zu Ihren Anfängen, was vermissen Sie, was würden Sie ändern?

Jim Sampson 1992 (Bild: BR/Sessner)
Jim Sampson 1992 (Bild: BR/Sessner)

Jim Sampson: Ändern? Nichts! Ich vermisse schlagkräftige Persönlichkeiten. Was ich nicht vermisse, sind unerbetene Optimierungsvorschläge von Leuten, die angeblich alle vom Radio und von der Musik mehr verstehen als die Radiomacher.

RADIOSZENE: Haben Sie eine Vorstellung, wie sich der Hörfunk in den nächsten Jahren entwickeln muss, um konkurrenzfähig zu bleiben? Was wünschen Sie dem Radio für die Zukunft?

Jim Sampson: Aktuell, regional, lebendig. A bisserl Leidenschaft wäre schön.