Radiolegende Gisela Böhnke blickt zurück auf 40 Jahre SDR

Manche Moderatoren blei­ben „ihrem“ Sender ein beruf­li­ches Leben lang treu, sind für die Hörer unver­zicht­ba­rer Bestandteil in ihrem täg­li­chen Radio-Kosmos. Da ist es kaum vor­stell­bar, dass John Ment heu­te plötz­lich beim NDR mode­riert oder Arno beim rbb. Ebenso wenig wie Uwe Seeler beim FC St. Pauli oder Gerd Müller beim TSV 1860 München als Neuzugänge ver­mit­tel­bar gewe­sen wären. Wechselexperimente mit Moderatoren gin­gen im einen oder ande­ren Fall schon ein­mal rich­tig in die Hose. Nicht, dass es Personalities die­ser Größenordnung an Angeboten fehl­te, sie wis­sen eben aber auch, was sie am Sender ihrer Wahl haben, und der an ihnen.

Eine Radiolegende, die - sieht man von den Lehrjahren ab - ihre kom­plet­te Laufbahn sehr erfolg­reich bei einem Sender ver­bracht hat, ist Gisela Böhnke. Moderatorin Böhnke bei einem ande­ren Sender als dem Süddeutschen Rundfunk? Undenkbar, lau­te­te damals das ein­hel­li­ge Echo der Hörerschaft im Ländle. Insgesamt waren es rund vier­zig Jahren, in denen die gebür­ti­ge Kölnerin dem Sender diente.

Nach inten­si­ver Ausbildung bei WDR, Bayerischem Rundfunk und (was wenig bekannt) beim Südwestfunk fand Gisela Böhnke Anfang der 1970er-Jahre den Weg zum Süddeutschen Rundfunk. In die­ser Zeit bau­ten SDR und SWF gera­de ihre jun­gen Angebote auf, stan­den in (inof­fi­zi­el­len) Wettbewerb unter­ein­an­der und funk­ten sich nicht sel­ten gegen­sei­tig in die Quere. Es ging damals um die Vorherrschaft bei den jun­gen Hörern im „wil­den Süden“. Mittendrin die jun­ge Frohnatur Böhnke, die sich mit ihrer Musikauswahl und Expertise rasch einen Namen im Sendegebiet mach­te. Die „rich­ti­ge“ Musik, gepaart mit Szenekompetenz und coo­len Sprüchen waren damals bevor­zug­te Stilmittel zur Hörermaximierung. Der SWR „Pop Shop“ hat­te auf die­sem Gebiet Größen wie Frank Laufenberg und Walther Krause, der SDR kon­ter­te mit Gisela Böhnke.

Über vie­le Jahre war sie mode­rie­ren­des Aushängeschild und Musikredakteurin bei SDR 3, spä­ter bei SDR 1. Mit der Fusion zwi­schen Süddeutschem Rundfunk und Südwestfunk Ende der 90er Jahre zum Südwestrundfunk über­nahm Gisela Böhnke die Musikredaktion der neu­en, eher tra­di­tio­nell aus­ge­rich­te­ten Landeswelle SWR4 Baden-Württemberg - war damit maß­geb­li­cher Teil der spä­te­ren Erfolgsgeschichte die­ses Programms. Seit Dezember 2009 ist das SDR/SWR-Urgestein in Ruhestand.


Im Gespräch mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich blickt Gisela Böhnke zurück auf ihre lan­ge Karriere beim Hörfunk.

RADIOSZENE: Als Kölnerin haben Sie die meis­te Zeit Ihres Lebens in Stuttgart ver­bracht. Mal ehr­lich, wie oft haben Sie zu Karnevalszeiten die Landflucht Richtung Rhein ergrif­fen? Stuttgart liegt zwar auch an einem Fluss, doch sagt man den Landeshauptstädtern ein eher gebrems­tes Feierverhalten an Fastnacht nach …

Gisela Boehnke-Grupp (Bild: © SDR/Hugo Jehle)
Gisela Boehnke-Grupp (Bild: © SDR/Hugo Jehle)

Gisela Böhnke: Das sind sicher­lich für eine ech­te Kölnerin aus der Kölner Altstadt, die mit geleb­tem  Karneval auch in der Familie groß gewor­den ist, sehr schwie­ri­ge Tage. Ich habe mich aber immer mit Sendungen in SDR 1 - bezie­hungs­wei­se spä­ter SWR4 - ins­be­son­de­re am Rosenmontag bemüht, ein wenig von die­sem beson­de­ren Lebensgefühl zu ver­mit­teln … 

RADIOSZENE: Wie haben Sie damals zum Radio gefun­den? Ihre ers­ten Lehrjahre absol­vier­ten Sie ja beim Westdeutschen Rundfunk und Bayerischen Rundfunk … eine har­te Schule? Welche Kollegen und Vorgesetzte haben Sie damals geprägt?

Gisela Böhnke: Ich habe bei einer Veranstaltung Leute vom WDR ken­nen­ge­lernt. Wir kamen auf Musik zu spre­chen, dass ich mich gut aus­ken­ne und mit mei­nen Sprachkenntnissen auch die Texte gut ver­ste­he. Sie brach­ten mich zusam­men mit Mal Sondock, einem ehe­ma­li­gen US-ame­ri­ka­ni­schen Soldaten, der in Deutschland geblie­ben war und sich als Kenner der Popmusikszene und Radiomoderator sein Leben finan­zier­te. Wir haben eini­ge Sendungen - auch Live-Sendungen- zusam­men gemacht. Durch ihn lern­te ich die Musikszene der 1950er- und 1960er-Jahre ken­nen. 

Gisela Boehnke (Bild: © SDR/Hugo Jehle)
Gisela Boehnke (Bild: © SDR/Hugo Jehle)

Ich bin dann im Oktober 1967 aus per­sön­li­chen Gründen nach München gekom­men und habe mich beim BR vor­ge­stellt. Rüdiger Stolze, damals Redakteur im Jugendfunk (spä­ter dann Bayern 3-Chef), nahm mich unter sei­ne Fittiche. Die har­te Schule beim Jugendfunk im BR war nicht ein­fach aber sehr lehr­reich. Dort war die Sendung „Club 16“ auch schon im Selbstfahrerbetrieb im Programm Bayern 1. Das war mei­ne wöchent­li­che Sendung am Dienstag, außer­dem habe ich vie­le Musikbeiträge mit Textübersetzungen gemacht und für Werner Götze (einem sehr erfah­re­nen älte­ren Redakteur und Moderator) vie­le inter­na­tio­na­le Interpreten und Gruppen für sei­ne sonn­täg­li­che Musiksendung  inter­view­en dür­fen. Er hat auch mein Moderationstalent sehr geför­dert. Ich war viel in England unter­wegs und bei Tourneen dabei. Überraschend bekam ich dann vom SWF in Baden-Baden das Angebot, in der neu­en Sendeschiene „SWF3 Pop-Shop“ pro Monat eine Woche lang den Nachmittag, 13.00 bis 15.00 Uhr (mehr Sendezeit gab es anfangs nicht), zu mode­rie­ren. Und das gleich in der ers­ten Woche! Verantwortlicher Redakteur war Walther Krause, der mich eben­falls sehr geför­dert hat. 

Dadurch wur­de Peter Mordo, Redakteur beim SDR, der mit sei­ner Sendung „Mittwochs-Party“ sehr erfolg­reich war, auf mich auf­merk­sam. Er hol­te mich im Mai 1970 für die neue Sendung „Pop am Morgen“ und „Pop nach Wunsch“ jeweils sams­tags nach Stuttgart. Was ich damals gar nicht ahn­te, dass eine Arbeit in bei­den Häusern, SWF und SDR, nicht mög­lich war. Beide Sender kämpf­ten um die jun­gen Hörer. In Stuttgart sah ich für mich mit dem Ausbau von SDR 3 für die Zukunft deut­lich bes­se­re Perspektiven als Redakteurin und Moderatorin - und lies mich von Peter Mordo nach eini­gen Monaten zum Umzug von München nach Stuttgart über­re­den. Es war genau die rich­ti­ge Entscheidung - aller­dings soll­ten es nur ein paar Jahre sein und nicht wie letzt­end­lich für run­de 40 Jahre. Die dama­li­ge Entwicklung der drit­ten Programme ging aller­dings im SWF schnel­ler vor­an. Mit dem Ausbau der Sendung „Pop am Morgen“ zum täg­li­chen Frühprogramm kamen Peter Kreglinger und Günter Verdin als Moderatoren nach Stuttgart. Anschließend gab es die vom Werbefunk finan­zier­te Sendung „Musikmarkt Stuttgart 3“. Hier wur­de dann auch deut­scher Schlager gespielt und so lern­te ich ein Repertoire und vor allem auch die deut­schen Interpreten per­sön­lich ken­nen, das für mei­ne spä­te­re Arbeit als Musikchefin von SWR4 wich­tig war. Der Spagat ist mir damals sogar ohne Verlust von Glaubwürdigkeit gelun­gen. 

RADIOSZENE: Sie hat­ten sich damals rasch den Ruf einer Musikexpertin erwor­ben. Musikzusammenstellung und Moderation pass­ten stets per­fekt zusam­men. Sie wuss­ten war­um ein Titel jetzt im Programm gespielt wer­den soll­te, und konn­ten den Hörern die nöti­gen Fakts zu den Interpreten und Hintergründen ver­mit­teln. Was heu­te nicht immer der Fall ist, da kom­men die Moderatoren mit den ihnen vor­ge­ge­be­nen Angaben öfters aufs Glatteis. Würden Sendeformen wie zu Ihrer „Pop am Morgen“-Zeit mit Musikauswahl und Moderation aus einer Hand heu­te über­haupt noch funktionieren?

Gisela Böhnke: Die Programmphilosophie hat sich gründ­lich geän­dert. Man bil­det kei­ne spe­zi­el­len Musikmoderatoren aus son­dern Redakteure, die auch für Moderation im gan­zen Programm geeig­net sein müs­sen. Es gibt auch kei­ne spe­zi­el­len Musiksendungen mehr. „Dr. Music“ passt in die heu­ti­ge Radiolandschaft nicht mehr, genau­so wenig wie nam­haf­te Persönlichkeiten als Moderatoren, die sich unter die­sen Voraussetzungen auch gar nicht mehr indi­vi­du­ell ent­wi­ckeln können.

 

„Man bil­det kei­ne spe­zi­el­len Musikmoderatoren aus son­dern Redakteure, die auch für Moderation im gan­zen Programm geeig­net sein müssen“

 

RADIOSZENE: Welche Alben ste­hen heu­te in Ihrem Plattenregal griff­be­reit weit vorne?

Gisela Böhnke: Queen seit dem ers­ten Album - „Bohemian Rhapsody“ ist mei­ne Inselplatte!! Dann die Rolling Stones und wegen beson­de­rer per­sön­li­cher Erlebnisse auf  der Tour: Eric Burdon & War mit „Blackmen’s Burdon“.

RADIOSZENE: Das Interview Ihres Lebens mit einem Musiker war …

Gisela Böhnke, 1977 (Bild: SDR/Hugo Jehle)
Gisela Böhnke, 1977 (Bild: SDR/Hugo Jehle)

Gisela Böhnke: … Jamie Robbie Robertson von „The Band“. The Band beglei­te­te in den 60er- und 70er Jahren Bob Dylan auf Tournee und gehör­te zu den ein­fluss­reichs­ten Rockbands. Ich bin auf der Tour von Stadt zu Stadt mit­ge­flo­gen bis er end­lich den Mund auf­ge­macht hat. Da habe ich auch eine Menge über Bob Dylan erfah­ren, dem ich spä­ter ver­schie­de­ne Sendungen gewid­met habe. Tolle Gespräche gab es mit Alexis Korner, mit „mei­nem  Freund“ Eric Burdon, mit Jimmy Page, Robin Gibb, Rory Gallagher usw. 

RADIOSZENE: Nach Ihrer Zeit im „Dritten“ haben Sie beim dama­li­gen SDR 1 mode­riert. Später dann der Wechsel als Musikchefin zum neu­ge­star­te­ten SWR4 Baden-Württemberg. Ein Sprung in ein völ­lig ande­res Metier mit Schlagern und volks­tüm­li­cher Musik. Wie gewöh­nungs­be­dürf­tig war die­se neue Herausforderung?

Gisela Böhnke: Die Herausforderung war sehr groß und als mich der dama­li­ge Programmchef Martin Born gefragt hat, konn­te ich mir bei dem, was bis dahin im 4. Programm lief, das auch gar nicht vor­stel­len. Erst sein Hinweis, dass ich nicht selbst sin­gen und musi­zie­ren müss­te, son­dern das Programm mana­gen soll, mit Strukturen ver­se­hen und als gleich­wer­ti­ges neben SWR1 auf die Schiene heben soll, habe ich mich über­re­den las­sen. Es war eine gute Wahl mit vie­len Freiheiten zu auch unpo­pu­lä­ren Entscheidungen zum Beispiel in Sachen volks­tüm­li­cher Musik, hin zu einem Programm mit mehr moder­nem deut­schen Schlager und anspruchs­vol­len Interpreten. Die Entwicklung der Einschaltquoten hat mei­nen Kurs letzt­lich auch bestä­tigt. 

RADIOSZENE: Die eher tra­di­tio­nel­len Wellen wer­den mit­un­ter belä­chelt. Tut man der Schlagerszene hier unrecht?

Gisela Böhnke, 1985 (Bild: SDR/Hugo Jehle)
Gisela Böhnke, 1985 (Bild: SDR/Hugo Jehle)

Gisela Böhnke: Es wird immer die Fans des deut­schen Schlagers geben, der auch anspruchs­vol­ler gewor­den ist in Sachen Produktion und Interpreten. Damit mei­ne ich nicht nur Helene Fischer, Ben Zucker, Roland Kaiser oder Andrea Berg. Auch ein Uwe Busse, eine Maite Kelly sind rich­tig gute Künstler bezie­hungs­wei­se Produzenten und Komponisten  oder Texter. Einige von Ihnen habe ich auch erst­mals bei SWR4 ein­ge­setzt - wie bei­spiels­wei­se Helene Fischer. 

RADIOSZENE: Wie sehr hat sich das Radio wäh­rend Ihrer beruf­li­chen Laufbahn ver­än­dert? Wie hilf­reich waren bei­spiels­wei­se Musikplanungssystem und Musikforschung …

Gisela Böhnke: Es ist eine ande­re Radiozeit, nie­mand dreht die Uhr zurück. Was ich alles machen konn­te und erlebt habe, ist heu­te nicht mehr mög­lich. Man will die Verlässlichkeit in der Musikplanung mit Hilfe der Computersysteme. Diese digi­ta­le Entwicklung erlaubt auch nicht mehr die indi­vi­du­el­le Programmgestaltung durch den Redakteur bezie­hungs­wei­se Moderator. Sie führ­te fer­ner zu einem erheb­li­chen Personalabbau. Viele Aufgaben wer­den heu­te vom Marketing über­nom­men um die „Zielgruppe“, die man für die ein­zel­nen Programme defi­niert hat, zu erreichen.

RADIOSZENE: Beobachten Sie heu­te noch die Entwicklungen in der Musikszene?

Gisela Böhnke: Bedingt.

RADIOSZENE: Hat Sie wäh­rend Ihrer Zeit beim Hörfunk nie ein dau­er­haf­ter Wechsel zum Fernsehen gereizt?

Gisela Böhnke: Fernsehen war für mich nie ein Thema. Das wäre heu­te wahr­schein­lich auch anders. Radio war mei­ne Welt und unglaub­lich span­nend in den Jahren der Weiterentwicklung.

RADIOSZENE: Was bedeu­tet Radio für Sie?

Gisela Böhnke: Unterhaltung, aktu­el­le Information, Hintergrundberichterstattung, viel, viel Musik, Kontakt zu den Hörern. 

RADIOSZENE: Der blei­bends­te Moment wäh­rend Ihrer Radiozeit?

Gisela Böhnke, 1986 (Bild: SDR/Hugo Jehle)
Gisela Böhnke, 1986 (Bild: SDR/Hugo Jehle)

Gisela Böhnke: Ich habe mich 2003 sehr über die Preisverleihung der „Arbeitsgemeinschaft deut­scher Schlager und Volksmusik ADS Radio 2003“ gefreut. In der Laudatio wur­de ich zwar als Rock-Lady bezeich­net, aber man hat mit dem Preis trotz­dem mei­ne Arbeit als SWR4-Musikchefin gewürdigt.

RADIOSZENE: Was macht das Radio heu­te bes­ser, was wür­den Sie ändern?

Gisela Böhnke: Wieder mehr begab­te Moderatoren, die ihre Persönlichkeit ins Programm ein­brin­gen kön­nen. Und öfter auch mal Beiträge die län­ger als 2‘30 sein kön­nen. Ein paar Sendungen mit indi­vi­du­el­ler und authen­ti­scher Programmgestaltung.