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Norwegen schaltet UKW ab – aber warum streamen sie nicht einfach alles?

James Cridland's Radio Futrure

Heute, am 11. Januar 2017 um exakt 11:11 Uhr, wird es in einem Teil von Norwegen endgültig still im FM-Band. Die Mehrheit der Radiosender wechselt dort von der analogen Ultrakurzwelle (UKW) zum digitalen Übertragungsstandard DAB+, neben Online- und Digitalfernsehen (DTV). Bis Ende 2017 werden im ganzen Land alle UKW-Sender abgeschaltet. (Einige kleine Lokalradios bleiben zwar noch analog via UKW zu hören, aber die Stationen, die 95% der Zuhörer erreichen, wechseln zu DAB+.)

DAB+ ist klassischer Rundfunk ganz so wie UKW. Man braucht zwar ein neues Radiogerät, aber es funktioniert genau gleich: das Radioprogramm wird von einem hohen Sendeturm ausgestrahlt und im Radio über Antenne empfangen.

Aber warum sich solche Mühe machen, fragen sich manche Leute, warum streamen sie nicht einfach? Machen wir doch mal etwas Mathe.

In vielen Ländern muss man die UKW- (oder DAB-) Sendeanlagen von einem Sendernetzbetreiber mieten, mit dem man einen Wartungsvertrag abschließt und der  sich auch um die Begleichung der Stromrechnung kümmert. Ein Radiosender, den ich mir zufällig herausgepickt habe, zahlt zum Beispiel 6.000 USD pro Monat für die Verbreitung über UKW und erreicht damit 2,5 Mio. erwachsene Hörer. Er besitzt einen Marktanteil von 5% und hat in der Primetime 43.000 Hörer.

Bei  UKW (und DAB) ist es egal, wie viele Hörer den Radiosender eingeschaltet haben, die Senderkosten sind immer gleich. Mit Streaming über Internet allerdings bezahlt man für verbrauchtes Datenvolumen und die Bandbreite, die für diese Anzahl der Hörer notwendig ist.

Nun sind 43.000 gleichzeitige Zuhörer für Internet-Streaming eine Riesenmenge. Die meisten Radiostationen kommen nicht annähernd in diese Größenordnung – ich kenne einige Sender, die haben Peaks mit bis zu 15.000 gleichzeitigen Hörern, die meisten aber haben nur einige Hundert. Ich habe mit einer Providerfirma gesprochen, die sich auf Webradio-Streaming für große Unternehmen spezialisiert hat. Sie rechnet grob mit 55 USD pro Monat für 100 gleichzeitige Streams – also einem Maximum von 100 Hörern, die gleichzeitig zuhören. Wenn der Radiosender UKW nun abschaltet und stattdessen maximal 43.000 (gleichzeitige) Hörer per Stream erreichen will, wären pro Monat 23.650 USD fällig. Das heißt, Internet-Streaming ist viermal teuer als ein UKW-Sender.

The Oslo ferry leaves. (Bild: ©James Cridland)
Die Oslo-Fähre hat abgelegt (Bild: © James Cridland)

Ach – und wenn Sie noch die anderen Kosten grob durchrechnen möchten: die Radiostation hat übrigens eine monatliche Gesamt-Hördauer von 11 Mio. Stunden. Die Bandbreitenkosten allein würde der CDN-Anbieter, den ich mir angeschaut habe, mit 65.000 USD pro Monat für die monatlich vom Publikum genutzten 343 TB an Datenvolumen in Rechnung stellen. Der Streaming-Provider, den ich bereits erwähnt habe, macht also ein gutes Geschäft.

Und dann gibt es ja auch noch die Kosten für den Verbraucher. Unser Beispiel-Radiosender wird pro Monat und Hörer 32 Stunden lang gehört, was etwa 1 GB Datenvolumen pro Monat ausmacht. Das gibts auch nicht komplett kostenlos. Das Datensignal für Live-Streaming muss zudem auch wirklich zuverlässig sein – und Streaming verbraucht sieben Mal mehr Akku-Leistung als durch UKW-Hören mit dem gleichen Gerät. Und dann noch die Musikrechte… Das geht immer so weiter.

In Bodø, der Hauptstadt von Nordland, einer Grafschaft in Norwegen, wo zuerst auf DAB+ wechselt wird, kann ein typischer UKW-Hörer zehn Radiosender empfangen. Wenn er aber sein Digitalradio einschaltet, findet er dort 30 Stationen: das ist eine ziemlich deutliche Steigerung in der Auswahl.

Vielleicht erklärt das auch die globalen Trends. Das Live-Internet-Streaming der Radiosender nimmt nur sehr langsam zu –  weit langsamer als die Aufnahme von DAB-Sendungen in den meisten Ländern inkl. Norwegen. Auch wenn die Leute gezwungen sind, ihre Radio-Empfänger auszutauschen, wechseln sie nicht plötzlich zu Streaming, sondern bleiben dem klassischen Rundfunk treu. Warum auch nicht? Es ist kostenlos, zuverlässig – und es funktioniert.

Internet-Übertragung ist toll – und ist definitiv Teil der Zukunft des Radios. Aber es ist kein Ersatz für terrestrische Übertragung und kann dies auch nicht sein. Jedenfalls noch nicht.

 

james-cridlandDer „Radio-Futurologe“ James Cridland beschäftigt sich mit neuen Plattformen und Technologien und ihre Wirkung auf die weltweite Radiobranche. Er spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch relevant bleibt. Sein wöchentlicher Newsletter (in Englisch) beinhaltet wertvolle Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kostenlos bestellt werden: james.cridland.net.

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