Norwegen: DAB+ lässt Radionutzung einbrechen

bitterlemmer 750DAB+ als „Radio der Zukunft“? Wohl eher als Totengräber des Radios, wie neue Zahlen aus Norwegen zeigen. Die Norweger haben UKW als erstes Land weltweit abgeschafft. Und damit dem Medium insgesamt einen schweren Schlag versetzt.

DAB+ sei das Radio der Zukunft. Das behaupten öffentlich-rechtliche Anstalten, Medienbehörden¹ und Lobbyisten seit Jahrzehnten. Mit viel Lobbydruck, öffentlichen Mitteln und Geldern aus Rundfunkgebühren haben sie es geschafft, dass inzwischen immerhin knapp ein Drittel aller deutschen Haushalte ein DAB-Gerät irgendwo in der Wohnung oder im Auto besitzen². Tatsächlich könnte sich aber genau das als Killer für die Radiobranche erweisen. 

Zahlen aus dem DAB-Vorreiterland Norwegen zeigen: DAB lässt die Radionutzung zusammenschrumpfen. Die bisher fast spektakuläre Widerstandskraft des UKW-Radios gegen die digitalen Herausforderungen wird durch die Umstellung auf DAB gerade nicht gestärkt. 

Über das Jahr 2017 schaltete Norwegen nach und nach die meisten seiner UKW-Sender ab³. Anfang 2018 schloss es als erstes Land der Welt den Wechsel des Funkstandards ab⁴. Seitdem gibt es landesweites Radio nur noch auf DAB+. UKW ist nur noch für einige Lokalradios gestattet.

Die Folgen für das Radio sind dramatisch. Nur noch knapp 20 Prozent der jüngeren Altersgruppen bis 24 Jahre hören durchschnittstäglich Radio, ermittelte das norwegische Statistikamt für seinen Medienmonitor 2022⁵.  Das ist für die Jungen seit 2019 ein Rückgang um rund 50 Prozent.

Bei den jüngeren Erwachsenen (bis 44 Jahre) sieht es nicht besser aus – in dieser Gruppe ist der zeitliche Zusammenhang mit der DAB+ Umschaltung auch besonders deutlich. Ab 2017 knickte die Radionutzung weg von 60 Prozent auf nur noch 40 Prozent im vergangenen Jahr.

Nur die Älteren und Alten bleiben dem Radio erhalten – mit gleichbleibender oder gering ansteigender Tagesnutzung um 60 bis 70 Prozent.

Das skandinavische Fachportal Digital Radio FM Insider spricht von einem Fiasko⁶ und legt einen zusätzlichen Maßstab an, der Radiomacher auch hierzulande alarmieren sollte – nämlich den Anteil, den Radio an der gesamten Nutzung von Audiomedien noch besitzt. Auch der sinkt nämlich dramatisch.

Insgesamt würden die Norweger täglich gut zwei Stunden Audiomedien konsumieren. Aufs Radio entfielen davon nur noch 52 Minuten, weniger als die Hälfte. 1991 dagegen sei Audio annähernd hundertprozentig identisch gewesen mit Radio.

Das Insiderportal widerlegt auch den Erfolgsjubel über die flächige Verbreitung von DAB-Empfangsgeräten. In acht von zehn norwegischen Haushalten existierten DAB-taugliche Geräte. Aber nur vier von zehn Norwegern schalte damit durchschnittstäglich DAB-Programme ein.

„Damit ist das befürchtete Fiasko eingetreten“, resümiert das Portal. Die Hörer hätten sich nicht so verhalten wie Politiker und das nationale  NRK Radio hofften – nämlich auf DAB umzusteigen. „Das bedeutet, dass das norwegische Radio schneller Hörer verliert als das Radio in anderen Ländern, die nordischen Nachbarn eingeschlossen.“ 

Vor allem zeige dieses Resultat das konzeptionelle Scheitern von DAB – schließlich sei es darum gegangen, UKW durch DAB zu ersetzen und Radio so stabil zukunftstauglich zu machen.

Als Vorbild für die öffentlich-rechtlich getriebene DAB-Politik in Deutschland dürfte Norwegen damit erledigt sein. Vielmehr zeigt sich, dass der erzwungene Umstieg die Hörer auf ganz neue Gedanken bringt: Nämlich ihr Zeitbudget mit Blick auf Streamer, Podcast und andere digitale Angebot von Grund auf neu zu verteilen. 

Womit die Digitalisierung als letztes Medium auch das Radio disruptieren dürfte – dank tätiger Mithilfe der Medienbürokratie und der auch hierzulande noch immer lauernden Zwangsumstellung auf DAB+.


¹ „Radio der Zukunft“, BLM
² Anteile der Haushalte mit Digitalradioempfangsgerät
³ radio.no
⁴ dabplus.de, Webauftritt der DAB-Lobby
⁵ Medienmonitor 2022 Statistik Norwegen (SSB), Grafik 6.1, Seite 45
⁶ Digital Radio FM Insider


Christoph Lemmer (Bild: privat)
Christoph Lemmer (Bild: privat)

 

Kommentar von Christoph Lemmer (Freier Journalist).

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