Radio-Köpfe: Peter Urban – Musikexperte und ESC-Kommentator 

Kurz nach seinem 75. Geburtstag im April 2023 machte Peter Urban noch einmal Schlagzeilen: Er brachte seine vielbeachtete Autobiografie „On Air“, Untertitel: Erinnerungen an mein Leben mit der Musik, heraus. Schon zuvor hatte er angekündigt, dass der Eurovision Songcontest (ESC) im Mai 2023 in Liverpool der letzte sein werde, den er für Das Erste (ARD) kommentieren werde. So geschah es dann auch.

Peter Urban (Bild: ©NDR)
Peter Urban (Bild: ©NDR)

Künftig wolle er sich um Herzensdinge wie seinen Podcast „Urban Pop“, seine Sendung „Soundcheck-Neue Musik: Die Peter-Urban-Show“ bei NDR 2 am Donnerstagabend und seine Familie kümmern.

Unser Mitarbeiter Hendrik Leuker bat ihn zum Interview im Café & Restaurant „Funk-Eck“, dem Stammlokal vieler NDR-Moderatoren, nahe des Funkhauses im gutbürgerlichen Ortssteil Rotherbaum in Hamburg.   

Liebe zur Musik

Urban ist niemand, der „nur“ über Musik spricht, sondern er musiziert seit seiner Schulzeit selbst. Zunächst bekam er zwei Jahre lang klassischen Klavierunterricht erteilt. Dann wandte er sich mit wachsendem Interesse und anfangs zum Leidwesen seiner Eltern der Jazz-Musik zu. Als Pianist spielte er zu Schülerzeiten zwischen 1964 und 1967 in der Band „Quaktown Rhythm Kings“. „Quaktown“ ist eine Verballhornung des Ortes Quakenbrück, bei Osnabrück gelegen, in dem er nach einem Umzug seiner Familie von seinem Geburtsort Bramsche aufwuchs. Man spielte Titel aus dem New Orleans-Jazz der 1920er nach und hatte damit durchaus rasch Erfolg und Zuspruch: Die Band gewann den „Nordwestdeutschen Jazz-Jamboree“ in den Jahren 1965 und 1966. Die Leidenschaft pflegte er nach dem Abitur weiter als Student und Moderator.

Peter Urban 2023 (Bild: © NDR / Niklas Kutsche)
Peter Urban 2023 (Bild: © NDR / Niklas Kutsche)

Nun wandte er sich vor allem Westcoast und Blues zu. So war er E-Pianist und Orgelspieler in der Band „Pussy“ mit dem Blues-Musiker Abi Wallenstein. Er spielte mit „Pussy“ im legendären Club „Onkel Pö“ in Hamburg und hatte dabei Mitte der 70er Jahre auch Sessions mit Udo Lindenberg, John Oates und Joe Cocker. Aus „Pussy“ entstand dann kurzzeitig „Caro & JCT Band“, benannt nach der Band-Sängerin. Als das vorbei war, gründete Peter Urban mit befreundeten Musikern Ende März 1978 die „Bad News Reunion“, die mit Unterbrechungen bis zum vierzigsten Jubiläum der Hamburger Kultstätte „Fabrik“ im Jahr 2018 aufspielte mit z.B. gecoverten Bob-Dylan-Songs wie mit eigenen Stücken und insgesamt sechs Alben herausbrachte.

Offshore Radio (Quelle: Sticker)

Aber zurück zum Gymnasiasten Peter: Dieser begeisterte sich nach seiner Jazz-Karriere mehr und mehr für die Beatles, konsumierte englische Musikzeitschriften, hörte Radio-Kult-Programme auf Mittel- und Langwelle mit den damals im deutschen Äther sehr raren Pop und Rock-Klängen wie das englische Programm von Radio Luxemburg, BBC Radio, den Soldatensender BFBS und den Piratensendern, den Seesendern außerhalb der Drei-Meilen-Zone, wie Radio Caroline und Radio London.

Nach London ging auch die Klassenfahrt der Abiturklasse 1966. Die Abiturienten erfreuten sich am Theaterstück „Hamlet“ von Shakespeare, womöglich noch mehr an Konzerten von Stevie Winwood und Mick Taylor, dem ersten Gitarristen der „Stones“. Kaum von der Klassenfahrt zurück, erfuhr Peter, dass er das Preisausschreiben des „Osnabrücker Tageblatts“ gewonnen hatte, das ihn zum Endspiel der Fußball-WM 1966 ins Londoner Wembley-Stadion geführt hätte. Er ließ seinen Gewinn erst einmal verfallen, meldete sich nach den Abiturprüfungen aber wieder bei der Zeitung.

Die Fußball-WM war längst vorbei, dennoch bestand er letztlich erfolgreich auf seinen Gewinn: Einer erneuten London-Fahrt. Zielstrebig steuerte er die Musikclubs der Stadt an: So wohnte er einem Konzert der „Creams“, der Gruppe um Eric Clapton, bei. Dabei sah er zufällig den ersten Auftritt auf britischem Boden eines gewissen Jimmy Hendrix, wie er mit den Zähnen Gitarre spielte…

Im darauffolgenden Jahr, er hatte unterdessen auf eine weitere London-Fahrt gespart, steuerte er direkt auf die Studios der Beatles in der Abbey Road zu und traf seine Idole kurz vor dem Studioeingang. Auch als Anglistik-Student in Hamburg, das er wegen seiner Musik-Szene gezielt als Studienort aussuchte, und als „Assistant-Teacher“(Aushilfslehrer)  im Auslandssemester 1969/1970 in England blieb Urban der Musik treu. Schließlich sollte es auch in seiner Doktorarbeit um Musik gehen: „In meiner Staatsexamenszeit 1972 schrieb ich über Songs von Ray Davies von den ,Kinks´ (,Lola´, ´You Really Got Me´). Das Thema lautete: Zeit- und Sozialkritik in den Songs von Ray Davies. Das lief gut. Und so habe ich – Professor Kleinstück, ein Shakespeare-Kenner, ließ mich gewähren – die Staatsexamensarbeit zur Dissertation (Doktorarbeit) ausgebaut zum Thema: ,Inhalte und Poesie angloamerikanischer Populärmusik von der Folkloreballade aus dem 16. Jhd. bis heute´. Dabei kam ich in den Genuss einer Graduiertenförderung, ein Zwei-Jahres-Stipendium für das Schreiben der Dissertation“. Die Doktorarbeit beendete er im Jahr 1977 und heißt seither mit vollständigem Namen: Dr. Peter Urban. Seine Doktorarbeit erschien 1979 als Taschenbuch unter dem Titel  Rollende Worte, die Poesie des Rock. Von der Straßenballade zum Pop-Song. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1979, ISBN 3-596-23603-7. Das Buch ist vergriffen und könnte allenfalls mit viel Glück antiquarisch erhältlich sein.                               

Der Weg zum Radio

Seit Mai 1974 ist Urban beim NDR tätig, die Festanstellung erfolgte erst mit 40 Jahren im Jahr 1988. Bevor er zum NDR-Hörfunk kam, hatte Urban 1971 schon an einem Fernsehprojekt über Jugendkultur von Regisseur Horst Königstein im ARD-Fernsehen mit den von einem Stones-Album entnommenen Titel „Sympathy For The Devil“ mitgewirkt. Beim sechzehntätigen Dreh in England war Urban Übersetzer und Interviewer zugleich. Unter anderen stand ein Besuch beim Londoner Bluesvater Alexis Korner und der schottischen Blues-Sängerin Maggie Bell auf dem Drehplan, das Drehteam war auch in den Abbey Road-Studios der „Beatles“, es kam auch ein Interview mit einem Vertreter der damals angesagten Anti-Establishment-Sänger, Terry Stamp von “Third World War“, vor. Urban machte sich im Anschluss mit den technischen Vorgängen des Filmschnitts vertraut. Auch war er schon Mitarbeiter der Musikzeitschrift „Sounds“ als er zum Radio kam.

Peter Urban im NDR-Studio in den 80er Jahren (Bild: ©NDR)
Peter Urban im NDR-Studio in den 80er Jahren (Bild: ©NDR)

Wie stellte Urban den Kontakt zum NDR her? Urban hörte als Student um die Mittagszeit „Musik für junge Leute“, diese Sendung kam dreimal die Woche und lief eine halbe Stunde lang. Moderiert wurde diese von Klaus Wellershaus, der später zu Urbans Mentor werden sollte. „Zunächst waren das Bandsendungen, die aufgezeichnet waren. Diese wurden umgeschnitten und vom Ansager vom Dienst präsentiert“, erläutert Urban. „Bei einer Sendung, die ich hörte, war ich der Meinung, dass eine Kleinigkeit falsch gewesen sei, wahrscheinlich der Name eines Sängers oder der Name eines Produzenten. Genauer weiß  ich es heute nicht mehr. Ich schrieb an Klaus Wellershaus und dieser schrieb mir nach einiger Zeit tatsächlich zurück. Er fragte, ob wir uns treffen könnten. Ich wohnte keine zehn Minuten vom Funkhaus entfernt. Wir trafen uns in der NDR-Kantine auf einen Kaffee. Das war 1968. Wir blieben in Kontakt. Ich hätte nie gedacht, das meine Zukunft nun beim Radio liegen sollte“, erinnert sich Urban lebhaft.

Auch als Urban 1969/70 nach England als „Assistant Teacher“ (Aushilfslehrer für Deutsch) ging, erzählte er davon wiederum in Wellershaus´ Sendung. Neben Erlebnissen mit Schülern und Musikern gehörte dazu leider ein schrecklicher Verkehrsunfall, den Urban nach viermonatigem Krankenhausaufenthalt relativ gut überstanden hatte. Wellershaus machte Urban zu seinem freien Mitarbeiter.

Im Mai 1974 war es dann so weit: Urban bestritt seine erste eigene Sendung bei NDR 2, eine Ausgabe von „Musik für junge Leute“: „Ich ging damals mit meinem Plattenkoffer von zu Hause zur Rothenbaumchaussee“. Wellershaus saß in der Regie als moralische Unterstützung für Urban, der anfangs nervös war. Die Sendezeit war erst eine halbe Stunde lang und wurde dann ab Oktober 1978 auf 13.35 Uhr bis 15 Uhr erweitert: Eine Zeit, in der Norddeutschlands Schüler aus der Schule strömten und vor den zumeist ungeliebten Hausaufgaben standen.

„Wir waren der eigentliche Musikunterricht nach der Schule, im Norden, Westen und Osten, bis nach Leipzig“, ist sich Urban gewiss. „Es gab viele entsprechende Briefe und Reaktionen von Hörern mit Anregungen und Kritik an der Sendung. Wir hatten bei NDR 2 das Monopol inne: ´Musik für junge Leute´ war die einzige Sendung mit Rock- oder Popmusik“ , macht Urban den Stellenwert der Sendung deutlich. In seiner ersten Sendung im Mai 1974 legte Urban Reggae-Musik eines gewissen, bis dahin hierzulande unbekannten, Bob Marley auf. Live-Gäste dieser Sendung, die bis Ende 1980 auf NDR 2 lief, waren unter anderen Bryan Ferry von „Roxy Music“, Udo Lindenberg und Falco. Schon bald erkannten Plattenfirmen den Stellenwert der Sendung und schickten dem Sender kistenweise Platten zur Bemusterung und zum Auflegen.

Sendungen im NDR

Urban gehört seit Mitte der 1970er Jahre zu den prägenden Moderatoren des NDR-Hörfunks: Seine angenehme Stimme und sein flüssiger, manchmal mit sanfter Ironie gewürzter, Vortrag bleibt oft beim Hörer hängen. „Am Anfang empfand ich meine Stimme manchmal als zu leise“, räumt Urban ein. Begonnen hat er, wie bereits geschildert, mit „Musik für junge Leute“ im Mai 1974, ab Oktober 1978 war er damit von 13.35 Uhr bis 15 Uhr auf Sendung. Diese Sendung lief bis Ende 1980 auf NDR 2.

Dann wechselte sie mit Peter Urban ab dem 01.01.1981 auf NDR 1 und war nach erfolgter Regionalisierung der ersten Hörfunkkette des NDR im Jahr 1984 nur noch auf der Hamburg-Welle NDR 90,3 zu empfangen. Dort blieb die Sendung bis 1988 im Programm und wurde schließlich unter Protest vieler junger und junggebliebener Hörer nach 23 Jahren eingestellt. Bereits in den 70er Jahren kam der „Club“ von NDR 2 von 18-20 Uhr hinzu, der vom Jugendfunk mit betreut wurde. Dem schloss sich in den 80er Jahren der „Nachtclub“, zunächst „Club nach zehn“ genannt, von 22-24 Uhr auf NDR 2 an, der später auf NDR 3 (heute: NDR Kultur) und NDR 4 (heute: NDR Info) lief, sowie „Soultrain“ auf NDR 2, die Sendung mit Schwarzer Musik, als Teil des „Nachtclubs“ zusammen mit Ruth Rockenschaub.

Auch gab es in dieser Zeit viele Ausgaben des „NDR 2 Club-Extra“. In den 80er Jahren moderierte Urban zusammen mit den Sportredakteuren Kurt Emmerich, Günter Maletzko und Alexander Bleick „Pop und Sport“ , eine musikalisch-sportliche Halbzeitbilanz am Mittwoch von 20-22 Uhr: „Das war ein großer Spaß!“, nicht zuletzt für Urban, einem bekennenden HSV-Fan und glühenden Fußball-Anhänger.

Günter Fink und Peter Urban im Studio (Bild: Privatarchiv Peter Urban)
Günter Fink und Peter Urban im Studio (Bild: Privatarchiv Peter Urban)

Weiterhin wären noch Spezialsendungen zu Blues und Tropical Music, exotischen Klängen aus Lateinamerika, der Karibik, Südeuropa und Afrika, zu nennen auf NDR 4. Diese Spezialsendungen liefen später auch beim RIAS, und wie Urban an diversen Honoraranweisungen in Lira und in Schweizer Franken sehen konnte, auch bei Radio Bozen (RAI) und beim Schweizer Radio DRS. In weiteren Spezialsendungen ging es um Themen wie „Sex und die Rolle der Geschlechter in der Popmusik“ oder „Frauen in der amerikanischen Populärmusik“ oder um Porträts von Künstlern wie Stevie Wonder, dem Sänger der „Stones“ Mick Jagger oder der Gruppe The Who.

Ab Anfang 1978 kam es für einige Jahre zu Sendungen auch bei WDR 2, als Urban mit „Caro & The JCT Band“ in Düsseldorf auftrat und der WDR 2-Moderator und Redakteur Wolfgang Neumann darüber berichtete. Urban gab sich als Kollege vom NDR zu erkennen und Neumann, der auf der Suche nach einer Vertretung war, bot ihm an, in seiner Abwesenheit seine Sendungen zu übernehmen: Zum einen handelte es sich um eine Chartshow, die Urban in ihren Abläufen als sehr starr empfand, war er doch bei NDR 2 mehr Freiräume gewohnt. Zum anderen handelte es sich um eine Sendung über die damals angesagte deutsche Musikszene.

So stellte er seinen Hörern neue Gruppen mit damals ungewohnten Namen wie Fehlfarben und Grauzone und den Liedermacher Heinz Rudolf Kunze, der übrigens aus Urbans Heimat stammt, vor und sah sich Studiogästen wie Neonbabies, Nervous Germans oder dem Comedian Piet Klocke gegenüber. Urban, der Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre mit Bahn und Flugzeug mehrmals im Monat nach Köln reiste, blieb dem NDR erhalten: „Man bot mir in Köln eine Festanstellung beim WDR an. Aber ich habe mich letztendlich für Hamburg und den NDR entschieden.“ , bereut Urban seine damalige Entscheidung nicht. Die Festanstellung bekam er von NDR-Unterhaltungschef Wolfgang Knauer im Jahr 1988.

Im Jahr 1989 begann dann etwas, das Urban nicht verhindern konnte: Das NDR 2-Programm sollte durchhörbarer werden, nach und nach wurden Ecken und Kanten abgeschliffen. Ab dem Jahr 2007 gab es eine leichte Kurskorrektur: abends sind wieder, wenn auch nicht an jedem Abend, musikalische Spezialsendungen aufzunehmen. 

Alle Farben des Lebens

Während einer langen Karriere in den Medien reiht sich so manche heitere Anekdote an sentimentale bis hinab zu den Abgründen des Daseins. Urban hat diesbezüglich einiges zu erzählen: Im April 1980, bei „Musik für junge Leute“ auf NDR 2, hatten Günter Fink und er den damaligen HSV-Star Kevin Keegan, Spitzname „Mighty Mouse“ (wörtlich: Mächtige Maus), in der Sendung, die live von der Kult-Gaststätte „Lindenhof“ beim Trainingszentrum des HSV in Norderstedt gekommen ist, zu Gast: Der damals gefeierte Fußballstar, der mit seiner Single „Head Over Heels In Love“ (Hals über Kopf verliebt) ein Jahr zuvor selbst in den Charts vertreten war, habe für diese Sendung die Musik ausgewählt, insbesondere Titel von Smokie, Elton John und Rod Stewart, und sich als „sympathischer, toller Typ“ (Urban) erwiesen. Sein Markenzeichen, seine Locken, so Keegan, kämen vom Haareschütteln unter der Dusche nach einem Spiel. Das Treffen hatte ein paar Tage später den Freizeit-Fußballern Fink und Urban Sportschuhe des Ausrüsters von Keegan eingebracht…

Peter Urban mit Kevin Keegan und Günter Fink 1980 (Bild:-Privatarchiv Peter Urban)
Peter Urban mit Kevin Keegan und Günter Fink 1980 (Bild:-Privatarchiv Peter Urban)

Im Jahr 1995 wurde im „Club“ auf NDR 2 zwischen 18 und 20 Uhr ein Beitrag dem 50. Geburtstag des nordirischen Sängers, Musikers und Komponisten Sir van Morrison gewidmet, eingesprochen von Urban. Das Band wurde, bevor es auf Sendung ging, versehentlich nicht wie üblich kontrolliert. So bekamen auch die Hörer die Ungeduld Urbans mit sich selbst mit, als ihm einiges in der Aussprache und beim Besprechen des Bandes misslang. Er fluchte auf Englisch. An so manchem Rückblicken zu Silvester wurde Urban an sein Missgeschick erinnert: „Mir war es peinlich. Aber es passiert bei solchen Sendungen.“, ist sich Urban bewusst.

Als ein sentimentales Erlebnis sieht Urban das Wohltätigkeitskonzert „Live Aid“ 1985 an, bei denen zahlreiche prestigeträchtige Bands ein Wohltätigkeitskonzert für Afrika, insbesondere aufgrund der Hungersnot in Äthiopien, in London und Philadelphia (USA) veranstalteten. Fink und Urban kommentierten das 15-Stunden-Ereignis im NDR-Hörfunk aus Hamburg: „Man wusste, man war bei einer großen Sache dabei. Man fühlte sich als Teil von etwas Größerem“, schaut Urban heute auf das einschneidende Ereignis zurück.

Bei einem anderen Großereignis zum 70. Geburtstag des südafrikanischen Anti-Apartheid-Kämpfers Nelson Mandela, „A Tribute For Mandela“ im Londoner Wembley-Stadion 1988, griff die ARD wieder auf Urban zurück: Er sollte sowohl Hörfunk-Kommentator auf allen Pop-Wellen der ARD als auch Fernseh- Kommentator für alle Dritten Programme sein.

Peter Urban bei einer NDR Open Air Sendung ca. 1986 (Bild: Privatarchiv Peter Urban)
Peter Urban bei einer NDR Open Air Sendung ca. 1986 (Bild: Privatarchiv Peter Urban)

Nachdem auch der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) die Freilassung Mandelas forderte, schien das Thema aus der politischen Schusslinie zu sein. Nicht so für das Bayerische Fernsehen und den BR-Hörfunk: Unter Druck von Fernsehdirektor Wolf Feller kommentierten statt Urban Günter von Lojewski („Report München“) im Bayerischen Fernsehen (nur teilweise live) , und Fritz Egner auf Bayern 3 sendete nur eine 30minütige Zusammenfassung des elfstündigen Ereignisses. Für den von CSU- Leuten geführten BR saß Nelson Mandela nämlich zurecht im Gefängnis…

In den 80er und 90er Jahren kickte Urban, der in den 90er Jahren auch stellvertretender Stadionsprecher beim HSV war, in der NDR- Prominentenfußballmannschaft auch mit HSV-Stars wie Horst Hrubesch und Co. „Kaum wurde ich angespielt, habe ich den Ball auch wieder abgegeben. Ich war schon ein merkwürdiger Fußballspieler“, schmunzelt Urban.

Aufgrund des Versäumnisses einer Anstaltsärztin, die einem verurteilten Sexualstraftäter zu Unrecht einen Freigang erlaubte, wurde im Juni 1981 Isabel, die damals elfjährige Tochter von Klaus Wellershaus, sexuell missbraucht und ermordet. Mit tränenerstickter Stimme schilderte Wellershaus Urban, was vorgefallen war: „Ich habe ihn anfangs kaum verstanden. Wellershaus bat mich, ihn im Sender zu vertreten. An diesem Tag musste ich also Sendung machen, Musik aussuchen. Ich konnte kaum noch moderieren.“, blickt Urban auf den wohl traurigsten Tag seiner Karriere zurück. Wellershaus selbst fuhr ab da bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2002 keine Sendung mehr live.   

Musikexperte und Musikentdecker

Peter Urban im Plattenzimmer 1992 (Bild: Privatarchiv Peter Urban)
Peter Urban im Plattenzimmer 1992 (Bild: Privatarchiv Peter Urban)

Wie muss für einen gestandenen Musikexperten wie Urban Musik klingen? „Ich liebe gute Musik. Ein Popsong sollte einen tollen, griffigen Refrain und einen dazu passenden Text haben. Man muss als Musikredakteur einen guten Überblick haben, nicht nur eine Musikrichtung gut finden. Mein Rundblick geht von Rock, Pop, Rap, Soul bis hin zur klassischen Musik etc. Für mich ist Musik eine Herzensangelegenheit, sie muss berühren. Diese Seite ist mir wichtig.“, betont Urban. Gerade kommerzieller Musik gehe das oft ab. Gefragt nach Newcomern, könne er sich auf keinen festlegen. Bob Marley und Prince, die er 1974 bzw. Ende der 70er Jahre als erster hierzulande gespielt habe, seien Weltstars geworden. Bruce Springsteen, der Ende der 70er Jahre als Newcomer galt, hatte erst später Erfolg. Die britische Folk-Pop-Sängerin Laura Marling, die er Ende der 2000er als Newcomerin vorstellte („Eine wunderbare Sängerin“, Urban), sei in Deutschland weithin unbekannt geblieben. Dennoch gelte: „,Wir spielen die Hits!´, das ist mir zu arm. Ein Radioredakteur sollte auch aus seiner eigenen Seele etwas holen“, fordert Urban dazu auf, Musik wieder zu entdecken.    

Der ESC – Alle Varianten von Musik und Show 

Im Jahr 1996 ging innerhalb der ARD die Berichterstattung über den ESC (Eurovision Songcontest), der bis 2004 auch Grand Prix d´ Eurovision de la Chanson hieß, vom MDR auf den NDR über. 1996 kommentierte Ulf Ansorge den ESC für den Sender, damals erst Anfang Dreißig. „Er hat den ESC eher karikierend kommentiert.“, stellt Urban fest. So hatte Unterhaltungschef Jürgen Meier-Beer, der Verantwortliche des NDR für den ESC, die Idee, einen Kommentator einzusetzen, der mit mehr Engagement dabei sein würde.

Durch seine Erfahrungen im Kommentieren von Großereignissen wie „Live Aid“ und „A Tribute For Mandela“ fiel die Wahl recht schnell auf Urban. Meier-Beer sprach dann Urban an: „Willst Du das nicht kommentieren?“ Bedenken, er könne womöglich mit dem ESC nichts anfangen, wiegelte dieser mit den Worten ab: „Den Grand Prix habe ich schon als Schüler gesehen.“ Urban kam, wie er selbst findet, zugute, dass der ESC, den er von 1997 bis 2023 für das Erste (ARD) im Fernsehen kommentieren sollte, bis auf das Jahr 2009, in dem er aus gesundheitlichen Gründen (Hüftoperation) pausierte, sogleich an Fahrt auf – und an öffentlicher Aufmerksamkeit zunahm: Bereits das Siegerlied des ESC 1997 in Dublin von Katrina and the Waves „Love Shine A Light“ für England sei ein Mega-Erfolg gewesen.

Im Jahr darauf, beim ESC 1998 in Birmingham, verzückte Guildo Horn mehr noch mit seinen Showeinlagen als mit seinem Gesang bei „Guildo hat Euch lieb!“, mit dem er für Deutschland Platz 7 holte. Urban habe sich damals über das „gestiegene Interesse“ sehr gefreut. Aus welchem Grund blieb Urban so lange beim ESC dabei? „Es war auch Arbeit. Es hat aber auch durch Erfolge und das gestiegene Interesse Spaß gemacht. Beim ESC arbeiten Sänger, Produzent und Kommentator an einem gemeinsamen Stück zusammen“.

Peter Urban kommentierte den ESC mit Lena, Stefan Raab und Co. (Bild: © NDR)
Peter Urban kommentierte den ESC mit Lena, Stefan Raab und Co. (Bild: © NDR)

Das schönste Erlebnis sei natürlich der Sieg von Lena mit „Satellite“, produziert von Stefan Raab, beim ESC 2010 in Oslo gewesen. Urban habe schon zuvor ein gutes Gefühl gehabt, rechnete aber nicht unbedingt mit einem Sieg. Die damals erst 19-jährige Lena punktete mit ihrer unbekümmerten Ausstrahlung. Unvergessen anschließend der Auftritt von Urban, der mit Lena wie es die Tradition vorsieht, das Siegerinterview führen musste: Vor der Bühne, die er nach einem langen Weg endlich erreichte, gab es keine Treppe. Urban, der sich zudem mit einem Hüftleiden als Spätfolge seines Unfalls plagt, musste langsam hochgezogen werden. „Schließlich stand ich zerzaust und verschwitzt vor der Siegerin“, erinnert sich Urban lebhaft.

Und weiter: „Ein seltsames Erlebnis, eine Mischung aus Musik, Tragik und Erfolg“.– Im Jahr 2014 beim ESC in Kopenhagen war Österreich siegreich mit einem Interpreten der LGBTQAI+, also einem Vertreter der Gay-Community, Tom Neuwirth alias Conchita Wurst. Dieser trug „Rise Like A Phoenix“ in Frauenkleider und mit Bart gleichsam als gesellschaftliches Statement vor. Urban, dem anfangs die Rolle des ESC für die Gay-Community nicht geläufig war, meint dazu: „Ich habe mich für Conchita sehr gefreut. Es war ein eindrucksvoller Auftritt. Platz 2,  ,The Common Linnets´ für die Niederlande , Calm After The Storm´ war damals mein favorisierter Titel gewesen“. Auch den Kommentator für das ORF-Fernsehen, Andy Knoll, der ab 1999 kommentierte, schätze er: „Er ist ein toller Typ. Wir kennen uns schon lange.“ Sein Vorgänger Ernst Grissemann, im Übrigen auch Gründer von Ö3, sei eigens vor dem Finale nach Wien zurückgeflogen, da er der Ansicht gewesen sei, dass vom Studio des ORF aus seine Stimme besser klänge.

Der beeindruckendste Siegertitel sei für ihn „Euphoria“ von Loreen beim ESC 2012 in Baku (Aserbaidschan) gewesen. „Ein Klassiker!“, stellt Urban anerkennend fest. Der Song habe alles bereitgehalten, was ein Siegersong brauche wie dramatisch aufsteigende Dance-Beats nach einem ruhigen Beginn, große Melodiebögen und eine herausragende Sängerin. Überhaupt gelte: „Der ESC ist so gut wie der Siegertitel gut ist. Wir Deutschen beurteilen ihn zu sehr nach dem eigenen Abschneiden“. In letzter Zeit bestand dieses oft in hinteren Plätzen und Tristesse. Kann man das erklären? „Wir haben nicht immer das richtige Händchen für gefragte Musikstile“, ist sich Urban sicher. Als „Freund von Überraschungen“ (Urban) habe er sich über den Sieg von Portugal beim ESC 2017 in Kiew mit der Ballade von Salvador Sobral „Amar pelos dois“  gefreut wie seinerzeit über den Triumph der finnischen Band Lordi mit „Hard Rock Hallelujah“ beim ESC 2006 in Athen und über so manchen skurrilen Auftritt.

Aus welchem Grund hörte Urban mit dem ESC 2023 in Liverpool auf? Urban beginnt zu rechnen: „Ich bin in diesem Jahr 75 geworden und war 25 Jahre dabei. 25 und 75 sind 100, eine runde Zahl. Irgendwann muss man aufhören. Sicher bin ich traurig gewesen. Auch bin ich gehbehindert, habe inzwischen zehn Hüftoperationen hinter mir. Andere Kommentatoren mussten beim ESC in Liverpool steile Treppen hinaufgehen, ich bekam diesmal einen Fahrstuhl zugeteilt und wurde bevorzugt behandelt“, schildert Urban die Hintergründe.

Und wer sollte sein Nachfolger, seine Nachfolgerin werden, nachdem er diverse Medien wissen ließ, dass er Jan Böhmermann (Anm.: Dieser kommentierte 2023 den ESC für den Radiosender FM4 in Österreich) für eher ungeeignet hält? „Der Nachfolger muss mit der Materie vertraut sein.“ Er wäre im Übrigen eher für eine Nachfolgerin. Der dienstälteste Kommentator des ESC war Urban übrigens nicht: Seit 1991 kommentiert für das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen der Romandie (Anm.: frz. Schweiz) RTS Jean-Marc Richard.

Radio oder Fernsehen? „Ich mache beides gern. Im Radio erzählst Du, was Du im Kopf hast. Spontaneität ist gefragt. Fernsehen bringt mehr Einschränkungen mit sich. Hier habe ich mir immer mehr aufgeschrieben. Man sollte das Bild aber nicht zuquatschen.“, macht Urban die Unterschiede aus.

Zukunft des Mediums Radio

Im Radio seien Fehler gemacht worden, ist sich Urban sicher. „Radio ist zur Begleitmusik, zur Tapete geworden“, kritisiert Urban. Spezialsendungen, wenn überhaupt existent, seien in die Abendschiene gerutscht. „Und das in Zeiten, wo die Hörer bei Streamingdiensten alles herunterladen können. Dafür ist das Repertoire der Sender oft zu schmal und zu wiederholend. Stattdessen könnte Radio eine kuratierende Rolle einnehmen und den Hörern, die gleichzeitig auch Streamingdienste nutzen, Ratschläge geben.“, zeigt Urban Alternativen auf. Als Beispiel wie es auch ginge sieht Urban Radio Eins vom rbb an. Auch sehe er die überall anzutreffende Einteilung der Programme in Dekaden (Jahrzehnten) nicht ein. „Die Dekaden mischen sich doch. Man kann Lieder doch nicht in Schubladen  stecken.“, ist sich Urban gewiss. Allein auf Durchhörbarkeit zu setzen, sei für ihn der falsche Weg. „Radio ist sonst in der Gefahr, sich selbst abzuschaffen“, lautet Urbans düstere Zukunftsprognose, sollte sich nichts ändern.   

Buch „On Air“

Peter Urban: On Air – Erinnerungen an mein Leben mit der Musik

Das Buch „On Air“, Untertitel: Erinnerungen an mein Leben mit der Musik, ist gut geschrieben. Anschließend versteht man den Moderator, Musikexperten, langjährigen ESC-Kommentator und Menschen Peter Urban, seine Sichtweisen und Anliegen besser. „Das Buch ist zugleich persönliche Geschichte, Kulturgeschichte und Musikgeschichte“, merkt Urban an. „Ich habe darin auch das Aufbrechen der Pop-Szene in den 60er Jahren in London beschrieben. Vieles davon bekam ich zufällig mit. War selbst leidenschaftlicher Fan davon. Ich schildere darin auch meine wichtigsten Interviews wie mit Yoko Ono, der Witwe von John Lennon, 1982 und mit Harry Belafonte 1983. Oder die Auftritte mit unserer Band , Pussy´ im , Onkel Pö´ (Anm.: Hamburger Kultkneipe), dass Udo Lindenberg plötzlich mitspielen wollte….“- Dem geneigten Leser wird auf 540 Seiten jedenfalls garantiert nicht langweilig.    

Wo ist Peter Urban heute zu hören?

Urban ist bis heute radioaktiv. Von 21.05 Uhr bis 0 Uhr läuft jeden Donnerstagabend auf NDR 2 „Soundcheck: Neue Musik. Die Peter-Urban-Show“. Den Sendeplatz hat Urban schon seit über 25 Jahren inne, also seit Mitte der 90er Jahre. Seit 2007, als sich NDR 2 wieder stärker für Spezialsendungen am Abend öffnete, heißt die Sendung „Soundcheck“ und seit 2016 erhielt sie den Personality-Zusatz „Die Peter- Urban-Show“. Am Tag des Interviews (17.08.23) stellte Urban darin neue Titel vor wie „Vampire“ von Olivia Rodrigo, „Aber Airbags“ von Bilderbuch, „Off Balance“ von Victor Ray und „Mirror“ von Tiffany Aris u.v.a. Die dritte, musikjournalistisch gehaltene, Stunde widmete er dem kürzlich verstorbenen Sänger Robbie Robertson von „The Band“, ursprünglich die Begleitband von Bob Dylan.

Im Dezember 2021 startete der gemeinsame Podcast von Peter Urban und Ocke Bandixen (Redakteur bei NDR Kultur) namens „Urban Pop“. Das ist eine „Talksendung über Musik“ (Urban), alle zwei Wochen folgt eine neue Ausgabe. Offenbar ist sie sehr erfolgreich: 1,8 Millionen Hörer griffen auf den Podcast in der ARD-Audiothek zu. „Wir landeten damit in den Top 5“, fügt Urban nicht ohne Stolz hinzu. Eine Kurzform läuft am Freitag um 21 Uhr, manchmal auch am Sonntag um 21 Uhr, im Radio auf NDR Info. Einige Folgen waren auch auf bei NDR Kultur und SWR 2 zu hören.        

Hobbys sowie Hör- und Sehgewohnheiten

Als Hobbys gibt Urban Fußball an, früher spielen, heute schauen. Entweder live im Stadion beim HSV („Ich habe aber kein Abo“) oder auf den Pay-TV- Kanälen bzw. Streamingdiensten Sky und Dazn. Im Fernsehen sehe er gerne Krimis im englischen O-Ton wie „Inspektor Barnaby“ (ZDF und ZDFneo) und „Der junge Inspektor Morse“ (Sky).

Radio höre er vor allem im Auto, dann NDR Kultur oder NDR Info: „Außerdem schalte ich hin und wieder auf DAB+ herum“, ergänzt Urban.

Peter Urban ist verheiratet mit Ehefrau Laura, hat zwei erwachsene Kinder, Chiara und Jonah, und lebt in Hamburg. Bisweilen fährt er für die Patisserie seiner Frau Ware aus.   

Bibliografie

  • Peter Urban-On Air, Erinnerungen an mein Leben mit der Musik, Rowohlt-Verlag, Hamburg 2023-ISBN:978-3-498-00295-4-25,00€ (D), 25,70€ (A).

Hör-Tipp

  • „Soundcheck: Neue Musik. Die Peter-Urban-Show“, jeden Donnerstag von 21.05 Uhr bis 0 Uhr auf NDR 2.