Wer nicht im Norden Deutschlands lebt, kennt Peter Urban, wenn überhaupt, nur als langjährigen Moderator des Grand Prix Eurovision de la malade Chanson, pardon, seit 2001 heißt die Veranstaltung auch in Deutschland nun Eurovision Song Contest – ESC. Doch musste er jahrelang erklären, warum Deutschland schon wieder auf dem letzten Platz ist. Ein höchst undankbarer Job – wer den Schaden hat, muss prompt auch noch für den Spott sorgen, wie Übermedien auf Youtube zusammengeschnitten hat.
Viele geben Urban die Schuld am schlechten Abschneiden der deutschen ESC-Beiträge, was natürlich völliger Unsinn ist. Allerdings kann er zu diesem Thema viel erzählen – fast zu viel, 230 Seiten des mit insgesamt knapp 540 Seiten ohnehin recht dicken Schmökers befassen sich nur mit dem ESC, Jahr über Jahr. Das war auch seine Qualität beim Moderieren der Sendung, dass er wirklich etwas zu den Beiträgen sagen konnte, was die, die den ESC tatsächlich ansahen, auch oft zu schätzen wussten. Aber harter Tobak für Leute, die der ESC nicht interessiert. Doch man merkt, dass Urban sehr viel an der Veranstaltung lag und daran, sie so lange wie möglich moderieren zu können, was ihm aus gesundheitlichen Gründen zuletzt ziemlich schwer fiel.
Ja, so wie der ehemalige MDR-Intendant Udo Reiter hatte Peter Urban in seiner Jugend einen üblen Verkehrsunfall auf Glatteis. Urban war dabei im Gegensatz zu Reiter nicht der Fahrer und kam weit besser davon: Statt einer dauerhaften Querschnittslähmung blieb nur ein längerer Krankenhausaufenthalt und allerdings ein lebenslanges Hüftleiden, was ihm viele nur mäßig erfolgreiche Operationen und Schmerzen einbrockte und ihn langsam zu Fuß machte. Und nur weil er körperlich etwas lahmt, wurde ihm ungerechtfertigt gerne auch mal geistige Betulichkeit unterstellt.
Dies ist absolut nicht der Fall, Urban hat Rock & Pop seit den 60ern direkt an der Quelle miterlebt und ist heute ein wandelndes Rocklexikon, ohne deshalb ein Oberlehrer zu sein. Obwohl er längst im Ruhestand ist, schon die ESC-Moderation lief erst nach seiner regulären Moderatorentätigkeit im NDR Radio, macht er aktuell den hörenswerten Podcast „Urban Pop“, ein nettes Wortspiel mit seinem Namen, mit vielen Geschichten aus der Popmusikwelt von damals bis heute.
Peter Urban: Moderator, Pop-Experte und 25 Jahre ESC
Und darum geht es auch im Buch bis knapp Seite 400, wenn der ESC in den Vordergrund tritt: Sein Leben als Moderator und Popexperte und seine Begegnungen mit Musikern in über 50 Jahren, von Keith Richards über Yoko Ono zu David Bowie, Elton John, Joni Mitchell, Harry Belafonte und Eric Clapton.
Die Reise beginnt in den 1950er Jahren in Niedersachsen, wo sich die Familie nach der Flucht aus dem Sudetenland eine neue Heimat aufbaut. In den 1960er Jahren beginnt die andauernde Liebesbeziehung zu England und der dortigen Musik, seine andere große Liebe ist der HSV, wo er zeitweilig auch Stadionsprecher ist. Das hat er gemeinsam mit anderen DJs wie Stefan Schneider und Willi Zwingmann, die einst Radio M1 und Radio C groß machten (vgl. auch: „Die Zeiten von Moderations-Schablonen und Klischees sind überholt„).
Ähnlich wie bei Thomas Gottschalk sind die Kapitel musikalisch bezeichnet, doch macht Urban nicht den Kasper, sondern zeigt sich als Mensch, der sich auch nicht wie Ingeborg Schober mit in den Abgrund mancher Musikerkarrieren reißen ließ. Also nicht so rosarot und auch mal oberflächlich wie Thomas Gottschalk, nicht so negativ und depressiv wie Ingeborg Schober, doch trotzdem nicht langweilig und lesenswert, auch wenn man Peter Urban nie live am Mikrofon erlebt hat.
Peter Urban: On Air – Erinnerungen an mein Leben mit der Musik
Erscheinungsdatum: 18. April 2023
Gebunden, 544 Seiten, ISBN: 978-3-498-00295-4, Rowohlt, 25,00 €
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