Der Abschied wird lang, doch die meisten Hörer werden ihn verschmerzen können: Einandhalb Jahre werden die meisten Lang- und Mittelwellensender in Deutschland noch senden, dann ist Schluss. Damit verschwindet ein kompletter Übertragungsweg aus der deutschen Rundfunklandschaft.
Bereits im Vorfeld des Starts des Digitalradios DAB+ wurde bekannt, dass nach Auflagen der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) die kostenintensiven Ausstrahlungen auf Mittel- und Langwelle bis Ende 2014 eingestellt werden müssen. Wie ein Sprecher des Norddeutschen Rundfunks gegenüber RADIOSZENE konkretisierte, werde man die Abschaltung der vier NDR-Mittelwellensender so lange wie möglich herauszögern, zum Jahreswechsel 2014/2015 sei dann jedoch endgültig Schluss: „Der hohe Stromverbrauch der MW-Sender ist bedenklich, die Tonqualität der Mittelwellenübertragung für die Mehrzahl der Hörerinnen und Hörer nicht mehr akzeptabel und programmbegleitende Dienste sind mit dieser veralteten Übertragungstechnik nicht möglich“, heißt es.
Auf den NDR-Frequenzen werden mehrmals täglich Seewetterberichte und nautische Nachrichten, darunter auch Warnmeldungen für die Seefahrt, ausgestrahlt. Während die Seglerzeitschrift „Yacht“ bereits aufgrund der MW-Abschaltung in ihrer aktuellen Ausgabe Alarm schlägt, versucht der NDR zu beruhigen. Das Ende der Mittelwelle bedeute nicht, dass auch der Seewetterbericht verloren geht. Einzig die Reichweite werde sich verringern. Als Ersatz nennt der NDR den Digitalradio-Sendestandort in Kiel, dessen DABplus-Signale von der Kieler Förde bis hin zur Dänischen Südsee empfangbar seien. Im NDR-Programmangebot findet sich auch „NDR Info Spezial“, das die genannten Seewetterdienste ausstrahlt. Außerdem seien inzwischen viele Häfen mit kostenfreien WLAN-Zugängen ausgestattet, wo ebenfalls, etwa über die NDR-Radio-App, Dienste wie das Seewetter gehört werden könnten.
Aktuell sind in Deutschland noch folgende Mittel- und Langwellensender aktiv (Liste wird fortlaufend aktualisiert):
Sender | Programme und Frequenzen in Kilohertz | (voraussichtliche) Abschaltung |
---|---|---|
NDR | 4 MW-Sender (NDR Info Spezial auf 702, 792, 972, 828) | 13.01.2015 |
Deutschlandradio | 6 MW-Sender (549, 756, 1269, 1422), 2 LW-Sender (153, 207 für DLF) 1 MW-Sender (990), 1 LW-Sender (177 für DKultur) | MW: 31.12.2015 LW: 31.12.2014 |
WDR | 2 MW-Sender (WDR Event / VERA / WDR 2 für 720, 774) | 06.06.2015 |
SR | 1 MW-Sender (1179 für Antenne Saar) | 31.12.2015 |
BR | 4 MW-Sender (729, 801 für Bayern plus) | 30.09.2015 |
Stimme Russlands | 1 MW-Sender (693) | 31.12.2013 |
Europe 1 | 1 LW-Sender (183) | |
AFN Europe | 5 MW-Sender (1107, 1143, 1485, teils regional) | 28.10.2016 (letzter Sender war AFN Bavaria, 1107 kHz) |
biteXpress | 1 KW-Sender (15785, DRM-Test) | |
Kurzwellensender | Radio 700 (3985, 6005, 7130), MV Baltic Radio, Channel 292, div. Sender via Nauen | |
MDR | 3 MW-Sender (783, 1044, 1188 für MDR Info) | 30.04.2013 |
SWR | 6 MW-Sender (576, 666, 711, 828, 1017, 1413 für SWR cont.ra) | 08.01.2012 |
Radio Bremen | 1 MW-Sender (963 für bremen eins) | 21.04.2010 |
HR | 2 MW-Sender (549 für hr-info plus) | 31.12.2009 |
RBB | 1 MW-Sender (567 für Radio Multikulti) | 31.05.2005 |
Welle 370 | 1 MW-Sender (810, Museumssender Königs-Wusterhausen) | aktiv nur wenige Tage im Jahr, kein Projektende angkündigt |
* kein exakter Abschalttermin bekannt, spätestens jedoch Ende 2014. Die unterschiedliche Zahl von Sendern und Frequenzen ergibt sich durch Gleichfrequenznetzwerke. Das Deutschlandradio wird seinen Abschalttermin nach der Entscheidung der KEF bezüglich der Fortführung des Digitalradio-Ausbaus konkretisieren. Im Falle einer Freigabe der Mittel für DAB+ dürfte die Abschaltung spätestens 2015 erfolgen. Darüber hinaus sendet RTL Radio aus Marnach (Luxemburg) einige Stunden in Kooperation mit China Radio International nach Deutschland auf 1440 kHz. Auch diese Ausstrahlungen sollen demnächst enden. Update: Luxemburger Sendeanlage Marnach wird Ende 2015 stillgelegt.
Besonders bemerkenswert ist die Abschaltung der Mittel- und Langwellensender des Deutschlandradios, die in den vergangenen Jahren mit neuer Technik der Firma Transradio (ehemals Telefunken) ausgestattet wurden. Dies geschah mit dem Hintergedanken einer späteren Umstellung auf das digitale Modulationsverfahren DRM (Digital Radio Mondiale), dass sich jedoch u.a. aufgrund technischer Mängel nicht durchsetzen konnte, da es tatsächlich störungsfrei nur im Nahbereich um die Sendetürme funktionierte. Analoge Mittel- und Langwellensignale zeichnen sich hingegen durch eine gute Reichweite aus. Sie eignen sich zur Versorgung von Gebieten ohne funktionierende UKW- oder DAB-Sendernetze, wie etwa Teile der offenen See oder von Naturkatastrophen betroffene Landstriche. Die Aufrechterhaltung einiger MW-Sender als „Backup“ dürfte sich vermutlich jedoch nur schwer rechtfertigen lassen. Länder wie Österreich, die Schweiz, Finnland oder Schweden haben bereits alle ihre AM-Sendeanlagen verloren, während Dänemark per Gesetz den Betrieb seines Langwellensenders Kalundborg auf 243 kHz hauptsächlich zwecks Übertragung des Seewetterberichtes erhalten hat.
Wenn zum Jahreswechsel 2014 / 2015 die letzten wichtigen Mittel- und Langwellensender abgeschaltet werden, dürfte das passieren, was nur selten in der Rundfunkszene zu beobachten ist: Ein ganzer Verbreitungsweg wird gestorben sein.
Update vom 01. Mai 2015
BR-Mittelwelle sendet nur noch bis 30. September
Auch der Bayerische Rundfunk legt weitere Mittelwellenfrequenzen aus Kostengründen still. Durch die Abschaltung lassen sich laut BR-Pressemeldung jährliche Stromkosten von rund EUR 300.000 einsparen. Am 30. September 2015 werden vier Mittelwellensender in München-Ismaning und Dillberg (beide auf 801 kHz) sowie Würzburg und Hof (beide auf 729 kHz) abgeschaltet.
Das letzte noch über die BR-Mittelwelle verbreitete Hörfunkprogramm, die Schlagerwelle Bayern plus, ist aber weiter zu hören. Wie bisher lässt sie sich alternativ im Digitalradio DAB+ (Kanal 11D in Bayern), per Satellit, Digitalkabel und als Livestream im Internet empfangen.
Update vom 4. Mail 2015
WDR-Mittelwelle wird im Juli abgeschaltet
Laut InfoDigital soll der der Westdeutsche Rundfunk die Mittelwellensender Langenberg (720 kHz) und Bonn ( 774 kHz) Anfang Juli abschalten.
Weiterführende Informationen:
AFN schaltet legendären Mittelwellensender ab
MDR Info: Abschaltung der Mittelwelle
Sondersendung: NDR auf Kurzwelle
Russischer Rotstift: Moskau sendet noch aus Deutschland
Preisliste für Mittel- und Langwellensender der Media Broadcast GmbH (PDF)
Kommentare:
Ihr interessanter Artikel ruft förmlich nach Ergänzung um zwei Gesichtspunkte, – oder nach einem weiteren Artikel:
1. Ist die Schließung auch einem Bedarf von dritter Seite geschuldet (wie für den Bereich zwischen 700 und 800 MHz der Fall, dort: Konkurrenz um Bandbreite zwischen LTE-Mobilfunk und terrestrischem Fernsehen) oder handelt es sich nur um die Einspar-Entscheidung einer öffentlichen Finanzaufsicht (KEF)? Nach dem Artikel ist ausschließlich das Einspar-Argument gegeben. Deshalb ist „eigentlich“ in Deutschland nur der öffentlich-rechtliche Mittel-/Langwellenrundfunk „am Ende“. Über das weitere oder neue Engagement privater Sendeunternehmen ist damit nichts gesagt. Zu einer solchen geplanten?/nicht geplanten?/durch Regulierung ausgeschlossenen? Entwicklung fehlen Ausführungen.
Sie fehlen für Deutschland und für EU- Europa. (In Frankreich zum Beispiel wird jedenfalls der Langwellenrundfunk garantiert nicht (!) aufgegeben werden, – warum, finden Sie in der Wikipedia.)
2. Was ist mit den Mittelwellen-Modellversuchen, die in der digitalen Modulationsart „Digital Radio Mondiale (DRM)“ über mehrere Jahre sendeseitig angestellt wurden, ohne dass es zugleich passende und dabei auch noch akkufreundliche Empfänger gab? (Vermutlich wurden auch Langwellen-Versuche angestellt, ich weiß es nicht.) Hier las man für die Empfängerseite zuletzt (vor etwa zwei Jahren) von einem Herstellerkonsortium, das einen für EU-Europa einheitlichen Schnittstellenstandard für einen akkufreundlichen integrierten Schaltkreis „Universal-Empfängerbaustein für AM, DRM, DRM+, DAB+“ als Industriestandard definieren und vereinbaren wollte. Was ist daraus geworden? – Welche DRM-Lang- und Mittelwellenprojekte laufen sendeseitig derzeit noch? Sollen neue anlaufen, wenn zu der Empfängerseite ein Industriestandard gefunden ist?
Auch hierzu geht es heutzutage eigentlich nicht mehr ohne den Blick über den deutschen Tellerrand. Was macht das restliche EU-Europa? Alle südeuropäischen Staaten zum Beispiel, (insbesondere die kleineren), deren junge Leute sich „im Norden Arbeit suchen müssen“, werden einen Teufel tun, den AM-Rundfunk aufzugeben, – Beispiel Kroatien.
Spannendes Thema, – bleiben Sie dran.
Besten Gruß aus HH
W. Zimmermann
Update vom 28. Mai 2015: Heute wurde bekannt, von welchen Frequenzen sich das American Forces Network (AFN) noch 2015 oder spätestens 2016 verabschieden will: AFN trennt sich von vielen Frequenzen in Deutschland