Hat die Mittelwelle eine digitale Zukunft?

James Cridland's Radio FutureWie alt ein Hörerpublikum werden kann, sieht man – vor allem in angelsächsischen Ländern – wenn man dort einen Mittelwellensender (ja, dort gibt es sie noch) einschaltet. Auf Mittelwelle findet man in diesen das vielgescholtene, von manchen aber auch heiß geliebte konservative Talk-Radio mit teilweise schillernden Persönlichkeiten. Dazu gesellen sich noch einige sich sehr wichtig nehmende Rund-um-die-Uhr-Nachrichtensender, nebst Sportübertragungen, sowie vereinzelte Oldie-Sender, die eben nicht – wie ich früher dachte – wegen ihrer Musikfarbe so heißen, sondern wegen der Altersgruppe, die sie ansprechen.

Der Klang eines Mittelwellensenders wird von manchen als „anheimelnd warm“ beschrieben. In Wirklichkeit klingt es so, wie Radio früher eben klang, mit Pfeifen und Krachen. Obwohl, einige scheinen es ja zu mögen. Eine bestimmte Gruppe von Leuten, wie man an den für diese Zielgruppe bestimmten Werbespots erkennen kann. Geworben wird u. a. für Seniorenresidenzen, Rentnerclubs, Bestattungsunternehmen, Grippe-Impfungen, Nahrungsmittelzusätze oder für diese Hochdruckreiniger, mit denen man bei extrem hohen Wasserdruck die Einfahrt sauber spritzt, ohne dass Opa sich bücken muss.

Im Grunde genommen gibt es zwei Probleme mit der Mittelwelle:

  1. Sie klingt grottenschlecht. Einfach nur grottenschlecht. Entschuldigung, wenn ich es sage, aber das Ganze klingt nun einmal grottenschlecht.
  2. Niemand drückt mehr einfach so mal den Mittelwellenknopf, insofern man überhaupt noch einen hat. Und derjenige, der es tut, ist meistens über 55 und hat seine Gründe dafür. Und das müssen schon wirklich gute Gründe sein. 

Allerdings hat die Mittelwelle durchaus auch Vorteile. Zunächst einmal die Reichweite. Die ist erheblich besser als bei UKW, vor allem in abgelegenen, menschenleeren Gegenden. Gerade in solchen Teilen der Welt ist die Mittelwelle das einzige, was es gibt, und vielleicht wird Radio ja gerade solche Leute gemacht, die dort leben.

the gamut big

In dem Zusammenhang fand ich es interessant, von WWFD The Gamut zu erfahren, einem Mittelwellensender im US-Bundesstaat Maryland. Dieser Sender erhielt eine Sondergenehmigung von der FCC zur Ausstrahlung eines rein digitalen Signals.

Auf den ersten Blick sieht alles sehr zukunftsorientiert aus: Auf einem handelsüblichen HD-Radio erscheint ein Logo sowie der Name des Interpreten und der Songtitel. Genau wie bei UKW. Es klingt auch durchaus zukunftsorientiert, mit einem soliden Stereosignal, das mit dem „Dampfradio“ von einst nun wirklich nichts mehr gemeinsam hat. Als ich auf der NAB-Messe war, habe ich mir einige Aufnahmen angehört.

The Gamut (Bild: ©James Cridland)
The Gamut (Bild: ©James Cridland)

20% der Autos in den USA können bereits HD-Signale empfangen. Bisher kennt man HD jedoch eher als Hybrid-Technologie. Der Vorteil eines reinen digitalen Signals besteht darin, dass man einerseits das Verbreitungsgebiet vergrößert und andererseits mehr Bandbreite für das Audiosignal zur Verfügung hat. Das Ergebnis spricht für sich: es klingt so viel besser.

The Gamut (Bild: ©James Cridland)
The Gamut (Bild: ©James Cridland)

Dave Kolesar, der sowohl Programmdirektor des Senders als auch (man höre und staune) dessen Cheftechniker ist, meint dazu: „Es ist wahrscheinlich leichter, sich ein Publikum von der Pike auf mit einem HD-Signal aufzubauen als mit der analogen Mittelwelle. Deswegen sehe ich meine Chancen eher als HD-Sender.“ Und er scheint Recht zu behalten. Zum ersten Mal seit langer Zeit taucht der Sender wieder in den offiziellen Hörerstatistiken auf.

Es gäbe da nur noch einen wichtigen Schritt: Ein HD-Radio müsste in der Lage sein, einen Sender nach Sendername und nicht nach Frequenz einzustellen. Nur dann würde man The Gamut überhaupt entdecken. Denn schließlich schaltet niemand freiwillig auf Mittelwelle um.

Aber mit diesem Kunstgriff hätten rein digitale Mittelwellensender möglicherweise durchaus eine Zukunft. Verkehrt wäre es nicht.


James Cridland
James Cridland

Der Radio-Futurologe James Cridland spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch relevant bleibt. Er betreibt den Medieninformationsdienst media.info und hilft bei der Organisation der jährlichen Next Radio conference in Großbritannien. Er veröffentlicht auch podnews.net mit Kurznews aus der Podcast-Welt. Sein wöchentlicher Newsletter (in Englisch) beinhaltet wertvolle Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kostenlos bestellt werden: james.crid.land.