Bereits seit Ende der 1960er-Jahre schiebt der Hörfunk die (später) erfolgreichen Karrieren zahlreicher TV-Größen an. Wer wurde da nicht alles am Radiomikrophon entdeckt: Dieter Thomas Heck, Manfred Sexauer, Frank Elstner, Thomas Gottschalk, Günther Jauch und ganz viele mehr. Eigentlich einmal die Idee für ein mehrstündiges Erzählformat, wer denn nun alles der Sprung vom Radiostar ins Fernsehstudio gewagt – und (noch spannender) auch geschafft hat. Das Radio als offenbar nie versiegende Quelle für den Moderatorennachwuchs des großen Bruders.Umgekehrt verlief der Austausch eher verhalten. Warum auch – wer es einmal zur Quoten-erfolgreichen TV-Karriere geschafft hatte, tat sich die harte Tretmühle einer täglichen Radioshow nur noch ungern an.
Natürlich gibt es Gegenbeispiele. Wie etwa die Karriere von Thomas Ohrner. Bereits im zarten Alter von vier Jahren war er Darsteller eines Werbespots. Ab Ende der 1960er-Jahre folgte eine beeindruckende Serie mit Rollen in Serien und Fernsehfilmen. Ende 1979 dann der Durchbruch mit dem ZDF-Mehrteiler „Timm Thaler“ nach dem Kinderbuch von James Krüss. In der Serie „Merlin“ spielte er im gleichen Jahr ebenfalls die Hauptrolle. Sehr populär war auch die Jugendserie „Manni, der Libero“ über einen talentierten Nachwuchsfußballer. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war der gebürtige Münchner ein bundesweit bekanntes TV-Gesicht. Daneben arbeitete Ohrner auch als Synchronsprecher. In der Zeichentrickserie „Heidi“ lieh er seine Stimme dem Geißen-Peter; außerdem war er in der Fernsehserie „Die Bären sind los“ zu hören.
Im Juni 1983 wechselte Thomas Ohrner als Hörfunkmoderator zum deutschen Programm von Radio Luxemburg (RTL). Dem Medium ist er seit dieser Zeit treu geblieben. Heute ist Ohrner in Personalunion Programmchef und Moderator der Morningshow bei Klassik Radio.
Im Gespräch mit RADIOSZENE spricht Thomas Ohrner über seine lange Karriere beim Radio und das Programm des nun in Augsburg angesiedelten Klassiksenders.
RADIOSZENE: Herr Ohrner, über welche Wege sind Sie zum Radio gekommen?
Thomas Ohrner: Ich wurde 1983 zu RTL Radio nach Luxemburg zu einem Interview eingeladen, um über die Serie „Tim Thaler“ zu erzählen. Der damalige Programmdirektor Dr. Helmut Thoma hörte dies und meinte ich hätte eine sehr gute Radiostimme und wäre ein lockerer Typ. Er bot mir ein Volontariat an und so landete ich beim Radio. Das war für mich als damals 18-Jähriger die goldene Eintrittskarte. Danach folgten Stationen bei Antenne Bayern und Bayern 1.
„Unsere Stücke sind so gewählt, dass insgesamt eine bessere Durchhörbarkeit des Programms entsteht“
RADIOSZENE: Bei Klassik Radio moderieren Sie als Programmchef die Morning-Show des Senders. Eine Kombination, die so nicht alltäglich ist im deutschen Radio. Eine Tätigkeit, die Sie noch immer reizt …?
Thomas Ohrner: Ich fühle mich sehr wohl in dieser Rolle. Ich bin so eine Art Spielertrainer geworden. Immer noch am Mikro, kann aber meine Erfahrung praktisch und nicht nur theoretisch an die Kollegen weitergeben. Abgesehen davon, dass ich mich auch in programmstrategischen Bereichen nach all den lehrreichen Jahren voll einbringen kann. Das erfüllt jeden Tag und ist höchste Motivation.
RADIOSZENE: Über welche Facetten und Inhalte grenzen Sie sich von den öffentlich-rechtlichen Kultur- und Klassikwellen ab?
Thomas Ohrner: Unsere Musikfarbe und Programm-Mixtur unterscheidet sich von den zahlreichen öffentlich-rechtlichen Klassikwellen, deren Musikprogramme traditionell den Charakter „ernster Musik“ aufweisen. Unsere Stücke sind so gewählt, dass insgesamt eine bessere Durchhörbarkeit des Programms entsteht. Dazu spielen wir regelmäßig aktuelle und populäre Filmmusik. Eine Musikfarbe mit der wir auch jüngere Hörer begeistern und abholen. Dazu kommen die New Classics – ein Genre, dessen Begriff Klassik Radio exklusiv geprägt hat – darunter aktuelle Kompositionen von Künstlern wie Yiruma oder Ludovico Einaudi. Insgesamt grenzt sich somit Klassik Radio mit diesem Programmkonzept bewusst von anderen Klassiksendern ab und wendet sich damit gezielt an eine vergleichsweise junge Hörerschaft ab 30 Jahre.
Inhaltlich sind wir nah an den Lebenswelten der Hörer, neben spannenden Fakten zu den gespielten Titeln werden unterhaltsame Geschichten über Komponisten und Künstler erzählt, die die Klassik insgesamt näher bringen, ohne aus dem Elfenbeinturm zu predigen. Dazu kommen aktuelle Themen, die hörernah, prägnant aufbereitet werden und von den Moderatoren frisch, locker und kompetent präsentiert werden.
RADIOSZENE: Neben Titeln aus der Klassik spielt Ihr Sender – wie erwähnt – eine gute Zahl an orchestralen Stücken aus der Welt der Filmmusik. Wie wichtig ist dieses Segment für Ihre Hörer?
Thomas Ohrner: Das ist ein Teil unserer Kernmarke der Musik. Und die Hörer wissen: Bei Filmmusik führt kein Weg an Klassik Radio vorbei. Das beweisen auch unsere Konzerttourneen mit eigenem 80-köpfigen Orchester – übrigens nicht über Gebührengelder finanziert! In zehn Jahren haben uns bereits rund 300.000 Hörer bei unseren Filmmusik-Konzerten besucht. Mittlerweile höre ich auch bei öffentlich-rechtlichen Klassiksendern vermehrt Filmmusik. Wir dienen hier wohl als Vorbild.
RADIOSZENE: An welchen Kriterien orientieren sich Ihre verantwortlichen Redakteure beider Musikausrichtung Ihres Senders?
Thomas Ohrner: In ihrer Musikauswahl greift die Musikredaktion sowohl auf klassische Referenzaufnahmen zurück, präsentiert aber auch stets aktuelle Trends und Neuerscheinungen. Die konkrete Titelauswahl stellt eine Balance aus bekannten Meisterwerken des großen klassischen Musikkanons, aber eben auch aus neu zu entdeckenden Werken eines schier unerschöpflichen unbekannteren Repertoires dar. Wichtige stilistische Merkmale sind Durchhörbarkeit, Wiederkennungspotential und stimmungsstarke Titel. Einzigartige Akzente und eine saisonal-dynamische Rotation garantieren Aktualität und Atmosphäre.
RADIOSZENE: Am Abend und Wochenende stehen auch diverse Special-Interest-Shows auf dem Sendeplan. Unter anderem Musiksendungen von Till Brönner und Ronaldo Villazon, eine Cinema Show, eine Lesezeit oder die Gesundheitsstunde. Wie wichtig sind diese Angebote für das Gesamtprogramm?
Thomas Ohrner: Till Brönner ist Kult bei uns und hat viele Stammhörer. Mit seinem Moderationsstil und der Musik erreichen wir Hörer die im Mainstreambereich angesiedelt sind. Insofern eine wichtiges Tool um eine breitere Zielgruppe anzusprechen. Rolando Villazon ist ein Big-Name in der Klassik und hier werden die Hard-Core Klassikfreunde in seiner unverwechselbaren Art bedient. Ein absoluter Hinhörer jeden Sonntag. Mit der „Cinemashow“, „Lesezeit“ und mit der „Gesunden Stunde“ sind wir ein Full-Servicesender mit aktuellen und wissenswerten Inhalten für eine breite Hörerschaft.
„Wichtige stilistische Merkmale unserer Musikausrichtung sind Durchhörbarkeit, Wiederkennungspotential und stimmungsstarke Titel“
RADIOSZENE: Welche Rolle spielen musik-redaktionelle Inhalte im Programm von Klassik Radio?
Thomas Ohrner: Natürlich eine sehr große. Tagesaktualität, aktuelle Klassiknews und Hintergrundinformationen zur Musik ist für uns Pflicht. Aber bitte immer mit einem unterhaltsamen und überraschenden Moment. Beethoven, Mozart und Co. schaffen ja keine Schlagzeilen mehr. Dennoch kann man ihr Wirken und die Art ihrer Lebensführung von damals auch in die Gegenwart übertragen. Vor einiger Zeit haben wir zum Beispiel mit den Skills der großen Komponisten zu der Europawahl einen Wahl-O-Mat Check gemacht. Mozart würde heute die Grünen wählen, Beethoven die CDU und Wagner die AFD. Solch ein redaktioneller Dreh ist für die Hörer unterhaltsam, wissenswert und originell.
RADIOSZENE: Seit dem vergangenen Jahr bietet Klassik Radio mit „Select“ ein Pay-Angebot mit über 150 Musik- und Themenwelten – sowie einer sehr großen Breite an Musikgenres. Nach welchen Vorgaben werden diese Kanäle zusammengestellt, wie intensiv wird das Angebot bereits genutzt?
Thomas Ohrner: Die Themenwelten bei „Klassik Radio Select“ laden zum Entspannen und Genießen ein, schaffen es aber auch emotional zu berühren und zu begeistern. Die inhaltlichen Ausrichtungen der Rubriken und Sender werden unter anderem nach saisonalen Themen, wie Ostern oder Herbst festgelegt. Darüber hinaus liefert „Select“ zu aktuell relevanten Themenbereichen – wie Achtsamkeit und Naturbewusstsein – beispielsweise mit den Angeboten „Waldbaden“ oder „ZEN Garden“ die passende Musik. Die Hörer nehmen diese Vielfalt der Themenkanäle begeistert auf. Anhand der Hörgewohnheiten und des Nutzungsverhaltens werden die Inhalte stetig weiterentwickelt. Hinter dem großen Spektrum stehen mittlerweile mehr als 20 Kuratoren aus den Bereichen Klassik, Filmmusik, Jazz und Lounge, die innerhalb ihres Fachgebiets die Sender aktuell halten und dabei die Musikwerke auswählen, die exakt die Stimmung des Senders treffen.
RADIOSZENE: Gibt es Inhalte innerhalb der Programme von öffentlich-rechtlichen Mitbewerbern, die Sie sich auch gut bei Klassik Radio vorstellen können?
Thomas Ohrner: Wir können alle voneinander lernen. Ein schönes Beispiel für eine ansprechende Morgenshow im öffentlich-rechtlichen Radio ist bei NDR Kultur die Morgensendung von Philipp Schmid. Er bringt die Klassik mit ihren Facetten locker rüber und transportiert geschickt die Musik der Vergangenheit in die Gegenwart. Ihn würde ich gerne zu Klassik Radio holen.
RADIOSZENE: Welche Musik steht bei Ihnen zu Hause weit vorne im Musikregal? Sie waren in früheren Jahren ja selbst als Musiker aktiv …
Thomas Ohrner: Im Regal steht da nix mehr. Alles nur noch Stream. Neben der Klassik bin ich nach wie vor großer Fan von Pink Floyd. Die gehen bei mir immer. Über meine musikalischen Talente schweige ich besser.
RADIOSZENE: Sie waren in den 1970er- und 1980er-Jahren ein gefragtes Film- und Fernsehgesicht. Welche hilfreichen Erfahrungen konnten Sie für Ihre Tätigkeit beim Radio mitnehmen?
Thomas Ohrner: Disziplin und Verlässlichkeit!!
RADIOSZENE: Vervollständigen Sie abschließend den Satz: „Klassik Radio und Radio als solches werden auch zum 100. Geburtstag des Mediums noch eine bedeutende Rollen in der Lebenswelt der Menschen haben, weil …
Thomas Ohrner: …sie dann hoffentlich immer noch Personalities im Radio hören werden. Nur mit echten Typen am Mikrofon wird das Radio noch lange überleben.
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