Christian Brost: Hörer sind anspruchsvoller geworden

HR3 Christian Brost (c) Andreas Frommknecht-800hochIn einer weiteren Folge über die „heimlichen Helden“ im deutschen Radio stellen wir heute mit Christian Brost den  „Teamleiter Musik“ der hessischen Traditionswelle hr3 vor. Das heutige Popformat wurde 1. Juni 1964 als drittes Programm des Hessischen Rundfunks gegründet, Sendestart von hr3 als Servicewelle unter dem derzeitigen Namen war am 23. April 1972. Damals galt hr3 innerhalb der ARD gemeinsam mit Bayern 3 und SR 1 Europawelle als Vorreiter der später so erfolgreichen „Service- und Autofahrerwellen“. Als hr3 1972 mit der Serviceleistung Verkehrsfunk begann, wurde in den Ferienzeiten ein eigenes Kleinflugzeug, die „hr3-Biene“, zur Stauwarnung eingesetzt.

In den ersten Jahren war das dritte Programm ein „Spartenkanal“, in dem zunächst die Gastarbeitersendungen der ARD ausgestrahlt wurden. Später wurde es zu einem Service-Hörfunkprogramm für Autofahrer in Hessen („Radio Mobil“) mit Schlager-, Volks- und Easy-Listening-Musik. Ab 1981 entwickelte sich das Programm zu einem Pop-Hörfunkprogramm mit aktueller Pop– und Rockmusik. Hr3 steht seit vielen Jahren in hartem Wettbewerb mit dem landesweiten Privatsender HIT RADIO FFH.

Über die Jahre wurde das Programm durch eine gute Anzahl herausragender Moderatorenpersönlichkeiten wie Werner Reinke, Thomas Koschwitz, Jörg Eckrich, Martin Hecht, Volker Rebell, Rainer Maria Ehrhardt oder Helge Heckmann geprägt.

RADIOSZENE sprach mit Christian Brost über seine Arbeit und die Veränderungen im Musikmarkt.


RADIOSZENE: Wie kamen Sie zum Radio?

Christian Brost: Ich wollte Radiomoderator werden, seit ich acht Jahre alt war. Über ein Praktikum kam ich zu Radio Hamburg, habe dort in meiner Schulzeit nachts moderiert und anschließend ein Volontariat in der Musikredaktion absolviert.

RADIOSZENE: Welche Tätigkeitsfelder umfasst ihr Aufgabengebiet?

Christian Brost: Die wichtigsten Aufgaben von mir und meinem Team sind die Planung des Musikprogramms von hr3, der musikalischen Inhalte im Tagesprogramm sowie der musikalischen Abend- und Spezialsendungen.

RADIOSZENE: Welche Bedeutung haben musikredaktionelle Inhalte und Musikspezialsendungen bei hr3? 

Christian Brost (Bild: ©Andreas Frommknecht / HR3)
Christian Brost (Bild: ©Andreas Frommknecht / HR3)

Christian Brost: Ich denke, dass sich Radiosender nicht über das Abspielen von Musik alleine definieren können. Ebenso wichtig wie die richtige Musik für die Hörer zu spielen ist daher, sich inhaltlich und journalistisch mit Musik auseinanderzusetzen. Wir versuchen daher im Programm von hr3 immer wieder, unseren Hörern Zusatzinfos und spannende Geschichten zu den gespielten Songs zu geben. Musikspecials haben bei hr3 ebenfalls eine große Bedeutung. Hier versuchen wir, Highlights zu setzen. Zuletzt haben wir zum Beispiel eine ganze Morningshow lang nur Musik von Robbie Williams gespielt und mit Fans über diesen großen Entertainer gesprochen, als er sein Konzert in Frankfurt gegeben hat. Ich persönlich finde solche Specials – gerade zur Prime Time am Morgen – oft spannender als regelmäßige Spezialsendungen am Abend, die wesentlich weniger Hörer erreichen. Wir bei hr3 trennen übrigens nicht zwischen „Musik-Spezialsendung“ und anderen Sendungen. Wenn ein Musikthema jetzt gerade spannend ist, wird es auch direkt im Programm gesetzt, auch am Morgen. Wenn ein anderes Thema eine größere Relevanz für unsere Hörer hat, ob das nun ein buntes Thema ist, die Politik oder der Sport, berichten wir eben darüber.

RADIOSZENE: Wie hat sich der Stellenwert der Musik im Radio im Laufe der Zeit verändert? 

Christian Brost: Musik ist nach wie vor der Haupt-Einschaltgrund für Popradios. Allerdings sind die Hörer anspruchsvoller geworden. Früher, als es nur einen oder zwei Sender gab, konnte sich jemand ins Studio setzen und sagen: „Ich spiele euch jetzt mal die Musik vor, die ich selber gut finde – und die müsst ihr halt hören“. Das geht heute nicht mehr – die Hörer erwarten ihre eigenen Lieblingssongs im Radio, nicht die von jemand anderem, und sie wissen sehr genau, welche das sind.

RADIOSZENE: Kritiker werfen ein, dass die Musikredaktion in Zeiten des Formatradios nur noch wenig Einflussmöglichkeiten auf die Musikabläufe hat. Welchen Einfluss haben Sie bei hr3?

Christian Brost: Den allergrößten Einfluss auf die Musik, die in hr3 gespielt wird, hat tatsächlich nicht die Musikredaktion, und das ist auch gut so. Wir spielen die Lieblingssongs der hr3-Hörer, und das bedeutet für mich automatisch, dass die Hörer unser Programm bestimmen. Wenn wir zum Beispiel über neue Songs für die hr3-Playlist sprechen, fragen wir uns: Werden die hr3-Hörer diesen Song mögen, wenn wir ihn spielen? Lautet die Antwort nein, wüsste ich nicht, warum wir diesen Song dann regelmäßig einsetzen sollten.

RADIOSZENE: Welche Musik ist derzeit besonders angesagt – und gibt es bereits einen Trend von morgen?

Christian Brost: Derzeit bewegen wir uns in einem spannenden Umfeld zwischen einer Soul-Rock-Mischung à la Rag’n’Bone Man, frischem Deutsch-Pop wie von Mark Forster und dem nach wie vor angesagten Dance-Sound von DJs wie Felix Jaehn und Robin Schulz. Ich denke, dass uns dieser Sound über die nächsten Monate erhalten bleibt.

RADIOSZENE: In welcher Form arbeiten Sie mit der Musikwirtschaft zusammen?

Christian Brost: Die Musikindustrie ist für uns einer von mehreren Impulsgebern für neue Musik. Allerdings hat sich das Verhältnis in den letzten Jahren schon verändert, schließlich sind Songs nicht nur für die interessierten Fans, sondern auch für uns als Redaktion nahezu unbegrenzt verfügbar. So finden bei uns immer wieder auch Künstler den Weg ins Programm, die uns nicht auf den klassischen Kanälen erreichen, sondern uns zum Beispiel in Blogs begegnen oder uns als Tipps von unseren Hörern geschickt werden.

RADIOSZENE: Welchen Stellenwert haben Radiokonzerte bei hr3?

Christian Brost: Exklusive Erlebnisse sind für unsere Hörer sehr wichtig – seien es nun Radiokonzerte, Meet & Greets, Fan-Interviews oder andere Momente, die eine besondere Nähe zwischen den Künstlern und ihren Fans schaffen.

RADIOSZENE: Wie sehr haben sich Radio- und Musiklandschaft über die Jahre verändert? 

Christian Brost: Beide verändern sich ständig – Gott sei Dank! So wenig Sie die Musiklandschaft der 90er Jahre mit der von heute vergleichen können, so wenig funktioniert das fürs Radio. Als Radioredakteure wissen wir heute wesentlich besser als vor zehn oder zwanzig Jahren, welche Musik und welche Inhalte unsere Hörer bei uns erwarten und mit welchen Themen wir sie positiv überraschen können. Dabei spielen die sozialen Netzwerke eine große Rolle.

RADIOSZENE: Zuletzt hatte man den Eindruck, dass sich in den Single-Charts immer mehr Künstler bewegen, die bis vor Kurzem völlig unbekannt waren. Täuscht dieser Eindruck, haben es die „großen Namen“ immer schwerer, erfolgreich zu sein?

Christian Brost: Die Musikindustrie spricht oft von einem „Track-Business“. Das bedeutet, es geht nicht mehr um den Künstler oder ein Album, sondern darum mit einem einzelnen Song möglichst erfolgreich zu sein. Unser Ansatz in hr3 ist etwas anders: Neue Musik von großen Namen wie Pink, Robbie Williams oder Herbert Grönemeyer sind für uns nach wie vor ein Thema. Wir freuen uns aber genau so auch über gute neue Songs von bislang unbekannten Künstlern.

RADIOSZENE: Wie wichtig sind die Top 100 für Sie, hat deren Bedeutung nachgelassen? 

Christian Brost: Die Verkaufscharts spielen bei der Musikauswahl für hr3 keine Rolle. Aus den aktuellen Top 10 zum Beispiel wird die Hälfte der Songs gar nicht oder nur sehr selten gespielt. Aus unserer Erfahrung spiegeln die Verkaufszahlen schon lange nicht mehr den Geschmack unserer Hörer wider. Für die Musikauswahl in hr3 hören wir interessiert auf direktes Feedback unserer Hörer. Außerdem geben wir den hr3-Hörern auf unserer Website die Möglichkeit, Titel direkt zu bewerten. Ein weiterer Einfluss sind moderne Methoden der Marktforschung, durch die wir ebenfalls direkt mit unseren Hörern im Kontakt stehen.

RADIOSZENE: Welche Bedeutung haben Newcomer und Neuheiten für das Programm von hr3?

Christian Brost: Eine große! Ohne dass ständig neue Musik dazu kommt, wäre das Programm von hr3 irgendwann statisch und nicht mehr sehr spannend. Mir persönlich macht unsere wöchentliche „Playlist-Sitzung“ viel Spaß – hier diskutieren wir, oft lange und intensiv, über einzelne Titel. Über allem steht die Frage: Wird sich dieser Song zu einem Lieblingssong der hr3-Hörer entwickeln oder nicht?

RADIOSZENE: Wie gehen Sie mit dem Thema Streaming-Dienste um? In Radiokreisen wird durchaus kontrovers über dieses Thema diskutiert …

Christian Brost: Für mich bedienen Radio und Streaming-Dienste unterschiedliche Interessen. Das Radio kann ich jederzeit einschalten, es wird mir meine Lieblingsmusik vorspielen, mir sagen ob’s regnet und ob ich gut zur Arbeit komme. Ich bekomme ein Rundum-Paket inklusive einer von Menschen jeden Tag neu zusammengestellten Playlist – das können Streamingdienste noch lange nicht leisten. Ich persönlich habe in meiner Radiolaufbahn schon über viele Player gehört, dass sie dem Radio massiv schaden würden, denken Sie nur mal an Napster vor einigen Jahren. Und ganz früher hat man das ja auch über die Schallplatte oder den Kassettenrekorder gesagt. Ich glaube, dem Radio wird es auch in vielen Jahren noch sehr gut gehen.

RADIOSZENE: Welchen besonderen Herausforderungen muss sich hr3 beziehungsweise die Branche allgemein in der Zukunft ganz besonders stellen?

Christian Brost: Das Kerngeschäft der Musikredaktion von hr3 wird sich absehbar nicht ändern: Wir spielen die Lieblingssongs unserer Hörer. Herausforderungen sind dabei sicher technische Neuerungen und ein sich schnell verändernder Markt.