Ich war letzte Woche bei den Radiodays Europe in Lausanne. Das ist immer das Highlight meines Radiokonferenz-Jahres: über 2500 Leute, die für das Beste stehen, was die Radiobranche in Europa und darüber hinaus zu bieten hat.
Aber dieses Jahr war irgendetwas anders.
Darren Davis von iHeartRadio, dem großen US-Privatradiokonzern, gab sich zuversichtlich. Auf vielen Folien schilderte er uns, wie sehr das Radio floriert und welche Spitzenstellung iHeart darin hat. Nein, mit dem Radio geht es wirklich bergauf, und iHeart hat wirklich die Nase vorn. Ach übrigens, sagte ich bereits, dass es dem Radio so gut wie nie ging? Und iHeartRadio mischt an vorderster Front mit. Und so ging es weiter, Folie um Folie.
Auch die öffentlich-rechtlichen Radios waren vor Ort. Ihre Geschichte klang völlig anders: Mit Klagen über Haushaltskürzungen und besorgt über das aufkommende Phänomen von Fakenews und der Desinformation malten sie ein wesentlich düstereres Bild. Dabei hatten die öffentlich-rechtlichen Medien einen gemeinsamen Feind im Visier: die Online-Medien, vertreten durch Google, Facebook und Twitter.
Bisher hat das Medium Radio seinen gesamten Content frei verfügbar angeboten: auf offenen Podcast-Plattformen und Radioportalen wie TuneIn. Aber die neuen Leute in den Chefetagen vieler öffentlich-rechtlicher Radiowellen kommen offenbar vom Fernsehen, wo es diese Großzügigkeit nie gab. Beim Fernsehen gelten strengere Regeln. Fernsehen wird dem öffentlichen Zugriff entzogen: in sendereigenen Apps, unter strenger Kontrolle. Meistens hat dies urheberrechtliche Gründe, aber inzwischen wird gilt es immer mehr als Strategie, der man gefälligst zu folgen hat.
Die BBC-Ankündigung, dass man sich aus Google Podcasts zurückzieht, gilt als Bestätigung dieser Strategie. Ein weiterer öffentlich-rechtlicher Sender sagte mir, dass auch sie langfristig planen, alle Podcasts aus der Apple-Plattform zu entfernen und dass auch deren Streams nicht mehr bei TuneIn und anderen Portalen zu hören sein werden, weil nur noch sie ihre Verbreitung kontrollieren möchten, in einer eigenen App.
„Die Radioleute vom alten Schlag haben das falsch gemacht“, so sagte man mir. „Wir sollten damit aufhören, unsere Inhalte zu verschenken.“
Diese Auffassung teile ich überhaupt nicht. Schließlich ist die Produktion von Inhalten unser Geschäft. Und wir sollten dort unsere Netze auswerfen, wo es auch Fische gibt. Und sicherstellen, dass unsere Inhalte genau dort sind, wo es auch Publikum dafür gibt. Aber dann wurde mir klar, dass die mit den „Radioleuten vom alten Schlag“ wohl auch mich meinen. Immerhin bin ich 30 Jahre in der Branche. Anscheinend habe ich vieles falsch gemacht.
Nach einigen Grafiken, die – mal wieder – die Spitzenposition von iHeartRadio in irgendeiner Disziplin unter Beweis stellten, schilderte Darren Davis die Radiostrategie von iHeart. „Überall dort sein, wo unsere Verbraucher sind. Mit Service und Produkten, die sie erwarten.
Europäische öffentlich-rechtliche Anbieter wollen sich stattdessen lieber in ihren eigenen Garten zurückziehen und eine dicke Mauer drumherum ziehen. Sie sollten vorsichtig sein. Denn es könnte ihren Abstieg in die Irrelevanz bedeuten.
Der Radio-Futurologe James Cridland spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch relevant bleibt. Er betreibt den Medieninformationsdienst media.info und hilft bei der Organisation der jährlichen Next Radio conference in Großbritannien. Er veröffentlicht auch podnews.net mit Kurznews aus der Podcast-Welt. Sein wöchentlicher Newsletter (in Englisch) beinhaltet wertvolle Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kostenlos bestellt werden: james.crid.land.