Eine Lösung, um die über 40 lokalen Radiosender in Nordrhein-Westfalen im digitalen Radio DAB+ auszustrahlen legte der Sendernetzbetreiber Media Broadcast kürzlich vor. Thomas Wächter, der sich bei dem Unternehmen für den Geschäftsbereich Hörfunk verantwortlich zeigt, erklärte in einem Interview mit dem Branchendienst Meinungsbarometer.info, DAB+ sei auch für die zahlreichen Lokalradios in NRW ein neuer, attraktiver Verbreitungsweg. Den wollen die Lokalsender aber gar nicht – und auch die Landesmedienanstalt sieht für die Sender in DAB+ keine Perspektive.
Lokale und regionale Radiosender sind auch im Digitalradio anzutreffen. In Dänemark, Großbritannien und der Schweiz etwa sind auch kleine Sender via DAB+ zu hören. In Baden-Württemberg und Bayern gibt es zudem ähnliche Ansätze. Verständlich, dass Media Broadcast, gegenwärtig der einzige privatwirtschaftliche Sendernetzbetreiber für DAB-Ausstrahlungen, ein ähnliches System auch in Nordrhein-Westfalen etablieren will.
Lokalradio-Struktur könnte sich durch DAB+ verändern
Im Meinungsbarometer-Interview schlägt Thomas Wächter von Media Broadcast für Nordrhein-Westfalen neun Multiplexe vor, in denen jeweils fünf Lokalprogramme einen Platz finden könnten. Diese wären damit aber nicht mehr nur in ihrem eigenen Sendegebiet zu hören, sondern auch darüber hinaus. Eine Veränderung, die Wächter als nutzerorientiert bewertet. Schließlich könnten so viele Hörer „ihren Lokalsender“ auch auf längeren Autofahren unterbrechungsfrei hören.
Wächter glaubt aber auch: „Die Lokalfunkstruktur in NRW wird sich verändern, wenn man auch hier auf DAB+ setzt“. Die Radiolandschaft in dem Bundesland basiert auf einem Modell, das vor 30 Jahren geschaffen wurde. Landesweite private Sender oder lokale Stationen abseits der NRW-Lokalfunker gibt es nicht, abgesehen von Hochschulradios und dem kirchlichen Domradio. DAB+ könnte gleichzeitig die Tür für neue Anbieter öffnen.
Konkurrenz zerstört das Lokalradio-Ökosystem
Davor haben die bestehenden Lokalsender Angst. In einem Positionspapier des Verbands Lokaler Rundfunk in Nordrhein-Westfalen e.V. (VLR) wird festgestellt, dass der Gesetzesgeber den Hörfunkmarkt in NRW für eine größere Zahl weiterer Wettbewerber öffnen würde. „Wenn der Lokalfunk in seiner jetzigen Form im ungeregelten Wettbewerb gegen andere private Radiounternehmen bestehen muss, ist sein Überleben gefährdet“, heißt es klar. Es könnten „weder seine programmliche Qualität, seine Lokalität, die 45 Verbreitungsgebiete, noch die Beschäftigung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu den derzeitigen Tarifkonditionen gesichert werden“. Neue Konkurrenz würde das Lokalradio-Ökosystem in Nordrhein-Westfalen demnach mächtig ins Wanken bringen.
In Onlineforen kritisieren Hörerinnen und Hörer seit Jahren eine mangelnde Programmvielfalt, da längere Sendestrecken in den privaten Lokalsendern durch den Rahmenprogrammanbieter radio NRW gestaltet werden, auf zahlreichen Stationen also zu vielen Zeiten nahezu die selben Inhalte ausgestrahlt würden. Im Digitalradio bestehen alternative Angebote ausschließlich auf bundesweiter Ebene.
Der VLR fordert, dass das sogenannte Zwei-Säulen-Modell, das die Grundlage des jetzigen Lokalradio-Systems ist, geschützt werden müsse. Es besagt, dass jeder Lokalsender aus zwei rechtlich selbständigen Einrichtungen bestehen muss: der Veranstaltergemeinschaft für inhaltliche und der Betriebsgesellschaft für wirtschaftliche Aufgaben. An der Betriebsgesellschaft können die örtlichen Zeitungsverlage bis zu 75 Prozent, die Kommunen bis zu 25 Prozent der Kapital- und Stimmrechtsanteile halten.
DAB+: Immer noch nicht am Markt angekommen
Das Positionspapier stellt klar, dass die Sender keinen Parallelbetrieb von DAB+ und UKW stemmen können und auch eine eventuelle Umstellung auf Digitalradio kostenneutral erfolgen müsste. Geht es nach dem VLR, liegt diese aber nicht in naher Zukunft, denn momentan könne man weder wirtschaftlich, noch programmlich die Notwendigkeit für DAB+ in Nordrhein-Westfalen erkennen, denn DAB+ sei immer noch nicht am Markt angekommen. VLR-Geschäftsführer Timo Naumann teilte RADIOSZENE gegenüber mit, dass diese Positionen Ende März auch den Abgeordneten des Landtags NRW mitgeteilt wurden.
Wahrscheinlich keine DAB-Ausschreibung 2016
Und auch die Landesanstalt für Medien (LfM) macht Befürwortern des Digitalradios wenig Hoffnung, obwohl man kürzlich noch einen Call-for-Interest zu DAB+ veranstaltet hatte: „Eine Digitalradio-Ausschreibung noch in diesem Jahr ist unwahrscheinlich“, hieß es von der LfM heute gegenüber RADIOSZENE. Man sehe für den lokalen Hörfunk momentan keine Perspektive und keine neue Entwicklung in Sachen DAB+ in NRW. Auf Facebook etwa gibt man an, zumindest in Gesprächen mit Bundesnetzagentur und Staatskanzlei zu sein, um über die (digitale) Zukunft des lokalen Radios in NRW zu beraten. Dass sich die terrestrischen Programmauswahl in Nordrhein-Westfalen in nächster Zeit ändern wird, scheint weiterhin unwahrscheinlich.
Update vom 17. April 2016: „Wir müssen über das digitale Radio reden“
Der Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) Jürgen Brautmeier und der Staatssekretär für Europa und Medien in der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen, Marc Jan Eumann, haben in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ nun genau erklärt, warum sie den Umstieg von UKW auf DAB+ insbesondere für NRW nicht für sinnvoll halten. Einer der Hauptgründe sind die Kosten von einer Milliarde Euro an Kosten, die dabei entstünden. Hier geht es zum kompletten Artikel: „Wir müssen über das digitale Radio reden“.
Update vom 22. April 2016: „Genug geredet, das digitale Radio dreht jetzt auf“
Welche Zukunft hat das Radio? Soll es digital werden und DAB+ heißen? Soll es auf UKW bleiben? Oder soll es im Internet laufen? Die ARD und das Deutschlandradio haben eine eindeutige Antwort. In einem Gastbeitrag über die Digitalisierung im Hörfunk reagierten Deutschlandradio-Intendant Willi Steul, die ARD-Vorsitzende und Intendantin des MDR, Karola Wille und der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm, auf den Gastbeitrag von Jürgen Brautmeier und Marc Jan Eumann: Genug geredet, das digitale Radio dreht jetzt auf. (Siehe auch ARD setzt auf raschen Ausbau von DAB+)