Ulrich Bunsmann: Die 3 Welten des Radios

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Die Betrachtungsweisen könnten kaum unterschiedlicher sein. Da ist der ziemlich lautstarke Chor von Kritikern unterschiedlichster Provenienz, die den Niedergang des anspruchsvollen Radios von früher beklagen: den musikalischen Einheitsbrei der immer gleichen Formatradios, die Einfallslosigkeit der sich wiederholenden Promotion-Aktionen, die fehlende popkulturelle Pfadfinder-Funktion, die wachsende publizistische Irrelevanz.

Da ist Dieter K. Müller, Chef-Marktforscher der AS&S (ARD Sales & Services) und Vorstand Radio der Arbeitsgemeinschaft Medien-Analyse, für den „das Radio eine Konstante (ist), die zum Alltag gehört (und) das einzige klassische Medium, das trotz der zunehmenden medialen Konkurrenz auch in jungen Zielgruppen unverändert – oder sogar noch etwas stärker – genutzt wird.“ Die Radiozentrale als Sprachrohr der deutschen Radiosender konstatiert: „5-Jahresbetrachtung zeigt: Digitaler Umbruch stärkt Reichweite und Nutzungszeit von Radio“.

Und da sind diejenigen, die für das traditionelle Radio keine Zukunft mehr sehen, weil ja heute schon die jüngeren Zielgruppen nur noch Streaming-Dienste wie Spotify nutzen und neue Musik über YouTube finden würden, weswegen das Radio eine Welt im Untergang sei und zwangsläufig gemeinsam mit den älteren Generationen aussterben werde.

Das Bemerkenswerte: Hier scheinen 3 eigenständige Radio-Welten unabhängig und jede mit eigenem Recht nebeneinander zu stehen.

Es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass Radio in Deutschland ziemlich berechenbar geworden ist, Experimente scheut, musikjournalistisch und generell themensetzend jenseits der Nischenprogramme wenig Relevantes hervorbringt. Andererseits hat es schon etwas arg Rückwärtsgewandtes, wenn die Musikmoderatoren-Legende Frank Laufenberg mit seinem „Popstop“-Internet-Radio „die guten Bestandteile, die (das Radio) hatte, wieder zurückholen“ möchte. Und so gern ich hin und wieder die Musik-Spezialsendungen von „Popstop“, ByteFM u.ä. höre: Machart und Moderationsstil wirken doch des Öfteren sehr gestrig und nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Das alles hat sicher seine Berechtigung und seine Zielgruppe. Aber es erinnert ein bisschen an das Comeback der Vinyl-LP: ein Liebhaber-, kein Massen-Phänomen, ein Marktanteil von vielleicht 3 %.

Haben deswegen die Apologeten des Radio-Status Quo recht, wird Radio auch in Zukunft anders als z.B. Zeitungen und Zeitschriften den digitalen Wandel weiterhin weitestgehend unbeschadet überstehen? Ein Blick auf die Entwicklung in den trendsetzenden USA mahnt zur Vorsicht: Zwar sind die täglichen Nutzungszahlen für die terrestrische Radio-Verbreitung dort (ähnlich wie in Deutschland) auf hohem Niveau stabil, aber die für die Dauer des Radiohörens aussagekräftigen Viertelstundenreichweiten gehen kontinuierlich zurück – und das nicht nur bei den ganz Jungen. Und die bekannte Innovationsscheu in den Führungsetagen der deutschen Privatradios (z.B.: „Wenn die Ressourcen beschränkt sind, kann man nicht alles Wünschenswerte finanzieren und muss sich stattdessen auf die Kernassets konzentrieren“ – Hans-Jürgen Kratz, Geschäftsführer Antenne Thüringen) lässt befürchten, dass das deutsche Radio die Entwicklungsverzögerung gegenüber den USA nicht erfolgreich nutzen wird.

Aber hat Radio deshalb wirklich keine Chance mehr gegen Spotify und YouTube? Sicher: Im digitalen Zeitalter sind Personalisierung und Targetierung Mega-Trends, ohne Antworten darauf wird das klassische Radio so untergehen wie die Postkutsche gegenüber der Eisenbahn. Aber andererseits darf man auch gegenläufige Phänomene nicht außer Acht lassen: Die intensive Nutzung von aktueller Popmusik durch Speichermedien ist nicht so neu, wie sie durch die neue Technik erscheint. In den 60er Jahren nutzte man das Tonband, in den 70ern die Musik-Cassette, in den 80ern den Walkman, in den 90ern die selbstgebrannte CD. Aber allen Generationen gemeinsam war, dass mit dem Eintritt ins Erwachsenen-Leben die Bedeutung der aktuellen Musik-Nutzung abnahm, weil andere Dinge wichtiger wurden. Warum sollte das bei Spotify oder YouTube anders sein? Erst recht in einer Welt ständiger Erreichbarkeit und schrumpfender Zeit-Budgets.

Radio hat deshalb auch in der digitalen Welt von morgen eine große Chance, wenn es gelingt, seine Stärken wie die Hörerbindung durch Persönlichkeiten, die Pfadfinder-Funktion, die Schaffung von Hörer-Communities mit den Möglichkeiten der Personalisierung und Targetierung zu kombinieren. Warum nicht eine persönliche Ansage des Lieblingsmoderators für den abendlichen Nachhause-Weg mit Verkehrsmeldungen, Ausgehtipps und günstigen Einkaufsmöglichkeiten – abrufbar über die Smartphone-App des Senders? Warum nicht die Möglichkeit, das laufende Programm über die gleiche App so zu personalisieren, dass ungeliebte Musiktitel gesperrt werden können? Warum keine direkte Kommunikation via App statt des Umwegs über Facebook oder die Website (die mobile Web-Nutzung boomt)? Weswegen die immer gleichen Nachrichten zur vollen Stunde statt regelmäßig aktualisierter Nachrichten-Blöcke auf Abruf?

Die Nostalgiker, die Status Quo-Apologeten und die Untergangs-Propheten – das sind heute die 3 Welten des Radios. Gemeinsam blockieren sie den Blick auf das Mögliche. Das muss und darf nicht so bleiben.

 

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Ulrich Bunsmann, seit 25 Jahren Radio-Profi, schreibt regelmäßig für RADIOSZENE seine Gedanken zum Radio aus der deutschen Medienhauptstadt Hamburg.

E-Mail: bunsmann@radioszene.de