Ich bin heute in Kuala Lumpur. Wenn ich das nicht selber wüsste, dann würde Google es mir sagen. Denn Google weiß genau, wo ich bin. Google weiß auch, wo ich gestern war, mit welcher Fluglinie ich hierher geflogen sind, welche Nachrichtenbeiträge ich heute Morgen gelesen habe und was für morgen in meinem Terminkalender steht. Google weiß, welche Musik ich höre, in welche Geschäfte ich hineingehe, wie viel Geld ich auf der Bank habe, um wie viel Uhr ich schlafen gehe oder aufwache, wann ich gewöhnlich Kaffee trinke und welchen Puls ich gerade habe. Google weiß auch, welche gesundheitlichen Probleme ich habe… und welche ich mir einbilde.
Wenn ich im Internet suche, passt Google die Ergebnisse meinen Interessen an. Sie verstecken Sachen, von deren Lektüre sie mir abraten. Und Google präsentiert mir jeden Tag handverlesene Nachrichten speziell für mich.
Es ist halt ein Job und sie machen ihn schon wirklich gut. Und sie sind ja nicht bösartig.
Facebook weiß, wo ich hingehe, mit wem ich rede und wer meine Freunde sind. Facebook weiß, wie alt ich bin, ob ich glücklich oder traurig bin. Facebook wohnt, wo ich wohne, und mithilfe von künstlicher Intelligenz, gefüttert mit Daten aus den Beiträgen, die ich lese und den Gesprächen, die ich führe, kann Facebook auch ermitteln, welche Partei ich wähle. Und Facebook präsentiert mir jeden Tag handverlesene Nachrichten und Diskussionen, die nach Facebooks Ansicht meinen Geschmack treffen. Und man hält mich absichtlich von den Nachrichten und Diskussionen fern, die ich offenbar nicht mag.
Auch Facebook macht einen guten Job, und zumindest werden die Daten nicht an andere weitergegeben.
Radio hat eine einzigartige Kraft. Wenn ich Radio höre, höre ich Leute, die bestimmte Interessen mit mir gemeinsam haben. Sie wohnen am gleich Ort oder sie mögen die gleiche Musik. Und gerade, weil es – im Gegensatz zu Google und Facebook – nicht ultra-personalisiert ist, hilft es mir dabei, zwei Seiten einer Medaille kennen zu lernen. Es hilft Leuten dabei, Themen zu entdecken, die sonst an ihnen vorbeiziehen würden. Es trägt mit dazu bei, dass Leute miteinander in Dialog treten und nicht nur polarisieren. So leistet das Radio einen Beitrag zum gegenseitigen Verständnis und zur Harmonie.
Radio ist unglaublich und einmalig stark. Wenn es gut genutzt wird, bringt uns das Medium Radio zusammen: als Gemeinschaften, als Nationen, als Menschen. Radio kann bewirken, dass sich ein Hörer in seine Gemeinschaft und in die Welt dieser Gemeinschaft einbezogen fühlt, was sich wiederum positiv auf die geistige Gesundheit, den sozialen Zusammenhalt und das Verständnis für unsere Mitmenschen auswirkt.
Während ich hier gerade die Radiodays Asia erlebe, rufe ich mir immer wieder ins Gedächtnis, dass wir schon über eine ziemlich einzigartige Kraft verfügen. Die Kraft des Radios.
Der Radio-Futurologe James Cridland spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine, berät eine Vielzahl von Radiosendern und veröffentlicht den täglichen Podcast-Newsletter podnews.net. James hat über 30 Jahre bei Radiosendern in Großbritannien, Australien und Kanada gearbeitet; bei Virgin Radio UK entwickelte er die weltweit erste Radio-Streaming-App. Er lebt in Brisbane, Australien. https://james.cridland.net