Das Land Polen gehört sicherlich nicht zu den beliebtesten Reisezielen der Deutschen. Italien, Griechenland und Ballermann führen alle Statistiken an. Anders verhält es sich aus der polnischen Sicht, denn die Deutschen sind mit 1,7 Mio. Übernachtungen im vergangenen Jahr die größte Touristengruppe gefolgt von Britten mit 513.000 und den Ukrainern mit 456.000. Doch lohnt es sich in den Urlaub in Polen einen DAB+ Empfänger einzupacken oder bricht der DAB+ Empfang hinter der deutschen Grenze sofort ab? Die ersten DAB+ Sender starteten in Warschau und Posen am 1. Oktober 2013, bis zum Jahr 2015 wuchs das Netz auf 24 Sender in 17 Regionen. Im Jahr 2016 erfolgte dann ein Ausbaustopp. Vier Jahre baute Polskie Radio sein DAB+ Netz nicht aus. Das Projekt wurde eingefroren. Am 17. Mai 2019 wurden in Polen neue Ausbaupläne vorgestellt. Erstmals dürfen sich auch kommerzielle Anbieter um die Plätze in den DAB+ Multiplexen bewerben. Eine Ausschreibung wurde am 20. Mai veröffentlicht.
Im Oktober 2015 fanden in Polen Parlamentswahlen statt, die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) von Jaroslaw Kaczynski erhielt eine absolute Mehrheit im polnischen Parlament „Sejm“. Nur drei Monate später veröffentlichte der Oberste Rechnungshof ein niederschmetterndes Urteil für DAB+:
„Die Einführung des digitalen Hörfunks sei ohne eine Strategie durchgeführt worden. (…) Die Hörer würden keine Empfänger kaufen, um nur zwei bis drei neue Programme eines Programmanbieters empfangen zu können,“
lautete die Kritik an der Vorgängerregierung. Es fehle an verbindlichen Terminen und Mitteln zur Finanzierung der Digitalisierung. Es war sicherlich auch eine Art Abrechnung mit der Vorgängerregierung, aber auch eine bittere Wahrheit. Die Koalition aus der liberal-konservativen Bürgerplattform und der Polnischen Bauernpartei die von 2007 bis 2015 Polen regierte, erstellte konkrete Pläne nur für die Dauer ihre Regierung. „Recht und Gerechtigkeit“ konnte mit DAB+ nichts anfangen und fror den Ausbau des DAB+Sendernetzes ein.
Die letzten Sender wurden im Jahr 2015 aufgeschaltet, neue sollen 2019 dazu kommen. Die Digitalisierung des Hörfunks wurde um gute 4 Jahre verlangsamt. Das war sicherlich ein großes Geschenk für den Privatfunk, denn die Vertreter der überregionalen und landesweiten Sender wetterten über DAB+, sie setzen auf das Internet. Das öffentlich-rechtlicher Polskie Radio produzierte zwar drei DAB+ only Programme, diese überzeugten die Hörer jedoch nicht. Die Reichweite der DAB+ Programme lag nach drei Jahren Ausbau bei 0,01%.
Polskie Radio produziert zuerst den Nachrichtensender „PR 24“, die Popwelle „Rytm“ und ein Kinderradio für die DAB+ und die Internetradiohörer. Im Jahr 2016 tauschte die Jugendwelle „Czwórka“ und der Nachrichtensender ihre Plätze. Den Nachrichtensender gibt es jetzt auch auf UKW, die Jugendwelle nur in DAB+, die Popwelle „Rytm“ wurde gegen das Klassikradio „Radio Chopin“ getauscht. Doch ohne ein Programmangebot der Privaten wird sich DAB+ in Polen nicht durchsetzen und die wollten zuerst nicht mitmachen. Dazu kommt, dass in den Großstädten mehr Programme auf UKW empfangen werden können als über DAB+.
„Green Book“
Im März 2016 veröffentlichte der Landesrat für Rundfunk und Fernsehen (KRRiT) ein „Green Book“ des Digitalradios, in dem erstmals die Kosten der Hörfunkdigitalisierung beziffert wurden. Die Medien stürzten sich auf den größten angegebenen Betrag 52,85 Millionen Zloty (etwa 12,3 Mio. Euro), den Polskie Radio für DAB+ in dem Zeitraum vom Oktober 2013 bis Ende 2015 ausgegeben hat. Was bei der hohen Zahl von der Presse verschwiegen wurde, waren die tatsächlichen Verbreitungs- und Technikkosten von nur 7,66 Mio. Zloty (1,8 Mio Euro). Die restlichen Mittel verbrauchte Polskie Radio für die Produktion von „neuen“ digitalen Programmen.
Doch nicht alle Programme waren wirklich neu, einige starteten vor der DAB+ Einführung im Internet und wurden ab 2013 als DAB+ Programme geführt. Der Nachrichtenkanal „Polskie Radio 24“ wäre hier anzuführen, der in den 27 Monaten 29,72 Mio. Zloty (6,9 Mio. €) Produktionskosten verschlang. Die kreative Buchhaltung wurde genutzt, um DAB+ als Fass ohne Boden dazustellen. Im April 2016 verkündete Barbara Stanisławczyk, Geschäftsführerin von Polskie Radio, den Stopp der Digitalisierung. Nur drei Monate später sollten die Sender Giżycko, Kalisz, Płock und Siedlce aufgeschaltet werden, der letzte geplante Schritt wurde nicht mehr durchgeführt.
Konsequent wäre, DAB+ weiter auszubauen, denn nur das erste Hörfunkprogramm „Jedynka“, das dritte Programm „Trójka“ und die 17 Regionalprogramme von Polskie Radio erreichen bis zu 94% der Bevölkerung und bis zu 93% der Fläche. Die Klassikwelle „Dwójka“ erreicht nur 71% der Bevölkerung und 56% der Fläche, das öffentlich-rechtliche Nachrichtenradio „PR 24“ nur 39% der Bevölkerung und nur 20% der Fläche (vgl. hier). Konsequent wäre auch die Herstellung gleicher Lebens- bzw. Empfangsverhältnisse durch den DAB+ Ausbau in der Fläche, stattdessen befürwortete Stanisławczyk die Beibehaltung ihrer DAB+ only Programme. So verschlangen die Produktion der Jugendwelle „Czwórka“ (das Vierte), der Klassikwelle „Radio Chopin“ und des Kinderprogramms „Radio Dzieciom“ im Jahr 2017 mehr Rundfunkgebühren (26,2 Mio./6 Mio. €), als die Ausstrahlung der Programme über DAB+ (5,3 Mio. Zloty/1,23 Mio €).
Small-Scale-Lösungen für den Privatfunk
Im „Green Books“ stellte der Landesrat für Rundfunk und Fernsehen (KRRiT) zwei mögliche Szenarien des DAB+ Ausbaus vor. Das erste Szenario war stark angelehnt an der administrativen Aufteilung des Landes in Wojewodschaften, die Polen auf der Wellenkonferenz GE 06 für sich beanspruchte. Lokalradios wären gezwungen in der ganzen Wojewodschaft ihr Programm zu verbreiten, vergleichbar als müsste ein Lokalprogramm für München in ganz Bayern ausgestrahlt werden. Das Problem dabei, die Konzessionsgebühren werden in Polen nach der Anzahl der Bewohner im versorgten Gebiet berechnet, im reicher an Bevölkerung ein Gebiet, umso teurer wird es.
Polen entschied sich für das zweite Szenario. Es wurden in 33 Regionen – meistens Großstädten – zusätzliche Frequenzen für DAB+ koordiniert. Viele Lokalradios außerhalb der Metropolen wurden bei der Frequenzplanung nicht bedacht. Sie beantragten Versuchsausstrahlungen und führen diese seit einem Jahr durch. Radio Bielsko startete einen Multiplex in Bielsko-Biała unweit des Länderdreiecks Polen-Slowakei-Tschechien und die katholische Diözese Tarnow vom Berg Przehyba in Sandezer Beskiden an der slowakisch-polnischen Grenze. Auch der polnische Anbieter von DAB+ Small-Scale-Lösungen BCAST mischt mit und hat im letzten Jahr Multiplexe in Breslau und Warschau aufgeschaltet und am 30. April 2019 in der Innenstadt von Danzig. Alle Versuchsausstrahlungen sind zeitlich begrenzt, häufig auf genau ein Jahr. Kommerzielle Lokalradios und das katholische Radio Maryja stellen ihr Programm für die Testausstrahlung zur Verfügung.
KRRiT und UKE schreiben Frequenzen aus
Aus der Versuchs- soll eine reguläre Ausstrahlung werden. KRRiT und die polnische Behörde für elektronische Kommunikation (UKE) veranstalteten gemeinsam am Freitag (17.5.) eine Pressekonferenz, auf der sie ihre Pläne für die Einführung von DAB+ in Polen vorstellten. Am Montag darauf (20.5.) erschien im Amtsblatt die Ausschreibung für 7 Regionen:
Kanal | Standort | Anzahl der Einwohner | Preis für 10 Jahre |
12D | Częstochowa | 247.000 | 2.700 € |
12C | Katowice | 561.000 | 5.915 € |
5C | Poznań | 665.000 | 7.290 € |
9B | Rzeszów | 259.000 | 2.840 € |
9C | Tarnów | 149.000 | 1.635 € |
6C | Toruń | 232.000 | 2.545 € |
10B | Warszawa | 2.302.000 | 25.230 € |
Kurs 1 PLN = ~0,23 € |
Die Koordinierung zusätzlicher Kanäle an der deutschen Grenze und entlang der Ostsee wurde noch nicht abgeschlossen. In 12 Wojewodschaften stehen die Kanäle bereits zur Verfügung. Eine zweite Ausschreibung soll im 4. Quartal 2019 für die Städte Bydgoszcz, Kielce, Kraków, Łowicz, Łódź, Opole, Radom und Warszawa (5D) erfolgen. Im Jahr 2020 soll es zwei weitere Ausschreibungen geben. Leer gehen die Bewohner der Niederschlesischen Großstadt Breslau aus, denn dort führen noch bis zum Jahr 2022 die Technische Universität Breslau mit dem Nationalen Institut für Telekommunikation und Radio Wrocław eine technische Versuchsausstrahlung durch. Die Versuchsausstrahlung wurde mit Fördergeldern unterstützt und muss fünf Jahre beibehalten werden.
Außergewöhnlich im Vergleich zu Deutschland sind die Vorgaben von KRRiT bezüglich der geringsten Datenübertragungsrate von mindestens 96 kbps. Auch die Bezeichnung des Multiplexes und die Reihenfolge der Programme werden von der KRRiT geregelt. So sind die Programme in den Multiplexen abhängig von dem Datum der Konzessionserteilung anzuordnen. Ihre Anzahl in einem Multiplex wurde auf maximal 12 begrenzt. Gibt es mehrere Bewerber für eine Frequenz, wird die Frequenzzuteilung die polnische Behörde für elektronische Kommunikation UKE durchführen, während die Konzessionen für die Programme die KRRiT erteilt. Sowohl Programmanbieter als auch Multiplexbetreiber haben 45 Tage Zeit, um ihre Bewerbungsunterlagen einzureichen. Auch dieses Verfahren unterscheidet sich von der deutschen Regelung, wo im Fall eines passiven Multiplexbetreibers erst die Programme von der jeweiligen Landesmedienanstalt bestimmt werden und diese sich dann auf einen Multiplexbetreiber einigen müssen und mit diesem Verträge abschließen müssen. Das deutsche Verfahren dauert wesentlich länger.
KRRiT und UKE schreiben zuerst lokale Kapazitäten aus, dann folgen die landesweiten und regionalen Multiplexe. Zuvor soll noch eine öffentliche Anhörung durchgeführt werden. Dabei soll geklärt werden, in wie viele und wie große Regionen die regionalen Multiplexe ausgeteilt werden, aktuelle Pläne sehen 24 Regionen vor. Um die Übertragungskapazitäten in den Multiplexen können sich bestehende und neue Programmanbieter bewerben, auch eine Erweiterung des vorhandenen Verbreitungsgebietes ist möglich.
Polskie Radio
Bewegung gibt es auch bei Polskie Radio. Bei den 17 Regionen mit 24 Sendeanlagen soll es nicht bleiben. Schon im Oktober 2019 soll die Anzahl der Sendeanlagen auf 39 erhöht werden. Fünf Millionen Polen sollen zusätzlich DAB+ empfangen können. Die neuen Sender sollen Lücken zwischen vorhandenen Sendern schließen und in Gorzów Wielkopolski, Kalisz, Sierpc/Płock, Ciechanów, Słupsk, Radom, dem Oberschlesisches Industriegebiet entstehen. Auf der Autobahn A4 soll der Empfang von der deutschen bis zur ukrainischen Grenze möglich sein. Drei Jahre hintereinander jeweils im Oktober soll das Sendernetz um neue Sendeanalagen erweitert werden, im Jahr 2020 auf 52 Sender und ein Jahr später auf 64 Sender. Unversorgte Flächen wird es auch nach dem Jahr 2021 geben, denn Experten schätzen, dass mindestens 100 Sender für die Versorgung des ganzen Landes nötig werden, um eine Vollversorgung zu erreichen.
Alle Urlaubsflieger kommen in den Städten mit einem internationalen Flughafen in den Genuss von DAB+. Autofahrer können hinter der polnischen Grenze eine Überraschung erleben, an der Grenze zu Stettin und Grünberg ist DAB+ gut ausgebaut, in Niederschlesien auf dem Weg in Richtung Breslau helfen die deutschen Sender erst einmal etwas aus. Ab Oktober wird sich auch dort der Empfang verbessern, denn Polskie Radio will einen Sender in Lubin unweit der Grenze in Betrieb nehmen.