Polen: Ministerium räumt Staatsfunk auf

(20.12.2023) Bartłomiej Sienkiewicz, Minister für Kultur und nationales Erbe, hat am Dienstag (19.12.) die derzeitigen Vorstands­vorsitzenden und Aufsichtsräte vom Polskie Radio (PR), Telewizja Polska (TVP) und der Polnischen Presseagentur (PAP) abberufen und neue Aufsichtsräte und Vorstände ernannt. Die Medien gehören zu 100 Prozent dem Staat, die Abberufung geschah auf Grundlage des Handelsgesetzbuches.

Warschau (Bild: <a href="https://unsplash.com/de/@aquadrata?utm_content=creditCopyText&utm_medium=referral&utm_source=unsplash">Iwona Castiello d'Antonio</a> auf <a href="https://unsplash.com/de/fotos/skyline-der-stadt-tagsuber-KWcQ6_dk_OM?utm_content=creditCopyText&utm_medium=referral&utm_source=unsplash">Unsplash</a>)
Warschau (Bild: Iwona Castiello d’Antonio auf Unsplash)

Der Maßnahme ging der Beschluss des polnischen Parlaments „Sejm“ zur Wiederherstellung der Rechtsordnung und der Unparteilichkeit und Zuverlässigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien und der polnischen Presseagentur voraus. Die Vorgängerregierung baute die öffentlich-rechtlichen Medien zum parteitreuen Propagandaorgan um. Nach Regierungswechsel blieben diese Medien weiterhin Propagandainstrumente der PiS. Staatshilfen sollen PR und TVP nur dann erhalten, wenn sie wieder ihren rechtmäßigen Auftrag erfüllen, kündigte Donald Tusk, der neue Minister­präsident Polens an.

Am Mittwochmittag wurden in Polen mehrere öffentlich-rechtliche Fernsehkanäle zusammen­geschaltet. Der Nachrichtensender TVP Info wurden um 11:17 Uhr durch „TVP 1“ und die Regionalsender „TVP 3“ durch das zweite Fernsehprogramm „TVP 2“ ersetzt. Die Nachrichtensendungen in allen TVP-Programmen fielen am Mittwoch aus. Am Donnerstag soll um 19:30 Uhr die erste neue Nachdichtensendung bei TVP ausgestrahlt werden. Die Homepage tvp.info und polskieradio.pl funktionierten über Stunden nicht, die Webstreams der Hörfunksender waren nicht erreichbar. Die Mitarbeiter von TVP Info versuchten über YouTube das Programm aufrecht zu erhalten, wo ein Bild von einem Fernseh­gerät mit einem Programm aus dem TVP Info Nachrichtenstudio zu sehen war. Am Nachmittag wurde auch diese Liveübertragung beendet. Kurz vor 15 Uhr wurden die Homepages wieder freigeschaltet.

Vor einer Woche wurde in Polen eine neue Regierung vereidigt, die nun versucht den Rechtsstaat wiederherzustellen. Einige Ämter bleiben weiterhin besetzt durch Getreue der Vorgängerregierung. Die Vorsitzenden der polnischen Landesmedienanstalt KRRiT können komplett nur abberufen werden, wenn ihr Jahresbericht im kommenden Jahr vom Parlament „Sejm“ und der zweiten Kammer – dem Senat – abgelehnt wird und Polens Präsident Andrzej Duda die Entscheidung mitträgt.

znak krrit tlo gradient z akcentem rgbKRRiT-Vorsitzender Maciej Świrski sieht in der Entlassung und Ernennung der Organe der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten groben Machtmissbrauch. Das Landesrundfunkgesetz schreibt vor, dass die Organe der öffentlich-rechtlichen Anstalten vom Rat Nationaler Medien ernannt werden. Dieser Rat wurde von der Vorgängerregierung geschaffen, um Organe der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit Getreuen zu besetzen. Das pol. Verfassungsgericht stellte am 13. Dezember 2016 fest, dass die von der PiS eingeführte Praxis zur Besetzung der Gremien über den Rat Nationaler Medien rechtswidrig ist. PiS stellte die Rechtsordnung acht Jahre nicht wieder her. Es wäre die Aufgabe Świrskis die Organe staatsfern zu besetzen, denn die Verfassung garantiert nur der KRRiT die nötige Unabhängigkeit vom politischen Einfluss. Doch das Konstrukt hat einen Fehler, denn auch der Rundfunkrat wird nicht staatsfern besetzt. Seine Mitglieder werden vom Sejm, dem Senat und dem Präsidenten entsandt.

Finanzierung

Die neue Regierungskoalition stellt die üppige finanzielle Ausstattung der öffentlich-rechtlichen Medien auf dem Prüfstand. Die öffentlich-rechtlichen Medien in Polen finanzieren sich aus Abonnenten und Werbeeinnahmen. PiS führte im Jahr 2017 eine finanzielle Kompensation für entgangene Abonnenteneinnahmen ein. Senioren werden vom Rundfunkbeitrag in Polen befreit. Da macht es schon Sinn, die Oma oder den Opa bei sich wohnen zu lassen, denn sie meldet dann den Fernseher an und dieser wird vom Rundfunkbeitrag befreit. Vor 2017 gab es keine Kompensation. Im Jahr 2017 betrug die staatliche Bezuschussung der Medien lediglich ca. 70 Mio. Euro, der Betrag verdoppelte sich vom Jahr zu Jahr bis 2019.

In den Jahren 2020 – 2022 wurden PR und TVP vom Staat mit ca. 450 Mio. Euro jährlich bezuschusst und im Jahr 2023 dann mit 623 Mio. Euro. Die staatliche Unterstützung der polnischen öffentlich-rechtlichen Medien könnte es noch einmal im Jahr 2024 geben, um die Verbindlichkeiten zu bedienen. Langfristig soll jedoch die Anzahl der Programme reduziert werden. In Polen wird gewitzelt, dass mehr staatsfinanzierte Programme als TVP nur das chinesische Fernsehen hat.

Polskie RadioNeuer Vorstand bei Polskie Radio wurde Paweł Majcher, der die gleiche Funktion bei Radio Wrocław innehatte, zu seinem Stellvertreter wurde Juliusz Kaszyński ernannt. Paweł Majcher löst die entlassene Geschäftsführerin Agnieszka Kamińska ab.

Als die PiS die Wahlen im Jahr 2015 gewann, hatte das erste Hörfunkprogramm von Polskie Radio noch einen Marktanteil von 9,5 %, heute sind es 5 %. Das Dritte Hörfunkprogramm verlor um sechs Prozentpunkte von 7,8 % auf 1,8 % im gleichen Zeitraum.


Update vom 12.01.2024

Polskie Radio, TVP und die 17 regionalen Hörfunkprogramme in den 16 Wojewodschaften werden aus Abonnement und Werbung finanziert. Die Aufgabe der deutschen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) übernimmt in Polen die Landesmedienanstalt KRRiT. Die Rundfunkanstalten melden ihren Finanzbedarf für fünf Jahre an. Korrekturen bezüglich des Auftrags, neuer Projekte und des Finanzbedarfs werden nachgereicht und von der KRRiT bewilligt. In den letzten Jahren wurden Finanzbedarfe auch bewilligt ohne eine finanzielle Deckung.

Zwei Mitglieder des fünfköpfigen Rates der KRRiT werden vom Parlament in das Gremium entsandt, zwei vom Präsidenten und einer von der zweiten Kammer – dem Senat. Die Wahl neuer Mitglieder erfolgte zwischen August und Oktober 2022. Die Mehrheit im Parlament stellte die PiS, das Herz des Präsidenten schlägt auch für diese Partei, deshalb werden vier von fünf KRRiT-Mitgliedern als PiS-nah angesehen. Das wird gleich noch einmal wichtig. Nur im Senat stellte zu diesem Zeitpunkt die damalige Opposition eine knappe Mehrheit der Abgeordneten und entsandte Prof. Tadeusz Kowalski in den Rat der KRRiT. Kowalski erklärte die finanzielle Lage der öffentlichen Medien bei Radio Zet.

Alle öffentlichen Medien in Polen haben einen Finanzbedarf für 2024 in Höhe von umgerechnet ca. 1,08 Milliarden Euro angemeldet. Gleichzeitig meldeten sie Verluste von ca. 691 Mio. Euro an, in der Erwartung der Staat würde die Verluste übernehmen. Die Anstalten prognostizierten eigene Einnahmen in Höhe von ca. 238,1 Mio. Euro. Jede öffentliche Rundfunkanstalt weist ein enormes Defizit auf, moniert Kowalski und bemängelt, dass neue Aufgaben in die Pflichthefte geschrieben werden, ohne jegliche Analyse, ob sie ihren Zweck erfüllen. Als Beispiel nennt er den neuen linearen Fernsehkanal „Alfa TVP“ für 10- bis 12-Jährige. Untersuchungen zeigen, dass diese Generation nur im geringen Masse lineares Fernsehen nutzt. Einen linearen Kanal für diese Generation zu startet, hält der Medienwissenschaftler für Gebühren-Verschwendung und plädiert für ein Angebot auf YouTube.

Die öffentlichen Medien erfüllen seit acht Jahren ihren Auftrag nicht und haben die Bestimmungen des Rundfunkgesetzes nicht eingehalten. Ich denke hier an Unparteilichkeit, Ausgewogenheit und solche Grundprinzipien. Das Subventionswachstum übersteigt das Inflationsniveau deutlich. Von den 14 Millionen Haushalten zahlt nur eine halbe Million (8 %) die Rundfunkgebühr, sagt Kowalski.

Heute finanzieren wir die öffentlichen Medien über Staatsschulden, denn was sind Schatzwechsel? Das sind Staatsschulden. Im vergangenen Jahr erhielten die Anstalten Subventionen in Höhe von 622 Mio. Euro in Form von Schatzwechseln und verkaufen diese auf dem Finanzmarkt, um ihrer Aufgaben erfüllen zu können. Radio Gdańsk führt die Schatzpapiere in Höhe von 1,8 Mio. Euro in seinem Bericht auf, bei Radio Łódź werden Anleihen in Höhe von 2,3 Mio. Euro erwähnt. Die regionalen Hörfunkanstalten beziffern ihren Finanzbedarf pro Jahr und Anstalt auf 3,5 bis 5,5 Mio. Euro.

Neue audiovisuelle Abgabe geplant

Schon vor dem Amtseintritt der PiS-Regierung vor 8 Jahren wurde ein Konzept für eine neue audiovisuelle Abgabe entwickelt. Die Abgabe in Höhe von 2 – 3 Euro pro Monat sollte mit der Einkommen-, Unternehmenssteuer und über die landwirtschaftliche Sozialversicherungskasse eingezogen werden. Die Pläne blieben in der Schublade, umgesetzt wurde nichts.

Auszahlung des Abonnements ausgesetzt

Am 10. Januar beschloss die KRRiT die Auszahlung des Abonnements an die Rundfunkanstalten auszusetzen. Am 18. Oktober 2023 wurden die Termine für die Überweisung für das Jahr 2024 festgelegt. Statt am 11. und 22. Januar sollen die ersten Mittel erst am 12. Februar fließen. Pro Überweisung werden Mittel in Höhe von umgerechnet 8,75 Mio. Euro den Anstalten vorenthalten. Die KRRiT begründet die Entscheidung mit der Vorbereitung eines neuen Mechanismus für die Auszahlung, denn die Anstalten wurden in den Zustand der Liquidation versetzt. Die Mittel sollen nur an Anstalten fließen, bei denen die Liquidation in das polnische Handelsregister KRS eingetragen wurde. Es soll sichergestellt werden, dass die Mittel ausschließlichen zur Erfüllung öffentlicher Pflichtaufgaben im Rahmen des Liquidationsverfahrens verwendet werden.

Erstes Angebot für ein Regionalradio

Der kommunale Verband „Metropole Oberschlesien-Kohlenbecken“ und die Stadt Katowice (Kattowitz) wollen Radio Katowice übernehmen. Der 41 Städte zählender Verband und auch die kreisfreie Stadt bestätigten der polnischen Presseagentur PAP, dass sie einen Brief an den Minister für Kultur und nationales Erbe Bartłomiej Sienkiewicz gerichtet haben. Die Verfasser betonen, dass ihnen der Erhalt und die Weiterentwicklung des Senders wichtig ist, weil Radio Katowice die regionale Kultur, die lokale Identität und den Erhalt der schlesischen Sprache fördert. Am 8. Januar informierte das Ministerium, dass das zuständige Gericht die Eröffnung der Liquidation von Radio Katowice in das Handelsregister eingetragen hat.

Die KRRiT reagierte kurzfristig auf den PAP-Bericht. Ihre Mitglieder lehnen den Verkauf von Radio Katowice entschieden ab. Die Medienaufsicht droht mit einer Klage, wenn die Rundfunkanstalt veräußert würde. Die Vermögenswerte von Polskie Radio und TVP stellen ein öffentliches Gut dar. Der Verkauf öffentlicher Medien verstößt gegen das öffentliche Interesse, teilte die KRRiT mit und beruft sich auf die Verfassung, nach der sie die Meinungsfreiheit, das Recht auf Information und das öffentliche Interesse an Rundfunk- und Fernsehsendungen schützen soll. Kommentatoren bescheinigen der KRRiT Realitätsverlust, denn auch die kommunale Verwaltung ist ein Teil des Staates. Der Verkauf vom Staatseigentum fände somit gar nicht statt.

Weitere Sender „in Liquidation“

Das zuständige Gericht ergänzte den Handelsregistereintrag von Radio Gdańsk um den Begriff „in Liquidation“. Am 10. Januar wurden die Insolvenzverwalter von Radio Katowice, Radio Łódź und Radio Szczecin bestimmt.

Quellen: