Hörer und Zuschauer, die am Mittwoch (10.2.) ihr Radio oder ihren Fernseher in Polen eingeschaltet haben, hörten auf vielen Sendern die gleiche Ansage, Internetportale hüllten sich in Schwarz und veröffentlichten einen offenen Brief, den 47 polnische Medienunternehmen unterzeichnet haben. Grund für ihren Protest ist eine geplante Werbeabgabe, die das Finanzministerium gerade konsultiert. Als Vorbild gelten Frankreich, Österreich und Ungarn.
Medienunternehmen sprechen vom „Schutzgeldeintreibung“, das Finanzministerium vom Beitrag zur Corona-Bewältigung. Die Hälfte der Einnahmen solle verwendet werden zur Stärkung des nationalen Gesundheitsfonds, 15 Prozent fließt in den Denkmalschutzfonds, der Rest ist bestimmt für einen neuen „Fonds zur Unterstützung von Kultur und nationalem Erbe im Medienbereich“.
Der Protest sieht bei jedem Radiosender anders aus. Während die Sender der überregionalen Agora Radiogruppe und einige kleine Radiostationen, wie Radio Kołobrzeg und Weekend FM in Chojnice, eine Ansage als Dauerschleife ausstrahlen, wirkt das Programm des landesweiten RMF FM zuerst völlig normal, doch das einzige Thema im Programm ist der Streik. Es werden Originaltöne aus Umfragen eingespielt und Musiker interviewt. Bei der Jugendwelle RMF Maxxx verglichen die Moderatoren Ania Wojtkowiak und Artur Fiałkowski den Tag mit dem 13. Dezember 1981, an dem in Polen das Kriegsrecht ausgerufen wurde. An dem Tag erklärte der Vorsitzender der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei Wojciech Jaruzelski in einer Fernsehansprache die Verhängung des Kriegsrechts. Die Bilder brannten sich in das Gedächtnis aller Polen ein, weil die Ansage als Dauerschleife gezeigt wurde. Daran knüpfen heute einige Sender an und rufen die kollektive Erinnerung ab.
Die neue Abgabe soll erhoben werden von Außenwerbern, Kinobetreibern, Medienunternehmern, kommerziellen Rundfunkanbietern und Verlegern, die in Polen Werbeeinnahmen erzielen. Verleger sollen die Abgabe erst ab einer Höhe ihrer Werbeeinnahmen von umgerechnet 3,3 Mio. Euro im Jahr abführen, alle anderen Unternehmen schon ab ca. 223.000 Euro. Als Einnahme definiert das Gesetz alle Einnahmen abzüglich der Steuer auf Waren und Dienstleistungen. Erzielt ein Medienunternehmen Umsatzerlöse von weniger als 11 Mio. Euro, beträgt die Abgabe 7,5 Prozent, liegen die Erlöse darüber werden 10 Prozent fällig. Werden Werbeeinnahmen mit Medizinprodukten, Nahrungsergänzungsmitteln und Getränken mit Süßstoffen erzielt, werden 10 Prozent und ab 11 Mio. Euro Umsatzerlös 15 Prozent fällig. Für Verleger gelten geringere Prozentsätze, dafür sind diese schon ab 6,7 Mio. Euro zu entrichten.
Für Internetwerbung gelten andere Regeln. Erzielt die Unternehmensgruppe eines Dienstleisters weltweit Umsatzerlöse in Höhe von 750 Mio. Euro pro Jahr und in Polen von 5 Mio. Euro, werden 5 Prozent der Abgabe fällig. Hierbei orientiert sich Polen an der französischen Digitalsteuer, die ebenfalls ab einem Mindestumsatz von mindestens 750 Millionen Euro weltweit und 25 Millionen Euro Mindestumsatz auf dem französischen Markt fällig wird. Während die Regelung in Frankreich Tech-Konzerne treffen sollte, hat der Gesetzentwurf in Polen nur wenig mit einer Digitalsteuer gemeinsam, denn auch polnische Hörfunkveranstalter und Presseverleger sind von der geplanten Steuer betroffen.
Medien- und Werbeunternehmen gemeinsam gegen das Gesetz
Das neue Gesetz sei schädigend für die Werbewirtschaft urteilt die polnische Sektion des Wirtschaftsverbands der Onlinewerbebranche IAB. Betroffen von dem Gesetz seien nicht nur „globale Player“, sondern auch lokale Unternehmen, die schon durch die Corona-Krise gebeutelt sind. Der Verband befürchtet, dass die Abgabe mehrfach berechnet werde, denn an einigen Werbeformen verdienen mehrere Unternehmen. Die Preise für Werbung werden steigen und somit auch die Preise für alle Produkte. Betroffen seien auch 100.000 Angestellte der Werbewirtschaft, deren Arbeitsplätze gefährdet werden. Der Verband befürchtet auch Folgen für Journalisten, denn der Print-Bereich befindet sich in einem Transformationsprozess. Diese zusätzliche Belastung kann zum Todesstoß für die lokale Presse werden.
Die Kammer der Presseverleger teilt mit, dass die Verleger verunsichert sind. Durch die Pandemie sind ihre Werbeerlöse um 50 % geschrumpft und die Auflagen gesunken. Der Staat solle nicht ihre Werbeeinnahmen umverteilen, sondern die Medien unterstützen bei der Stabilisierung ihrer Einnahmen, damit diese mit der Einkommen-, Körperschaft- und Mehrwertsteuer den Staatshaushalt noch stärker unterstützen können. Die zusätzliche Steuer werde die Abwanderung der Werbekunden ins Internet beschleunigen. Die Werbeausgaben der polnischen Unternehmen werden sinken. Dies bedeutet einen Rückgang der Haushaltseinnahmen aus der Mehrwertsteuer, teilen die Verleger mit.
Umverteilung der Einnahmen
Der „Fonds zur Unterstützung von Kultur und nationalem Erbe im Medienbereich“ solle die Gesellschaft über Gefahren der Nutzung von Medien aufklären, insbesondere der digitalen Medien. Es sollen mehrere staatliche Plattformen zur „Informationsverteilung“ aufgebaut werden, die die digitalen Kompetenzen ihrer Nutzer berücksichtigen. Auf den Plattformen sollen Inhalte aus dem Internet, dem Rundfunk und Fernsehen gebündelt werden. Alle Medieninhalte sollen einer Analyse unterzogen werden. Nach welchen Kriterien die Inhalte kuratiert werden, steht nicht im Gesetz und der Betreiber dieser Plattformen werden nicht benannt. Es bestehe die Gefahr, dass der Staat mit Eigenbetrieben wie dem Mineralölkonzern PKN Orlen eine alternative Presse aufbaut und mit Abgaben stützt. PKN Orlen hat den Pressedistributor RUCH mit 1.200 Kiosken und umfangreichen E-Commerce-Lösungen übernommen, sowie 20 Regionalzeitungen von der Verlagsgruppe Passau gekauft. Das Amt für Konkurrenz- und Verbraucherschutz UOKiK genehmigte die Übernahme am 5. Februar 2021.
Der offene Brief
Während Ministerpräsident Mateusz Morawiecki von einer gerechten Besteuerung der „digitalen Giganten“ spricht, haben bis dato 47 Unternehmen einen offenen Brief an die Regierung unterzeichnet, in dem sie von Schutzgelderpressung sprechen. Befürchtet werde der Rückzug einiger Unternehmer vom polnischen Markt. Die Refinanzierung interessanter Inhalte werde unmöglich. Das habe negative Auswirkung auf interessante aber auch lokale Angebote, glauben die Unterzeichner.
Während die öffentlich-rechtlichen Medien in Polen mit 446 Mio. Euro jährlich aus dem Staatshaushalt bezuschusst werden, sollen kommerzielle Medien zusätzlich mit 200 Mio. Euro belastet werden. Die Verteilung der Belastung fällt ungleich auf, umgerechnet 22 Mio. Euro entfallen auf die Tech-Giganten, währen polnische Unternehmen mit 179 Mio. Euro zusätzlich belastet werden. Diese zahlen neben den üblichen Steuern auch Gebühren für Frequenzen und Verwertungsgesellschaften, Konzessionsgebühren für Hörfunk und Fernsehen und eine Video On Demand-Abgabe. Die Unterzeichner glauben, die Pandemie werde nur als Vorwand genutzt, aber noch lange nach der Pandemie in Kraft bleiben. Zu den Unterzeichnern gehören u.a. die Mediengruppen: Agora (Gazeta Wyborcza) und ihre Radiogruppe (u.a. Złote Przeboje), Burda Media Polska (RMF FM & Presse), Canal+, Eurozet (Radio Zet), Polska Press, Ringier Axel Springer Polska (Newsweek, onet, Fakt), Wirtualna Polska, Kinobetreiber, Werbeunternehmen, lokale Zeitungsverlage, sowie die Fernsehsender: Kino Polska TV, Polsat, Puls, Superstacja, TVN und TTV, TVT uva.
Überrascht zeigt sich indes der IAB über den Zeitpunkt, denn parallel zu Konsultationen verhandeln die EU und der OECD eine Digitalsteuer.