Große Umfrage zu aktuellen  Musiktrends im Radio Teil 1

Große Umfrage zu aktuellen Musiktrends im Radio (Bild: ©kzenon/123RF.com)

„2021 war in der Retrospektive kein wirklich spannendes Pop-Jahr“

The Trend is your Friend! Wie entwickelt sich die Musik im Radio? RADIOSZENE stellte hierzu Musikverantwortlichen deutscher Hörfunkstationen folgende Fragen:

  1. Welches waren in 2021 die angesagten Musiktrends im Radio in Ihrem Sendegebiet?
  2. Werden sich diese Richtungen fortsetzen oder sind bereits neue Trend in Sicht?
  3. Welche Bedeutung hat in Ihren Planungen deutsche/deutschsprachige Musik?
  4. Welche(s) war(en) für Sie im letzten Jahr der/die hoffnungsvollste(n) Newcomer/in?

MusicMaster

Die Antworten der Macher aus den Musikredaktionen lieferten große Vielzahl interessanter Hinweise auf die aktuellen und kommenden Musikströmungen. Wegen der hohen Beteiligung durch zahlreiche Entscheidungsträger veröffentlichen wir die Antworten in mehreren Etappen:


 

„Die Trends kommen erst wieder, wenn Corona nicht mehr die übergeordnete Rolle spielt“

 

Gregor Friedel, SWR3, Musikchef

Gregor Friedel (Bild: @SWR3/Kirsten Klumpp)1) Ganz ehrlich – durch diese ganze Corona-Situation hat sich – zumindest in meiner Wahrnehmung – nichts oder zumindest nicht viel Neues getan. Ich habe den Eindruck, dass alle einen Status Quo leben und alle die Startlöcher suchen, damit wieder mal was losgehen kann. Aber im vergangenen Jahr? Der 80s Trend wurde halt fortgeschrieben. Persönlich habe ich mich darüber gefreut, dass zum Beispiel mit Mael und Jonas oder von Shuko klasse neue Songs aus unserem Sendegebiet gekommen sind und wir diese Künstler entsprechend unter „#zusammenhalten“ unterstützen konnten.

2) Siehe oben – die Trends kommen nach meiner Ansicht erst wieder, wenn Corona nicht mehr die übergeordnete Rolle spielt.

3) Dieselbe wie immer. Ich habe auch kein Verständnis für Sender, die sagen „wir spielen keine deutsche Musik mehr“ und dann jede deutsche Künstlerin und jeden deutschen Künstler anfragen, sobald es um O-Töne, Adventskalender, Off-Air-Veranstaltungen oder ähnliches geht. Entweder man arbeitet auf Augenhöhe zusammen, oder man lässt es bleiben. Würde ich übrigens den Künstler*innen empfehlen, wenn sich wieder jemand meldet, der sie nicht spielt. Ja, es ist richtig, dass deutschsprachige Musik zurzeit nicht so gut testet, wie das vor zwei, drei Jahren der Fall war. Aber so dramatisch, dass man überhaupt keine deutschen Titel mehr spielt? Wer entscheidet denn so etwas? Externe Berater? Wozu braucht man dann noch Musikchefs? Ich finde diese Debatte derzeit etwas schwierig. Für uns gilt das, was auch bei allen anderen Genres (und ich werte „Deutschpop“ als Genre und nicht als „Sprache“) gilt: ist der Song gut und passt er zu uns, spielen wir ihn. Ist er nicht gut oder passt nicht zu uns, spielen wir ihn nicht.

4) Das Wort „NewcomerIn“ ist ja ein bissl „schwierig“, aber ich kann sagen, dass mir Griff, Lola Young und Joy Crooke im vergangenen Jahr sehr viel Freude bereitet und Neugier auf mehr gemacht haben, aber vermutlich mit dem Label „Newcomerin“ eher nicht glücklich wären.


 

„Sicher ist jedoch, dass TikTok und SocialMedia im Allgemeinen in Zukunft für viele musikalische Überraschungen sorgen werden“

 

Niklas Gruse, RADIO FFN, Leiter Musikredaktion

Niklas Gruse radio ffn rund1) Viele erfolgreiche Stars nutzten in ihren Songs Sounds der 80er und 90er und erschufen so neue Hits mit einem vertrauten Klang. Gute Beispiele sind hier The Weeknd oder Dua Lipa und Elton John, die aus dem Repertoire von Elton John einen komplett neuen Song kreiert haben. Darüber hinaus hat der Trend zu Popdance (EDM) angehalten und hat die Musik im Radio lange dominiert. Genauso wie Ed Sheeran – der es geschafft hat, sich mit jeder neuen Single neu zu erfinden und aus dem Radiojahr 2021 nicht wegzudenken ist.

2) „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen …“ (Mark Twain). Ob sich Trends fortsetzen oder auslaufen, ist immer abhängig von der Qualität der neuen Songs. Solange es die Künstler schaffen im angesagten Klangbild neue Hits zu komponieren, die begeistern können, hält der Trend an.
Eher kurz waren einige TikTok Musiktrends – ich glaube nicht, dass wir in der nächsten Zeit noch viele Sea Shanties im Radio hören werden…
Sicher ist jedoch, dass TikTok und Social Media im Allgemeinen in Zukunft für viele musikalische Überraschungen sorgen werden.

3) Deutsche Musik ist und bleibt für uns sehr wichtig, da wir hier mit tollen Künstlern gut und gerne zusammenarbeiten und wir uns gegenseitig beflügeln. Nur so konnten wir im vergangenen Jahr (trotz Corona) schöne Konzerte und Aktionen veranstalten.
Bei der deutschsprachigen Musik ist es ähnlich. Viele unserer Hörer lieben diese Songs und jeder versteht die Texte – so schaffen es die Stars besonders gut die Emotionen zu transportieren. Leider neigt deutschsprachige Musik auch dazu, sehr schnell zu polarisieren und die Künstler müssen aufpassen, dass ihre Songs nicht zu stark nach Schlager klingen …

4) Leony, Zoe Wees, Olivia Rodrigo sind sicherlich die bekanntesten Namen, die man hier nennen muss. Begeistert hat uns die Kanadierin Laurell, die sich schon als Songwriterin einen Namen gemacht hatte und im letzten Jahr ihre eigene Single „Habit“ veröffentlicht hat. Wir haben früh an ihren Erfolg geglaubt und lagen richtig: Unsere Hörer lieben den Song nach wie vor und wir sind gespannt, wie es mit Laurell weitergeht …


 

„Die Hörer sehnen sich nach positiven Vibes“

 

Liliana Kissimov, 94,3 rs2, Musikverantwortliche

Liliana Kissimov (Bild: © 94,3 rs2)1) 2021: „Berlin ist so musikalisch bunt wie noch nie. Echte Abwechslung, die du auch wirklich hörst!“ Der Club-Sound ist im Mainstream-AC-Programm angekommen: Shouse, Tinlicker & Helsloot, Riton x Nightcrawlers. Deutschsprachige Musik verliert weiterhin an Gewicht, trotzdem sind die großen Künstler dabei. Extrem starke Comebacks gibt es von Adele und Ed Sheeran, der mit seinem Album „=“ Dance für sich entdeckt hat. Andere Künstler haben sich mit DJs zusammengetan, wie zum Beispiel Meduza x Hozier, Robin Schulz x Dennis Lloyd, Alesso x Katy Perry. Dua Lipa und Ava Max dominieren weiter mit Frauenpower. Blinding Lights von The Weeknd wird zum erfolgreichsten Song aller Zeiten und bestätigt damit die Beliebtheit des 80er Synthie-Sounds. Die wohl ungewöhnlichste Kollaboration zweier weltbekannter Bands: Coldplay x BTS. Und „Iko Iko“ ist der gefühlte Sommerhit 2021. Nicht zu vergessen der TikTok Hit des Jahres „Friendships“ von Pascal Letoublon; lange war ein Instrumental nicht so erfolgreich. Überrascht hat uns Pop-Legende Elton John, der es mit Dua Lipa „Cold Heart“ und Ed Sheeran „Merry Christmas“ in die Charts geschafft hat. Am meisten gespielt haben wir „Cover Me In Sunshine“ von P!nk und ihrer Tochter Willow – die Hörer sehnen sich nach positiven Vibes.

2) Dass aktuelle Künstler immer mehr den 80er Sound in ihre Musik einbinden, sehen wir schon länger und setzt sich weiter durch (The Weeknd, Dua Lipa, Purple Disco Machine, …). Vielversprechend ist „I Can Feel It“ von der Neuentdeckung Sickick – ein MashUp Hit aus großen Phil Collins und Michael Jackson Hits. Das könnte ein Trend werden.

3) Deutschsprachige Musik hat zwar nicht mehr solchen großen Anteil wie vor zwei Jahren, ist aber nach wie vor fester Bestandteil des Programms. Beliebt bei unseren Hörern waren vor allem „Wer wenn nicht wir“ von Wincent Weiss, „Willkommen Zurück“ von Clueso und Andreas Bourani und „Drei Uhr Nachts“ von Mark Forster x LEA.

4) Shouse schafft es mit „Love Tonight“ den Club-Sound ins AC-Radio zu bringen. Olivia Rodrigo bricht mit „Drivers License“ alle Streaming-Rekorde. Nathan Evans landet mit „Wellerman“ den größten viralen Hit. Purple Disco Machine liefert sich mit den Avataren von ABBA ein Disco-Duell. Und der ESC beschert uns 2021 mit Måneskin eine globale Nummer 1 und bringt den Rock zurück ins Radio.


 

„Samplebasierte Sounds werden auch weiter hoch im Kurs stehen“

 

David Banks, RPR1., Musikredaktion

David Banks (Bild: ©RPR1)

1) Weiterhin ungebrochen war die Verwendung von Samples früherer Tage – und das quer durch alle Genres. Rewrites oder Cover bereits bekannter Songs waren an der Tagesordnung. Soundtechnisch haben vor allem in der Popmusik die 80er Jahre weiter zugenommen. Auch Titel, die nicht explizit Samples früherer Songs enthielten, waren in ihren Produktionen und verwendeten Sounds eng an das Jahrzehnt angelehnt. Spannend zu sehen war, dass es immer wieder auch Titel aus dem viralen Kosmos bis ins deutsche Radio geschafft haben. „Without you“ von The Kid Laroi oder „Friendships“ von Pascal Letoublon sind hier gute Beispiele – ursprünglich vor allem auf Plattformen wie TikTok zu weltweiter Verbreitung gekommen, schafften es beide Titel in die Rotationen nicht nur von CHR, sondern auch AC-Formaten. An Gewicht verloren hat weiterhin deutschsprachige Musik. Die entsprechenden Titel hatten es im regulären Tagesgeschäft schwer, sich nachhaltig durchzusetzen.

2) Samplebasierte Sounds werden auch weiter hoch im Kurs stehen. Neben den beliebten Themen aus den 80er und 90er Jahren werden auch solche aus den frühen 2000ern vermehrt eine Rolle spielen. In der elektronischen Musik ist diese Entwicklung schon seit einiger Zeit wahrzunehmen und wird auch in der Popmusik aufgegriffen werden. Das ist insoweit konsequent, weil Titel dieses Jahrzehnts einer breiten Hörerschaft bekannt sind und den Zugang zu neuer Musik erleichtern. Auch die Adaption von Themen aus dem viralen Umfeld wird weiter zunehmen. Dank Künstlern wie Purple Disco Machine schaffen es auch an 70er Jahre Disco angelehnte Sounds, sich regelmäßig in den APC zu platzieren. Dies war zuletzt in den späten 90er und frühen 2000er Jahren mit Projekten wie Phats & Small, Daft Punk oder Phil Fuldner der Fall; dieser Trend könnte sich ebenfalls verfestigen. Ob sich die „Talfahrt“ der Akzeptanz deutschsprachiger Musik weiter fortsetzt, bleibt abzuwarten. Wir sind der Meinung, dass die Talsohle hier noch nicht erreicht ist.

3) Hier gilt es, zwischen den deutschen Künstlern mit internationalen Texten und jenen mit deutschsprachigen Texten zu unterscheiden. Deutsche Künstler, die auf Englisch performen, wie zum Beispiel Michael Schulte, Nico Santos oder Leony, haben sich in der Vergangenheit in puncto Beliebtheit beim Hörer nicht vor den internationalen Künstlern verstecken müssen und finden in unserem Tagesgeschäft regelmäßig in den Power-Kategorien statt. Deutschsprachiger Musik geben wir immer wieder Raum, zumindest auf Vorstellungsebene, sind uns aber natürlich den Herausforderungen für die Akzeptanz bewusst. Mit unserem Format „Liedergut – Music made in Germany“ schaffen wir es zuverlässig, deutscher und vor allem auch deutschsprachiger Musik eine Plattform als Special Interest-Format zu geben. Die Entwicklung in Reichweite und Beliebtheit dieses Formats, die Rückmeldungen der Hörerinnen und Hörer und der Industrie zeigen uns, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind. Diesen Beitrag zur Stärkung der deutschen Musikszene leisten zu können macht uns stolz, deswegen werden wir ihn mit aller Kraft weiterverfolgen.

4) Wie sich 2020 schon abzeichnete, hat Zoe Wees ihren Platz in der Reihe der jungen deutschen „Must-watch Artists“ bestätigt. Daneben konnte auch Leony erste Achtungserfolge verzeichnen und war sehr präsent. Die weitere Entwicklung von Olivia Rodrigo beobachten wir gespannt. Auch junge Songwriter wie The Kid Laroi oder Tom Grennan haben uns positiv überrascht. Nicht zuletzt haben auch die kreativen Producer/DJs wie Glockenbach und Purple Disco Machine überzeugt und werden das sicher weiterhin tun. Vor allem bei Letzterem ist der Schritt vom bereits seit Jahren anerkannten DJ/Producer im elektronischen Genre hin zum Mainstream Radio-Artist beachtenswert.


 

„Moderne melodische Popsongs sind hoch im Kurs“

 

Robert Morawa, BAYERN 3, Musikchef 

Robert Morawa1) + 2) Moderne melodische Popsongs sind hoch im Kurs bei unserer Hörerschaft. Songs von P!nk, The Weeknd, Tom Grennan, Ed Sheeran, Adele, Milky Chance, Dua Lipa uvm. Auch Dance-Pop ist nach wie vor sehr beliebt. Acts wie Topic, Robin Schulz, Lost Frequencies, Ava Max oder Tiesto hatten große Hits bei unserem Publikum gelandet. Wir sehen hier auch gerade keine größere Trendwende.

3) Nach wie vor stellen wir fest, dass das BAYERN 3-Radiopublikum sich mit deutschsprachiger Popmusik schwertut und nicht mehr so viele Songs zu Lieblingstiteln werden. Produktionen aus Deutschland laufen hingegen sehr erfolgreich in BAYERN 3. Siehe auch Musiktrends und Newcomer.

4) Leony, Olivia Rodrigo, Luna, Glockenbach. Drei von ihnen – Leony, Luna und Glockenbach – kommen aus Bayern.


 

„Rock ist nicht ganz so tot, wie oft gerne oft behauptet wird“

 

Thorsten Sutter, radio NRW, Musikredaktion

Thorsten Sutter (Bild: ©RadioNRW)

1) War was außer „Wellerman“? 2021 war in der Retrospektive kein wirklich spannendes Pop-Jahr. König ED beherrscht immer noch nahezu konkurrenzlos die Popwelt. ADELE gibt ihren zahllosen Fans mehr von demselben. Ansonsten nimmt der 80er-Flashback kein Ende, THE WEEKND rennt zurück in die Zukunft und alle von DUA LIPA bis MARK FORSTER rennen mit. Rock ist nicht ganz so tot, wie oft gerne oft behauptet wird, Acts wie OLIVIA RODRIGO zeigen, dass gute Songs mit Attitüde wie „Good 4 u“ immer noch funktionieren.

2) GAYLE bestätigt den „Rodrigo-Effekt“ und räumt gerade mit „abcdfu“ ziemlich ab, ansonsten wird die Popmusik insgesamt gerade bunter, diverser und mutiger, was Hoffnung macht. Und wir alle hoffen natürlich auf das Ende einer langen Durststrecke und dass mit dem Erwachen des kulturellen Lebens auch die Popmusik neue Impulse bekommt.

3) Deutsche oder in Deutschland ansässige Künstler nehmen mittlerweile einen großen Platz in unserer Planung ein und bestehen mühelos den internationalen Vergleich. Aus diesem Selbstbewusstsein entstammen Acts wie NICO SANTOS, ZOE WEES und viele mehr, die das gerade eindrucksvoll und immer mehr beweisen. Erfreulicherweise übernehmen die Frauen auch in der deutschsprachigen Popwelt gerade die Führung. Dass LEA als meist-gestreamte Künstlerin 2021 noch vor TAYLOR SWIFT und BILLIE EILISH liegt, ist da ein klares Statement und die nächste spannende Generation wie z.B. ESTHER GRAF oder ALLI NEUMANN steht schon in den Startlöchern. Allerdings scheint das „klassische“ Deutsch-Pop-Genre insgesamt aber den Zenit momentan etwas überschritten zu haben – die Polarisierung nimmt jedenfalls signifikant zu. Auch unsere lokalen Acts gewinnen zunehmend an Bedeutung – das bevölkerungsreichste Bundesland ist voll mit spannenden und hochtalentierten Künstlern, denen wir gerne eine Chance geben.

4) Die Karriere von ZOE WEES ist gerade ziemlich beeindruckend, LEONY hat sicher eine große Zukunft, KYLE PEARCE ist vielversprechend. International bringen OLIVIA RODRIGO und THE KID LAROI einiges an Substanz mit – da kommt sicher noch mehr.


 

Nach wie vor ist Rhythmischer Pop bei unseren Hörern mega beliebt, während ‚härtere‘ Dance Beats nicht mehr ganz so prächtig funktionieren

 

Tanja Ötvös, Radio Hamburg, Musik-Verantwortliche

Tanja Ötvös1) Nach wie vor ist Rhythmischer Pop bei unseren Hörern mega beliebt, während „härtere“ Dance Beats nicht mehr ganz so prächtig funktionieren. Dieser Trend ist ja auch an den produzierenden DJ’s zu erkennen, die mittlerweile ja auch kaum noch harte Beats verwenden, sondern sehr melodiösen rhythmischen Pop veröffentlichen und sich damit auch regelmäßige Plays bei den Radiosendern sichern.

2) Insgesamt wird sich der Trend fortsetzen, weg von den Beats hin zu mehr DancePop. Auch reine Popmusik erlebt bei unseren Hörern eine wenn auch langsame Renaissance.

3) Deutschsprachige Popmusik polarisiert bei unseren Hörern, daran hat sich nichts geändert. Im Rahmen unserer abendlichen Musik Wunschsendung und in unserer Chartsendung spielen wir aber durchaus deutschsprachige Titel. Außerdem bieten wir unseren Hörern zwei deutschsprachige Streams: Einen Schlager- und einen Pop Stream.

4) Soweit man Zoe Wees noch als Newcomerin bezeichnen mag, freue ich mich sehr über den Erfolg unserer Hamburgerin. Für mich ist sie eine der hoffnungsvollsten neuen Talente. Überhaupt konnten im vergangenen Jahr einige deutsche NewcomerInnen Hits bei unseren Hörern landen wie zum Beispiel auch Leony mit „Faded Love“ und auch Purple Disco Machine scheint sich weiter als Hitproduzent durchzusetzen.


 

Je mehr Synthies und Drumcomputer, ein bisschen Kitsch und Klischee, desto größer der Hit

 

Daniel Simarro, SR 1, Leiter der Programmgruppe Musik und Unterhaltung Programmbereich Pop-Unit

Daniel Simarro (SR1)1) Was The Weeknd Ende 2019 im Popgeschäft losgetreten hat und seither viele Genres durchquert – nicht umsonst für mich einer der innovativsten Künstler des Jahrzehnts – holt immer noch ganz viele Menschen verschiedener Altersklassen ab: der Achtziger-Sound. Internationalen, wie auch deutschen Stars, scheint es viel Spaß zu machen, die eigene musikalische Prägung in ihren Hits zu verarbeiten. Und der Markt feiert die nostalgische Anmutung. Teilweise ziehen wir das Fazit: Je mehr Synthies und Drumcomputer, ein bisschen Kitsch und Klischee, desto größer der Hit. Ein wirkliches Ende dieses Trends ist da erstmal (noch) nicht in Sicht – mein Bauchgefühl sagt mir allerdings, dass 2022 (vielleicht ebenfalls „nur“ recyclete, aber) andere Standards das Geschehen beherrschen und die Achtziger größtenteils ablösen werden. Spezielle Genres-Gewinner oder -Verlierer lassen sich keine benennen. Vielmehr ist die Machart der Songs entscheidend.

2) Ich vermute mal, die Musikindustrie selbst ist überrascht, wie gut die Achtziger-Trickkiste (immer noch) funktioniert. Nachdem sich jetzt aber schon die meisten Stars daran bedient haben, könnte ich mir vorstellen, dass dieses Jahr noch „größer“ gedacht wird. Die meisten Musikschaffenden haben ein gutes Gespür dafür, den Bogen nicht zu überspannen. Umso mehr könnte unter Umständen eine neue Experimentierfreude an den Tag gelegt werden: Andere Jahrzehnte werden vielleicht verarbeitet, neue Stile und Genres vermischt. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass ausgerechnet ein Shanty dieses Jahr so viele Menschen in seinen Bann zieht, sogar Hit des Jahres wird? Welches Label, welche Redaktion hätte sich da ran getraut, wenn die Netz-Community, wie so oft, nicht schon zuvor Tatsachen geschaffen hätte? Daraus kann ein neuer Mut entstehen. Vielleicht wird es auch das ein oder andere Comeback geben. Seit dem ABBA-Paukenschlag scheint ja alles im Bereich des Möglichen zu liegen. Nach meinem Dafürhalten, kann mit Nostalgie viel Nachfrage generiert werden – nicht nur im Hinblick auf die Musik. Wir beobachten das auch bei vielen anderen popkulturellen Phänomen: Fernsehshows, Mode et cetera. Exemplarisch dafür sind auch die vielen Achtziger-, Neunziger-, ja, inzwischen sogar Siebziger-Remakes, -Samples und -Coverversionen, wovor selbst die CHR-Formate nicht gefeit sind. Letztere werden meines Erachtens auch dieses Jahr noch zuhauf aufploppen.

3) Für SR 1 lautet die Devise: Maß und Mitte. Wir beobachten, dass deutsche Popmusik ausgesprochen hohe Akzeptanz beziehungsweise Nachfrage bei unseren Stammhörern genießt, sind uns aber auch bewusst, dass sie bei den Wechselhörern polarisieren kann. Deshalb freuen wir uns über neue Talente, die nachhaltig aufgebaut werden und neue Wege einschlagen, und halten gleichzeitig an den Hits der letzten Jahre fest, solange unser Publikum danach verlangt.

4) In der Gesamtbetrachtung, hatten es Newcomer 2021 nicht allzu leicht, weil sich so viele Megastars aus der Versenkung zurückgemeldet haben. Größen wie Ed Sheeran zum Beispiel oder auch Adele, Coldplay, Elton John (!) et cetera. – zum Glück konnte der Nachwuchs dann aber doch noch ein bisschen auf sich aufmerksam machen: Allen voran der Australier The Kid Laroi, der 2021 auch im deutschsprachigen Markt den Durchbruch geschafft hat. Oder die US-Amerikanerin Olivia Rodrigo, die gleich viele internationale Preise gewinnen konnte. Von diesen beiden werden meines Erachtens auch in 2022 große Sprünge nach vorne zu erwarten sein.
Ob der GfK-Hit-des-Jahres-Lieferant Nathan Evans an seinen Debüt-Überhit „Wellerman“ anknüpfen kann oder als One Hit Wonder in die Popgeschichte eingehen wird, bleibt abzuwarten. Sein Anschlusssong „Told you so“ blieb leider hinter den Erwartungen zurück und brachte keinen durchschlagenden Erfolg. Was den AC-Markt in Deutschland betrifft, sind wir der Annahme, dass Leony noch für den ein oder anderen Hit sorgen kann. Sie hat sich erfolgreich aus dem jungen Segment heraus in den Mainstream gesungen. Nicht unerwähnt sollten auch der inzwischen in Düsseldorf lebende Australier Kyle Pearce und der Deutsch-Amerikaner Myle aus Mannheim bleiben. Beide Singer-/Songwriter haben Talent, können hervorragend schreiben und singen und – nicht ganz irrelevant für den Durchbruch – haben ein starkes und nachhaltiges Netzwerk im Rücken.


Siehe auch: