Isabel Varell: „Die guten alten Zeiten sind jetzt“

Rezensiert von Hendrik Leuker

Isabell Varell die guten zeiten sind jetzt
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Mit „Die guten alten Zeiten sind jetzt“ legt Isabel Varell ihr zweites Buch vor, das soeben erschienen ist. Varell ist vielseitig im Mediengeschäft unterwegs als Fernseh-, früher auch Radiomoderatorin (Radio Luxemburg), Liedermacherin, Sängerin und Schauspielerin – die Allrounderin bewegt sich genauso sicher im Fernsehstudio wie in Musicals und auf der Theaterbühne, dem äußeren Eindruck nach. In diesem Buch geht es ihr gerade aber auch darum, sich ihre kleinen Unsicherheiten zuzugestehen – jene Momente also, die jeder schon erlebt hat, in denen einem das Herz in die Hose rutscht. Auch plädiert sie dafür, das Leben jeden Tag neu zu erfinden und dabei auch in ihrem Alter einmal „Flausen im Kopf“ haben zu dürfen. Varell macht aus ihrem 60. Geburtstag Ende Juli diesen Jahres kein Geheimnis.

Relativ am Anfang schildert Varell einen Nackt-Traum, eine – etwas abgegriffene – Parabel für das Sich beschäftigen mit Ängsten, die so gut wie jeder Künstler und Medienschaffender kennt, denen die Alltagsroutine oft fehlt (S.15). Varell, die vielseitig und wenig im künstlerischen Fach festgelegt ist, schildert eindrücklich, dass dieser Umstand auch nachteilig sein kann. Etwa wenn ein Regisseur ihr bei einem Boulevardstück das Ausfüllen ihrer Rolle nicht zutraut und sie respektlos anschreit, „Peitsche ohne Zuckerbrot“ nennt die Autorin diese Methode (S.30).

Varell lässt den geneigten Leser in diesem Buch immer wieder an ihrem Gefühlsleben teilnehmen und begründet dieses damit, dass Mitteilen wachsen heiße: „Wenn ich meine Geschichten mit euch…Ihnen…ach wir bleiben jetzt beim Du, oder? Also, wenn ich meine Geschichten mit euch teile, treffen sie vielleicht hier und da auf jemanden, der Ähnliches durchlebt, gefühlt, erlitten hat. Und das erleichtert mich. Und vielleicht auch euch?“ (S. 37). – Als Beispiel für das Gefühl, dass einem der Arsch schon einmal auf Grundeis gehen kann, wie sich die Autorin ausdrückt, für hohes Lampenfieber also, schildert sie ihre (Ablösungs-)rolle für die prominenten Spielorte im Musical „Hairspray“. Mittels ausgiebigen Choreografie Trainings meistert sie darin schließlich sogar eine anspruchsvolle Hebefigur (S. 65/66). 

Varell interessierte sich schließlich für ein Coachingtraining, nachdem sie beim Nachverhandeln eines unvorteilhaften Plattenvertrags vom eigenen Management brüsk überfahren wurde und sie einen „Kloß im Hals“ daraufhin in sich spürte (S.80/81).  – Gesagt, getan: Sie nahm also an einem Coachingtraining teil für Leute, die sich als Persönlichkeitscoach selbständig machen wollen. Eher aus allgemeinen Interesse. Dieses hat auch die Prägung der Persönlichkeit zum Gegenstand. Nämlich, dass man nicht so auf die Welt gekommen ist, wie man jetzt ist, sondern, dass uns Erfahrungen aus der Kindheit triggern (Reaktionen bei uns auslösen). Obwohl sie sich nicht allzu viel aus Psychokram macht, nimmt Varell diese Erkenntnis mit nach Hause: „Es gibt meiner Meinung nach nur eine einzig richtige innere Haltung, mit der wir alle unser Leben zufrieden genießen können: ,Ich bin okay – und Du bist okay`. Auf Grundlage dieses Denkens und Fühlens können wir alle mit Konflikten viel besser umgehen“ (S.100).

Isabel Varell (Bild: ©Annemone Taake)
Isabel Varell (Bild: ©Annemone Taake)

Im Leben einer Künstlerin, Moderatorin oder Schauspielerin ist in beruflicher Hinsicht nichts sicher. Das beschäftigt Varell an mehreren Stellen in ihrem neuen Buch. Sie vergleicht ihre berufliche Situation daher mit einem „möglichst lebenslangen Tanz auf dem Seil – ohne Netz und doppelten Boden“ (S.132).

Bei Moderatorinnen tickt oft eine innere biologische Uhr mit. Von daher war Varell erstaunt, als sie von ihrer Managerin Elke Krüger hörte, dass der WDR für eine neue Vormittagssendung im Ersten nach „Morgenmagazin“ und 9 Uhr-Tagesschau sie angefragt habe, obwohl sie eigentlich mit Ende Fünfzig – wie es hieß – noch zu jung für den Moderationsjob sei (S. 135). WDR- Redakteurin Niki Pantelous stellte sich nämlich für die neue Sendung eine möglichst generationenübergreifende Doppelmoderation eines Journalisten/ einer Journalistin mit einem Moderator/ einer Moderatorin vor. Varell schildert in ihrem Buch, dass Pantelous zunächst auch im persönlichen Gespräch nicht davon abrückte, dass sie nach ihrer Vorstellung eigentlich noch zu jung sei. Allerdings muss man für die Moderation von „Live nach Neun“, so der Name dieser Sendung, schon um fünf Uhr morgens aufstehen. Eine 70jährige Schauspielerin, die zunächst den Vorzug vor Varell bekam, kam mit dieser frühen Aufstehzeit nicht zurecht. So musste man umdisponieren, und Varell, gewissermaßen als „früher Vogel“ (S.138-142), bekam schließlich doch noch den Moderationsjob.

Varell plaudert in ihrem Buch aus dem Nähkästchen, dass die Zusammenarbeit mit wechselnden Duopartnern vor der Kamera Spaß mache, dass die Einschaltquoten nach mäßigem Beginn nun zufriedenstellend bis gut seien und von besonderen Momenten beim Moderieren, vom „Hodenthema“ bis zum „Putin-Moment“. Als letzteren bezeichnet Varell ihre Doppelmoderation mit Alina Stiegler, als beide den gleichen Gedanken hatten, als in einem Beitrag der belgische Sänger Helmut Lotti zu sehen gewesen war, nämlich, dass dieser Ähnlichkeiten mit dem umstrittenen russischen Präsidenten Wladimir Putin habe, der sich in Posen gern jung und sportlich gibt. Gewissermaßen, wie Varell es selbstironisch bezeichnet, „zwei Doofe ein Gedanke“ (S.165-S.167).

Varell ist sich bewusst, dass es durchaus Glück darstellt, mit angehend 60 Jahren in den Medien gefragt zu sein. Verfährt die Medienwelt doch oft nach dem Motto: „Frauen werden älter – Männer interessanter“. So kommt sie beim Schreiben ins Sinnieren : „Ich frage mich manchmal, wie lang das noch so geht. Nicht gesundheitlich oder seelisch, sondern altersmäßig. Wie lange lässt man mich das noch machen?“ (S.169). – Dennoch ist Varell im nächsten Moment auch wieder in der Lage, heiter und mit einem Augenzwinkern auf ihren nicht ganz geglückten gesanglichen Ausflug nach Mallorca auf dem „Ballermann“ Rückschau zu halten. Ein Engagement, das sie nach der Hälfte der geplanten Tour abbrach, als ihr die Stimme bei einem Auftritt versagte (S. 171-S.198).

Varell pflegt ihre Freundschaften zu gleichfalls Prominenten, wie der (ehemaligen) RTL-Moderatorin Birgit Schrowange (die das Vorwort im Buch schrieb), dem Entertainer Hape Kerkeling, der Sängerin und Schauspielerin Jenny Jürgens und Nicht- Prominenten wie zu Hannelore, einer Arzthelferin. Im Buch schreibt sie, dass der Diskurs über die Flüchtlingswelle und die Aufnahme von Flüchtlingen eine Freundschaft mit einer nicht näher konkretisierten Freundin auf eine harte Probe stellte und man sich gar eine Auszeit von einem halben Jahr voneinander nehmen musste (S.241).

Mein persönliches Fazit: Varells zweites Buch ist informativ, wirft einen Blick hinter die Kulissen, ist emotional, sogar intim, aber vor allem eines: authentisch! Insofern bleibt sich Varell treu, denn im authentischen Stil ist auch ihr erstes Buch „Mittlere Reife“ geschrieben, das im Jahr 2016 erschien, darin geht es unter anderem darum, dass sie mit ihrem Schulabschluss der Mittleren Reife Ende der 1970er Jahre die Erwartungen ihrer Mutter nicht erfüllen konnte, aber auch um ihre gescheiterte kurze Ehe mit dem Sänger Drafi Deutscher und was es ihr bedeutete in einem Hospiz ehrenamtlich zu arbeiten und an einem Marathon teilzunehmen. 

Was Medien angeht, stehen in „Mittlere Reife“ die erfolgreiche Teilnahme am „RTL-Dschungelcamp“ (2004, 2.Staffel, 2. Platz) und ihre Hauptrolle in der ARD-Telenovela „Rote Rosen“ (2009/2010) als Andrea Weller im Vordergrund.

Bibliografie

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