Nur eines darf nicht: Kein Witz gemacht werden

Bitter Lemmer | Nur eines darf nicht: Kein Witz gemacht werden

Annähernd jede populäre Radio-Morningshow hält sich für komisch. Aber die komischsten Themen kommen seit Jahren nicht mehr vor – weil die Redakteure sich als grüne Medienpartner verstehen statt Grüne zu verspotten. Und natürlich den Kanzler.

Olaf Scholz steht irgendwo bei einem offiziellen Herumstehchen. Die Kameras laufen. Alle heben Biergläser und führen sie zu Munde. Aber dann geht der Kanzler zu weit: Er nippt nicht nur symbolisch, sondern gönnt sich ein Schlücklein. Eine blondierte Gouvernante schreitet ein. „Wir sollten nicht trinken“, raunt sie dem Kanzler vorwurfsvoll zu. Leider ist das Mikrofon eingeschaltet. Man kann die Szene sehen und hören. Olaf scholzt zurück: „Das machen wir“. Dabei guckt er schlumpfig.

X Twitter severin tatarczyk Olaf scholz

In deutschen Radio-Morningshows wird vermutlich nie davon die Rede sein. Das ist bedauerlich. Ein paar Tage vorher war es Scholzens Auftritt vor einer Schulklasse, den das deutsche Comedy-Radio überhörte. Olaf Scholz sagte, er habe in der Schule als Leistungsfach Mathematik gehabt. Dann fügte er hinzu: „Ich erinnere mich an nichts“.

X twitter Olaf Scholz Mathemathik 230424

Das ist vielschichtig lustig, böse und entlarvend. Der Kanzler erinnert sich bekanntlich auch nicht, ob er mit dem Cumex-Betrug zu tun haben könnte. Oder dass er es mit Zahlen tatsächlich nicht zu haben scheint, wenn man sich an seine Wirtschaftsprognosen oder die angeblichen Erfolgszahlen bei der Ukraine-Hilfe erinnert.

Als Robert Habeck sagte, der Staat irre nie, da lachte auch keiner. Dabei wäre dieser Satz so etwas wie die Mutter des politischen Satirestoffs. Der! Staat! Irrt! Nie! Man muss sich klarmachen, was Habeck da, frei sprechend, seinem Mund entschlüpfen ließ. Es ist gerade für seine bittere Totalität geschafften für Satire. Nur leider: Die Comedy-Fraktion von Autoren, Zulieferern, Redakteuren, Moderatoren bis rauf zu den PDs will derartiges einfach nicht. Weil: Sie es nicht wollen.

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Natürlich sagen sie das so nicht. Sie sagen:

Zu ernst.
Das verstehen unsere Hörer nicht.
Unsere Hörer wollen von den vielen Negativ-News abschalten.
Da haben wir gerade kein passendes Format.
Oder auch: Stimmt, gute Idee. Werde ich mal mitnehmen.

Das und noch mehr sagen sie, weil sie schlicht nicht wollen. Sie wollen nicht, weil…

… sie die Grünen mögen und keinen Humor kennen, wenn es gegen Grüne oder Linke geht.
… sie sich fürchten, von wem auch immer als rechts gebrandmarkt zu werden. Weshalb sie vorsichtshalber auch immer sagen, hier dürfe sehr wohl jeder alles sagen. Aber.
… sie es sich nicht mit evangelischen Kirchentagsstricklehrerinnen verderben möchten.
… weil das nur zu Hass und Hetze einladen würde.
… weil das den Rechten in die Hände spiele.

Alles daran ist Verrat am Medium und Verrat am Entertainment. Gute Comedians reißen über alles Witze und machen sich über alles lustig, ausnahmslos. Alles darf verballhornt werden. Nur eines darf nicht: Kein Witz gemacht werden.

Ich könnte jetzt auch noch was über den aktuellen Tiefstand in professioneller Hinsicht bei Radionachrichten schreiben. Das ist fast quer durch die Branche wirklich trostlos. Aber das würde jetzt nur vom Comedy-Desaster ablenken. Und davon, dass Helmut Kohl als Kanzler von früh bis spät auch im Radio verspottet wurde. Oder Strauß. Sogar Gerhard Schröder und Ex-Bundespräsident Roman Herzog, wobei da der Wind aber schon drehte. Da fing es an, dass die Berufsspießer und Langweiler über die Frechdachse herfielen. Und nach und nach haben die Berufsspießer und Langweiler die Überhand gewonnen.

Das ist nicht nur unkomisch und schade, sondern auch gefährlich. Denn Hofnarrentum gehört zur grundgesetzlichen Medienfreiheit. Wenn die Hofnarren aber nur noch altkluge Hofschranzen-Parolen plappern, dann pflegen sie nicht ihre Spielräume, sondern erlauben den Schranzen, den Narren engere Grenzen zu ziehen. Wer seine Freiheit nicht lebt, wird sie verlieren.

Also fangt endlich wieder an, witzig zu sein!


Christoph Lemmer (Bild: privat)
Christoph Lemmer (Bild: privat)

 

Kommentar von Christoph Lemmer (Freier Journalist).

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E-Mail: christoph@radioszene.de