„Kein Algorithmus ist so gut wie ein Musikredakteur“

KLASSIK RADIO MOVIEDer Start der zweiten nationalen DAB+ Plattform brachte eine gute Zahl neuer, bislang in Deutschland kaum gekannter Formate, auf Sendung – wie zum Beispiel Programme für Frauen oder Autofahrer. Oder das ambitioniert gestartete Klassik Radio Movie, „mit den Gänsehautblockbustern der 90er und 2000er, angesagten Seriensongs der ultimativen Streaming-Hits sowie den Megasoundtracks aus 50 Jahren Kino.“ Musik, die in diesem kompakten Paket im deutschen Radio bislang eher zurückhaltend berücksichtigt wurde. Lediglich beim bundesweiten Klassik Radio-Basisprogramm war bislang ein beachtlicher – und beim Publikum sehr beliebter – Sendeanteil verankert. Dabei gehört Filmmusik bei Befragungen unter den Hörern zu einer durchaus geschätzten Musiksparte.


RADIOSZENE Mitarbeiter Michael Schmich sprach mit Euro Klassik-Chief Content Officer Richard Goerlich über Programmkonzept und Perspektiven von Klassik Radio Movie.

Richard Goerlich (Bild: ©KLASSIK RADIO)
Richard Goerlich (Bild: ©KLASSIK RADIO)

RADIOSZENE: Herr Goerlich, Klassik Radio Movie ist nun seit geraumer Zeit auf Sendung. Wie fällt Ihr erstes Fazit nach rund vier Monaten Sendebetrieb aus?

Richard Goerlich: Es ist zu früh für ein abschließendes Fazit. Wir wissen ja seit langem, dass Filmmusik von unserer Klassik Radio Hörerinnen und Hörern sehr geliebt wird. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass wir nach 20 Jahren in Deutschland die größte Radio-Kompetenz für Filmmusik mitbringen. Daher überrascht uns das bisher eingegangene, durchweg positive Feedback nicht. Wir operieren aber, was Inhalte und Musik angeht, noch am offenen Herzen. Dabei beziehen wir permanent das ein, was uns die Hörer zurückspielen.

RADIOSZENE: An wen richtet sich das Programm? Gibt es bereits Erkenntnisse, welche Bevölkerungsgruppen Sie tatsächlich erreichen?

Richard Goerlich: Marktforschung machen wir noch keine, dazu ist es zu früh. Wir können das im Moment nur an Hand der persönlichen Hörer-Feedbacks einschätzen. Es ist ein bunter Mix von der 20jährigen Studentin bis zum 70jährigen, pensionierten Chirurgen. Aber aus Jahrzehnten Erfahrung mit Filmmusik, ob als Broadcaster oder Konzertveranstalter, wissen wir: wer Kino liebt, mag auch Scores und Soundtracks. Nicht zu vergessen die „neue“ Zielgruppe, die über das Phänomen Serien und Streaming einen ganz neuen Zugriff auf das Thema hat. Das Zielgruppen-Targeting ist also Alters- und Milieu-übergreifend.

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RADIOSZENE: Das Musikkonzept ist einmalig in Deutschland. Definieren Sie doch Ihr Musikkonzept etwas genauer …

Richard Goerlich: Wie alle guten Konzepte muss das in einem Satz gehen: Wir spielen einen exzellent kuratierten Mix aus Filmmusik, Soundtracks und Seriensongs. Punkt! 

 

„Wir ermitteln datenbasiert die größten Filmerfolge, die beliebtesten Soundtracks und ergänzen das mit spannender und überraschender Musik“

 

RADIOSZENE: Nach welchen Kriterien suchen Sie die Musik aus? Filmerfolg oder hat die Musikredaktion hier das letzte Wort?

Richard Goerlich: Kein Algorithmus ist so gut wie ein Musikredakteur, der sich tief mit der Materie der Filmmusik auskennt. Wir ermitteln datenbasiert die größten Filmerfolge, die beliebtesten Soundtracks und ergänzen das mit spannender und überraschender Musik, die den Filmfan auch mal etwas Neues entdecken lässt. Deswegen: Unser Klassik Radio Musicboard hat das letzte Wort, aber Basis für die Titelauswahl sind immer Daten, Daten, Daten. 

RADIOSZENE: Offenbar legen Sie auch Wert auf eine sehr umfangreiche Titelbreite. Die Zahl der Wiederholungen hält sich in der Tat in Grenzen …

Richard Goerlich: Das kann sich noch ändern. Wie gesagt, wir befinden uns noch in der Experimentierphase. Eine große Bandbreite ist für uns wichtig, weil die Hörer die Abwechslung lieben, und die Welt der Soundtracks enorm viel Auswahl bietet.

RADIOSZENE: Im Programm finden sich pro Stunde auch einige gesungen Stücke. Sind diese vokalen Soundtracks so etwas wie das Salz in der Suppe?

Richard Goerlich: Unbedingt! Filmmusik hat ja tendenziell etwas Sphärisches. Die Stücke mit Vocals sind also ganz bewusst gesetzte, melodiöse Spitzen. Es gibt ja auch unverzichtbare Filmhits, die gesungen sind, denken Sie nur an Whitney Houston oder die sensationelle Billie Eilish.

RADIOSZENE: Welche weiteren redaktionellen Angebote finden sich in den Programmabläufen? Wie groß ist der Wortanteil bei Klassik Radio Movie?

Richard Goerlich: Wir befinden uns bei zwischen 25 und 30 Prozent Wortanteil, inklusive Nachrichten und Servicemodulen. Unsere Redaktion streut jeden Tag aktuelle News aus der Movie-Szene ins Programm. Wir haben da wirklich großes, langjähriges Know-How in unseren Reihen, aber auch unendliche Neugier nach Neuentdeckungen und innovativen Formaten. Das soll sich im Wortanteil wiederfinden. Keine Standardmoderation, sondern Musik, Musik, Musik – und wertiges, für die Hörer gewinnbringendes Infotainment.

RADIOSZENE: Hatte der Start von Klassik Radio Movie auch Einfluss auf die Musik Ihres Basisprogramms? Immerhin hatte Klassik Radio schon immer einen hörbaren Anteil an Filmmusik … Kommt hier der Hörer nicht in einen Auswahlkonflikt?

Richard Goerlich: Dieser Einwand ist richtig und wurde von uns im Vorfeld ausführlich beleuchtet. Die Einschätzung ist: es gibt eine kleine Schnittmenge und ein riesiges Potenzial an Neuhörern für Klassik Radio Movie.

RADIOSZENE: Über welche Kanäle machen Sie auf das Programm aufmerksam? Gibt es crossmediale Aktivitäten mit Klassik Radio?

Richard Goerlich: Wir verzichten im Moment noch komplett auf aggressives Marketing. Klassik Radio Movie soll zunächst ganz bewusst von einer neuen Zielgruppe selbst entdeckt werden. Das klappt offensichtlich ganz gut.

 

„Klassik Radio Movie soll zunächst ganz bewusst von einer neuen Zielgruppe selbst entdeckt werden. Das klappt offensichtlich ganz gut“

 

RADIOSZENE: Wie sehen Ihre weiteren Pläne beim Programm aus? Laut Pressemeldungen war in Zusammenhang mit Klassik Radio Movie auch von der Wiederbelebung der früheren Lounge-Strecken die Rede …

Richard Goerlich: Das ist ein absolut heißes Thema bei uns. Wir arbeiten im Hintergrund an einem Comeback der Klassik Lounge, aber mit ganz neuen, zeitgemäßen Elementen. Mehr verrate ich im Moment noch nicht …

RADIOSZENE: In Deutschland gab es bis vor wenigen Jahren zahlreiche Vorbehalte gegen den digitalen Verbreitungsstandard DAB+. Teile der Radiobranche lehnen ihn bis heute ab. Wie sind Ihre Erfahrungen mit DAB+?

Richard Goerlich: DAB+ ist gemeinsam mit Web-basierten Sendern die Zukunft. Als subjektiver Parameter gilt für uns da die Stückzahl der verkaufen DAB+ Radiogeräte in unserem eigenen Klassik Radio Shop. Die Nachfrage ist wirklich erstaunlich.