Radio-Köpfe | Stefan Parrisius – der Talkmaster

Auf den Radiowellen war Stefan Parrisius (59) erst im Privatfunk zu hören und ist bis heute öffentlich-rechtlich aktiv. Während vielfach Radio mit Ecken und Kanten gefordert wird, überzeugte Parrisius seinen damaligen Programmdirektor Mike Haas bereits Anfang der 90er Jahre von einer Talkshow bei Antenne Bayern, die kurzerhand nach ihm „Parrisius“ benannt wurde. Der Name war Programm.

Stefan Parrisius (Bild: © BR)
Stefan Parrisius (Bild: © BR)

Als er mit dem Programmumfeld bei Antenne Bayern zu fremdeln begann, wechselte er im Jahr 2008 zum inzwischen als Radio-Feuilleton aufgemachten Kulturprogramm des Bayerischen Rundfunks (BR), Bayern 2, um dort weiter journalistisch nachzufragen und moderierend einzuordnen. Im Jahr 2018 wurde er für den Deutschen Radiopreis nominiert als, so urteilte die Jury damals, zuhörender und mitfühlender Moderator. Anlass genug für unseren ständigen Mitarbeiter Hendrik Leuker diesmal den Job von Parrisius zu übernehmen und ihm im als grünen Erholungsraum gestalteten  Innenhof des BR-Funkhauses in München Fragen zu stellen.

Der Weg zum Radio

Radio 1 89.0 München Logo 1987

Nach Abitur und Zivildienst studierte Parrisius Politik, Volkswirtschaft und im Nebenfach Kommunikationswissenschaften. Für ein Praktikum im Nebenfach bewarb er sich Ende 1985/Anfang 1986 bei Radio 1, einem Münchner Privatsender, entstanden aus Radio 89, UFA Radio und Musikwelle Süd, der ab 1984 im Münchener Kabelpilotprojekt vertreten war und ab Mai 1985 auch auf der UKW- Frequenz 89.0 MHz zu senden begann. Dieser Sender gehörte den Großen der Print-Branche wie Springer, Burda und Bertelsmann. Zunächst befand sich das Sendegebäude in Unterföhring, wo auch das ZDF untergebracht war, bevor man nach Neuperlach umzog. Nach drei Monaten bekam Parrisius eine feste Sendung am Nachmittag, später dann die wöchentliche Call-In- Show „Kontaktbörse“. Zeitweise sendete man aus einem „Gläsernen Studio“, aus einem Schaufenster im „Karstadt“ in der Münchner Fußgängerzone.

Radio1 Gläsernes-Studio Karstadt München 1987 (Bild: © RADIOSZENE)
Radio1 Gläsernes-Studio Karstadt München 1987 (Bild: © RADIOSZENE/Ulrich Köring)

Radio 1 war aber kein dauerhafter Erfolg beschieden: Zum einen lag die Frequenz 89.0 MHz am linken Rand der damals noch analogen Radioskala und zum anderen musste man sich die Frequenz mit einem unattraktiven Kirchensender teilen. Im September 1987 wurde Radio 1 eingestellt, zumal dessen Gesellschafter ein neues Projekt anvisierten: einen bayernweiten Privatsender, für den Parrisius unter anderen vorgesehen war. Dessen Lizensierungsprozess und damit der Sendestart verzögerte sich aber, weil die Gesellschafter ihn „Radio Bayern“ nennen wollten, wogegen der Bayerische Rundfunk (BR) wegen Verwechselungsgefahr erfolgreich Einspruch einlegte. Der Sender musste sich schließlich in „Antenne Bayern“ umbenennen, dessen Macher damit zunächst nicht glücklich waren.

Radio Oberland fbAls Überbrückung ging Parrisius zu Welle 89.8 , heute: Radio Oberland, nach Garmisch-Partenkirchen, eine gute Stunde Fahrt von München entfernt. Er baute dort den Sender mit auf, bevor ihm nach einigen Monaten die Pendlerei zu viel wurde. Bald darauf endete das Pilotprojekt und der Sender musste seinen Betrieb einstellen. Dann tat sich eine weitere Tür auf und Parrisius moderierte im Frühjahr 1988 die Nachmittagssendung bei Radio Xanadu in München. Am 5. September 1988 war es dann endlich so weit: In Unterföhring in der Münchener Str. 20 ging „Antenne Bayern“ auf Sendung. Ein Sendername, der sich aus Sicht der Betreiber wider Erwarten rasch durchsetzen konnte. Weitere  „Antennen“ folgten im gesamten Bundesgebiet…

Eigene Talkshow und weitere Sendungen bei Antenne Bayern

Parrisius wurde unter Fürsprache von Viktor Worms, der dort auch Moderator war und später Programmchef werden sollte, von Gründungsgesellschafter Helmut Markwort eingestellt. Parrisius war von der ersten Woche an dabei.

Auch Stefan Parrisius und Viktor Worms arbeiteten viele Jahre gemeinsam mit Mike Haas für Antenne Bayern.
Stefan Parrisius und Viktor Worms

Bei Antenne Bayern waren die Moderatoren alle keine Radio-Anfänger: „Es waren von Beginn an dabei Stephan Lehmann, der mit mir bei Radio 1 gewesen ist, Thomas Ohrner und Viktor Worms von Radio Luxemburg sowie Michael Schanze vom BR. Alle hatten wir schon Radioerfahrung“, führt Parrisius aus. Mit diesem schlagfertigen Team wollte Antenne Bayern insbesondere das flache Land erobern, nachdem München intern als BR-Hochburg galt und auch in den übrigen bayerischen Großstädten mehrere lokale Privatsender sendeten. Anfangs positionierte man sich in der Musikfarbe zwischen Bayern 1, damals ein reiner Schlagersender, und Bayern 3, bis man dann im Programm jünger wurde und ab 1992 Marktführer in Bayern werden sollte. Jeweils vor der halben und der vollen Stunde wurden anfangs Oldies gespielt.

Rush Limbaugh
Rush Limbaugh

Bei Antenne Bayern moderierte Parrisius zunächst die Nachmittagssendung „Servus Bayern“ (15-18 Uhr, später bis 19 Uhr). Anfang der 90er Jahre nahm sich Parrisius eine Auszeit und ging für drei Monate in die USA. Zunächst nach Washington und im letzten Monat an die Westküste. Dort wurde er im Radio auf Talkshows aufmerksam. Insbesondere auf die Talkshow von Rush Limbaugh. Dieser war ein bekannter rechtslastiger Talkshowmaster und gilt als Wegbereiter des späteren US- Präsidenten Donald Trump. „Mir gefiel die Art, wie er mit dem Medium und den Hörern umgegangen ist“, schildert Parrisius seine Eindrücke. Einmal durfte er sogar neben Limbaugh im Studio sitzen. Dessen extreme Ausrichtung teilt Parrisius nicht, er fügt aber hinzu: „Linke Talkshows funktionieren im US- Radio nicht“.

Zurück in Deutschland schlug er seinem damaligen Programmdirektor, dem Amerikaner Mike Haas, eine Talkshow auf „Antenne Bayern“ vor. Haas meinte, dass Parrisius diese selbst übernehmen sollte und benannte die Sendung kurzerhand nach ihm: „Parrisius, die Radiotalkshow“, die von 1992-2007 jeden Samstag von 12.05 Uhr-13 Uhr auf „Antenne Bayern“ laufen sollte. Das war ein Call-In-Format meistens mit zwei Studiogästen und den zugeschalteten Hörern. Purer Talk nur unterbrochen durch vier (anfangs fünf) Musiktitel.

Was passierte in den 650 Sendungen „Parrisius“? „Ich erinnere mich noch gut, dass der damalige bayerische Justizminister Alfred Sauter (CSU) sein letztes Interview als Minister in meiner Sendung gegeben hat (Anm.: Er wurde im Jahr 1999 zum  Rücktritt gezwungen wegen der Affäre um die halbstaatliche Wohnungsbaugesellschaft LWS). In der ersten Sendung mit dem Titel ‚Bayern gegen Franken‘ wollte mein Studiogast Georg Lohmeier, der Autor des „Königlich-Bayerischen Amtsgerichts“(ZDF) , schon nach der ersten Musik das Studio verlassen, blieb aber dann doch bis zum Schluss. Es war besonders am Anfang spannend.

Ein solches Format hatte es zuvor nirgends gegeben. Mit der Zeit wurde die Sendung eine Marke. Die bayerische Politprominenz wie der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) und Theo Waigel (Anm.: Ehemaliger CSU- Vorsitzender und Bundesfinanzminister) stellte sich ein.“, erinnert sich Parrisius gerne zurück. Weitere Sendungen von Parrisius waren Talkformate wie „Menschen am Sonntag“, „Talknight“ (0-4 Uhr) und „Die Wahrheit“ (Montag, 21 Uhr- 0 Uhr).

Die letzten beiden Sendungen liefen von 2002 bis 2005. Zudem moderierte Parrisius jahrelang die Quiz-Sendung „Einer gegen Bayern“: „ Diese Sendung wäre im Zeitalter von Google & Co. so nicht mehr möglich“. Der vielseitige Ideengeber war auch Berater von Unterhaltungsleitung und Programmdirektion. Und ja: Er beendete Anfang der 90er Jahre neben der Tätigkeit als Redakteur und Moderator bei Antenne Bayern sein Studium.

Der Wechsel zu Bayern 2

Parrisius blieb bis 2007 bei Antenne Bayern und wechselte 2008 zum Bayerischen Rundfunk (BR). Er hätte unter der neuen Programmchefin Valerie Weber nicht gehen müssen, merkte aber, dass seine Talk-Sendung immer weniger zum Programmumfeld bei Antenne Bayern, das immer mehr von Gewinnspielen und Line-Up- Moderationen bestimmt wurde, passte: „Meine Sendung hätte ich sicher dort noch vier bis fünf Jahre länger machen können. ,Parrisius´ wurde jedoch immer mehr zum Fremdkörper im Programm. Radioprogramme und Menschen entwickeln sich weiter. Bei mir hatte sich immer mehr ein Fremdeln mit dem Programmumfeld eingestellt.“, schildert Parrisius. Nach einer kurzen Auszeit und Suche nach einem neuen Betätigungsfeld wurde er bei dem zum Radio-Feuilleton umgebauten Kulturprogramm des BR, Bayern 2, fündig und als fester Freier übernommen.  

Auf Sendung bei Bayern 2

Bayern 2Auf Bayern 2 moderiert Parrisius derzeit drei Sendungen, im Wechsel mit anderen Moderatoren. Früher für ein Millionenpublikum und heute für neugierige, selektive Hörer: „Ich hatte meine Eitelkeit befriedigt. Mir war klar, dass ich meine Hörerschaft im Vergleich zu den Zeiten bei Antenne Bayern zehnteln werde“, ist sich Parrisius bewusst. Der Marktanteil von Bayern 2 betrug in der MA 2002/II 4,8 %.

In „Eins zu Eins. Der Talk“, die werktäglich kommt (16.05 Uhr-17 Uhr) und von Parrisius am Montag moderiert wird, geht es um meist aufgezeichnete Gespräche mit Personen, ob prominent oder nicht-prominent, die eine „interessante Vita“ (Parrisius) aufweisen. Unter den Gesprächspartnern bei diesen Sendungen waren unter anderem Uwe Seeler, Richard von Weizsäcker, André Heller, Hubert von Goisern, Armin Rohde, Mehmet Scholl, Emil Steinberger, Rita Süßmuth, Wolfgang Thierse und Günther Wallraff aber auch ein Weltenbummler-Triathlet und ein Münchener Zahnarzt und Alt68er, der bei den , Schwabinger Krawallen´ dabei war. Vier Musiktitel runden die Sendung ab.

Stefan Parrisius (Bild: Privatarchiv Stefan Parrisius)
Stefan Parrisius (Bild: Privatarchiv Stefan Parrisius)

Parrisius allein bringt es auf bisher 300 Sendungen in dieser Reihe. – Beim werktäglichen „Tagesgespräch“ (12.05 Uhr-13 Uhr), welches von Parrisius meistens dienstags moderiert wird, handelt es sich um eine Call- In-Sendung mit einem Studiogast, an den Hörer Fragen und Anmerkungen richten können. Es geht um aktuelle Themen aus Politik und Gesellschaft. Zweimal im Jahr um Buchtipps der Hörer und an die Hörer, wie am Tag des Interviews. Die Sendung kann live auf ARD-Alpha im Fernsehen mitverfolgt werden und manchmal als Livestream auf der Internet-Website von BR24. Die gebührenfreie Telefonnummer zur Sendung lautet 0800/94 95 95 5.

Einmal im Monat moderiert Parrisius „Bayern 2 am Sonntagvormittag“ (09.05 Uhr-12 Uhr). „Einmal im Monat moderiere ich und ein weiteres Mal bin ich Redakteur der Sendung“, ergänzt Parrisius. Und weiter: „Bei dieser Sendung, die den großen Kultursonntag auf Bayern 2 eröffnet, geht es nicht nur um Hochkultur, sondern um die alltägliche Lebenskultur der Menschen. Auch findet sich Platz für literarische Fundstücke und Satire. Insgesamt ein schöner Start in den Sonntag.“    

Fernsehschaffender und Buchautor

Parrisius hat auch viel Fernsehen gemacht. Meistens hinter den Kulissen. Unter anderem war Parrisius Mitte der 90er drei Jahre lang als Projektleiter, Autor und Realisator bei „Bitte melde Dich“ (Sat 1) tätig. Ab Anfang der 90er Jahre war er Autor verschiedener Shows und Quizsendungen. Zum Beispiel: „Stadt, Land, Fluss“ (Tele 5), „First Love“, „Mann O Mann“ (Sat 1) und vom „Disney-Club“ (RTL). Aber besonders hervorzuheben wäre, dass Parrisius Head-Autor von Gottschalks „Wetten, dass…?“ (ZDF) von 2002-2008 gewesen ist. Und das ist längst nicht alles! Parrisius war nie festangestellt, als Freiberufler hatte er alle Freiheiten (und Risiken).

Was macht Parrisius lieber? „Eine mir häufig gestellte Frage. Beides. Ohne das Fernsehen würde ich im Radio in eine Art Routine verfallen. Dann wäre Radiomachen nichts Besonderes mehr. Radio ist einfacher, man ist sein eigener Herr im Selbstfahrerstudio. Radio ist zudem das schnellste Medium. Im Fernsehen arbeitet man monatelang auf ein bestimmtes Ziel hin – und dann findet es statt! Fernsehleute, die auch Radio machen, haben im Allgemeinen ein besseres Gefühl fürs Timing.“, merkt Parrisius an.

Im September 2016 ging Parrisius unter die Autoren mit dem Buch „Wegweiser für Beziehungszweifler – Impulse für Paare in der Krise“, das er zusammen mit seiner jetzigen Frau, der Paartherapeutin und Heilpraktikerin Agnes-Isabel Pahl geschrieben hat und welches im Verlag Herbig-Langen-Müller erschienen ist.   

Hobbys, Hör- und Sehgewohnheiten

Stefan Parisius im Innenhof des BR-Funkhauses (Bild: © Hendrik Leuker-08/22)
Stefan Parisius im Innenhof des BR-Funkhauses (Bild: © Hendrik Leuker-08/22)

Hat Parrisius je Mittel- oder Kurzwelle gehört? „Als Jugendlicher habe ich neben dem BR auf UKW gerne AFN auf Mittelwelle gehört“. (Anmerkung: Die Frequenz war MW 1107 KHz. Der Sender AFN München war nahe des Englischen Gartens stationiert.).

Als Hobby gibt der schlanke Moderator Kochen und das Konzipieren von Websites an. „Radio habe ich fast immer laufen“. In seiner Wohnung höre er Radio über smarte Technologie wie Alexa, Amazon Echo und Sonos: „Meistens BR 24 und natürlich Bayern 2.“

Im Fernsehen vergehe bei ihm kein Tag ohne das „heute-journal“ (ZDF) oder die „Tagesthemen“ (ARD).Gelegentlich schaue er eine Dokumentation auf 3Sat oder einen Film auf ARTE. – Parrisius ist zum zweiten Mal verheiratet und lebt mit seiner Frau in München. Er hat einen erwachsenen Sohn aus seiner ersten Ehe mit der Fernseh- und Radiomoderatorin Katrin Müller-Hohenstein (Antenne Bayern/ZDF).

Autor: Hendrik Leuker