Dem NRW-Lokalradio für den Ennepe-Ruhr-Kreis wird nicht der Stecker gezogen, die Medienkommission der Landesanstalt für Medien NRW (LfM NRW) stimmte am Freitag (19.8.2022) einstimmig für den Weiterbetrieb. Die Servicegesellschaft stellt die PFD Pressefunk, eine Tochtergesellschaft der Rheinische Post Mediengruppe. Die Zusammensetzung der Betriebsgesellschaft wurde nicht bekanntgegeben. Der Sendestart aus dem Funkhaus Wuppertal wird für dieses Jahr angestrebt, erklärt Jörg Prostka, Sprecher der Veranstaltergemeinschaft Radio Ennepe Ruhr (VG).
Zum Beginn der COVID-19-Pandemie in Deutschland kündigte die Funke Mediengruppe ihren Vertrag mit der VG. Der Sendebetrieb im Funkhaus Hagen endete im Dezember 2020. Seit Januar 2021 werden die lokalen Inhalte für Radio Ennepe Ruhr von dem Rahmenprogrammanbieter Radio NRW in Oberhausen produziert, die Vermarktung führt unverändert die Funke Servicegesellschaft Westfunk durch. So könnte es für die Beteiligten weiterlaufen, wäre da nicht die Landesanstalt für Medien NRW, die halbjährlich die Zuweisung der Frequenzen an Radio NRW prüft und verlängert. Die Verlängerung hängt von Gesprächsergebnissen ab. Der Gesetzgeber hat für diese sechs Monate eingeräumt. In Pandemie-Zeiten mit sehr knappen Kassen eindeutig zu wenig Zeit, deshalb wurde die Frist dreimal um sechs Monate verlängert.
Kein Finanzier wollte sich in dieser schwierigen Zeit an ein Lokalradio mit besonderen Unterstützungsbedarf binden. Hinzu kommt, dass die ehrenamtlichen Mitglieder einer Veranstaltergemeinschaft (VG) mit dem Ausscheiden der Betriebsgesellschaft ohne Finanzmittel da stehen und die ihnen vom Gesetzgeber übertragenen Aufgaben in ihrer Freizeit und auf eigene Kosten übernehmen müssen. Sicherlich ein Geburtsfehler des NRW-Lokalfunksystems. Die Politiker*innen glaubten Ende der 1980er Jahre, die Verleger werden den Lokalfunk immer betreiben und solidarisch die Verluste schwacher und starker Sender ausgleichen. Im Gegenteil: Radio EN wurde bereits 2002 das erste Mal vom Verlag Lensing-Wolff und der WAZ-Gruppe (heute Funke Mediengruppe) gekündigt und 2020 von der Funke Mediengruppe erneut. Die Suche eines neuen Finanziers bleibt dann die Aufgabe von Ehrenämtlern.
Radio Ennepe Ruhr-Fall wurde „Öffner für Strukturprozesse“
Die „Grüne Fibel“ ist eine Sammlung wissenschaftlicher Gutachten aus der Gründungszeit des Lokalfunks, mit der Voraussetzungen für jedes NRW-Lokalradio vor 30 Jahren errechnet wurden z.B. die Größe des Verbreitungsgebietes und die lokale Sendezeit. Der Verband Lokaler Rundfunk NRW (VLR) fordert seit sieben Jahren, dass die „Grüne Fibel“ an heutige Begebenheiten angepasst wird. „Zahlreiche Annahmen von damals sind nicht mehr aktuell und bilden die Medienentwicklung der vergangenen 25 Jahre nicht ab,“ schrieb der VLR bereits am 21. September 2015 an seine Mitglieder.
Die LfM NRW hat die Herausforderung 2021 erkannt und den Ad-Hoc-Ausschuss „Lokalfunk“ eingesetzt. Dieser hat sich innerhalb eines Jahres 19 Stunden mit dem Lokalfunk beschäftigt. Betriebsgesellschaften, Veranstaltergemeinschaften und Verbände sind gehört worden. Neue Modelle sollen ausgearbeitet werden, sagte während der Sitzung Prof. Dr. Werner Schwaderlapp, Vorsitzender der Medienkommission.
„Radio Ennepe Ruhr wurde zum Öffner für Struktur- und Änderungsprozesse,“ ergänzt Doris Brocker, Justiziarin und stellvertretende LfM-Direktorin.
Georg Rose wird Chefredakteur von zwei Lokalradios
Für Radio Ennepe Ruhr kommt eine mögliche Modifizierung des Lokalfunksystem zu spät, für den Sender muss sofort eine Lösung her. Die neue Lösung liegt unter den Standards der „Grünen Fibel“, stellt Ulrike Kaiser, Vorsitzende des Ausschusses für Programmaufsicht und Programmqualität fest. LfM-Direktor Dr. Tobias Schmid ist überzeugt: „…für Radio Ennepe Ruhr ist das ein gutes Ergebnis“. Am Donnerstag (18.8.) ist im Ausschuss für Programmaufsicht und Programmqualität das neue Konzept von BG- und VG-Vertretern vorgestellt worden. Folgende Details wurden der Medienkommission vorgestellt.
Radio Ennepe Ruhr zieht zu Radio Wuppertal in eine Art „Sender-WG“. Das Funkhausmodell wurde bereits vor über 20 Jahren diskutiert und zuerst mit Radio Hagen und Radio EN ab dem Jahr 2003 in NRW umgesetzt. Die neue Betriebsgesellschaft ist nicht bereit, groß in Vorleistung zu gehen. Die Personalstärke soll Schritt für Schritt erhöht werden, berichtet Ulrike Kaiser aus dem Ausschuss.
Wie der neue Sender heißen wird, steht auch noch nicht fest, mal fällt in der Sitzung der alte Name „Radio EN“, mal die am 22. September 2008 eingeführte Bezeichnung „Radio Ennepe Ruhr“, die beim Deutschen Patentamt auf den alten Eigentümer, die Funke Mediengruppe, eingetragen ist.
„Als nächste Schritte ist nun der Aufbau einer eigenen Redaktion unter Leitung des Chefredakteurs Georg Rose geplant, der diese Funktion in Personalunion für Radio Wuppertal und Radio Ennepe-Ruhr wahrnimmt,“ teilt Prostka mit.
Die Rheinische Post Mediengruppe möchte sich zum Neustart final äußern, wenn die letzte Hürde in dieser Sache genommen wurde. „Die Zustimmung der Medienkommission ist eine, aber nicht die finale Hürde“, sagte der Leiter Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit Oliver Schaal RADIOSZENE.
VLR begrüßt Neustart von Radio Ennepe Ruhr
Der Verband Lokaler Rundfunk in Nordrhein-Westfalen e.V. (VLR) vertritt die Interessen der Veranstaltergemeinschaften. Geschäftsführer Timo Naumann begrüßt den Neustart von Radio Ennepe-Ruhr und ist überzeugt, dass für den Sender ein tragfähiges Konzept in einer noch schwierigeren Ausgangslage gefunden wurde, als zum Zeitpunkt der Kündigung.
Die VG-Vorsitzenden Peter Dziadek (Ennepe Ruhr) und Thomas Kroemer (Radio Wuppertal) haben mit dem BG-Geschäftsführer Uwe Peltzer, Radio Wuppertal-Chefredakteur Georg Rose und dem VLR gemeinsam das neue Konzept ausgearbeitet.
Naumann begrüßt auch, dass der Veranstaltergemeinschaft ausreichend Zeit eingeräumt wurde, um eine neue BG zu suchen. Der Gesetzgeber hat sechs Monate vorgesehen, 20 Monate sind vergangen. In der Zeit drohte der VG der Entzug der Frequenzen. „So wird ein eigenständiges Programm für den Kreis wieder möglich. Natürlich geht unser Dank auch an die Hörerinnen und Hörer, die uns die Treue halten“, ergänzt Dziadek.
Starthilfe vom VLR
Der VLR hat Zugeständnisse gegenüber der Veranstaltergemeinschaft (VG) eingeräumt. Die Mitgliederversammlung des Verbandes entschied, dass die VG für die Jahre 2021 und 2022 keinen Mitgliedsbeitrag zu entrichten hat. Dies ist eine direkte Entlastung des VG-Haushalts. Darüber hinaus stimmten die Tarifkommission und auch die Mitglieder des Verbandes, dass es – um den Neustart des Senders zu ermöglichen – bei Radio Ennepe Ruhr in sehr engem Rahmen zu Abweichungen vom Tarifvertrag Lokalfunk NRW zu Ungunsten der Beschäftigten kommen kann.
„Wir teilen hier die Sorge einzelner Mitglieder, dass dies ein Aufbrechen des Flächentarifvertrages darstellt und möglicherweise Begehrlichkeiten weckt, dies auch in anderen Verbreitungsgebieten durchzuführen. Dennoch erscheint uns diese Maßnahme als das kleinere Übel, wenn als Alternative das Scheitern der Kooperation und damit das endgültige Einstellen des Sendebetriebes von Radio Ennepe-Ruhr droht. Die Folge wäre dann ein Verlust der UKW-Frequenz, was letztlich auch die Veranstaltergemeinschaft von Radio Ennepe Ruhr überflüssig machen würde.“, sagte Timo Naumann auf Anfrage von RADIOSZENE.
Durch die Zugeständnisse bleibt auch die flächendeckende Vermarktung der NRW-Lokalradios erhalten.
DJV-NRW: „Alles andere als ein Best-Practice-Modell“
Kritisch beobachtet den Neustart von Radio Ennepe Ruhr der Deutsche Journalisten-Verband. „Wir reden hier von einer Notlösung für einen einzelnen Sender in einer ganz besonderen Situation. Das ist nicht auf andere Häuser übertragbar und auch kein Modell für den parallel stattfindenden Lokalfunk-Strukturprozess“, betont Volkmar Kah, Geschäftsführer des DJV-NRW.
Zwar begrüßt der DJV-NRW die Entscheidung der Medienkommission: „Es ist wichtig, dass nach mehr als anderthalb Jahren im Ennepe-Ruhr-Kreis wieder ein lokaljournalistisches Angebot an den Start gehen kann, das auch über eine eigene Redaktion verfügt“, so Kah, doch die gefundene Lösung ist alles andere als ein „Best-Practice-Modell“. Der DJV-NRW hat sich in den vergangenen Monaten intensiv in die Gespräche auf unterschiedlichen Ebenen eingebracht, um über mögliche, befristete Zugeständnisse der Mitarbeiter*innen zu verhandeln. „Wir sind da auf einem guten Weg, endgültig entscheiden unsere zuständigen Gremien in den kommenden Wochen“, erklärt der DJV-NRW Geschäftsführer.
Besondere Bauchschmerzen bereitet dem DJV-NRW die zunächst dünne Personaldecke. Radio Ennepe-Ruhr soll in der Startphase auch in enger redaktioneller Kooperation mit Wuppertal arbeiten, zunächst sogar einen gemeinsamen Chefredakteur haben. Erst innerhalb von zwei Jahren ist eine redaktionelle Aufstockung auf die in der so genannten „Grünen Fibel“ empfohlene Redaktionsstärke vorgesehen. „Es ist ein wichtiges Signal, dass die Medienkommission diese redaktionelle Mindestausstattung als sogenannte auflösende Bedingung in die Lizenz geschrieben hat“, lobt DJV-Geschäftsführer Kah ausdrücklich das Engagement der Landesanstalt für Medien NRW im zurückliegenden Prozess.
Angesichts von Fachkräftemangel, wirtschaftlich zunehmend schwierigen Rahmenbedingungen und einer abnehmenden lokaljournalistischen Versorgung in der Fläche können nach Ansicht des DJV-NRW aber dauerhaft redaktionelle Sparmodelle keine Lösung sein. „Wer guten Journalismus will, muss ausreichend gute Leute ausreichend gut bezahlen. Hier sind die die 44 Lokalradios tragenden Veranstaltergemeinschaften und Betriebsgesellschaften gefragt, endlich zu einem Modell zu kommen, das über das Gesamtsystem hinweg eine ausreichende Ausstattung und vor allem digitale Investitionen ermöglicht“, fordert Kah.
Die Lösung könnte zum „Türöffner“ für andere angeschlagene Lokalradios werden, befürchtet auch Ernst-Wilhelm Rahe (SPD). Rahe zeigt sich in der MK-Sitzung über die Einzellösung froh, befürchtet jedoch Nachahmer, wenn eine BG die Renditeziele nicht erreicht, könnte sie den gleichen Weg gehen und das Lokalradio kündigen.
Andrea Stullich (MdL CDU) versichert, dass der Solidargedanke im System noch besteht. Es wäre ein schlechtes Zeichen für das Gesamtsystem, wenn die Medienkommission den Sender sterben lassen würde. In den nächsten 12 Monaten wird sich die LfM NRW mit dem Solidarsystem der NRW-Lokalradios beschäftigen. „Die Breite des Solidarsystems müssen wir neu denken, ich bin zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden, wie wir das absichern können,“ sagte Tobias Schmid.