Thomas Rump: Unser Verbund basiert auf Diskussionen und Kompromissen

radio NRWEs war in der Tat eine schwere Geburt, bevor es losging mit den ersten privaten Lokalradios in Nordrhein-Westfalen. Der Berg in Form der NRW-Medienpolitik sowie der interessierten Radiomacher kreiste lange – und gebar schließlich das sogenannte „Zwei-Säulen-Modell“. Ein Konzept, das die Trennung von Programmverantwortung und Finanzierung vollzog. So wohl einzigartig in Deutschland und nicht gänzlich ohne Ecken und Kanten. Beteiligte Gesellschafter und Chefredakteure konnten (vor allem in der Anfangsphase) ein klagvolles Lied davon singen. Zumal bis zum vergangenen Jahr mit dem Westdeutschen Rundfunk auch noch der härteste Mitbewerber als Gesellschafter mit an Bord war. In anderen Bundesländern schwer vorstellbar. Dennoch funktioniert das Konstrukt nun seit fast 30 Jahre.

Am 1. April 1990 begann mit dem Start von Radio DU in Nordrhein-Westfalen das Zeitalter des Lokalfunks. Mittlerweile existieren in NRW 45 lokale Radiosender auf über 100 Frequenzen, jeder mit eigenem Lokalprogramm. Außerhalb der Sendezeiten des lokalen Angebots wird ein Mantelprogramm von radio NRW übertragen, sodass jede Station rund um die Uhr sendet.

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Als Rahmenprogrammanbieter beliefert die radio NRW GmbH die einzelnen Lokalradios in mit Nachrichten, Einzelbeiträgen, Musik, Comedy, Sound-Elementen bis hin zu ganzen Sendestrecken. Und dies mit Erfolg. Seit 18 Jahren ist das Angebot aus Oberhausen die Reichweiten-Nr.1 unter allen Radioprogrammen in Deutschland – laut ma 2018 Audio II mit einer Tagesreichweite von 4,993 Mio. Hörern (Hörer Gestern, 5.00 bis 24.00 Uhr, Montag bis Freitag) und einer Bruttoreichweite in der Durchschnittsstunde (6.00 bis 18.00 Uhr, Montag bis Freitag) von 1,680 Mio. Hörern.

Dabei waren die an den Lokalradios beteiligten Zeitungsverleger zu Beginn nicht wirklich begeistert über die Einführung des privaten Hörfunks im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland. Zu sehr fürchtete man um die Werbe- und Anzeigetöpfe ihres Printgeschäfts. Heute dürfte man vor dem Hintergrund schwieriger Zeiten in der Printbranche die Einnahmen aus dem Hörfunkgeschäft aus einem anderen Blickwinkel sehen. Auch, dass die Lokalradios in NRW ihren journalistischen Auftrag in der Region (im Vergleich zu anderen deutschen Radiogebieten) sehr ordentlich erfüllen. Das am Anfang befürchtete „Tingeltangel“, so ein damals mächtiger Verlagschef, ist in den Programmzeiten der Lokalsender ausgeblieben.

Seit rund zwei Jahren leitet Thomas Rump als Programmdirektor und Mitglied der Geschäftsleitung die Sendeinhalte von radio NRW. Kein vergnügungssteuerpflichtiger Job, müssen hier doch die Interessen sehr zahlreicher Ansprechpartner, wie etwa der Chefredakteure der einzelnen Lokalradios, unter den berühmten Hut gebracht werden. Zudem signalisiert die Studie „Zukunft des Hörfunks in Nordrhein-Westfalen 2018“ eher stürmische Zeiten für das NRW-Radio. Es gibt also viel zu tun.

Thomas Rump (Bild: ©radio NRW)
Thomas Rump (Bild: ©radio NRW)

Im Gespräch mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich spricht Thomas Rump über die Programminhalte und die Zukunftsperspektiven des Mediums.

„Niemand, der einigermaßen bei Sinnen ist, wird behaupten, das Radio habe seine Hochzeit noch vor sich“. Jeder, der sich die Nutzung unseres Mediums im Vergleich zu allen anderen medialen Wettbewerbern anschaut, muss dem oft schon Totgesagten aber noch beträchtliche Lebensenergie zugestehen“

 

RADIOSZENE: Herr Rump, Sie sind nun seit 2017 Programmchef des meistgehörten deutschen Hörfunkprogramms. Welches Zwischenfazit ziehen Sie nach zwei Jahren Amtszeit?

Thomas Rump: Da ich den Lokalfunk als Gründungsmitglied von radio NRW bereits seit 1990 kenne und begleite, sind mir die Besonder- und Eigenheiten unseres Systems nicht ganz fremd. Als Programmchef steht man naturgemäß noch etwas anders im Wind. Wer gewohnt ist durchzuregieren, wird in NRW sicher keine fröhliche Zeit haben. Unser Verbund basiert auf Diskussionen und Kompromissen – das hat sich auch nach fast 30 Jahren nicht verändert.

Wir haben in den vergangenen zwei Jahren einige Dinge auf den Weg gebracht, die nicht nur meiner Ansicht nach lange überfällig waren. Die wichtigsten Entscheidungen sind die konsequente Ausrichtung auf moderationszentrierte Programmstrecken und die Weiterentwicklung von Repertoire und Musikplanung. Zudem haben wir uns redaktionell umstrukturiert, um der Doppelaufgabe – Unterstützung der lokalen Programmwünsche sowie die Gestaltung eigener Sendungen – besser gerecht zu werden.

Mein Fazit: Vieles war leichter als erwartet, einiges schwerer, als es hätte sein müssen.

RADIOSZENE: Bei den Reichweiten der ma Audio behaupteten Sie 2017 und 2018 weiter auf hohem Niveau die Pole Position. Welche Entwicklung prognostizieren Sie für 2019 und die kommenden Jahre? Skeptische Stimmen sagen dem Radio schon seit einigen Jahren das Ende seiner Blütezeit voraus…

Thomas Rump: Untergangspropheten haben ein düsteres und freudloses Leben. Ich würde mich als optimistischen Realisten bezeichnen. Niemand, der einigermaßen bei Sinnen ist, wird behaupten, das Radio habe seine Hochzeit noch vor sich. Jeder, der sich die Nutzung unseres Mediums im Vergleich zu allen anderen medialen Wettbewerbern anschaut, muss dem oft schon Totgesagten aber noch beträchtliche Lebensenergie zugestehen.

Ich denke, wir haben die Verantwortung, unsere Erfahrung, unser Handwerk, unsere Leidenschaft in eine Zukunft zu überführen, von der niemand genau weiß, wie sie aussieht. Wir werden mehr experimentieren, Fehler in Kauf nehmen und mutiger entscheiden müssen. Radio wird noch geraume Zeit einen festen Platz im Leben vieler Menschen haben. Allerdings wird es immer schwerer, Menschen zu aktivieren und über einen längeren Zeitraum an uns zu fesseln.

Der Bereich Audio erlebt in der digitalen Mediennutzung eine sehr positive Entwicklung. Darin liegen Risiken und Chancen. Mit neuen und mutigen Ansätzen wird Radio sich seinen Platz hart erarbeiten müssen. Für die kommenden Jahre sehe ich immer mehr Aufwand für weniger Resonanz.

RADIOSZENE: Ihr härtester Mitbewerber im Markt, der öffentlich-rechtliche WDR2, hat zuletzt sein Programm hörbar modernisiert und konnte bei den Reichweiten zulegen. Zu Lasten des Lokalfunks oder konnten in Nordrhein-Westfalen sogar neue oder verlorengegangene Hörer gewonnen werden?

Thomas Rump: Ich würde behaupten, nichts wird intensiver erforscht, als der NRW-Lokalfunk. Wahrscheinlich sind andere Bundesländer ähnlich heterogen, aber gerade wir erfahren es über die E.M.A. mehrfach im Jahr im Detail. Dazu kommen noch eine Anzahl Sonderauswertungen auf regionaler wie landesweiter Basis. Dass die WDR-Kollegen gute Arbeit leisten, steht für mich außer Frage. Dass es etwas dauert, bis wichtige Einsichten auch im Programm hörbar werden, haben sie mit uns gemein.

Jahresabschlussgespräch 2018 im NRW-Landtag (v.l.n.r.: Joris, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, radio-NRW-Nachrichten-Chef Marc Weiß, Atze Schröder und BVB-Stadionsprecher Norbert Dickel (Bild: ©radio NRW)
Jahresabschlussgespräch 2018 im NRW-Landtag (v.l.n.r.: Joris, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, radio-NRW-Nachrichten-Chef Marc Weiß, Atze Schröder und BVB-Stadionsprecher Norbert Dickel (Bild: ©radio NRW)

Die Auswirkungen einer jeden WDR-Reform zeigen sich in den lokalen Verbreitungsgebieten unterschiedlich stark. Das mag zum Teil an den Programmen liegen, hängt aber sicher auch mit der Markenstärke einzelner Lokalradios zusammen. Je stärker die Marke, umso weniger anfällig ist ein Programm für Veränderungen von außen. Unsere Analysen deuten darauf hin, dass es besonders WDR2 in der jüngsten ma Audio gelungen ist, neue Hörer zu generieren oder WenigHörer stärker zu binden. Da haben sie viel richtiggemacht. Doch auch wir konnten unsere Hörerzahl ausbauen. So betrachtet muss sich niemand als Verlierer sehen.

RADIOSZENE: Im vergangenen Jahr haben Sie mit NOXX eine neue Abend- und Nachtschiene installiert, in deren Rahmen auch viel über Musik gesprochen wird. Wie wird das neue Programmangebot angenommen und wie wichtig sind musik-redaktionelle Elemente für radio NRW beziehungsweise das Radio allgemein?

Thomas Rump: Das ist eine Steilvorlage für eine Radio-Binse: Musik ist im AC Radio der Ein- und Abschaltfaktor Nummer 1. Ohne die Bedeutung lokaler Informationen schmälern zu wollen, müssen wir uns im Lokalfunk auch wieder mehr dieser Erkenntnis öffnen. Das gelingt uns aber nur dann, wenn wir nicht nur in Phrasen oder Automatismen über Musik reden, ohne gleich ins Enzyklopädische abzugleiten.

Wenn ich möchte, dass meine Moderatoren anders über Musik sprechen, muss ich auch das Portfolio der gespielten Musik verändern. Gerade in NOXX haben wir den Anteil neuer Musik stark erhöht. Das unterscheidet uns von vielen anderen Programmen. Es gibt wohl keinen Bereich in der Branche, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten stärker von marktforscherischen Analysen und Empfehlungen geprägt wurde. Da ging es vorrangig um Absicherung und weniger um Entwicklung.

Für uns ist die Forschung ein Teil einer recht komplexen Bewertungs- und Entscheidungskultur. Wenn wir uns die jüngsten Erhebungen anschauen, liegen wir damit auch richtig. Jedenfalls ist die Resonanz auf unsere musikalischen Strecken sehr groß und durchweg positiv.

 

„Wenn Playlists nur noch Aneinanderreihungen von Best-Testern sind, besteht die Gefahr, äußerst berechenbar und langweilig zu werden“

 

RADIOSZENE: Über welche primären Charakteristika unterscheiden sich aus Ihrer Sicht die radio NRW Musik und Programminhalte von WDR2?

Thomas Rump: Aus meiner Sicht hat sich WDR2 grundlegend renoviert. Das betrifft die Anmutung der Moderatoren, die Entzerrung der Senduhren, eine thematische Reduktion und natürlich eine Angleichung des Musikangebots (mit recht großem Back-Katalog) an den gängigen Hörergeschmack. So betrachtet wird es zunehmend schwerer, WDR2 von uns zu unterscheiden. Dazu kommt 1LIVE, das sich musikalisch – zumindest tagsüber – auch sehr eng an unseren Musikwelten orientiert. Die DNA des Lokalfunks wird naturgemäß von lokaler Nähe und lokalen Themen bestimmt. Das bleibt ein wichtiger USP und kann von unseren Mitbewerbern nicht 1 zu 1 kopiert werden. Zukünftig wird es auch darum gehen, die Musik- und Unterhaltungskompetenz weiter zu stärken. Gerade im Aufbau und der Begleitung neuer Künstler liegen große Möglichkeiten, unsere Hörer dauerhaft zu aktivieren.

Lichtblicke-Jubiläumskonzert in Dortmund – Spendenstand (Bild: ©radio NRW)
Lichtblicke-Jubiläumskonzert in Dortmund – Spendenstand (Bild: ©radio NRW)

RADIOSZENE: Die Gestaltung eines möglichst Masse-attraktiven Formats wie radio NRW ist sicher die größte Herausforderung schlechthin. Müssen doch eine große Zahl sehr heterogener Musikgeschmäcker in einem Programm gebündelt werden. Beschreiben Sie uns hier doch Ihr Musikkonzept …

Thomas Rump: Musik ist Geschmackssache und da hat jeder recht. Zwei Wege sollte man nicht gehen: zu versuchen, es allen recht zu machen oder jemanden davon zu überzeugen, dass er nicht recht hat. Hält man sich an diese beiden Regeln wird klar, was das bedeutet: Wir müssen akzeptieren, dass Menschen unsere Musik auch mal nicht so toll finden. Das ist leichter gesagt als getan, denn es verlangt eine gehörige Portion an Selbstvertrauen, Durchhaltevermögen und Soundvorstellung.

Meiner Ansicht nach muss unser musikalisches Konzept überzeugen. Wenn Playlists nur noch Aneinanderreihungen von Best-Testern sind, besteht die Gefahr, äußerst berechenbar und langweilig zu werden. Neben einer sehr intensiven internen Diskussion sind wir auch im ständigen Austausch mit der Musikindustrie, um neue Formen der Kooperation auszuloten und innovative Wege zu finden, Musik in unseren Programmen zu thematisieren.

Klar muss man den Menschen die Musik bieten, die sie lieben. Aber man sollte auch immer Musik anbieten, die sie mögen könnten – auch auf die Gefahr hin, dass man mal danebenliegt. Diesen Mut erwarte ich von Radiomachern.

 Comedy Camp Tour 2018 in Olsberg (v.l.n.r.: Paul Panzer, Ingrid Kühne und Benjamin Tomkins und Gastgeber Jürgen Bangert) (Bild: ©radio NRW)
Comedy Camp Tour 2018 in Olsberg (v.l.n.r.: Paul Panzer, Ingrid Kühne und Benjamin Tomkins und Gastgeber Jürgen Bangert) (Bild: ©radio NRW)

RADIOSZENE: Wünschen Sie sich zumindest für bestimmte Ballungsräume alternativ ein urbanes Musikformat? Oder personalisierte Musikangebote? Ihr Gesellschafter RTL Group experimentiert hier ja bereits in Berlin mit entsprechend neuen Innovationen …

Thomas Rump: In unseren Untersuchungen können wir keinen nennenswerten Bedarf an einem zweiten Format ausmachen. Natürlich ist es immer denkbar, Nischenformate zu bedienen. Allerdings wäre die Wirtschaftlichkeit einer solchen Strategie höchst fragil. Wir setzen daher auf optimierte Sendeflows und Sweeps, eine intelligentere Repertoire- und Formatpflege und einen Ausbau der Musikkompetenz unserer Moderatorinnen und Moderatoren.

Die Möglichkeit personalisierter Musikangebote setzt eine entsprechende Präsenz im und eine Zugriffsmöglichkeit auf das Internet voraus. Die Lokalstationen entscheiden mehr oder weniger individuell, was auf deren Seiten passiert. Übergreifende Inhalte oder Aktionen müssen entsprechend abgesprochen und geklärt sein. Unser Programmangebot bezieht sich bisher auf die lokalen Produkte des Lokalfunks. Innovationen können nur im Einklang mit allen Beteiligten vorangetrieben werden.

RADIOSZENE: Seit Ende des Jahres konnten Sie mit Robby Gierer die längere Zeit vakante Position des Musikchefs besetzen. Welche Aufgaben umfasst das Arbeitsfeld des ehemaligen SWR3 Mitarbeiters?

Thomas Rump: Es war für mich von Beginn an klar, dass nur ganz wenige Musikredakteure für diese Position in Frage kommen. Robby Gierer besitzt genau das Profil, das ich gesucht habe. Er verantwortet bei uns als Leiter Sound und Musikchef die Arbeit der Musikredaktion, der On-Air-Promotion und des Sound-Designs – alles Bereiche, die Klang und Anmutung einer Station ausmachen.

RADIOSZENE: Robby Gierer war bei SWR3 auch maßgeblich beim Booking für das „New Pop“-Festival tätig. Planen Sie für radio NRW künftig auch eine vergleichbare Großveranstaltung oder mit vermehrten Radiokonzerten?

Thomas Rump: Robby Gierer holt seit 30 Jahren mit herausragenden Kontakten zu A&R Managern, Labels, CEOs und Künstleragenturen Musiker und Bands auf deutsche Konzertbühnen – und dies außerordentlich erfolgreich. Wir haben in NRW einen riesigen Markt mit großartigen Locations und sind über unsere Lokalstationen bestens vernetzt. Da ergeben sich ganz neue Möglichkeiten, Musiker zu ihren Fans zu bringen. Wir haben in den letzten Jahren schon viele Konzert-Events mit namhaften Künstlern veranstaltet, die sehr gut bei unseren Hörern angekommen sind. Aber wir wollen uns in diesem Bereich weiterentwickeln und sind uns einig, dass da noch mehr geht.

Geheimkonzert der NRW-Lokalradios mit Max Giesinger in Düsseldorf (Bild: ©radio NRW)
Geheimkonzert der NRW-Lokalradios mit Max Giesinger in Düsseldorf (Bild: ©radio NRW)

RADIOSZENE: Spätestens seit Einbeziehung der Online-Nutzung in die ma Audio ist die Web-Verbreitung der Programme von großer Bedeutung. Wie zufrieden sind Sie mit den Zugriffszahlen der Lokalradios und Ihrer Musikspartengebote im Netz?

Thomas Rump: Da müssen wir auf breiter Front kräftig zulegen. Noch bedeutet Web Investition und UKW Rendite. Auch, wenn sich das sicher ändern wird, reden wir hier von Summen, die man nicht mal schnell aus der Portokasse begleicht. Entscheidungen, die wir für radio NRW treffen, haben immer Konsequenzen für das ganze System. Gerade wenn es um digitale Transformation geht, vergessen außenstehende Beobachter oft, dass wir mit 45 Lokalradios zusammenarbeiten, die auch ihren Anteil der Entwicklung tragen müssen. Trotzdem herrscht Konsens, dass kein Weg daran vorbeiführt, uns weiter digital zu professionalisieren – auch wenn wir sicher keine Early Adopter mehr sind.

 

Was wir aus diversen Analysen herauslesen können ist, dass Radio in Bezug auf Informationsgewinnung und -vermittlung zunehmend an Bedeutung verliert

 

RADIOSZENE: Die Wortanteile der NRW-Lokalradios wie auch des Rahmenprogramms sind im Vergleich zu anderen deutschen Sendegebieten relativ hoch. Fühlen Sie sich hier gegenüber Ihrer öffentlich-rechtlichen Konkurrenz ausreichend aufgestellt?

Thomas Rump: Es gibt einige Kollegen in der Branche, die den Lokalfunk als öffentlich-rechtlichsten Privatfunk bezeichnen. In der Tat haben sehr viele Lokalstationen einen hohen Anteil an informativen und serviceorientierten Inhalten. Das unterscheidet sie von den meisten anderen lokalen oder landesweiten Stationen in Deutschland, die oft mehr ihre Regionalität bewerben, als sie abzubilden.

Diese Ausprägung hat ihre Ursache im Gründungsgedanken des Lokalfunks, der nicht unbedingt primär als lokales Unterhaltungsmedium, sondern eher als lokales Informationsmedium gedacht war. So betrachtet ähnelten wir konzeptionell eher dem WDR als Antenne Bayern oder FFH. In wie weit dieses Erfolgsmodell der vergangenen 29 Jahre im Zeitalter der Digitalisierung und veränderter Mediennutzung auch in der Zukunft wegweisend sein kann, wird auf allen Ebenen durchaus kontrovers diskutiert.

RADIO NRW-Gebäude in Oberhausen (Bild: © radio NRW)
RADIO NRW-Gebäude in Oberhausen (Bild: © radio NRW)

Was wir aus diversen Analysen herauslesen können ist, dass Radio in Bezug auf Informationsgewinnung und -vermittlung zunehmend an Bedeutung verliert. Es gibt einfach immer mehr und schnellere Alternativen, um den täglichen Neuigkeiten-Bedarf abzudecken. Die Exklusivität lokaler Inhalte mag unsere Kernklientel noch ausreichend aktivieren, für die Gewinnung größerer, neuer Nutzergruppen bildet sie allerdings nur einen Teil des Portfolios. Hier die richtige Dosis und Tiefe zu finden, wird maßgeblich über unseren zukünftigen Erfolg entscheiden. Das Gleiche gilt meiner Ansicht nach für die Inhalte der öffentlich-rechtlichen Sender. So gesehen müssen wir uns als Branche fragen, ob wir gegenüber unseren branchenfremden Mitbewerbern richtig aufgestellt sind. Ich finde, private und öffentlich-rechtliche Programme sollten sich vielmehr als komplementäres Angebot begreifen, anstatt sich gegenseitig das Leben schwer zu machen. Wer Gegner möchte, darf sich gerne aus der Phalanx der Internetriesen bedienen.

Trotzdem ist die Ausbalancierung eines fairen Wettbewerbs im Dualen System eine Herausforderung. Ich denke da zum Beispiel an die anstehende Ausschreibung von DAB+-Frequenzen und deren Finanzierung. Oder auch die Möglichkeit, mit mehreren Programmen eine Flottenstrategie fahren zu können.

RADIOSZENE: Radioberater haben zuletzt eine Rückentdeckung des Wortes angemahnt. So habe Radio vor dem Hintergrund von Streaming und intelligenter Servicedienste bei den Hörern inzwischen seine alternativlose Bedeutung für die Hörer bei Musik oder Service verloren. Gepunktet werden können nur noch beim gesprochenen Wort wie „dem Erzählen von Geschichten, die die Fantasie der Hörer anrege“. Liegt darin die Zukunft des Radios? Und wie viel Storytelling senden Sie innerhalb des Mantelprogramms von radio NRW?

Thomas Rump: Das Radio hat nie das Wort verloren, aber 99 Prozent der Wörter. Und mit dem Rest erzählt man immer nur das Gleiche. Das ist für mich der schlimmste Kollateralschaden der Formatierung, der in vielen Bereichen über die letzten Jahre hinweg entstanden ist. Es bringt nichts, Moderatoren in Emotionsschablonen zu pressen und sich dem Hörer anzubiedern. Zu viele Moderationen sind, wären sie Bücher, schneller gelesen als geschrieben. Was wir jetzt brauchen, um für Hörer und Nutzer unsere Relevanz zu erhalten, ist eine viel intensivere Auseinandersetzung mit Stil, Dramaturgie, Humor und Variation. Bei meinem Team lege ich daher großen Wert auf stilistische Entwicklung und – damit verbunden – dem Ausprägen der wahren Persönlichkeit. Das kann über eine Geschichte geschehen oder über ein Wort. Wichtig ist, dass man diesen Prozess permanent begleitet und ständig am Ball bleibt. Das ist ein langer Weg ohne Ziellinie. Das ist anstrengend – für Programmmacher und Programmverantwortliche. Aber es ist, um ein Kanzlerinnenwort zu strapazieren, alternativlos.

 

„Das Radio hat nie das Wort verloren, aber 99 Prozent der Wörter. Und mit dem Rest erzählt man immer nur das Gleiche“

 

RADIOSZENE: Was bedeutet der derzeit immense Erfolg von Streamingdiensten wie Spotify & Co für den Hörfunk. Gefahr oder doch ein Segen, wie einige Experten behaupten …?

Thomas Rump: Die Streaming-Anbieter treffen den Nerv der Zeit, sich nicht mehr vorschreiben zu lassen, was man wann konsumiert. Ich denke, das geht einher mit einer Entwicklung zur zunehmenden Atomisierung gesellschaftlicher Prozesse. Selbstbestimmung und Zwanglosigkeit gewinnen immer mehr an Bedeutung. Was ich allerdings noch nicht sehe, ist eine auf Dauer individualisierte Kreation informativer oder unterhaltender Inhalte. On Demand heißt für mich nicht, dass zukünftig jeder sein eigenes Programm zusammenstellt, sondern eher, dass intelligente Anbieter mit hoher Trefferchance vorwegnehmen, was ein Nutzer gerade brauchen könnte. Zudem sollte man nicht unterschätzen, wie gerne sich der Mensch bedienen lässt. Auch lineare Angebote werden weiter einen Platz in der Nutzerwelt finden. Allerdings wird es aufgrund der unendlichen Alternativen immer schwerer, den Nutzer länger bei einem Produkt zu halten.

Da sich die Musikstreaming-Dienste eher über die Anreicherung ihrer Streams mit Content und Persönlichkeiten dem Radiogedanken nähern (nur eben jederzeit konsumierbar) zeigt uns, dass wir prinzipiell richtig aufgestellt sind. Allerdings laufen wir Gefahr, im Mind-Set jüngerer Menschen aufgrund der limitierten Nutzungsmöglichkeiten keine Rolle mehr zu spielen. Aber das können wir über die Entwicklung entsprechender neuer digitale Produkte verhindern. Dass diese nicht mehr viel mit einem klassischen Radioverständnis zu tun haben, darf uns nicht schrecken. Ich denke, die Chancen wiegen das Risiko auf.

Comedy Camp Tour 2018 in Rietberg (Bild: Lisa Feller) (Bild: ©radio NRW)
Comedy Camp Tour 2018 in Rietberg (Bild: Lisa Feller) (Bild: ©radio NRW)

RADIOSZENE: Der Wettbewerb im Radio in Nordrhein-Westfalen wird sich absehbar verschärfen. Im Raum steht der Start einer weiteren UKW-Jugendwelle, über deren Betreiber und Format in diesem Jahre entschieden werden soll. Und möglicherweise werden auch bald die ersten privaten DAB+ Programme mit neuen Inhalten auf Sendung gehen. Die Angebotsbreite in NRW wird dichter. Eine Entwicklung, die das Gleichgewicht der bisherigen Kräfte verändern wird?

Thomas Rump: Man muss davon ausgehen, dass sich die Nutzung aller Medien mehr und mehr ins Netz verlagert. Durch diese Tatsache werden wir eine völlig neue (Medien-)Welt vorfinden. Wann der kritische Punkt erreicht wird, an dem unsere bisherigen Geschäftsmodelle nicht mehr greifen, kann keiner mit absoluter Präzision vorhersagen. Da es im Netz keinen „Gebietsschutz“ gibt, entfällt bereits heute ein großer Teil der Nutzung auf Anbieter, die nicht aus NRW sind.

Wir werden uns mächtig ins Zeug legen müssen, um die Finanzierung des flächendeckenden Lokalfunks auch in Zukunft sicher zu stellen. Allein unternehmerische Aktivität wird nicht reichen. Wir brauchen politische und gesetzliche Rahmenbedingungen, die uns helfen, diese Vielfalt auch für die Zukunft zu garantieren.

Die Lokalradios und radio NRW sind in einem engen Dialog, welche zusätzlichen Angebote wir in unser Portfolio aufnehmen. Wenn dies unter der Markenführung der Lokalstationen geschieht, müssen diese Produkte auch zur gelernten Erlebniswelt des Lokalfunks passen. Neue Produkte, die sich deutlich von den bisherigen unterscheiden, müssten konsequenterweise auch eine neue digitale Heimat finden. Das wird nur im Dialog aller Beteiligten möglich sein.

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RADIOSZENE: Der digitale Hörfunk wird unweigerlich kommen, offen ist allerdings das Szenario über das dominierende Format der Kanäle. Wie man hört sind auch die Gesellschafter von radio NRW nicht einig über eine gemeinschaftliche Einführung der DAB+ Technik. Einige setzen offenbar eher auf die Verbreitung via Internet. Nun hat radio NRW bei der Bedarfsabfrage durch die nordrhein-westfälische Landesmedienanstalt drei DAB+ Kanäle angemeldet. Mit welchen Inhalten sollen diese Programme auf Sendung gehen und bedeutet diese Anmeldung eine Präjudizierung pro DAB+?

Thomas Rump: Wir haben nach einstimmiger Entscheidung unserer Gesellschafter einen Bedarf für DAB+ Programme angemeldet. Als Rahmenprogrammanbieter und Dienstleister für 45 Lokalstationen wäre es fahrlässig, diesen Verbreitungsweg zu ignorieren, egal welche Chancen ihm der ein oder andere einräumt. Für uns ist aber auch klar, dass wir nicht einfach mit digital gespiegelten terrestrischen Programmen neue Nutzer gewinnen werden. Genau so klar ist, dass vor einer Umsetzung die Sicherung einer Finanzierung stehen muss.

Wir konzipieren gerade die Inhalte solcher Angebote, die unserer Meinung nach auch andere Zielgruppen ansprechen. Dass dies zeit-, kosten- und personalintensiv ist, erklärt auch, warum wir auf lokaler Ebene mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten arbeiten. Das UKW-Programm einfach auf DAB+ aufzusetzen, bringt wahrscheinlich keinen Hörer mehr. Und der Anteil der exklusiven DAB+-Hörer ist verschwindend gering. Was die Inhalte angeht, würden wir diese gerne als Erste auf den Markt bringen. Daher bitte ich um Verständnis, wenn ich mich dazu zum jetzigen Zeitpunkt nicht detailliert äußern möchte.

DAB+ wächst moderat, die Verbreitung via Internet rasant. Spätestens wenn 5G flächendeckend in Deutschland vorhanden ist, werden die Karten sowieso neu gemischt. In der Zwischenzeit müssen wir in den Wassern fischen, in denen sich unsere Nutzer/Hörer tummeln.

 

„Das Radio in die Digitalwelt zu überführen und dabei auf den gleichen Erfolg zu hoffen, halte ich für eine Illusion“

 

RADIOSZENE: Im September 2018 wurde die Studie „Zukunft des Hörfunks in Nordrhein-Westfalen 2028“ von der Landesanstalt für Medien NRW vorgestellt. Ein Kernergebnis der Studie unterstreicht, dass die UKW-Nutzung deutlich schrumpfen wird. Eine weitere Kernaussage der Studie besagt, dass im günstigsten Fall spätestens ab 2022 die UKW-Erträge deutlich einbrechen werden. Für den Lokalfunk und seine Betreiber sicher alarmierende Vorzeichen. Welcher unmittelbare Handlungsbedarf besteht nach diesen Kernaussagen?

Thomas Rump: Der UKW-Markt gerät unter Druck. Bislang konnten wir das mit höheren Ausschöpfungen pro Hörer zu großen Teilen kompensieren. Aber uns ist allen klar, dass dies endlich ist. Wir müssen diversifizieren und dürfen nicht den Fehler machen, uns dabei zu stark auf die Modernisierung der UKW-Welt zu konzentrieren. Das Radio in die Digitalwelt zu überführen und dabei auf den gleichen Erfolg zu hoffen, halte ich für eine Illusion. Wie bereits erwähnt sind entsprechende Rahmenbedingungen eine Voraussetzung. Um neue Nutzer und Zielgruppen zu erschließen, müssen wir im Netz andere Tools und Inhalte anbieten als auf der Antenne. Es wird noch geraume Zeit eine parallele Nutzung von UKW und digitalen Programmen geben. Wobei die Entwicklungsmöglichkeiten im Netz ungleich vielfältiger sind. Daher ist meine Prognose, dass Radio nicht einfach verschwindet, aber auf längere Sicht Akzeptanz einbüßen wird. Dieses Schicksal werden wir mit dem Fernsehen teilen.

Sind wir allerdings Teil der digitalen Transformation, muss diese Entwicklung uns und die nachfolgende Mediengeneration nicht beängstigen. Wir werden nicht nur ein Angebot neu definieren, sondern auch unsere Rolle darin. Da halte ich mich an Aristoteles: „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“