Radio überdenken und neu erfinden

James Cridland's Radio FutureZwei Ereignisse in der letzten Woche haben mich zum Nachdenken angeregt.

Zunächst die spontane Twitter-Ankündigung eines schottischen Radiosenders zum Auftakt einer „Retro-Aktion”, die darin bestehen sollte, dass man nur noch… CDs spielt.

https://twitter.com/drl/status/1020240255151149056

Ich habe dies in einer Facebook-Gruppe geteilt und die Kommentare entbehrten nicht einer gewissen Komik, die mich fast schon an Monty Python erinnerte.

„Retro? Kannste haben“, meinte einer, bevor er daran erinnerte, wie man früher Vinyl-Singles cuete. „Das ist noch gar nichts“, meinte ein anderer, und trat eine Diskussion über Senkelband und Revox-Maschinen los.

Und auch ich erinnerte mich an meinen ersten Vollzeit-Radiojob als Nachmittagsmoderator bei The Pulse in Bradford.

In einer normalen Stunde spielte ich eine Mischung aus CDs und Singles und füllte nebenher noch die Listen für die englische GEMA aus, inklusive Plattenfirma und Katalognummer. Jeder Track musste richtig ausgesteuert und entsprechend zurechtgecuet werden. Jeder Break war – natürlich – live, und die Auswahl von passenden Jingles und Sweepern traf ich selbst.

Während die Platte lief, eilte ich zwischendurch zum Faxgerät, das nicht im Studio stand, um dort die Verkehrsnachrichten abzureißen, die der englische Automobilclub uns in geradezu kryptischer Form übermittelte („A58, AS Keighley ca. 5 km ZFV“), die ich aber trotzdem wie im Schlaf on-air vorlesen konnte. Und musste.

Wolfgang Kreh im Studio von Xanadu 93,3 am 8.9.1989 (Bild: ©Ulrich Köring)
Wolfgang Kreh im Studio von Xanadu 93,3 am 8.9.1989 (Bild: ©Ulrich Köring)

Die Werbespots waren alle auf einzelnen Carts, die im hinteren Teil des Studios fein säuberlich geordnet waren und genau so fein säuberlich wieder verstaut werden mussten. Sogar die Nachrichten musste ich zur vollen Stunde lesen. Einen Produzenten hatte ich nicht. Unnötig zu erwähnen, dass ich auch ans Telefon gehen und Gewinnspiele selbst durchziehen musste. Und zwischendurch musste ich mir tunlichst auch noch was einigermaßen Intelligentes für meine Ansagen einfallen lassen.

Da kann man schon die Sichtweise der altgedienten Radiomoderatoren aus der Facebook-Gruppe verstehen (die – so scheint es – inzwischen alle Busfahrer geworden sind), wenn sie sagen, dass Radio nicht mehr das ist, was es mal war. Das ist es tatsächlich nicht mehr. Wenn man nur noch auf den NEXT-Knopf drücken muss, um Musik oder Werbung zu starten, kann man sich auf andere Dinge konzentrieren, und das Ergebnis sollte dann eigentlich besser klingen (und meistens tut es das auch).


Das andere Ereignis ist diese Studie von BBC News Labs, die sich mit der Vergangenheit und Zukunft von Nachrichtenformaten befasst. Gute Arbeit, gestützt auf aussagekräftige Daten.

Irgendwie ist es mir aufgestoßen, dass sich an der Struktur des Mediums Radio seit den Zeiten der Plattenspieler und Bandmaschinen eigentlich nicht viel geändert hat.

Damals bekamen wir die Nachrichten vom Zulieferer nur zur vollen Stunde und mussten sie zu diesem Zeitpunkt senden. Viele von uns bringen jetzt noch ihre Nachrichten zur vollen Stunde, obwohl dies technisch gar nicht mehr notwendig ist (und obwohl es als erwiesen gelten sollte, dass sich das Nachrichten-Hörverhalten ändert, und dass vollgestopfte Nachrichtenblöcke längst nicht mehr so gut ankommen).

Cartmachine mit Carts (Bild: @Thomas Wollert)
Cartmachine mit Carts (Bild: @Thomas Wollert)

Cart-Maschinen haben längst ausgedient, aber wir verkaufen immer noch 30-Sekunden-Werbespots, die wir in Werbeblöcke hineinstopfen, wobei die langen häufig am Ende einer Sendestunde landen. Wer seinen Radiowecker auf 6.45 Uhr morgens stellt, kriegt garantiert einen Abdreher.

Und so gibt es noch viele Sachen im Radio, die sich in den letzten 30 Jahren nicht geändert haben. Dieses schrecklich alte Nachrichtenjingle, weil es nun einmal Tradition ist, oder diese genauso unsäglichen wie sinnlosen Verkehrsnachrichten. 

Ich mag es, wenn man Dinge überdenkt. Häufig kommt man dann zu dem Schluss, dass die Dinge nach wie vor ihren Daseinszweck erfüllen, und in manchen anderen Fällen kommt etwas Neues dabei heraus.

Sollten wir öfter machen. Oder etwa nicht?

 


James CridlandDer Radio-Futurologe James Cridland spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch relevant bleibt. Er betreibt den Medieninformationsdienst media.info und hilft bei der Organisation der jährlichen Next Radio conference in Großbritannien. Er veröffentlicht auch podnews.net mit Kurznews aus der Podcast-Welt. Sein wöchentlicher Newsletter (in Englisch) beinhaltet wertvolle Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kostenlos bestellt werden: james.crid.land.