Ben Hammersley ist ein sehr kluger Mann. Er ist „Futurist“ und trägt einen sehr feinen viktorianischen buschigen Schnurrbart sowie einige auffällige Tätowierungen auf dem Arm. Er schreibt für Wired und den Guardian. Das Wort „Hipster“ scheint für ihn geschaffen, aber das Wort „Podcast“ machte ihn berühmt.
In diesem Jahr sprach er auf den Radiodays Europe in Wien. Die Radiodays sind ein großartiges Ereignis – zumindest aber ein kühles für Jemanden, der direkt vom Ende des australischen Sommers in Minusgrade geflogen kam. Eine Jacke hatte ich dummerweise nicht eingepackt. Vielleicht hätte ich das tun sollen – so war mir elendig kalt.
Hammersleys Weckruf war vorhersehbar: „Radio ist tot“. Er zog Parallelen zu Kodak, wo man nicht bemerkt hätte, wie schnell sich die Welt verändert. Delegierte der Radiobranche verließen leicht ernüchtert seinen Vortrag. „Mir wurde gerade gesagt, dass das Radio tot ist“, sagte einer von ihnen, „also bin ich mir nicht sicher, was ich auf einer Radiokonferenz zu suchen habe.“
Wenn Technologen wie Hammersley das Radio als „tot“ bezeichnen, zitiere ich gerne den britischen Chefwissenschaftler Lord Kelvin, der in den späten 1800er Jahren voraussagte, dass wir nie eine Flugmaschine bauen würden, dass Röntgenstrahlen ein Schwindel seien und dass das Radio keine Zukunft habe. Kelvin gab später zu, dass er sich geirrt hatte – bei den Röntgenbildern nach der Röntgenaufnahme seiner Hand – aber er lebte nicht lange genug, um zu erleben, dass sich seine Vorhersagen über das Radio als ähnlich falsch erweisen sollte.
Bens Ansicht, das Radio sei tot, ist nicht ganz so abwegig, wie es sich zunächst anhört. Mit „Radio“ meint er lineare Übertragungen; aber er glaubt, dass Audio eine rosige Zukunft hat – er behauptete sogar: „Wir leben in einem goldenen Zeitalter für Audio, mehr Menschen als je zuvor hören zu und die Vielfalt der Programme ist besser als je zuvor“.
Zweifellos wächst Audio auf Abruf stetig. Podcasting – natürlich, aber auch die Nutzung personalisierter Apps wie die von NPR, Capital, KRONEHIT und einer neuen personalisierten Radio-App, die mal wieder von der BBC versprochen wurde. Momentan erzeugen wir hauptsächlich Audio für diese Dinge, indem wir unsere linearen Sendungen für diese Anwendungen in kleine Stücke schneiden.
Die Radiobranche war bislang bestrebt, Live-Radio nicht zu stören. Stattdessen sind Digital-Teams in der Regel gezwungen, die für ein Medium produzierten Stücke für ein anderes umzugestalten. Unser Wunsch Sender zu versorgen, hat Vorrang vor unserem Wunsch, großartige Audioproduktionen hervorzubringen, die sowohl auf Abruf als auch live funktionieren.
Ich glaube nicht, dass lineare Übertragungen „tot“ sind, besonders hinsichtlich der nächsten drei Jahre. In den meisten Ländern hören 90% der Menschen jede Woche lineares Radio. Das wird nicht so einfach verschwinden. Allerdings ist ein Großteil des Live-Radios auch faules Radio: ungeschliffen und unterproduziert. Der Unterschied zwischen produzierten Werten der „New York Times Daily“ und einer morgendlichen Nachrichtensendung der BBC, von ABC oder NPR ist groß. Ein dreistündiges Audiostück ist schwer verdaulich und im Vergleich zu gut produzierten Kurzformaten ein schlechtes Hör-Erlebnis.
Irgendwann werden wir unseren eigenen Kodak-Moment vermeiden müssen. Zu überdenken, wie Radio produziert wird, ist lebenswichtig: Es ist besser, jetzt darüber nachzudenken, als in dem Moment, in dem wir dazu gezwungen werden!
Der Radio-Futurologe James Cridland spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch relevant bleibt. Er betreibt den Medieninformationsdienst media.info und hilft bei der Organisation der jährlichen Next Radio conference in Großbritannien. Er veröffentlicht auch podnews.net mit Kurznews aus der Podcast-Welt. Sein wöchentlicher Newsletter (in Englisch) beinhaltet wertvolle Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kostenlos bestellt werden: james.crid.land. Kontakt: james@crid.land oder @jamescridland.