Multiplattform-Radio: Was man von Deutschland lernen kann

James Cridland im Interview mit m 94.5 auf den Lokalrundfunktagen Nürnberg 2018 (Bild:© RADIOSZENE/Ulrich Köring)Vor etwa 10 Tagen war ich in der son­ni­gen Stadt Nürnberg bei den Lokalrundfunktagen zu Gast. Einer der Mitorgansiatoren die­ser gro­ßen, beein­dru­cken­de Konferenz mit einer über­ra­schend hohen Anzahl Teilnehmern ist übri­gens die baye­ri­sche Landesmedienanstalt – eine Regulierungsbehörde.

Was mich am meis­ten beein­druck­te: Mein Vortrag war für 13.30 Uhr vor­ge­se­hen, und um 13.25 Uhr saß mein Publikum schon erwar­tungs­voll bereit. Sonst ken­ne ich nur die­se ewi­ge Zuspätkommerei auf Konferenzen. Anscheinend gehen in Deutschland die Uhren anders.

Am glei­chen Tag hat­te das Marktforschungsinstitut Kantar TNS übri­gens eini­ge Zahlen zum Radiohörverhalten in Bayern mit eini­gen sehr inter­es­san­ten Trends veröffentlicht.

Die Studie besagt, dass 15% aller Radiohörer in Bayern in einer nor­ma­len Woche DAB+ nut­zen. Das ist ein Anstieg um 25%, und das seit meh­re­ren Jahren in Folge. Damit wird DAB+ erst­mals belieb­ter als Radiohören per Internet, zumin­dest wenn man die Gesamtreichweite betrachtet.

Tagesreichweite Mo-Fr nach Radioempfang im Trend (Bild: James Cridland/Kantor TNS 2018)
Tagesreichweite Mo-Fr nach Radioempfang im Trend (Bild: James Cridland/Kantor TNS 2018)

Das ist schon eine ziem­li­che Veränderung für Deutschland. DAB hat­te in die­sem Land näm­lich einen aus­ge­spro­che­nen Fehlstart. Ursprünglich nutz­te man dort einen ande­ren Frequenzbereich, der von ande­ren DAB-Ländern in der Zeit abwich: das L-Band. Manche Empfänger kamen damit zurecht, die meis­ten lei­der nicht. Und weil das L-Band ein sehr hoher Frequenzbereich ist, fiel es dem Signal schwe­rer, in Gebäude vor­zu­drin­gen. Nahezu jeder Baum war im Weg, und die Abdeckung war somit eher mager. Kein Wunder, dass es nicht so recht vor­an­ging mit DAB. Aber all dies wur­de inzwi­schen beho­ben. Und die Ergebnisse kön­nen sich sehen lassen.

DAB+ ist im Aufwind, wäh­rend Radio über Internet, Kabel und Satellit weit­ge­hend sta­gniert. Und die UKW-Nutzung ist sogar rück­läu­fig: um fast 5% Jahr für Jahr. Es scheint, dass sich die deut­sche Radiobranche ganz schön Sorgen machen müss­te, wenn es DAB+ nicht gäbe.

Die Zahlen zei­gen auch das Durchschnittalter je Radioplattform. Auch das sind inter­es­san­te Zahlen, die ich in der Zusammenstellung noch nicht gese­hen habe. Das Durchschnittsalter bei UKW liegt bei 49 und ist damit weit­ge­hend iden­tisch mit dem Wert für DAB+ (48). Die Internet-Radionutzer sind im Schnitt 10 Jahre jün­ger, was – wie man wohl ver­mu­ten kann – bedeu­tet, dass die Hörer von Satelliten- oder Kabelradio eher älter sind. Wie fast immer zeigt dies wie­der ein­mal, wie wich­tig es, für die gewünsch­te Zielgruppe auf der rich­ti­gen Plattform prä­sent zu sein. Eigentlich logisch, könn­te man sagen, aber gera­de bei beschränk­ten finan­zi­el­len Mitteln soll­te man beson­ders gut dar­über nachdenken.

Eindeutig ist, dass das Radio sei­nen Weg zu einem Multiplattform-Medium fort­setzt. In Großbritannien hört nur noch die Hälfte ter­res­tri­sches Radio über UKW oder Mittelwelle. In Deutschland ist man noch nicht soweit (auch wenn die­se Zahlen nicht unbe­dingt ver­gleich­bar sind), aber die Richtung ist vorgezeichnet.

James Cridland im Interview mit m 94.5 über Multiplattform-Radio auf den Lokalrundfunktagen Nürnberg 2018 (Bild:© RADIOSZENE/Ulrich Köring)
James Cridland im Interview mit m 94.5 auf den Lokalrundfunktagen Nürnberg 2018 (Bild:© RADIOSZENE/Ulrich Köring)

Interessant ist übri­gens zu sehen, wie sehr Multiplattform das Radio ohne­hin bereits ist. Nach mei­nem Vortrag wur­de ich zuerst vom loka­len Studentensender inter­viewt, danach wur­de ich per Kamera live auf Facebook über­tra­gen und anschlie­ßend gab es noch Aufnahmen für einen Podcast.

Und wäh­rend die deut­schen Konferenzteilnehmer über­ra­schend pünkt­lich im Saal waren, um sich mei­nen Vortrag anzu­hö­ren, hat­te mein Zug zurück nach München 40 Minuten Verspätung. Tja… nobody’s perfect.

 


James CridlandDer Radio-Futurologe James Cridland spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regel­mä­ßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch rele­vant bleibt. Er betreibt den Medieninformationsdienst media.info und hilft bei der Organisation der jähr­li­chen Next Radio con­fe­rence in Großbritannien. Er ver­öf­fent­licht auch podnews.net mit Kurznews aus der Podcast-Welt. Sein wöchent­li­cher Newsletter (in Englisch) beinhal­tet wert­vol­le Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kos­ten­los bestellt wer­den: james.crid.land.