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Analog?­ Digital?­ Egal!­ Aufs ­Programm­ kommt’s ­an!

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Radio ist einzigartig, denn es kann etwas, das Fernsehen, Internet und Printmedien nicht können: Das Programm lässt sich nebenbei konsumieren, ob beim Autofahren, bei der Hausarbeit oder im Büro. Was oft als Mangel gesehen wird, ist in Wirklichkeit der große Vorteil: Wir müssen nicht hinschauen, um den Inhalt zu verstehen.

In dieser Hinsicht ist Radio den anderen Medien überlegen. Dennoch ist Radio ein visuelles Medium, denn es lässt Bilder im Kopf entstehen. Ein guter Moderator setzt diesen emotionalen Effekt gezielt ein, etwa indem er sagt: „Stellen Sie sich vor, Sie sind auf dem größten Rockfestival aller Zeiten und stehen ganz vorne vor der Bühne.“ Beim Fernsehen findet diese kreative Eigenleistung des Publikums nicht statt, da die Bilder vorgegeben werden. Beim Radio hingegen verbinden die Hörer die selbst geschaffenen Bilder im Kopf mit ihren eigenen Erfahrungen, Erlebnissen und Sehnsüchten. Radio ist damit das persönlichste Medium, auch durch die Ansprache des Moderators, der uns den Eindruck vermittelt, er spreche direkt zu uns. Welche Perspektiven hat das Radio in unserer Medienlandschaft, die sich mitten im digitalen Wandel befindet?

 

Das Geschäftsmodell

Radio hat Glück: Wie beim Fernsehen hat der Umstieg von analoger zu digitaler Verbreitung keinen großen Einfluss auf das Geschäftsmodell, denn das Programm ist schon immer kostenfrei zu empfangen, die Finanzierung erfolgt über Werbung und Sponsoring beziehungsweise größtenteils Rundfunkgebühren bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. Printmedien hingegen haben das Problem, ihr Geschäftsmodell mit der Mischung aus Abonnement- und Anzeigenerlösen ins digitale Zeitalter zu überführen – ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Beim Radio hingegen ist es egal, über welchen Verbreitungsweg das Programm empfangen wird: Es ist immer das gleiche Programm, es wird vom Hörer als kostenfrei wahrgenommen und eine Werbeschaltung deckt in der Regel alle Verbreitungswege ab. Die Hauptsache ist, der Hörer schaltet ein – egal, wie oder wo. Und das macht er nach wie vor kräftig: 79,7 Prozent der Deutschen hören laut agma Media-Analyse (MA 2014 Radio II) täglich Radio – im Durchschnitt drei Stunden und 14 Minuten lang.

 

Programm vor Technik

Auf welchem Verbreitungsweg das gewünschte Programm zu ihnen gelangt, ist den meisten Hörern ohnehin egal: Der Inhalt ist wichtiger als die Technik. Beim Kauf eines neuen Radioempfängers im Elektronikhandel geht es in erster Linie darum, welche Sender ich damit empfangen kann, wie der Klang ist und was es kostet. Wenn der Verkäufer ein Digitalradio-Gerät empfiehlt, dürfte erstmal die Frage aufkommen, welchen Mehrwert das bringt. Clevere Verkäufer verwirren die Verbraucher nicht mit Begriffen wie DAB, DAB+, IP-Streaming, Webradio oder WLAN-Radio, sondern führen zusätzliche Sender vor, die es auf UKW nicht gibt, und verweisen auf den rauschfreien Empfang. Hybridgeräte, die sowohl das herkömmliche analoge UKW-Frequenzband als auch Digitalradio im Standard DAB und dessen Nachfolger DAB+ empfangen können, sind mit Einstiegspreisen ab 20 Euro inzwischen kaum teurer als reine UKW-Radios. Mehr Sender, besserer Klang und Zukunftssicherheit: Es spricht nichts dagegen, sich jetzt für Digitalradio zu entscheiden.

» Mit DAB+ ist es erstmals möglich, auf einer Autofahrt von München nach Hamburg durchgehend den gleichen privaten Radiosender terrestrisch zu hören. «
» Mit DAB+ ist es erstmals möglich, auf einer Autofahrt von München nach Hamburg durchgehend den gleichen privaten Radiosender terrestrisch zu hören. «

 

Radiobranche uneins

Die Radioveranstalter vermitteln allerdings kein einheitliches Bild: Es gibt Befürworter des Umstiegs von UKW zu DAB+, aber auch Skeptiker. Größtes Problem sind die Kosten. Während die öffentlich-rechtlichen Sender für die Digitalradio-Einführung zusätzliche Gebührengelder erhalten, müssen die privaten Anbieter den Umstieg über den Werbemarkt refinanzieren. Die parallele Ausstrahlung des Programms über UKW und DAB+ verursacht Mehrkosten, bringt aber keine zusätzlichen Werbeerlöse. Hinzu kommt die Frage, ob sich DAB+ überhaupt am Markt durchsetzt. In Bayern, einem der Vorreiterländer bei DAB+, hören laut der aktuellen Funkanalyse 2014 lediglich knapp 3 Prozent der Bevölkerung ab 10 Jahren täglich Digitalradio über DAB+. 3,9 Prozent hören täglich Radio übers Internet. Die Zahlen zeigen die hohe Bedeutung, die UKW weiterhin im Radiomarkt hat. Wirtschaftlich interessant ist DAB+ in der aktuellen Situation vor allem für Privatsender, die ohnehin bereits ein bundesweites Publikum ansprechen. Während sie sich bislang mit mühsam erkämpften UKW-Inseln in einzelnen Bundesländern zufriedengeben mussten, ist es mit DAB+ erstmals möglich, zum Beispiel auf einer Autofahrt von München nach Hamburg durchgehend den gleichen privaten Radiosender terrestrisch zu hören.

 

Internet als Ausweg?

Viele Radioveranstalter stellen sich die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, statt mit DAB+ über das Internet den Weg ins digitale Zeitalter zu gehen. Die Abrufzahlen der IP-Streaming-Angebote im Web steigen deutlich. Interessant: Ganz vorne in der Beliebtheit liegen nicht etwa spezialisierte Webradios für ausgefallenen Musikgeschmack, der von den UKW-Stationen nicht abgedeckt wird, sondern genau die Massenprogramme, die auch auf UKW die meisten Hörer erreichen (Webradiomonitor von BLM/Goldmedia, IP-Audio-Messung der agma). Die Entwicklung zeigt, dass IP-Streaming von den Hörern angenommen wird, zumal dafür kein separates Gerät wie bei DAB+ benötigt wird.

Alle internetfähigen Endgeräte, etwa Smartphones, Tablets oder Laptops, haben Internetradio quasi eingebaut. Auch neue Gerätearten wie Datenbrillen (Smart Glasses) oder Internet-Uhren (Smart Watches) – so genannte Wearables – ermöglichen IP-Radio-Empfang, haben aber DAB+ nicht an Bord. Im Gegensatz zu DAB+ dient IP-Streaming bei vielen Radiosendern bereits als zusätzliche Erlösquelle, etwa über dem Stream vorgeschaltete Werbespots, Bannerwerbung oder Werbung in Radio-Apps für Smartphones und Tablets. Die Apps, beziehungsweise einzelne Funktionen, sind teilweise kostenpflichtig und tragen somit ebenfalls zur Refinanzierung bei. Hinzu kommt die stärkere Hörerbindung, die sich viele Sender von Apps versprechen.

 

Die Nachteile des Internets

Der digitale Königsweg zum Hörer ist das Internet jedoch nicht. Allein die Kosten und Konditionen sprechen dagegen, alles auf diese Karte zu setzen. Jeder Abruf eines IP-Streams verursacht aufgrund des Datenverbrauchs Kosten sowohl beim Sender als auch beim Hörer. Der Sender zahlt an den Streaming-Provider, der Hörer an seinen Internet-Provider beziehungsweise seine Mobilfunkgesellschaft. Ist das monatliche Datenvolumen ausgeschöpft, wird der mobile Internetzugang des Hörers auf Schneckentempo gedrosselt. Allein schon deshalb dürfte IP-Streaming bei der mobilen Nutzung allenfalls eine Ergänzung, aber kein Ersatz für terrestrischen Radioempfang via UKW oder DAB+ sein. Für die öffentlich-rechtlichen Sender ist IP-Streaming allein schon deshalb keine Alternative zu klassischen Rundfunknetzen, weil ihr Grundversorgungsauftrag sie dazu verpflichtet, allen Hörern ungehinderten Empfang zu ermöglichen. Weder private noch öffentlich-rechtliche Sender wollen zudem abhängig sein von der Tarifgestaltung der Internet-Zugangsanbieter. Hinzu kommt, dass UKW und DAB+ neben dem stationären auch für mobilen Empfang in Fahrzeugen, etwa im Auto oder Bus, entwickelt wurden und daher weniger anfällig sind für Störungen. Wer schon einmal versucht hat, im fahrenden Zug oder Auto eine stabile Internetverbindung per Mobilfunk aufzubauen und beizubehalten, kennt die Probleme. IP-Streams während der Fahrt zu hören, ist aufgrund der vielen Verbindungsabbrüche kein Genuss.

 

Radio auf allen Wegen und frischer Wind

Es gibt kein „Entweder-oder“ bei den künftigen Radio-Verbreitungswegen, sondern ein „Sowohl-als-auch“. Radiobetreiber sollten es ihren Hörern so einfach wie möglich machen, ihr Programm zu empfangen, denn sie sind am Programm interessiert, nicht an der Technik. Sender, die auf mehrere Standbeine setzen – von UKW, DAB+ und IP-Streaming bis zu Smartphone- und Tablet-Apps für alle gängigen Betriebssysteme – haben zwar höhere Verbreitungskosten, können sich aber sicher sein, die maximale Zahl an Hörern zu erreichen – ein wichtiger Aspekt im Auftritt gegenüber der Werbeindustrie.

Verbreitungswege bilden nur die technische Grundlage. Ob ein Programm erfolgreich ist, entscheiden die Hörer. Das vielfach beklagte, streng formatierte Einheitsprogramm, mit dem die großen UKW-Wellen – wirtschaftlich erfolgreich, aber wenig innovativ – den Massengeschmack bedienen, bietet neuen Anbietern die Chance, mit frischen, kreativen Ideen den Hörern zu zeigen, dass man Radio auch anders machen kann. Webradio, DAB+, Kabel und Satellit: Nie war es einfacher, unkomplizierter und preiswerter Radio zu veranstalten als heute. Ein Blick zurück in die Hörfunkgeschichte zeigt, dass es fast immer neue Kräfte von außen waren, die frischen Wind in die oft verkrusteten, eingefahrenen Strukturen gebracht haben. In den 60er- und 70er-Jahren waren dies Piratensender wie Radio Caroline, in den 80er-Jahren aus dem Ausland nach Deutschland einstrahlende Sender aus Luxemburg, Südtirol und dem Elsass sowie Radiostationen bei uns stationierter Streitkräfte wie AFN oder BFBS. Oft war es nur mit großem Aufwand seitens der Empfangsgeräte und Antennen möglich, die Programme zu empfangen, aber die Hörer nahmen dies in Kauf. Die gute Musik und lockere Moderation sprachen für sich – und zeigten: Gutes Programm ist wichtiger als guter Klang.

 

Traut euch was!

Kritische Hörer, die beklagen, dass auf UKW heutzutage nur noch „Einheitsbrei“ läuft, haben mit DAB+ und Webradios unzählige Alternativen. Einige Radiomacher aus alten Zeiten betreiben inzwischen eigene Webradios, etwa Frank Laufenberg (PopStop), Bernd Schumacher mit Elmar Hörig (Top20radio) und Dennis King (King FM), die mit unkonventioneller Musikauswahl und Moderation Hörer wieder fürs Radio gewinnen wollen, die mit den üblichen UKW-Stationen nichts mehr anfangen können. Der frische Wind, den die neuen Programme in die Radiolandschaft bringen, könnte auch die etablierten großen Radioveranstalter zum Umdenken bewegen: Lasst auch mal den Moderator bestimmen, welche Titel er in seiner Sendung spielt, nehmt mehr Hörer live in die Sendung, gebt provokanten, polarisierenden Persönlichkeiten wieder eine Chance, gebt die Berechenbarkeit auf und überrascht eure Hörer! Liefert Gesprächsstoff! Radio spielt seine Trümpfe aus, wenn es live, spontan und persönlich ist. Internetbasierte Musikabspieldienste wie Spotify, Deezer und Pandora sind keine Konkurrenz für Sender, die sich nicht über Musik, sondern über ihre Moderatoren definieren und ihnen die Freiheit lassen, sich mit ihrer Persönlichkeit zu unverwechselbaren Einschaltfaktoren zu entwickeln. Elmar Hörig machte in seiner legendären „Elmi-Show“ bei SWF3 und RIAS II nicht nur mit frechen Sprüchen auf sich aufmerksam, sondern indem er auch bewusst das Musikformat durchbrach und Oldies oder klassische Musik, etwa einen Wiener Walzer von Johann Strauss, in den Popwellen spielte. Achim Glück, in den 90er-Jahren einer der meistgehörten Radiomoderatoren in Stuttgart (Antenne 1, Stadtradio Powerstation), beschreibt sein Erfolgsrezept so: „50 Prozent liebten mich, 50 Prozent hassten mich, aber alle hörten zu.“ Wer nicht einschaltete, hatte was verpasst und konnte nicht mitreden. Radio braucht Relevanz, das ist die Zukunft.

Dieser Artikel ist erschienen in der vor kurzem veröffentlichten LfM-Publikation „Digitaltrends“ – Zukunft mit Radio.

( Titelbild oben: © deniskot / 123RF Stock Photo)

 

Joern-Krieger-200

Jörn Krieger arbeitet seit 25 Jahren als freier Journalist für Medienfachdienste im In- und Ausland.

2004 gründete der Dipl.-Germanist den Medienboten, einen exklusiven Nachrichtendienst für Führungskräfte  der Medienbranche, und war bis 2010 dessen Chefredakteur und Herausgeber.

Zu seinem Portfolio gehören zudem die Moderation von Diskussionsrunden auf Medienkongressen, Hochschulseminare, Buchveröffentlichungen und Fachübersetzungen.

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