Das Lokalradio im Ennepe-Ruhr-Kreis (Ruhrgebiet) bleibt den Hörern ein weiteres Jahr erhalten, auch wenn der Betrieb nur in einer reduzierten Form weitergeht. Dies gibt der Veranstaltergemeinschaft ein weiteres Jahr Zeit, einen neuen Betreiber zu finden. Das nordrhein-westfälische Lokalfunksystem galt 30 Jahre lang als stabil. Am Freitag (18.12.) entschied die Medienkommission der Landesanstalt für Medien NRW jedoch über einen Schritt, der zu einer endgültigen Senderschließung führen könnte.
„Fusion mit Radio Hagen ist ad acta gelegt“, lautete die letzte positive Schlagzeile über Radio Ennepe Ruhr in der Westfalenpost. Ende 2018 kamen Gerüchte auf, dass Radio Ennepe Ruhr und Radio Hagen fusionieren würden. Im Mai 2019 verkündete Peter Dziadek, Vorsitzender der Veranstaltergemeinschaft, dass es eine solche Fusion nicht geben werde, denn diese mache für beide Sender keinen Sinn.
Im Februar 2020 flatterte dann die Kündigung der Betriebsgesellschaft (BG) in das Postfach der Veranstaltergemeinschaft mit Wirkung zum Jahresende. Beteiligt an dieser BG ist u.a. die Funke Mediengruppe mit Sitz in Essen.
Das Lokalfunksystem
Das nordrhein-westfälische Lokalfunksystem ist eines der kompliziertesten Rundfunksysteme der Welt und daher auch einzigartig. In den meisten Ländern wird die Zulassung zum Betreiben einer lokalen Radiostation direkt an einen Betreiber erteilt. In NRW sieht dies anders aus. Hier wird eine solche Zulassung einem Verein übertragen. Dieser Verein ist dann die Veranstaltergemeinschaft. Wer in einer solchen VG einen Sitz erhält, schreibt das Landesmediengesetz (LMG) vor, so sollen Körperschaften wie Gewerkschaften, Kirchen und politische Parteien in der VG vertreten sein. Die VG berät und beschließt u.a. den jährlichen Stellen- und Wirtschaftsplan, entscheidet über die Grundsatzfragen der Programmplanung, sowie der Hörfunktechnik, die Änderung des Programmschemas und stellt die lokale Redaktion ein. Lediglich bei der Einstellung des Chefredakteurs hat die Betriebsgesellschaft (BG) ein Zustimmungsrecht.
Die Betriebsgesellschaft ist die zweite Säule des Systems. Sie beschafft die technische Einrichtung, die zur Produktion des Programms nötig ist. Dafür darf die BG Hörfunkwerbung für diesen Radiosender vermarkten. Nur Unternehmen, die eine oder mehrere Zeitungen im Verbreitungsgebiet verlegen, dürften sich mit 75 % an der BG beteiligen, die restlichen 25 % halten i.d.R. Gemeinden bzw. kommunalen Unternehmen im Verbreitungsgebiet. Erst nach der Kündigung durch die BG, für die es eine halbjährige Frist gibt, dürfen andere Investoren diesen Radiosender übernehmen. Die Aufgabe der VG ist es, eine neue Betriebsgesellschaft zu finden. Die Kündigung im Ennepe-Ruhr-Kreis erhielt die VG kurz vor dem ersten Corona-Shutdown.
Radio Ennepe Ruhr im Ausschuss für Kultur und Medien des Landtags
„Wenn einzelne Medienunternehmen anfingen, Rosinenpickerei zu betreiben, indem sie lukrative Sender behielten und die anderen abstießen, entstehe ein Flickenteppich,“
kritisierte am 5. März 2020 im Ausschuss für Kultur und Medien Alexander Vogt, medienpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion (vgl. Ausschussprotokoll APr 17/932 vom 05.03.2020) und stellte die Frage, ob die von der CDU-/FDP-geführte Landesregierung das System überhaupt noch erhalten wolle.
„Alle Beteiligten – radio NRW, die Veranstaltergemeinschaften, die Betriebsgesellschaften – eint im Grunde das Interesse, ein flächendeckendes Lokalfunkangebot in Nordrhein-Westfalen zu erhalten. (…) Die Landesregierung verfolge mit dem gesetzgeberischen Verfahren das Ziel, ein flächendeckendes Angebot vorhalten zu können,“
entgegnete auf die Anfrage der Opposition Klaus Kaiser, Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.
9 Monate später
Es ist still um Radio Ennepe Ruhr geworden. Die Corona-Pandemie beschäftigte neun Monate lang nicht nur die Politiker. Erst in der Einladung zur Medienkommissionssitzung vom 3. Dezember tauchte das Thema in der Öffentlichkeit wieder auf. Auf der Tagesordnung stand die Zuweisung von Übertragungskapazitäten im Ennepe-Ruhr-Kreis an die radio NRW GmbH mit dem Verweis auf die entsprechenden Paragraphen im LMG.
In früheren Versionen des LMG war keine Übergangsregel vorgesehen. Das Gesetz sieht unverändert vor, dass die BG der VG zum 30. Juni des jeweiligen Jahres kündigt und die VG sechs Monate Zeit hat, um eine neue BG zu finden. Die BG ist i.d.R. eine GmbH und kann Insolvenz anmelden ohne die gesetzlichen Fristen aus dem LMG einhalten zu müssen. Die Redakteure werden von der VG eingestellt, die keine eigenen Einnahmen erzielt. Meldet eine BG Insolvenz an, stellt diese sofort ihre Zahlungen an die VG ein. Die VG ist mittellos und kann ihre Verpflichtungen aus den Arbeitsverträgen nicht mehr erfüllen und muss ebenfalls Insolvenz anmelden. Im Ennepe-Ruhr-Kreis ist der Fall nicht eingetreten, die Funke Mediengruppe finanzierte den Sender gesetzeskonform bis zum Jahresende.
Die erste Kündigung mit anschließender Abschaltung eines Lokalsenders erfolgte im Jahr 2005 bei der Welle West im Kreis Heinsberg. Im Gesetz fehlte damals noch eine Option für den „Rückfall der Frequenzen“ an den Rahmenprogrammanbieter. Radio NRW produzierte damals 9½ Monate ein Ersatzprogramm für die Welle West. Während der öffentlichen Konsultation des neuen LMG im Jahr 2013 fehlte diese Option noch in der Entwurfsfassung. In der nächsten Entwurfsfassung vom 05.02.2014 wurde eine Notlösung für die Lokalsender gestrickt, derer VG ohne BG dasteht. Dem Rahmenprogrammanbieter wurde ermöglicht, sein Programm für ein Jahr auf die Frequenzen des Lokalfunks rund um die Uhr aufzuschalten.
Schnell erkannte der Verband Lokaler Rundfunk in NRW (VLR) die Sprengwirkung des Absatzes für das Lokalfunksystem und gab in seiner Stellungnahme zum Entwurf des LMG seine Bedenken bekannt:
„Die Übertragung freiwerdender Frequenzen des Lokalfunks an den Rahmenprogrammanbieter ist eine sinnvolle Maßnahme, um „weiße Flecken“ in der Versorgung zu verhindern. Der VLR befürchtet dennoch, dass unter zunehmendem wirtschaftlichem Druck diese Rückfallposition ausgenutzt werden könnte.“
VLR forderte vom Gesetzgeber Sicherheitsmechanismen, damit Betriebsgesellschaften Lokalradios nicht kündigen:
„Die BGs könnten in Versuchung geraten, ein defizitäres Sendegebiet an den Rahmenprogrammanbieter abzutreten, jedoch weiterhin am Sendegebiet über die landesweite Vermarktung und Ausschüttung zu partizipieren. VGs und BGs müssen daher hinreichende Anreize vorfinden, Sendegebiete und Redaktionen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu unterstützen. Zudem darf nicht die Gefahr bestehen, dass durch vermehrte Zuordnung von Frequenzen an den Rahmenprogrammanbieter ein Einfallstor für einen landesweiten Sender entsteht.“
In gleiche Richtung ging auch die Forderung des Deutschen Journalisten-Verbands NRW.
6 Jahre später wird der Absatz erstmalig angewandt
Die Sitzung der Medienkommission fand am 18.12.2020 statt. Auf der Tagesordnung stand die Zuweisung der Radio-Ennepe-Ruhr-Frequenzen an die radio NRW GmbH. Doris Brocker, die stellvertretende Direktorin und Leiterin der Abteilung Recht und Aufsicht erläuterte in der Onlinekonferenz den Kommissionsmitgliedern, dass der „privilegierter Verleger“ die Veranstaltergemeinschaft gekündigt hat und ab 01.01.2021 die Veranstaltergemeinschaft ohne Finanzmittel für das Personal und Programm dasteht.
Der VG-Vorsitzender Peter Dziadek sei noch ganz emsig dabei und versuche eine neue Betriebsgesellschaft zu finden. Der Kommission wurden zwei Varianten zur Abstimmung vorgelegt, eine mit einem reinen Rahmenprogramm und eine mit modifizierten Rahmenprogramm mit zugekauften lokalen Inhalten. Die VG und radio NRW möchten nicht das reine Rahmenprogramm aufschalten, weil zwischen 6 und 9 Uhr das Programm unmoderiert ist und instrumentale Musikbetten während der Lokalnachrichten gespielt werden. Für die Hörer gebe es keinen Anreiz, das Programm in der Radio-Primetime einzuschalten und der lokale Bezug ginge verloren.
Würden die Kommissionsmitglieder für die zweite Variante stimmen, gäbe es weiterhin Lokalnachrichten, eine Morgensendung, den Bürgerfunk und lokale Werbung. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass die Hörer wegblieben und Werbeträger sich umorientieren würden. Das würde einen Neustart des Senders erschweren. Die Hörer hätten weiterhin den Eindruck, sie hören Radio Ennepe Ruhr, denn die Stationskennung würde weiterhin eingefügt werden, diese fehle bei Radio NRW gänzlich.
Radio NRW habe angeboten bestimmte Regeln einzuhalten. Die lokale Werbung soll demnach ausschließlich zur Refinanzierung des Programms und der Verbreitungskosten dienen, der lokale Verleger [Anm. der Red.: die Funke Medien Gruppe] werde weiterhin die Vermarktung des Senders [Anm. der Red.: über seine Servicegesellschaft Westfunk] übernehmen. Brocker schilderte die Befürchtungen, die bereits der VLR 2014 nannte, dass die Verleger die Lokalradios aufgeben wollen, aber auf ihre Pfründe nicht verzichten wollen.
Ulrike Kaiser vom DJV NRW fragte nach, wie die LfM kontrollieren werde, dass Gewinne aus der Vermarktung „über irgendwelche Kanäle“ dem Vermarkter zugeführt werden können und was genau nach einem Jahr passieren wird. Brocker antwortete, dass die LfM den Aufwand für die Programmerstellung, Personal- und Technikkosten abschätzen und die Provisionen für Vermarktung auf ihre Marktüblichkeit überprüfen könne. Die Lizenz der Veranstaltergemeinschaft müsse entzogen werden, darüber wird die Medienkommission informiert werden. Die stellvertretende Direktorin kündigte eine Überprüfung der Zuweisung an radio NRW Mitte 2021 an und ihren Ablauf spätestens bis zum Jahresende. Daraufhin werden die Frequenzen entzogen und stehen dem Lokalfunk nicht mehr zur Verfügung. Hier lässt sich vermuten, dass diese der landesweiten UKW-Hörfunkkette zugeschlagen werden, wie bereits andere aufgegebene Frequenzen des NRW-Lokalfunks.
Jürgen Mickley, Vertreter der Bürgermedien und Andrea Stullich MdL (CDU) fragten genauer nach, wie das Programm in Zukunft aussehen werde. Mickley nannte 200.000 Euro, die das Notprogramm kosten solle, 120.000 € stehen für Personalkosten zur Verfügung, 80.000 € für die Verbreitung. Mitarbeiter aus dem alten Radio Ennepe Ruhr Team sollen beschäftigt werden, erfuhren die Kommissionsmitglieder aus der Vorlage.
Weil alle NRW-Lokalradios zwischen 6 und 9 Uhr eine eigene Morgensendung produzieren, kann Radio NRW eine Sendung für den Ennepe-Ruhr-Kreis übertragen, vermutet Stullich. In Notfällen springt der Rahmenprogrammanbieter ein und liefert eine moderierte Morgensendung aus Oberhausen. Tatsächlich produziert Radio NRW für die Morgensendungen der Lokalradios auch überregionale Inhalte, die alle Lokalradios in ihr Programm einbauen können. Brocker erläutert, dass die Frühsendung keine Frühsendung für „Ennepe“ sein wird, die lokalen Inhalte werden von redaktionellen Kräften vor Ort zugekauft und als lokale Elemente eingespielt.
Die Kommission stimmt der Aufschaltung von Radio NRW im Ennepe-Ruhr-Kreis einstimmig zu.
Das Sorgenkind: Radio Ennepe Ruhr
Was macht es so schwierig im Ennepe-Ruhr-Kreis Radio wirtschaftlich zu betreiben, hat RADIOSZENE Axel Schindler, Geschäftsführer der Servicegesellschaft Westfunk gefragt:
„Das Sendegebiet ist äußerst heterogen. Mit 9 sehr eigenständigen Städten, deren Einwohner sich in ihrer Lebenswirklichkeit eher in unterschiedliche Nachbarstädte und Himmelsrichtungen orientieren – z.B. Hattingen nach Bochum, Herdecke nach Dortmund, Breckerfeld nach Hagen etc. – ist ein WIR-Gefühl nicht zu erzeugen. Die Identifikation mit dem Landkreis und damit auch mit dem Lokalsender gleichen Namens ist daher nur in geringem Maße ausgeprägt. Dieses ist ablesbar an den Reichweiten des Senders, die letztlich auch die Wirtschaftlichkeit stark einschränken.“
Täglich schalten den Sender 37.000 Hörer ein, was einer Tagesreichweite von 13 % entspricht. In der durchschnittlichen Stunde hören 10.000 Menschen ab 14 Jahren zu, geht aus der E.M.A. NRW 2020 II hervor. Der Bekanntheitsgrad des Senders beträgt 53,4 %.
„Es gibt Regionen mit einem stärkeren „Wir-Gefühl“ als dies im Ennepe-Ruhr-Kreis der Fall ist. Aber auch damit lernt man umzugehen und gestaltet sein Programm anders, als dies beispielsweise ein Stadtsender tut. Aber das „Problem“ ist dadurch natürlich nicht weg. Dennoch möchte ich betonen, dass in knapp 30 Jahren auch viel Gutes, kreatives und für die Region sinnstiftendes in diesem Sender entstanden ist,“
erklärt Andreas Wiese, Chefredakteur von Radio Ennepe Ruhr. Der Ennepe-Ruhr-Kreis besteht in den heutigen Grenzen seit dem 1. Januar 1975. Die Funke Mediengruppe verlegt im Kreis drei Zeitungen mit fünf Lokalausgaben. Das Lokalradio ist das einzige Medium, das die Hörer in allen neun Städten mit Informationen aus dem gesamten Kreis versorgt.
Axel Schindler erklärte RADIOSZENE die Gründe für die Kündigung des Vertrages so:
„In den guten Zeiten konnte ein chronisch defizitärer Sender wie Radio Ennepe-Ruhr in einem starken Senderverbund aufgefangen werden. Sinken jedoch die Erträge im Senderverbund – und das ist seit mehreren Jahren der Fall – kippt dieses Prinzip und der Gesellschafter der Betriebsgesellschaft muss sich die Frage stellen, ob er in der vorhandenen Konstellation und unter den bestehenden Rahmenbedingungen Perspektiven sieht, die wirtschaftliche Situation von Radio Ennepe-Ruhr zu verbessern. Diese Frage wurde Anfang dieses Jahres mit Nein beantwortet.“
Die Aufgabe von Radio Ennepe Ruhr durch die Funke Mediengruppe sieht Ernst-Wilhelm Rahe, MdL (SPD) als einen „grundsätzlichen Einschnitt ins System“. Es gäbe Redebedarf mit allen Beteiligten des Lokalfunks, findet Rahe. Einzelne Kommissionsmitglieder traten zuletzt an die VGs heran, erfragten die Lage bei sich vor Ort und fordern nun von der LfM-Verwaltung die Erstellung eines Gesamtbildes für NRW. Der Informationsaustausch soll verstärkt werden. Es werde vorgeschlagen, einen neuen Ad- hoc-Ausschuss zu bilden, der sich mit der Lage des Lokalfunks beschäftigt.
RADIOSZENE fragte die medienpolitischen Sprecher mehrere Fraktionen, ob die Gesamtstrategie „Radio in NRW 2022“ der regierenden CDU-/FDP-Koalition zu spät oder etwa gar nicht greift.
Alexander Vogt, medienpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, begrüßt, dass der VG mehr Zeit eingeräumt wird, eine neue BG zu finden:
„Ich bin sehr froh, dass die Veranstaltergemeinschaft im Ennepe-Ruhr-Kreis etwas Zeit gewinnt, um eine andere Lösung mit einer neuen Betriebsgesellschaft zu finden. Die sogenannte Gesamtstrategie „Radio in NRW 2022“ der Landesregierung hat zu dieser Lösung jedenfalls in keiner Weise beigetragen, denn die Maßnahmen sind lediglich homöopathische Änderungen im LMG. Eine Gesamtstrategie ist beim besten Willen nicht erkennbar.“
Vogt kritisiert konkret:
„Die Aussage von Medienstaatssekretär Liminski, mehr Flexibilität im System zu schaffen, bekommt zumindest ein gewisses Geschmäckle, wenn man sich die Maßnahmen genauer anschaut: Einerseits können die Verlage dank der Radiostrategie nun die volle wirtschaftliche Kontrolle erhalten. Andererseits wurden die Vergabekriterien für die neu zu vergebende zweite landesweite UKW-Kette auf ein Angebot von Radio NRW optimiert, das für die Lokalradios mehrere Jahre weniger Ausschüttung von Werbegeldern bedeuten kann. Und schließlich wird zulasten des privaten Hörfunks auf die zweite Stufe der Werbezeitenreduzierung im WDR-Hörfunk verzichtet. All das schwächt die 44 Lokalfunksender in NRW und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass einige Lokalradios die Maßnahmen nicht überleben.“
Oliver Keymis, medienpolitische Sprecherin der Grünen und Vizepräsident des Landtags NRW, zeigt sich erfreut, dass es Maßnahmen der Landesregierung gibt:
„Sicher ist, dass niemand auf Dauer Überlebensgarantien aussprechen kann. Die Schließung ist sehr bedauerlich, aber eine unternehmerische Entscheidung. Ob die bisher vorgeschlagene „Gesamtstrategie Radio NRW 2022“ ausreicht, um solche Entscheidungen künftig zu verhindern, ist noch nicht abschließend absehbar.“
Andrea Stullich, medienpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag verteidigt die „Gesamtstrategie Radio NRW 2022“: „Die Strategie ist darauf ausgerichtet, die Rahmenbedingungen für einen wirtschaftlich tragfähigen Lokalfunk zu verbessern.“ Thomas Nückel, medienpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion pflichtet Stullich bei und ergänzt:
„Die Vorgängerregierung hat freilich Zeit verstreichen lassen und notwenige zukunftsträchtige und zielführende Weichenstellungen nicht ergriffen. Dadurch ist viel Zeit verloren gegangen.“
Die CDU-/FDP-Koalition regierte in NRW zwischen 2005 und 2010, und dann wieder ab 2017. Die SPD-/Grüne-Koalition regierte vor 2005 und dann wieder von 2010 bis 2017. Jede Schuldzuweisung in NRW wirkt wie das sprichwörtliche Steinewerfen im Glashaus. Ein wirklich neues Zukunftsmodell für den Hörfunk im bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands präsentierte bis jetzt keine Partei.
„Die Tatsache, dass die Veranstaltergemeinschaft von Radio Ennepe-Ruhr das lokale Hörfunkprogramm zum 31.12.2020 einstellen muss, weil die Betriebsgesellschaft den VG/BG- Vertrag gekündigt hat und keine neue Betriebsgesellschaft gefunden werden konnte, steht in keinem Zusammenhang mit der Radiostrategie. Dem Zwei-Säulen-Modell liegt der Gedanke einer flächendeckenden Versorgung mit Lokalfunk in Nordrhein-Westfalen zugrunde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich um privatwirtschaftlich organisierten Rundfunk handelt. Sollte es zur Aufgabe eines Sendegebiets kommen, können dem unterschiedliche Erwägungen oder Ursachen zugrunde liegen. Um die Refinanzierungsmöglichkeiten des Lokalfunks zu verbessern, leistet die Radiostrategie „Radio in NRW 2022“ einen Beitrag,“
ergänzt Stullich, Nückel zeigt sich verwundert, dass die Veranstaltergemeinschaft Radio Ennepe Ruhr der Fusion der Lokalsender Radio Hagen und Radio Ennepe Ruhr nicht zugestimmt hat:
„Im Fall EN kann ich allerdings nicht nachvollziehen, warum man sich als VG nicht das gedeihliche Modell Oberhausen/Mülheim (Ruhr) zum Vorbild genommen hat – zumal man sich ja schon im „Funkhaus Hagen“ befindet. Das hat wohl kaum mit der Radiostrategie im Land zu tun.“
Am 5. August 2007 wechselte das Lokalradio „Antenne Ruhr“ lediglich den Namen in “106.2 Radio Oberhausen“ und „92.9 Radio Mülheim“. Die beiden Programme werden weiterhin von einer VG, der „Veranstaltergemeinschaft Lokalfunk für die Städte Mülheim an der Ruhr und Oberhausen e.V.“ veranstaltet. Es wird ein Programm mit zwei unterschiedlichen Bezeichnungen produziert und stundenweise auseinandergeschaltet.
Im Ennepe-Ruhr-Kreis und in der Stadt Hagen sollten zwei Lokalradios den umgekehrten Weg gehen und fusionieren. Eine Blaupause für dieses Vorgehen gab es allerdings nicht. Der Einstellung von Radio Aachen am 26. Februar 2010 und die Ausdehnung des Verbreitungsgebietes der Antenne AC vom Kreis Aachen auf die kreisfreie Stadt Aachen ging die Schaffung eines „Kommunalverbandes besonderer Art“ voraus, der Städteregion Aachen.
Der Weg zur Fusion der beiden Lokalradios in Hagen und dem Ennepe-Ruhr-Kreis wäre aufwendiger gewesen. Dafür müsste eine neue Veranstaltergemeinschaft gegründet worden, die LfM NRW hätte die Festlegung der Verbreitungsgebiete für den lokalen Hörfunk ändern müssen, die Betriebsgesellschaften beider Sender den alten Veranstaltergemeinschaften kündigen müssen und alle Mitarbeiter wären erst einmal gekündigt worden. Den Schritt verweigerte die VG Radio Ennepe Ruhr. Die Gründe dafür nennt Peter Dziadek, Vorsitzender der VG:
„Wir hatten mehrere starke Interessenten an einer neuen Betriebsgesellschaft. Ein Vertrag konnte aber nicht zustande kommen, da unsere BG uns nicht kündigen wollte. Dass die Kündigung dann ein Jahr später erfolgte – noch vor der Coronakrise – war natürlich, gelinde gesagt, sehr ärgerlich. Und schließlich hat die Pandemie dazu geführt, dass dieselben Interessenten aus wirtschaftlichen Gründen kein Interesse mehr zeigten.“
Die Folgen der Kündigung
Am 29. Dezember 2020 werden im „Funkhaus Hagen“ im Studio von Radio Ennepe Ruhr das letzte Mal die Regler am Mischpult bewegt. „Um einen unterbrechungsfreien Übergang zu gewährleisten und ggf. technischen Support für die Behebung von Problemen sicherstellen zu können, haben wir uns in Abstimmung mit der Veranstaltergemeinschaft Ennepe-Ruhr darauf verständigt, im Anschluss an die lokale Sendezeit den Übergang zu radio NRW zu vollziehen,“ teilte RADIOSZENE radio NRW mit. Sieben Mitarbeiter*Innen sind entlassen worden, schrieb RADIOSZENE Chefredakteur Andreas Wiese:
„Hinzu kommen aktuell fünf freie Mitarbeiter*innen, die ihre Aufträge in dieser Redaktion verlieren. Zum Teil sind Kolleginnen und Kollegen in anderen Stationen neu oder in größerem Umfang als bisher untergekommen. Es werden zum Jahreswechsel aber wahrscheinlich nicht alle vollumfänglich versorgt sein.“
Andreas Wiese, ist es nicht ein Paradox, dass die Redaktion entlassen, das Studio abgebaut wird und Radio Ennepe Ruhr rund um die Uhr im nächsten Jahr weiterfunkt?
„Diese Frage beantworte ich mit einem eindeutigen „Jein“. Es kommt immer darauf an ob man nur auf das Problem, oder auch auf die Chance schaut. Natürlich ist das sehr bedauerlich und auch nicht als Dauerzustand angelegt. Aber die Veranstaltergemeinschaft hat nun zusätzliche Zeit gewonnen, einen Neustart hinzulegen und Arbeitsplätze auch wieder neu zu erschaffen. Hier geht es um werbefinanzierten Privatfunk. Mitten im Weihnachtsgeschäft hat der Handel seine Türen schließen müssen, kein Restaurant in diesem Land kann Weihnachtsfeiern ausrichten. Das sind potentielle Werbekunden. Ich denke, es steckt im Erhalt der Sendermarke schon auch eine Chance in schwierigen Zeiten. Bei allen Härten, die dieser Prozess natürlich mit sich bringt.“
RADIOSZENE wollte auch wissen, wo die Hörer Andreas Wiese im nächsten Jahr werden hören können:
„Mich? Nun ich dachte, die fetten Angebote kommen erst nach diesem Interview! Im Ernst: Wahrscheinlich hört man mich im Radio wieder und sieht mich auch mal in Videos. Ich denke, dass ich als Moderator arbeiten werde. Eine sehr schöne Aufgabe.“
Potentiellen Investoren steht Wiese gerne mit Rat und Tat zur Seite und dem Vorstand des Senders wünscht er viel Erfolg. Ob Andreas Wiese die Hörer auch im neuen Jahr in der Morgensendung wecken darf, steht noch aus.
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