Ein Chefredakteur, mehrere freie Mitarbeiter als Team und mehrere Lokalradios in einem Funkhaus, so beschreibt Uwe Peltzer seine Zukunftsvision für den NRW-Lokalfunk. Der Geschäftsführer der PFD Pressefunk, eines Tochterunternehmens der Rheinische Post Mediengruppe, stellte sein „Zukunftsmodell“ am vergangenen Montag (13.9.) dem Kreisausschuss des Ennepe-Ruhr-Kreises vor. Die Rheinische Post Mediengruppe möchte dem Lokalfunk im Kreisgebiet eine zweite Chance geben. Die Funke Mediengruppe hat Radio Ennepe Ruhr bis zum 31.12.2020 betrieben, seit dem Jahresanfang wird ein auf ein Jahr befristetes Notprogramm durch den Rahmenprogrammanbieter Radio NRW produziert.
„Die Lokalradios sterben aus und der WDR versagt“ (Ulrich Oberste-Padtberg, CDU)
Bei Ausschusssitzungen eines Landkreises glänzt die „Öffentlichkeit“ meistens durch Abwesenheit, gelegentlich kommen ein paar Betroffene vorbei, in diesem Fall drei Feuerwehrleute. Auf der Tagesordnung steht u.a. der „Bericht zum Hochwasser infolge der Unwetterlage“ und es fällt die Frage nach der Kommunikation mit den Bürgern während der Gefahrenlagen. Die Ausschussmitglieder erfahren, dass das Behörden-Funknetz (u.a. Feuerwehr und Polizei) beim Stromausfall nicht ausreichend abgesichert ist und die Polizei sich darauf verlässt, dass die Feuerwehr mit ihren Notstromaggregaten das Funknetz für die Polizei betreiben kann, während die Feuerwehr die Notstromaggregate z.B. zum Abpumpen von Kellern benötigt.
Kreistagsmitglied Ulrich Oberste-Padtberg (CDU) erinnert sich, dass bei Gefahrenlagen das Radio einzuschalten sei und erinnert mit den Worten „die Lokalradios sterben aus und der WDR versagt,“ an die verspäteten Durchsagen der öffentlich-rechtlichen Anstalt während des letzten Hochwassers in NRW. In Wuppertal konnte der Lokalfunk während des Hochwassers noch mehrere Stunden senden, obwohl in Teilen der Stadt das Licht abgeschaltet wurde, doch auch hier war das Notstromaggregat nach mehreren Stunden leer (vgl. auch Der Deutsche Radiopreis 2021 geht an Radio Wuppertal).
Noch etwa 100 Tage darf das speziell für den Ennepe-Ruhr-Kreis produzierte lokale Programm ausgestrahlt werden (RADIOSZENE berichtete). Wird der Landesanstalt für Medien NRW kein neues tragfähiges Konzept vorgelegt, entscheidet die Medienkommission auf einer ihrer nächsten Sitzungen über den Lizenzentzug. Welche Sitzung es genau wird, dazu erteilt die Behörde keine Auskunft.
Ein Angebot legte der Veranstaltergemeinschaft Ennepe-Ruhr die PFD Pressefunk vor. Laut der Beschlussvorlage haben die Gesellschafter (u.a. die Funke Mediengruppe) rd. 6,4 Mio. Euro Verlust in den vergangen 29 Jahren allein mit diesem Lokalradio gemacht. Der Ennepe-Ruhr-Kreis habe Anfang der 1990er Jahre der Betriebsgesellschaft ein Gesellschafterdarlehen zur Abdeckung der Fehlbeträge gewährt. „Dieses wurde nicht getilgt, allerdings bis Ende 2020 von der Betriebsgesellschaft verzinst. Zum 31.12.2020 valutiert dieses Darlehen mit rd. 362.000 Euro). Es ist davon auszugehen, dass dieses Darlehen mit der Abwicklung der Betriebsgesellschaft abgeschrieben werden muss.“
Der Ennepe-Ruhr-Kreis beabsichtigt sich erneut am Lokalfunk mit 150.000 Euro zu beteiligen und 25 % der Anteile zu übernehmen, vorausgesetzt die Medienkommission stimmt dem neuen Konzept zu. Peltzer betont, dass der NRW-Lokalfunk auf eine flächendeckende Versorgung bei der Vermarktung angewiesen ist und diese erhalten möchte. Für den Einstieg bei Radio Ennepe Ruhr habe die Rheinische Post Mediengruppe „Grünes Licht“ gegeben, nur die Aufsichtsbehörde Landesanstalt für Medien NRW (LfM NRW) sei wenig hilfreich an der Stelle, heißt es zuerst, dann nennt Pelzer doch noch einige Bedienungen, die den Einstieg erleichtern würden.
Zukünftiges Programm
Morgens würde der Chefredakteur eine vierstündige Sendung moderieren und zwei weitere lokale Programmstunden gäbe es nachmittags in Zusammenarbeit mit Radio Wuppertal. Freie Mitarbeiter würden aus dem Kreisgebiet berichten. Bis Ende Dezember 2020 produzierte Radio Ennepe Ruhr die Nachmittagssendung in Zusammenarbeit mit Radio NRW, sogenannte Voice-Tracks – vorgefertigte Beiträge – würden per Fernbefehl aus Oberhausen in das lokale Programm aus dem damaligen Studio in Hagen automatisch eingespielt. Die Personaldecke ist mit einem Chefredakteur und zwei freien Mitarbeitern äußerst dünn.
Beteiligung anderer Verlage gewünscht
Denkbar wäre eine Beteiligung weiterer Verlagshäuser, Peltzer nennt konkret die Essener Funke Mediengruppe und den Dortmunder Verlag Lensing-Wolff, die einen 10-prozentigen Anteil übernehmen könnten. Die beiden letztgenannten waren an dem ehemaligen Radio EN bereits bis Ende 2002 beteiligt. Als Sunshine Live den Sender übernehmen wollte, sahen die Essener ihren Werbemarkt gefährdet und führten ab 2003 Radio EN aus dem Funkhaus in Hagen allein weiter. Eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Verlagen gibt es u.a. beim Dortmunder Radio 91,2 und der Regionalzeitung Westfälischen Rundschau im Raum Dortmund, der Mantel kommt aus Essen, der Lokalteil von den Ruhr-Nachrichten aus Dortmund. Die RP und die Funke Mediengruppe sind gemeinsam u.a. an der Antenne Düsseldorf beteiligt, eine gemeinsame Beteiligung der Verlage an einer neuen Betriebsgesellschaft wäre nichts Neues.
„Das Konzept wurde aus Not geboren und ist einmalig in NRW“
Zwölf der 45 NRW-Lokalradios sind seit dem Start des Lokalfunks in NRW im Jahr 1990 in der Verlustzone, erklärt Peltzer und nennt drei weitere defizitäre Sender: Radio Euskirchen, Radio Rur im Kreis Düren und Radio Neandertal im Kreis Mettmann. Die Erlöse bei Radio Ennepe Ruhr sollen im ersten Jahr 650.000 Euro betragen und in den folgenden Jahren gesteigert werden. Das Gutachten „Zukunft des Hörfunks in Nordrhein-Westfalen 2028“ prophezeite den Hörfunkveranstaltern ab dem Jahr 2022 einen Rückgang ihre Werbeerlöse, wenn die digitale Transformation des Hörfunks nicht gelingen sollte. Im Oktober starten weitere landesweite Hörfunkprogramme in NRW auf DAB+, noch mehr Programme könnte es dann im Jahr 2022 in 5-6 regionalen DAB+ Multiplexen geben. Eine landesweite Hörfunk-Kette wurde bereits ausgeschrieben.
„Das größte Risiko ist die LfM NRW“
Wir brauchen die zweite UKW-Kette für ein jüngeres Programm, dann würden wir die Unterschrift unter den Vertrag leicht bekommen. Die andere Option ist, dass ein aggressiver Wettbewerber die Kette bekommt. In dem Fall würde Peltzer die Übernahme erneut im eigenen Haus besprechen. Mit mehreren Sätzen richtet er sich gezielt an Sabine Kelm-Schmidt, erste stellvertretende Landrätin im EN-Kreis und Mitglied der Medienkommission der LfM NRW, die von der SPD-Landtagsfraktion dorthin entsandt wurde (kein MdL). Einige Ausschussmitglieder können die Aussagen nicht einordnen, Peltzer entschuldigt sich für die gezielte Ansprache an Kelm-Schmidt und stellt sich den anschließenden Fragen, u.a. nach dem geringen Personalschlüssel und der Beteiligung des Kreises bei weiteren Verlusten. Kreiskämmerer Daniel Wieneke erinnert, dass der Kreis keine Verluste übernommen, sondern seine Anteile abgesenkt habe. Was solle in Zukunft besser werden, damit das Konzept trägt, fragt Helmut Kanand (DIE LINKE), Pelzer wolle sich an der „Kostenseite“ orientieren. Er glaube, dass die „Lokalität“ gesteigert werden kann. Wir sind darauf angewiesen, dass die umliegenden Sender uns unterstützen und eine Steigerung der Einschaltquote um 5 – 6 Prozentpunkte möglich sei, was jedoch Zeit brauchen werde.
Schon vor 30 Jahren gab es die Erkenntnis, dass in einigen Landkreisen sich der Lokalfunk allein nicht trägt, deshalb wurden u.a. der Kreis Viersen und die kreisfreie Stadt Krefeld zu einem Verbreitungsgebiet zusammengefasst. Eine Zusammenlegung zweier Verbreitungsgebiete erfolgte im Jahr 2010, im zeitlichen Zusammenhang mit der Entstehung der Städteregion Aachen, einem Kommunalverband besonderer Art. Hier wurden die kreisfreie Stadt und der Landkreis zusammengelegt und Radio Aachen daraufhin eingestellt. Das ehemalige Kreisradio Antenne AC blieb bestehen. Die LfM NRW passte anschließend ihre Satzungen zur Festlegung von Verbreitungsgebieten den Gegebenheiten an.
Peltzer will Wuppertal und den Ennepe-Ruhr-Kreis nicht verschmelzen, weil er bei einer Fusion sechs Mitarbeitende bei Radio Wuppertal und einer bei Radio Ennepe Ruhr für „überdimensioniert“ hält. Im Jahr 2019 befürwortete die Funke Mediengruppe die Zusammenlegung von Radio Ennepe Ruhr und Radio Hagen, die Veranstaltergemeinschaft Ennepe-Ruhr lehnte den Vorschlag aber ab, weil andere Anbieter in den Markt einsteigen wollten. Doch die Funke Mediengruppe kündigte den Vertrag mit Radio Ennepe Ruhr im Jahr 2019 nicht, sondern erst im Februar 2020, als die Corona-Krise sich ankündigte. Die Interessenten waren dann nicht mehr bereit den Sender zu übernehmen.
Kommentar von Marek Schirmer
Die Gefahr ist groß, dass das „Zukunftsmodell Ennepe-Ruhr“ eine Blaupause für einen Teil des NRW-Lokalfunks ist. Gewerkschaften dürften mit Argusaugen die Entwicklung im Ennepe-Ruhr-Kreis betrachten. Das Landesmediengesetz NRW (LMG NRW) zwingt die Betreiber tatsächlich nur dazu, den Chefredakteur einzustellen. Wie viele Mitarbeitende für ein 8-/5- oder 3-stündiges lokales Programm tatsächlich nötig sind, hätten wir sehr gerne von der LfM NRW erfahren. Mit dem Hinweis auf ein laufendes Verfahren tat sich die Behörde mit der Antwort sehr schwer.
Der Ennepe-Ruhr-Kreis habe den Fortbestand des eigenen Lokalradios verdient. Der Start des Ahrtalradios im Hochwassergebiet zeigt, dass das Medium eine wichtige Rolle in der Kommunikation einer Gemeinde mit den Bürgern übernehmen kann. Auch wenn es vor dem Jahresende eilt und die Einstellung des Programmbetriebs droht, stellt sich die Frage, ob die Formfehler nicht beabsichtigt sind. Darf der Ennepe-Ruhr-Kreis sich erneut an dem Lokalfunk im Kreisgebiet beteiligen? Die LfM NRW schweigt sich dazu aus.
Verletzt die Beteiligung nicht das Pluralität- und Staatsferne-Prinzip? Im § 59 des LMG NRW heißt es, dass Gemeinden und Gemeindeverbände und ihre Tochterunternehmen eine Beteiligung an der Betriebsgesellschaft mit insgesamt bis zu 25 Prozent der Kapital- und Stimmrechtsanteile bis zur Zulassung der Veranstaltergemeinschaft verlangen können. Die Veranstaltergemeinschaft ist noch zugelassen. Verzichtete der EN-Kreis nicht auf sein Beteiligungsprivileg mit der Kündigung der vorherigen Betriebsgesellschaft?
Gerne hätte RADIOSZENE erfahren, in welchen anderen gleichgelagerten Fällen die LfM NRW die Beteiligung einer Gemeinde oder ihrer Tochterunternehmen erneut erlaubt habe. Ein Indiz darauf, dass in der Vergangenheit das LMG NRW gesetzeskonform ausgelegt wurde, ist der Fall Radio Kiepenkerl. Im Juni 2002 kündigte die damalige Betriebsgesellschaft der Veranstaltergemeinschaft, daraufhin hat die Ippen-Gruppe aus München 100 Prozent der Anteile an der Betriebsgesellschaft übernommen. Warum solle im Fall Radio-Ennepe-Ruhr erneut das Privileg einer Beteiligung der Gemeinde Anwendung finden, bleibt ein Rätsel.
Es fällt auf, dass Alternativen anscheinend nicht geprüft wurden. Sublokaler Rundfunk oder ein Uniradio wären die Alternativen für Teile des Kreisgebietes. Die Kreisverwaltung könnte mit den Betreibern einen Vertrag über einen Zugang für Verlautbarung abschließen. Die Möglichkeit eine Warnung an die Bevölkerung zu versenden wäre gegeben, denn Sirenen können nur warnen, für die Verlautbarung mit den Verhaltensregeln bedarf es eines weiteren Verbreitungskanals.
Die Entscheidung, ob sich der Ennepe-Ruhr-Kreis an dem Lokalfunk beteiligt, fällt am Montag (27.9.) während der Sitzung des Kreistags in Witten.