Lange Zeit war es in Nordrhein-Westfalen (NRW) auffallend ruhig, wenn es um die Digitalisierung des privaten Hörfunks ging. Gut Ding‘ wollte Weile haben. So überließ man den Sendestart erster DAB+ Programme dem öffentlich-rechtlichen Westdeutschen Rundfunk (WDR), der –wie ein hochrangiger Privatradiomanager bemerkte– „für sein Engagement aus Gebührengelder ja auch reichlich subventioniert werde“. Im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland verbreitet der WDR einschließlich der simultan ausgestrahlten Programme seiner UKW-Flotte sowie einiger exklusiver DAB+ Beiboote (wie WDR Event, 1Live Diggi oder KiRaKa) aktuell 10 digitale Angebote.
Neben dem bundesweiten DAB+ Ensemble ist ansonsten auf digitalem Wege nur das katholische domradio empfangbar. Was in den letzten Jahren zu Kritik und Grummeln seitens einiger privater Interessenten führte – verbunden mit der Forderung nach einer baldigen Öffnung des Marktes zu mehr digitaler Programmvielfalt.
Allerdings, so scheint es, besteht bei der Gestaltung von digitalem Hörfunk in NRW längst noch keine Einigkeit über die Wahl der technischen Umsetzung. So wurde bekannt, dass sich die ostwestfälischen Lokalradios gegen den Ausstrahlungsstandard DAB+ entschieden haben. „Wir erhoffen uns von der Einführung von 5G in den nächsten fünf Jahren eine technisch sinnvolle Lösung. Die Formel heißt dann: Wir machen Radio in UKW, 5G und dem Internet“, wird Peter Beinke, technischer Leiter von Audio Media Service (ams) in Bielefeld in der „Neuen Westfälischen Zeitung“ zitiert. Die ams stellt den sieben Lokalradios in Ostwestfalen-Lippe und im angrenzenden Kreis Warendorf die Studios und Sendeanlagen für den Lokalfunk zur Verfügung.
Nach der diesjährigen Sommerpause kam mit der Vorstellung neuer Ergebnisse aus dem Gutachten „Zukunft des Hörfunks in Nordrhein-Westfalen 2028“ eine erhöhte Betriebsamkeit in den Markt. Die Landesanstalt für Medien NRW hatte für die Zielaussagen der Studie die Berliner Goldmedia GmbH Strategy Consulting beauftragt verschiedene Szenarien zu den Entwicklungschancen des Radios im Bundesland zu erarbeiten. Die Analysten kamen bei ihren Recherchen zum eindeutigen Ergebnis, dass UKW als Verbreitungsweg für die meisten Radioanbieter nicht mehr lange alleine wirtschaftlich tragfähig sei. Und: DAB+ werde kommen, wenn auch laut Vorhersage nicht als dominante Sendeform. Internetstreaming soll im Bereich der Hörfunknutzung in Nordrhein-Westfalen deutlich an Relevanz gewinnen und wichtigster Verbreitungsweg für den Radiokonsum werden! Goldmedia attestierte der UKW-Technik dagegen eine stark abnehmende Bedeutung. Ein mehr als deutlicher Hinweis an die Adresse der letzten UKW-Romantiker nun zügig die digitale Transformation – gleich welcher Art – einzuleiten!
Bereits kurze Zeit später rief die Landesanstalt für Medien NRW in Vorbereitung einer Beantragung von DAB+-Übertragungskapazitäten interessierte Radiomacher zu einem “Call For Interest“ für den Rundfunkdienst im VHF-Band III auf. Mit den Rückmeldungen aus dieser Abfrage sollte dann „eine möglichst umfassende und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit einem vielfältigen Programmangebot und programmbegleitenden Diensten des privaten Hörfunks gesichert werden.“ Hörfunkveranstalter, Plattformanbieter sowie Anbieter vergleichbarer Telemedien waren eingeladen, den Bedarf für eine DAB+-Verbreitung ihrer Angebote in NRW anzugeben.
Nach Ende der Bedarfsabfrage hatten 46 Interessenten ihr Interesse an DAB+-Kapazitäten hinterlegt. Heute Abend hat die Landesanstalt für Medien NRW die Liste der 46 Bewerber veröffentlicht (siehe UPDATE unten!)
Flankierend gibt es Unterstützung durch die Politik: Das schwarz-gelbe Landeskabinett in Nordrhein-Westfalen hat hierfür am 13. November 2018 den Entwurf des 17. Rundfunkänderungsgesetzes beschlossen. Darin soll im Landesmediengesetz NRW „die Digitalisierung wesentlich stärker abgebildet sein und ein Impuls gegeben werden für den Strategieprozess ‘Radio in NRW 2022‘ für einen starken Lokalfunk im digitalen Zeitalter“, heißt es aus der Staatskanzlei (vgl. auch NRW-Landesregierung stellt Lokalfunkmodell nicht in Frage).
Freie Fahrt also für den Privatfunk in ein erfolgreiches digitales Zeitalter? Im Gespräch mit RADIOSZENE sprach Dr. Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW, über die Ergebnisse und Konsequenzen aus dem Gutachten „Zukunft des Hörfunks in Nordrhein-Westfalen 2028“.
RADIOSZENE: Ende September wurde die von Ihnen in Auftrag gegebene Studie „Zukunft des Hörfunks in Nordrhein-Westfalen 2028“ vorgestellt. Sie enthält – jeweils gewichtet nach vier Szenarien – eine Reihe bemerkenswerter Prognosen für die Entwicklung des Radios. Besteht nach vorliegenden Kernaussagen bereits heute unmittelbarer Handlungsbedarf?
Dr. Tobias Schmid: Ja, unbedingt. Auf einer Fachtagung bei uns in der Landesanstalt für Medien NRW Ende September hat Prof. Klaus Goldhammer die Ergebnisse seiner Studie zum Audiomarkt der Zukunft vorgestellt. Eine seiner Kernaussagen lautete, dass sich der Markt in Nordrhein-Westfalen deutlich verändern wird. Der Konkurrenzdruck auf den klassischen UKW-Hörfunk wird steigen. Der Anteil von UKW an der Hörfunknutzung könnte je nach Szenario in den kommenden fünf Jahren um bis zu 30 Prozent absinken. Das heißt für die Marktbeteiligten: Es ist höchste Zeit, sich darauf einzustellen.
RADIOSZENE: Ein Kernergebnis der Studie besagt, dass die UKW-Nutzung deutlich schrumpfen wird – von heute 88 Prozent auf bestenfalls 42 Prozent in 2028 – im ungünstigsten Fall lediglich noch 33%. Was bedeutet diese Entwicklung für die Planungen der Landesmedienanstalt sowie der 44 Lokalradios im Lande?
Dr. Tobias Schmid: Ich kann natürlich nur für die Medienanstalt sprechen. Für uns bedeutet diese Situation, dass wir dafür Sorge tragen müssen und wollen, auch in Zukunft in NRW eine vielfältige, flächendeckende Hörfunklandschaft mit regionalen oder lokalen Inhalten zu haben. Soweit uns die gesetzlichen Möglichkeiten gegeben sind, gilt das gerade für die Lokalradios, immer vor dem Hintergrund der echten Anbieter- und Angebotsvielfalt und nicht zuletzt auch vor dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit.
„Der Konkurrenzdruck auf den klassischen UKW-Hörfunk wird steigen“
RADIOSZENE: Umgekehrt sehen die Forscher Zuwächse bei den Nutzungszahlen für DAB+ und – vor allem – bei Onlineradio, das bestenfalls sogar 56 Prozent Marktanteil erreichen kann. Ist dies für die Betreiber des Lokalfunks nicht ein dringliches Signal die digitalen Verbreitungswege noch stärker zu priorisieren?
Dr. Tobias Schmid: Ja.
RADIOSZENE: Reicht die vorhergesagte Entwicklung aus, DAB+ in Nordrhein-Westfalen lokal- neben Domradio – nun auch für weitere private Anbieter zu öffnen?
Dr. Tobias Schmid: Sie reicht zumindest einmal dafür aus, auszuloten, ob am Markt ein Interesse besteht. Das haben wir Anfang Oktober mit einer Bedarfsabfrage getan. Auf diese Anfrage sind bis Ende Oktober 46 Interessensbekundungen eingegangen.
RADIOSZENE: Die digitalen Hörfunkmedien bieten gegenüber UKW auch ein Mehr an Sendemöglichkeiten. Dies weckt Begehrlichkeiten und es werden Ihnen – außer aus dem Lokalfunk – sicherlich weitere Bewerbungen für Lizenzen auf den Tisch kommen. Haben Sie schon Pläne für eine künftige Architektur der digitalen Hörfunklandschaft?
Dr. Tobias Schmid: Wir sind gerade dabei, die Interessensbekundungen zu sichten und zu prüfen. Die nächsten Schritte liegen jetzt auf der Hand: Auf Grundlage der ermittelten Bedarfsprognosen werden wir die Zuordnung von Übertragungskapazitäten bei der Staatskanzlei und diese dann bei der Bundesnetzagentur (BNetzA) beantragen. Soweit die BNetzA den angemeldeten Bedarf decken kann, werden anschließend dem Land NRW entsprechende Übertragungskapazitäten zur Verfügung stehen, die dann von der Landesanstalt für Medien NRW nach Zuordnung ausgeschrieben werden können.
RADIOSZENE: Eine weitere Aussage der Studie besagt, dass im günstigsten Fall spätestens ab 2022 die UKW-Erträge deutlich einbrechen werden – in einem weniger günstigen Szenario sogar früher und dann um über ein Viertel der heutigen Einnahmen. Für den Lokalfunk und seine Betreiber sicher alarmierende Vorzeichen. Mit welchen Maßnahmen können die Sender und die Medienanstalt hier gegensteuern?
Dr. Tobias Schmid: Auf den Rückgang der UKW-Reichweite haben wir keinen Einfluss. Auch eine Verschiebung des Werbemarktes zu Ungunsten von UKW können wir als Medienanstalt nicht auffangen. Hier sind die Sender gefragt, zukunftsfähige Strategien zu entwickeln. Der Druck, schnell überzeugende Konzepte zu liefern, steigt natürlich. Ganz neu ist er aber ehrlich gesagt, nicht.
RADIOSZENE: Audio und Hörfunk verfügen laut Privatfunkverband VAUNET zumindest absehbar noch über robuste Werbeprognosen. Zudem werden die heutigen Werbeeinnahmen aus dem UKW-Geschäft nicht im Boden versickern, sondern eher von anderen Audioquellen vereinnahmt. Gibt es schon Annahmen, wer am ehesten von den rückläufigen UKW-Erträgen profitiert?
Dr. Tobias Schmid: Solange Sie mich nicht nach der Höhe und den Anteilen fragen, ist das eine einfach zu beantwortende Frage: Streaming-Dienste, Anbieter, die über DAB+ senden und Abo-Anbieter.
RADIOSZENE: Wir vermissen neben den vorliegenden Prognosen für die nächsten 10 Jahre aber auch eine Vorschau auf die allgemeine Entwicklung von Hörfunk beziehungsweise Audio – auch im Umfeld mit anderen Mediengattungen. Haben Sie hierfür ebenfalls ein Vorhersage-Szenario?
Dr. Tobias Schmid: Nein. Interessant ist aber gerade der Trend, dass Audio eher wächst – wobei hier Audio nicht dasselbe ist wie Hörfunk, der eben nur eine Teilmenge darstellt.
„Es ist auch Aufgabe von Ordnungspolitik und, soweit das rechtlich gilt, von uns, dafür Sorge zu tragen, dass Hörfunkangebote noch gefunden werden und nicht das Musikangebot des Smart Speakers alleine den Markt dominiert“
RADIOSZENE: Thematisiert wurde ebenfalls die Bedeutung von Online-Radio im Kontext mit klassischem Radio und weiteren Audio- und Videoangeboten. Hier soll Online-Radio nach Prognosen der Analysten sehr dynamisch wachsen, die Nutzung des klassischen Radios stagniert. Der physische Tonträgermarkt verliert an Bedeutung zugunsten der Streaming-Dienste. Kann Audio-Streaming absehbar auch für die heutigen Marktanteile des Hörfunkmarktes gefährlich werden?
Dr. Tobias Schmid: Wenn wir der Studie von Prof. Goldhammer folgen, ist das sogar ein ziemlich realistisches Szenario, das durch die Verbreitung von Sprachassistenten zudem noch gefördert wird. Smart Speaker haben ja genau das Ziel, die Nutzer vom Radio weg und auf ihre Streaming-Plattformen zu lenken. Darum ist es so wichtig, dass die Hörfunkanbieter sich neu aufstellen und dafür Sorge tragen, dass sie zum einen für die Hörer wichtig sind und zum anderen aber auch leicht gefunden und gehört werden können. Alleine über Musik und regionale oder lokale Nachrichten, die dann auch noch nur über UKW zu empfangen sind, werden sich die Hörer vermutlich nicht für immer an einen Radiosender binden lassen, wenn die Streaming-Angebote Vergleichbares viel nutzerfreundlicher anbieten. Der Hörfunk steht damit sicher vor einer seiner größten Herausforderungen.
Hier ist es aber auch Aufgabe von Ordnungspolitik und, soweit das rechtlich gilt, von uns, dafür Sorge zu tragen, dass diese Angebote noch gefunden werden und nicht das Musikangebot des Smart Speakers alleine (also z.B. von Amazon) den Markt dominiert. Die Diskriminierungsfreiheit bei solchen Infrastrukturen wird ein ganz zentraler Punkt werden.
RADIOSZENE: Welche Denkanstöße nehmen Sie unter dem Strich aus den Vorhersagen für die Entwicklung einer starken künftigen nordrhein-westfälischen Hörfunklandschaft mit? Wo gilt es Veränderungen zur Stärkung einzuleiten und wie können diese aussehen?
Dr. Tobias Schmid: Es braucht Flexibilität und Wandlungsfähigkeit der Veranstalter, Gestaltungswille des Gesetzgebers im Sinne einer diskriminierungsfreien Audio-Landschaft und die realistische Einschätzung von uns allen über die Möglichkeiten, die darin liegen.
Update: Landesanstalt veröffentlicht Liste der Interessenten
ZWISCHENERGEBNIS BEDARFSABFRAGE DAB+
Die Landesanstalt für Medien NRW hat eine Liste von 46 Interessenten veröffentlicht, die sich an der Bedarfsabfrage für DAB+-Kapazitäten in Nordrhein-Westfalen beteiligt hatten. Unter ihnen sind lokal, regional und national ausgerichtete private Programmanbieter und Plattformbetreiber. Die Landesanstalt für Medien wird nach der weiteren Auswertung die Zuordnung der benötigten DAB+-Kapazitäten bei der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen beantragen. Die Entscheidung der Medienkommission zu dieser Bedarfsanmeldung ist spätestens für März 2019 geplant.
In einem weiteren Schritt prüft dann die Bundesnetzagentur, ob sie den angemeldeten Bedarf decken und dem Land NRW zur Verfügung stellen kann.
ANBIETER MIT INTERESSENSBEKUNDUNGEN FÜR DAB+ IN NRW
(Stand November 2018)
- Berlin 87.9 Rundfunkveranstalter GmbH & Co. KG, Berlin
- BEBE Medien GmbH, Leipzig
- bigFM Programmproduktionsgesellschaft S.W., Mannheim
- Bildungswerk der Erzdiözese Köln e. V., Köln
- CampusRadios NRW e. V., Düsseldorf
- Central FM Media GmbH & lulu Media GmbH GbR
- Central FM Media GmbH, Pulheim
- deinfm GmbH & Co. KG, Düsseldorf
- Die Neue Welle Rundfunk-Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG, Nürnberg
- Digital Audio Broadcasting Plattform DABP GmbH, Leipzig
- Divicon Media Holding GmbH, Leipzig
- Frank Otto Medienbeteiligungs GmbH & Co. KG, Hamburg
- Funk & Fernsehen Nordwestdeutschland GmbH & Co. KG, Hannover
- Hilgen Central FM, Burscheid
- IDEE MEDIEN Kommunikation UG, Delmenhorst
- Landesverband Bürgerfunk NRW e.V., Münster
- lulu Media GmbH, Köln
- Media Broadcast GmbH, Köln
- Medienberatungsunternehmen, Köln für unbenannten Hörfunkanbieter
- MEGA RADIO GmbH, Augsburg
- MEHR! Radio UG (haftungsbeschränkt), Düsseldorf
- New Record Media UG (haftungsbeschränkt), Bochum
- NOVUM.fm, Heinsberg
- NRW.FM GmbH i. Gr.
- PELI ONE Medien GmbH, Berlin
- radio B2 GmbH, Berlin
- Radio ENERGY Nordrhein-Westfalen GmbH i. Gr.
- Radio Next Generation GmbH & Co. KG, München
- radio NRW GmbH, Oberhausen
- Radio Paradiso GmbH & Co. KG, Berlin
- Radio TEDDY GmbH & Co. KG, Potsdam Babelsberg
- REGIOCAST GmbH & Co. KG, Kiel
- regioMEDIEN AG, Eupen
- RHEINHÖREN UG (haft.beshr.) i. Gr.
- Rheinland-Pfälzische Rundfunk GmbH & Co. KG, Ludwigshafen
- RMNradio GmbH, Kleinblittersdorf
- Rock Antenne GmbH & Co. KG, Ismaning
- Studio Gong GmbH & Co. Studiobetriebs KG, Nürnberg
- The Radio Group GmbH, Kaiserslautern
- VG für Lokalfunk im Märkischen Kreis e.V., Iserlohn
- VG lokaler Rundfunk Dortmund e. V. , Dortmund
- VG Lokalfunk Bonn/Rhein-Sieg e. V., Bonn
- VG Radio Emscher Lippe e.V., Gelsenkirchen
- VG Radio Köln e. V., Köln
- Westfunk GmbH + Co. KG, Essen
- wunschradio.fm, Erkelenz