Vom „Zoomen und Skypen“

Habe gera­de einen inter­es­san­ten Artikel gele­sen, was Corona mit uns so macht und in wel­chem Ausmaß die Digitalisierung unse­re Kommunikation ver­än­dert und damit auch unser täg­li­ches Miteinander. Kosten wer­den gespart (weni­ger Dienstreisen), unser CO2-Abdruck wird bes­ser (weni­ger Flüge), unse­re Arbeitszeiten haben wir bes­ser im Griff (weni­ger Konferenzgelaber) und wir kom­men alle schnel­ler auf den Punkt, da die nächs­te Telko schon war­tet. Ein befreun­de­ter Radiogeschäftsführer ver­gan­ge­ne Woche in einer Zoom-Konferenz: „Ich habe so vie­le Ideen durch den Shutdown, wie wir in Zukunft effek­ti­ver arbei­ten kön­nen durch die Einsparung von Zeit und Raum“. Seine Shows klin­gen von Zuhause nicht schlech­ter als aus dem High-Tech-Studio im Sendezentrum, Meetings sind kür­zer, Reinigungskosten sin­ken, usw.

Auch ich als Coach habe völ­lig neue Formen der Ausbildung von Programmmitarbeitern, Autoren, Moderatoren ent­wi­ckelt. Siehe da, Online-Airchecks funk­tio­nie­ren, sind auf den Punkt, Seminare und Workshops haben auch für mich als Video-Format einen völ­lig neu­en Reiz, obwohl ich als „Analog-Native“ immer noch mei­ne Zeit brau­che bis alle Beteiligten in der Runde digi­tal ver­sam­melt sind und Nerven opfe­re auf dem Weg dahin. Hinzu kommt, dass sich ein neu­es Geschäftsfeld ent­wi­ckelt hat: Manager aus der Automobil-, Versicherungs- und sons­ti­ger Wirtschaft brau­chen plötz­lich Schulungen im Umgang mit Kamera und Mikrofon. Nebenbei, lie­be Medienkollegen, wenn Ihr in Zukunft Performance-Nachwuchs sucht, schaut mal in die Versicherungswirtschaft – ein Talente-Füllhorn!

Also, alles wird digi­ta­ler, ein­fa­cher, schnel­ler und bil­li­ger. Das Netz ist der ulti­ma­ti­ve Konferenz- und Schulungsraum, die hei­mi­sche Gartenlaube mit ein paar an die Wand geta­cker­ten Akustik-Elementen und einem ordent­li­chen Mikrofon das neue Studio. Letzteres übri­gens wun­dert mich schon lan­ge, ich kom­me in „Sende-Facilities“ in denen ich fra­ge: „Wollt Ihr zum Mond flie­gen oder Radio machen?“ Keiner dort hat an ein krea­ti­ves Refugium gedacht, in dem man sich trifft, zusam­men­rückt und spinnt. Wahrscheinlich hat jemand Corona geahnt und sich gesagt: „Braucht eh bald kei­ner mehr!“!

Tatsächlich, das Virus und sei­ne Folgen füh­ren uns in allen Lebensbereichen „back to the basics“ und wer von uns sagt sich nicht täg­lich ein paar­mal „Siehste, geht auch!“ – Und auch das: Großartig, wie sich der Hörfunk tat­säch­lich inhalt­lich ent­wi­ckelt hat in die­ser Zeit und an Zahlen ist ables­bar, wer jetzt „bei den Menschen“ ist und unser Medium wirk­lich als Teil der Gesellschaft betrach­tet, mit­füh­lend und mit­den­kend. Wer die direk­te Kommunikation wirk­lich beherrscht, für den ist die­se Zeit gemacht. Und wer sie nicht beherrscht und immer noch glaubt, Musikstrecken und ein paar Slogans sind die Zukunft, dem ist eh nicht zu helfen!

Aber ich woll­te etwas ande­res sagen: Ja, Digital-Airchecks, Skype-Konfis, Zoom-Incentives, Communication-Hubs und alles von daheim: pri­ma! – aber mir fehlt die Schlange am Flughafen-Check-in, mir fehlt das Rumstehen auf Bahnhöfen, das Warten auf den nächs­ten ICE, mir fehlt das Einchecken in ein Hotel in Berlin, Stuttgart, Hamburg oder Erfurt, mir feh­len die Wartezeiten. Vor allem aber, möch­te ich Menschen sehen (so rich­tig sehen), möch­te ihnen wie­der die Hand geben. Ich möch­te sehen, wie der Kulturradio-Moderator von der bigFM-Kollegin lernt und umge­kehrt, ich möch­te am Abend in Düsseldorf nach der Arbeit mit den Kollegen – ein Alt in der Hand – an der Theke ste­hen und die „Radio-Welt“ neu erfinden!

Kreativität und Feedback der Anderen lei­den unter den digi­ta­len „Hilfsmitteln“. Der per­sön­li­che Kontakt, die Auseinandersetzung ist Teil des krea­ti­ven Geschäfts und ent­wi­ckelt die bes­ten Ideen. Und das hat mit Ansehen, Anhören und Anfassen (Achtung: dop­pel­ter Wortsinn!) zu tun.

Das geht schon in der Kindheit los: Meine Nachbarsjungs hat­ten wochen­lan­gen, digi­ta­len Unterricht. Die haben sich auf ein­mal so auf die Schule gefreut, auf die Schulglocke, ihre Kumpels, sich auf dem Schulhof zu prü­geln…! Auch wir Kreativen müs­sen uns wie­der zusam­men­set­zen, aus­ein­an­der­set­zen und „prü­geln“ im Wettbewerb um die bes­ten Ideen und das Besondere! Sonst hat das Virus gewonnen!

Mein Radio-Workshop heißt „Wer hören soll, muß füh­len!“ und die­ser Titel ist Programm. Ich möch­te bei Workshops mei­ne Trainees haut­nah erle­ben, ihnen ana­log in die Augen sehen kön­nen, möch­te auch im täg­li­chen Leben gern bald wie­der Menschen die Hand geben, zu ihnen rei­sen, um Ideen strei­ten. Danach will ich mit ihnen ein Bier trin­ken gehen und zum Abschied möch­te ich sie nicht mit dem Ellenbogen anstup­sen son­dern in den Arm neh­men dürfen!

Ich fin­de wir soll­ten alle gemein­sam drin­gend eine Zoom-Konferenz zu die­sem Thema machen!


Über den Autor

Viktor Worms (Bild: WMP)
Viktor Worms (Bild: WMP)

Viktor Worms mode­rier­te die ZDF Hitparade, war Programmdirektor bei ANTENNE BAYERN und ZDF-Unterhaltungschef. Er war in den ver­gan­ge­nen Jahren als Strategie- und Moderationscoach u.a. tätig für REGIOCAST, ZDF und das Bayerische Fernsehen, DRadio Wissen, bigFM, ROCK ANTENNE sowie die ARD.ZDF Medienakademie. Er ist seit 2015 Jurymitglied des Deutschen Radiopreises. Neben sei­ner Tätigkeit als TV Producer ist er Vorstand der Hugo-Tempelman-Stiftung sowie Beirat der Tabaluga Kinderstiftung.