„The Medium is not the message“

Schaltreport_250Ich gebe zu, ich habe ein schlechtes Gewissen. Diese Kolumne entspricht schon seit einiger Zeit nicht mehr den Anforderungen und Trends der modernen Medienindustrie. Ein Podcast müsste es sein oder zumindest eine Spur mehr Konvergentes oder Hybrides. Ein pdf-Download für das zeitversetzte Lesen im Zug oder eine personalisierte Version mit unterschiedlichen Headlines – jetzt, wo es sogar auf der Radioszene Interviews in mp3-Form zum Download gibt.

Und ich muss zugeben, ich bin ein wenig neidisch auf Steve Jobs, den Chef von Apple Inc.. Auch ich wäre gerne in der Lage, meinem Arbeitgeber für ein symbolisches Gehalt von einem Dollar zu dienen (weil ich mit meinen Aktienoptionen schon längst zum Mehrfachmilliardär geworden bin). Aber noch neidischer bin ich darauf, dass Steve Jobs ein Gerät wenn schon nicht erfunden, so zumindest als erster im Markt bekannt gemacht hat, das den Content von allen namhaften Medienkonzernen der Welt geliefert bekommt – gratis.

Stellen Sie sich vor, wie sie bei Time Warner, der New York Times oder der BBC anrufen und folgende Bestellung abgeben: Ich hätte gerne eine mehrfach am Tag aktualisierte News-Übersicht, eine 30minütige Unterhaltungssendung mit ihrem bestbezahlten Moderator sowie Entertainment-News, und das alles gratis bitte.
Im Normalfall bekommen Sie – verständlicherweise – keine oder eine negative Antwort. Im Falle Podcasts, Ipod und Co. ist das anders. Ohne wirkliches Geschäftsmodell produzieren fast alle Medienkonzerne, die etwas auf sich halten, Gratis-Content – und ermöglichen damit den Konsumenten, ihr Hauptprodukt nicht mehr zu konsumieren, sondern als Gratis-Variante komprimiert und meist ohne störende Werbung zu genießen.

Die alte Medienwelt hat Angst und vergisst dabei, dass ein neues Medium erstens in den seltensten Fällen ein altes ersetzt, sondern ergänzt und zweitens nicht das neue Medium selbst die Message ist. So wie vor einigen Jahren die „Strategie“ lautete „Wir brauchen eine Homepage“ heißt es jetzt „Wir brauchen einen Podcast“. Und das führt dazu, dass bei I-Tunes und Co. sich 1:1-Umsetzungen des Radiocontents tummeln, verlängerte Morningshow-Backseller, Comedy-Folgen, Newsmitschnitte etc.

Wenn der erste Rausch der neuen Möglichkeiten mal vorbei ist, könnten auch Strategie und Kreativität wieder die Kontrolle über die Entscheidungen übernehmen. Dann könnte es darum gehen, wie die neuen Podcast-Möglichkeiten logisch und zielgerichtet eingesetzt werden können: Mit der längeren Variante eines Interviews, das für den On-Air-Gebrauch zu viel wäre, mit Teasing-Podcasts, mit Fotos eines Morningshowstunts, mit Comedy-Folgen, die ihre Fortsetzung in der Morningshow des nächsten Tages finden etc.

Das Ziel sollte sein, neue Möglichkeiten zu finden, auf das On-Air-Produkt aufmerksam zu machen und Einschaltimpulse zu generieren, nicht nur gratis Content zu liefern, auch wenn Steve Jobs sich natürlich sehr darüber freuen würde.


Christian Schalt

(Programmdirektor KISS FM Berlin)

Kontakt: http://www.xing.com/hp/Christian_Schalt