Deutschlandfunk Nova ist das jüngste Programmangebot der Deutschlandradio-Familie. Seit 2010 bietet es „ein unterhaltendes Informationsprogramm mit anspruchsvoller Popmusik fernab von Mainstreamberieselung“. Aktuelle Hits aus den Bestenlisten oder angesagte Trendstars, wie bei einigen anderen jungen öffentlich-rechtlichen Wellen, finden sich auf den NOVA-Playlisten wenige. Nein, hier rennt man nicht der Musik hinterher. Eher verstehen sich die Deutschlandfunker als neugierige Scouts auf der Suche nach den innovativen Sounds und Talenten von morgen. Gut so.
Mit einem Wortanteil von rund 38 Prozent im Tagesprogramm dürfte der Sender unter vergleichbaren jungen ARD-Wellen einen Spitzenplatz einnehmen. Nach eigener Beschreibung ist Deutschlandfunk Nova „das digitale Wissensradio für alle, die besonders neugierig sind: jung, frisch, knackig, innovativ – und dabei stets eng mit dem Internet verbunden. Über Facebook, Twitter und Google+ haben die Hörerinnen und Hörer die Möglichkeit, sich jederzeit direkt ins Geschehen einzubringen.“ Die Website des jungen Programms wurde unter anderem mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.
Das Angebot ist ein digitales Programm und bundesweit per Live-Stream über die Internetseite deutschlandfunknova.de, Digitalradio (DAB+), per App, Satellit oder Kabel zu empfangen.
Deutschlandfunk Nova ging erstmals am 18. Januar 2010 unter dem Namen DRadio Wissen auf Sendung. Im Mai 2017 erfolgte die Umfirmierung in die heutige Senderkennung mit dem Claim „Es ist kompliziert. Dazu guter Pop“. Große Teile des Programmes werden in Köln produziert, seit 2018 kommen verschiedene Sendungen auch vom Deutschlandfunk-Standort Berlin.
Im Gespräch mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich zieht Programmchef Ralf Müller-Schmid eine zufriedene Bilanz zum bisherigen Verlauf des digitalen Sendeangebotes.
RADIOSZENE: Deutschlandfunk Nova ist seit 2010 auf Sendung. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Veränderungen am Programm. Welches Zwischenfazit ziehen Sie im zehnten Sendejahr?
Ralf Müller-Schmid: Deutschlandfunk Nova hat sich als das bundesweite, öffentlich-rechtliche Angebot für ein junges und urbanes Publikum etabliert. Wir erreichen eine Zielgruppe, die an faktenbasiertem Wissen, Hintergründen und sorgfältig recherchierten Geschichten interessiert ist. Dafür haben wir unser Programm immer wieder weiterentwickelt, zuletzt mit der Einführung der Abendstrecke „Ab21“, die aus Berlin gesendet wird. Die Aufnahme in die Media-Analyse (MA) und die Resonanz auf unsere Podcast- und Netzangebote macht uns stolz, aber mit Sicherheit nicht selbstzufrieden.
RADIOSZENE: Gibt es Angaben über die Zahl der Hörer und die Struktur der derzeitigen Stammhörerschaft? Welche Zielgruppe haben Sie genau im Visier?
Ralf Müller-Schmid: Wir sind vor allem in der Welt junger Erwachsener zuhause, wobei das Alter je nach Verbreitungsweg unterschiedlich ausfällt. Unsere Hörerinnen und Hörer sind laut MA im terrestrischen Hörfunk durchschnittlich etwa 37 Jahre alt. Auf Spotify dagegen haben wir ein Durchschnittsalter von unter 27. Offenbar erreichen wir dort auch noch ein etwas anderes Publikum. In der digitalen Welt müssen wir uns auf mehrere Zielgruppen einstellen, die sich überschneiden können, aber nicht eben identisch sind.
„Dass wir es als ausschließlich digital verbreitetes Programm überhaupt in die MA geschafft haben, die ja eigentlich von UKW dominiert wird, ist für uns natürlich ermutigend – sowohl mit Blick auf unser Programm als auch mit Blick auf die Entwicklung von DAB+“
RADIOSZENE: Deutschlandfunk Nova wird über verschiedene Quellen wie Internet oder DAB+ ausgestrahlt. Über welche technische Verbreitungsform wird das Programm am intensivsten genutzt?
Ralf Müller-Schmid: Das kann man auch aus oben genannten Gründen so allgemein nicht sagen. Viele Hörerinnen und Hörer empfangen ja nicht die Vielfalt des gesamten Programms, sondern interessieren sich für bestimmte inhaltliche Schwerpunkte. Sie nutzen dann den für sie optimalen Empfangsweg, das kann lineares Radio sein, ein Podcast, unsere Website oder auch redaktioneller Content in den sozialen Netzen.
Dass wir es als ausschließlich digital verbreitetes Programm überhaupt in die MA geschafft haben, die ja eigentlich von UKW dominiert wird, ist für uns natürlich ermutigend – sowohl mit Blick auf unser Programm als auch mit Blick auf die Entwicklung von DAB+. Doch auch hier gilt: Die wachsende Popularität von Deutschlandfunk Nova verdankt sich auch unserer systematischen Arbeit in den sozialen Netzwerken. Zuletzt etwa haben wir besonders viel Augenmerk auf Instagram gelegt, da wollen wir als Marke genauso stimmig rüberkommen wie als linearer Hörfunk. Spotify habe ich schon erwähnt, da wurde im letzten Jahr „Eine Stunde History“ über zwei Millionen Mal gestreamt, auf iTunes hatten wir für die Sendung mehr als 1,8 Mio. Downloads. Wir profitieren davon, dass wir in Hinblick auf Verbreitung viele unterschiedliche Wege beschreiten.
RADIOSZENE: DAB+ scheint ein Marathonlauf, es braucht offenbar seine Zeit, bis sich die Technik durchsetzt. Welche Erfahrungen ziehen Sie aus der bundesweiten Ausstrahlung via DAB+?
Ralf Müller-Schmid: DAB+ ist eine Technologie, auf die wir nachhaltig setzen – Digitalradioverbreitung ist preiswerter und ressourcenschonender als UKW, Hörerinnen und Hörer profitieren von Klangqualität und zusätzlichen Informationsdiensten. Die bald flächendeckende Verfügbarkeit sehen wir für Deutschlandfunk Nova als enorme Chance. Wer schon mal auf längeren Strecken im Auto ein Programm über DAB+ gehört hat, wird das alte Ruckeln und Rauschen nicht vermissen, da liegen einfach Welten dazwischen. Das ist wie ein Röhrenfernseher im Vergleich zu HD.
RADIOSZENE: Das Musikkonzept von Deutschlandfunk Nova hebt sich doch sehr von den meisten anderen jungen öffentlich-rechtlichen Wellen ab. Zumindest im Tagesprogramm. Bei Ihnen sind keine Hits aus den Charts zu hören, eher Musik mit Anspruch und Qualität. Wie würden Sie Ihr Musikformat beschreiben?
Ralf Müller-Schmid: Die Musikrotation bei Deutschlandfunk Nova steht für neue, innovative Songs aus Pop, Soul, Rock – aber zum Beispiel auch aus Hip-Hop und elektronischer Musik. Unsere Musik soll catchy sein, vor allem aber immer wieder überraschen.
Wenn ein Titel ganz oben in den Charts landet und auf allen Wellen gefeiert wird, ist er für uns nicht mehr so interessant. Wir sehen uns als Entdecker von Interpreten und Titeln, die noch nicht alle kennen und die den Weg an die Spitze der Charts vielleicht nie schaffen werden.
Wir müssen uns leider dadurch auch manchmal von Künstlern und Bands, je nach Entwicklung, verabschieden. Andere halten wir für so stilprägend, dass sie uns auch weiterhin bei Deutschlandfunk Nova erhalten bleiben. Genau diese Linie immer sauber zu verfolgen, das ist unser Anspruch.
Neulich hat die Redaktion beispielsweise den Track eines New Yorker Musikers im Netz entdeckt. Wir wussten so gut wie nichts über den Künstler, der Song hat uns aber überzeugt. Also haben wir ihn in die Rotation genommen. Das können sie sich nur leisten, wenn sie unabhängig sind, auch von Werbeeinnahmen. Mainstream kann sicher auch Spaß machen, aber dazu werden wir nicht gebraucht.
„Mainstream kann sicher auch Spaß machen, aber dazu werden wir nicht gebraucht“
RADIOSZENE: Wie hoch schätzen Sie innerhalb der Bevölkerung das Potential für Ihr Musikkonzept?
Ralf Müller-Schmid: Wir spielen relevanten Pop. Wer uns kennt oder kennen lernt, weiß das zu schätzen. Viele kommen auch wegen der Musikauswahl zu Deutschlandfunk Nova, das wissen wir aus dem umfangreichen Feedback, das wir von Hörerinnen und Hörern bekommen. Ich glaube, dass die Menschen auch mögen, dass sie bei uns ein von kompetenten Redakteurinnen und Redakteuren ausgesuchtes Musikprogramm bekommen – ein Programm, das kuratiert ist, wie man so schön sagt. Wir möchten unser Publikum positiv überraschen, das können Menschen immer noch besser als Algorithmen. Streamingplattformen sind tolle Erfindungen, eine persönliche Ansprache auf Augenhöhe bieten sie aber nicht. Genau das suchen aber viele Hörerinnen und Hörer.
RADIOSZENE: Unter den Titeln findet sich eine hohe Zahl an Neuheiten beziehungsweise Veröffentlichungen von Newcomern. Über den Daumen geschätzt mindestens 50 Prozent der gespielten Songs. Vor allem die Indie Labels müssten sich über diese kompakte Abspielmöglichkeit freuen …
Ralf Müller-Schmid: Wenn Titel älter sind als fünf Jahre, nehmen wir sie aus dem Programm. Das tut schon mal weh, aber das Alte muss dem Neuen Platz machen. Das ist unsere Philosophie. Der Wunsch, in einer uferlosen und oft auch langweiligen Angebotsvielfalt etwas Neues, Aufregendes und Persönliches zu entdecken, treibt uns doch alle irgendwie an: die Hörerinnen und Hörer, die Redaktion und sicher auch manche Labels, egal ob Indie oder Major.
RADIOSZENE: Mit welchen Musik-redaktionellen Komponenten und Spezialsendungen begleiten Sie die Musik im Programm?
Ralf Müller-Schmid: Neu im Programm haben wir gerade das „Lieblingslied“, das wir tagsüber im „Grünstreifen“ und abends in „Ab 21“ präsentieren. Das ist ein einzelner Titel, der nicht Teil der Rotation ist, den die Musikredaktion aber besonders wertvoll findet.
Außerdem haben wir an Feiertagen viele Livespecials aus unseren Mitschnitten von „Auf der Bühne“ und von Festivals, die wir präsentieren. Wir versuchen immer wieder Plattformen für den engen Kontakt zwischen Publikum, Künstlern und eben uns Radiomachern herzustellen.
Daneben spielen Interviews mit Künstlern, die uns in Köln oder Berlin besuchen, eine wichtige Rolle. Wir möchten immer auch die Persönlichkeiten hinter den Songs kennenlernen.
RADIOSZENE: Der Bildungsgrad junger Menschen steigt weiter, was durch höhere Zahlen von Absolventen bei Gymnasien und Hochschulen belegt wird. Auch der Trend innerhalb der Bevölkerung tendiert zu mehr und seriöser Information – was sich auch unter anderem durch eine verstärkte Nutzung von Podcasts spiegelt. In welcher Form tragen Sie bei der Ausrichtung des redaktionellen Angebotes dieser Entwicklung Rechnung? Nach welchen Vorgaben und Schwerpunkten haben Sie das Konzept hier konzipiert?
Ralf Müller-Schmid: Also was einen allgemeinen Trend zu seriöser Information angeht, da bin ich vorsichtig. Viele Menschen suchen in diesen bewegten Zeiten auf jeden Fall einen verlässlichen und gut informierten Begleiter – bei uns geht es darum, seriös zu arbeiten, aber nie langweilig zu klingen. Von einem öffentlich-rechtlichen Anbieter wird zu Recht erwartet, dass er es mit der Sorgfalt der Recherche und der Qualität von Informationen besonders genau nimmt. Da legen wir ganz bewusst die Latte hoch, auch bei der Entwicklung von Podcasts. Wir haben gerade einen neuen Reisepodcast gelauncht, den „Weltempfänger“. Da geht es um Leute die unterwegs sind, auf der Suche, die mehr wollen als eine Pauschalreise oder 24h-Party.
„Die wachsende Popularität von Deutschlandfunk Nova verdankt sich auch unserer systematischen Arbeit in den sozialen Netzwerken“
RADIOSZENE: Wie hoch ist der Wortanteil und der Anteil redaktioneller Inhalte bei Deutschlandfunk Nova? Gibt es so etwas wie eine Hitliste der Informationspräferenzen junger Hörer?
Ralf Müller-Schmid: Wir verstehen uns als journalistisches Angebot, also ist der Wortanteil mit 38 Prozent vergleichsweise hoch. Wir führen keine Hitliste, aber wir wissen, dass Fragen von Gerechtigkeit, Natur und Umwelt, aber auch Ernährung unsere Hörerinnen und Hörer besonders beschäftigen. Bei unserem erfolgreichsten Facebook-Post ging es um Massentierhaltung, da kamen die genannten Bereiche alle zusammen.
RADIOSZENE: Der Hörer hat heute mit seinem Smartphone eine vielfältige Auswahl an allzeit verfügbaren Diensten, die früher in kompakter Form das Radio geleistet hat. Ich denke da an News, Service, Lifestyle usw. Zudem verändert sich die Nutzung des linearen Radios dramatisch hin zum zeitsouveränen Hören.
RADIOSZENE: Mit welchen Strategien und Angeboten kontern Sie dieser Entwicklung, um auf Dauer nicht entbehrlich zu werden?
Ralf Müller-Schmid: Wir kontern die Entwicklung nicht, wir nutzen sie für uns. Ein Radioangebot muss heute linear und nichtlinear auf der Höhe der Zeit sein. Also Digitalradio, Podcasts, Web und Social Media, wir sind auf allen Plattformen präsent, auf denen sich unser Publikum bewegt – immer in der bestmöglichen Qualität.
RADIOSZENE: Wie gehen Sie mit dem Thema Podcasts um?
Ralf Müller-Schmid: Podcasts sind für uns wesentlich. Wenn wir ein neues Format entwickeln, denken wir immer auch darüber nach, wie sich der Podcast anhören soll. Das bedeutet, dass wir auch im Netz vor allem auf unser Audio-Angebot setzen. Wir sind auch im digitalen Zeitalter vor allem ein akustisches Medium. Das ist unsere Stärke: Man kann uns in vielen alltäglichen Situationen konsumieren, in denen sie weder Videos schauen noch Texte lesen können.
RADIOSZENE: Lassen Sie uns ein wenig nach vorne blicken: wie müssen sich junge Wellen und Deutschlandfunk Nova im Besonderen aufstellen, um Jugendliche auch in Zukunft an das Radio zu binden?
Ralf Müller-Schmid: Es geht darum neugierig zu bleiben und nah dran an den Themen und Fragen junger Menschen. Es geht um Offenheit für Neues – ohne beliebig zu sein oder unkritisch Trends hinterherzulaufen. Für Deutschlandfunk Nova bin ich da sehr optimistisch. Eine kleine Redaktion und flache Hierarchien sind dabei manchmal ja ein Vorteil. Unser Team gibt auf jeden Fall jeden Tag ihr Bestes – ich bin mir sicher, dass dies auch in Zukunft vom Publikum honoriert wird.