Überlebt das Radio? Und wenn ja, welches?

„Der Hörfunk scheint sein Dasein als unscheinbares Massenmedium ins digitale Zeitalter hinübergerettet zu haben.“

Das Radio spielt unser Lied (Bild: piqs.de)

Von Christian Schalt

Während die wankende Zeitungslandschaft publizistisch häufig im Fokus steht, die Zukunft des Fernsehens im Zusammenhang mit der Entwicklung der Technologie-Protagonisten Apple, Google und Samsung vor breiter Öffentlichkeit diskutiert wird, der Zeitungsverband sich mit den öffentlich-rechtlichen Fernsehen durch alle Instanzen duelliert, bleibt der Hörfunk – zumindest in der medialen Öffentlichkeit – das „Stiefkind der Medienökonomie“ (Heinrich).

Dennoch sieht sich längst auch der Hörfunk mit den Verwerfungen der neuen medialen Welt konfrontiert: Das neue Gebührenmodell der GEMA erlaubt zum ersten Mal in Ansätzen auch tragfähige Geschäftsmodelle im Bereich der mobilen Musikstreamingservices, die Partnerschaft von Spotify und Facebook bringt diese Services in den New Media-Mainstream und die zunehmende Breitbandverbindung über immer mehr Smartphones wirkt dazu als Katalysator. Dem Hörfunk entsteht dort Konkurrenz, wo er bisher meist alleiniger Anbieter war, im Bereich der mobilen Audio-Unterhaltung und –Information.

Radio bleibt nutzungsstark

Christian Schalt
Christian Schalt

Doch auch, wenn sich der mobile Wandel möglicherweise noch in einem frühen Stadium befindet und neue Nutzungsmuster und Geschäftsmodelle sich erst noch herausbilden müssen, scheint der Hörfunk über eine größere Resistenz gegenüber den neuen Konkurrenten und Substituten der digitalen Welt zu besitzen also manch andere Mediengattung. So zeigen die Nutzungsdaten der letzten zehn Jahre auch nur eine geringe Evidenz für einen starken Niedergang des Hörfunks. Die Nutzungsdauer des Mediums in Deutschland hat sich im Verlauf der letzten zehn Jahre nur leicht reduziert und befindet sich in den letzten Jahren auf konstantem, zum Teil sogar steigendem Niveau.

Dieser Befund zieht sich im Übrigen durch alle Altersschichten und sozio-demografischen Milieus. Weder bei den formal Geringgebildeten noch bei der Gruppe der Hochschulabsolventen ließe sich in den letzten Jahren ein negativer Trend der Hörfunknutzung ablesen. Gleichwohl ist im Zehnjahresvergleich die Gesamtnutzung des Hörfunks leicht zurückgegangen.

Inwieweit die Hörfunknutzung auf Habitualisierung zurückgeht, untersuchten Vowe und Wolling. Ihre Analyse deutscher Hörfunkprogramme lässt sie schlussfolgern: „Generell lässt sich sagen, dass die Zuwendung zu bestimmten Programmen in weitaus geringerem Maße habitualisiert erfolgt als die Nutzung des Radios generell. Bei der Zuwendung zu den verschiedenen Sendern erweisen sich Qualitätserwartungen – vor allem hinsichtlich des Musikprogramms – als wesentlich bedeutsamer.“

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Es gibt also den Effekt der Habitualisierung auf die Hörfunknutzung. Doch was heißt das für das Hörfunkmanagement? Die Untersuchungen von Vowe und Welling zeigen, dass sich aus diesem Effekt keine normativen Ableitungen für das Hörfunkmanagement gewinnen lassen: Die positiven Effekte der habitualisierten Nutzung sind für das einzelne Hörfunkunternehmen keine Hilfe: Die Hörerinnen und Hörer sind weg, wenn sich eine neue, funktional bessere Alternative ergibt.

Radio ist kostengünstig
Einen größeren positiven Effekt hat darüber hinaus auch ein Aspekt, der in der öffentlichen Diskussion über die Zukunft des Hörfunks meist gar nicht diskutiert wird: Der Hörfunk ist für die meisten Konsumenten gratis – sieht man einmal von den Anschaffungskosten und dem Hörfunkanteil der GEZ-Gebühren ab. Und auch für Werbetreibende ist der Hörfunk günstig, er verfügt im intermedialen Vergleich über einen deutlich niedrigeren Tausend-Kontakt-Preis (TKP). Vergleicht man also die Kosten der verschiedenen Medien auf Seiten der Konsumenten (ohne Anschaffungskosten) und auf Seiten der Werbetreibenden, so gibt sich für den traditionellen Hörfunk ein klarer Wettbewerbsvorteil:

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(Anmerkung: Kosten In Euro. Ohne Anschaffungskosten. Für den Vergleich wurden die veröffentlichten Bruttowerbepreise der jeweils drei größten Vertreter des jeweiligen Mediums verwendet.)

Der Vergleich legt nahe, dass neue mediale Angebote eine höhere Anziehung auf Seiten von Konsumenten und Werbetreibenden ausüben, wenn dabei Geld gespart werden kann. Dieser Effekt wird daher bei hochpreisigeren Angeboten wie Zeitungen oder Fernsehangeboten höher sein als beim niedrigpreisigen Hörfunk. Die traditionellen Hörfunkunternehmen haben also keine schlechten Ausgangsbedingungen, um im Wettbewerb mit neuen medialen Angeboten zu bestehen. Dennoch sind Habitualisierung und die niedrigen Kosten der Nutzung allein noch keine Garantie für eine stabile Nutzung über die nächsten Jahre. Hörfunksender werden in den nächsten Jahren nur dann weiter erfolgreich sein, wenn sie sich– auf Ebene der jeweiligen Unternehmen – auf die neuen Merkmale der Wettbewerbsmärkte einstellen.

Neue Übertragungswege
Waren noch bis vor wenigen Jahren die Hörfunkmärkte bis auf wenige Ausnahmen relativ abgeschottete UKW-Märkte, so hat sich die Zahl der möglichen Übertragungswege für Hörfunk vervielfacht. Diese reichen von digitalisierten terrestrischen Übertragungsformen wie DAB+ über IP-basiertes Internetstreaming bis hin zu broadcastähnlichen Übertragungsformen über Handynetze. Anders als bisher ist für Hörfunksender nicht nur die Markteintrittsstrategie in einen Hörfunkmarkt entscheidend, sondern auch die Entwicklung einer Distributionsstrategie. Die Übertragungsformen müssen inhaltlich und betriebswirtschaftlich Sinn ergeben und zur Unternehmensstrategie passen.

Neue technische Möglichkeiten
Die neuen technischen Geräte bieten auch neue technische Anwendungen. Partizipation und Interaktion werden möglich und müssen auf Seiten der Hörfunksender auch genutzt werden. Dazu zählt nicht nur das explizite Einbeziehen von Hörerinhalten, sondern auch das Nutzen impliziter Partizipation (z.B. Rückmeldung über das Skippen von Musiktiteln, Relevanz von Nachrichtenmeldungen). Der Rückkanal wird stärker in den Fokus von Programmmachern rücken.

Segmentierungsstrategien verändern sich
Das Internet verändert klassische Segmentierungsstrategien. Hörfunksender, die auf digitalen Plattformen Erfolg haben wollen, müssen sich von klassischen regionalen und demographischen Zielgruppendefinitionen lösen. Betrachtet man die Zugriffsstatistiken der deutschen Internetradiosender, dann erkennt man schnell, dass eine Ausrichtung an psychodemografischen Merkmalen Grundlage für den Erfolg im Internet ist. So liegen in den Statistiken der IVW Sender wie Last.fm, der Spartenmusiksender Technobase.fm oder der Fußballssender 90elf vorne. Die regionalen Radiosender verfügen dazu im Vergleich über geringere Reichweiten.

Der funktionale Nutzen des Hörfunks ist für den Großteil der Radiohörer in Deutschland nach wie vor attraktiv. Dennoch werden nicht alle Hörfunksender im neuen Zeitalter den gleichen Erfolg haben, den sie auch in der traditionellen Welt hatten. Wenn Radiosender ihren traditionellen (UKW-)Raum verlassen, müssen sie sich den Merkmalen der neuen medialen Umgebung anpassen. Erst wenn sie ihre Strategie an die neue Distributionsvielfalt, die neuen technischen Möglichkeiten anpassen und ihre Programme und ihr Marketing psychodemografisch ausrichten, werden sie auch auf Unternehmensebene erfolgreich bleiben.

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