Warum klingt DAB+ auf manchen Stationen so grauenhaft?

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Manche Stationen klingen auf DAB+ einfach nur grauenhaft, mit Artefakten ohne Ende im Signal. Dabei sollte das Digitalradio doch den perfekten Klang bringen. Was ist da eigentlich los?

DAB war ja angetreten, die im Vergleich zur alten Mittelwelle zwar geringen, aber noch existenten Klangmängel von FM auszubügeln: Das Rauschen, also die geringe Dynamik bei schwachem Empfang, die NF-Bandbreitenbegrenzung auf 15 kHz und die Verzerrungen bei Mehrwegeempfang, die besonders im Auto und im bergigen Gelände bei FM Stereo Ärger machen.

Letzteres ist gelungen – systemimmanent kann DAB von Mehrwegeempfang sogar profitieren. Das war in Bayern seinerzeit ein wichtiges Argument, das System einzuführen. Umso absurder, dass Digitalradio in Österreich unter anderem mit der Argumentation abgelehnt wird, es sei für die Versorgung bergigen Geländes ungeeignet. Auch Rauschen gibt es bei DAB nicht mehr. Doch auch DAB-Fans ärgern sich seit der Umstellung von DAB auf DAB+ auf manchen Kanälen über dumpfe oder gar stark verzerrte Audiosignale.

Schwarzwaldradio2012-smallDie Probleme haben zwei Ursachen: zu geringe Bandbreite und zu starkes und mit dem DAB+-Codec unvereinbares Soundprozessing. So klingt das Schwarzwaldradio, das mit mickrigen 64 kBit/s auf Sendung geht, zwar etwas dumpf, doch noch erträglich, während BOB! mit zumindest etwas höherer Bandbreite Artefakte ohne Ende produziert und auch die Rockantenne auf DAB+ bis heute nicht mehr den klaren DAB-Sound der ersten 10 digitalen Jahre erreichen konnte.

Es war sicher vernünftig, die Digitalradio-Sender von DAB auf DAB+ umzustellen: Mehr Sender, mehr Programmvielfalt, bessere Ausnutzung der Frequenzen durch effektivere Kodierung. Ärgerlich nur, daß dadurch neue Radios erforderlich wurden – aber immerhin zu einem Zeitpunkt, wo noch nicht so viele Geräte im Markt waren.

Digitalradio 2012 (Bild: gettyimages, istockphoto, pure)

An den Rand gedrängt

Das Digitalradio litt jedoch unter Ärger mit Polizei und Bundeswehr: Während DAB im Band III in Bayern ausgerechnet im höchstmöglichen Kanal 12D startete und wegen der Nähe zum Militär in den direkt darüberliegenden Frequenzen deshalb jahrelang auf maximal 1 kW Sendeleistung beschränkt war, bis es nun in andere Kanäle verschoben wurde, hatte das bundesweite DAB+-Ensemble ebenfalls direkt an der Bandgrenze gestartet, in Kanal 5A, der niedrigstmöglichen Sendefrequenz im Band III. Dort gab es deshalb prompt Konflikte mit dem darunter angesiedelten Polizeifunk und die DAB+-Sender mussten bei Staatsempfängen, Demonstrationen und am 1. Mai abgeschaltet werden (vgl. Polizei dreht Digitalradio in Dortmund ab).

Kenwood KDC-DAB41U (Bild: ©Wolf-Dieter Roth)
Kenwood KDC-DAB41U (Bild: ©Wolf-Dieter Roth)
Inzwischen ist das bundesweite DAB+-Ensemble auf Kanal 5C umgezogen. Geblieben ist ein weiteres Problem: Manche Digitalempfänger sind mit den Temperaturschwankungen im Auto überfordert. Die Folge: Wer an einem heißen Sommertag sein Auto in der Sonne geparkt hat, kann zunächst einmal nur UKW hören! Ob Blaupunkt Woodstock DAB 54 (DAB classic) oder Kenwood KDC-DAB41U (DAB+), in heißem Zustand ist nur schlechter oder gar kein DAB(+)-Empfang möglich. Die höheren Empfangsfrequenzen und die komplizierteren Dekodierungsalgorithmen scheinen die Temperaturstabilität der frequenzbestimmenden Bauelemente in den Autoempfängern zu überfordern.

Klang nach DAB+-Umstellung zunächst indiskutabel

Ein unerwartetes Problem war jedoch die geradezu erbärmliche Tonqualität, als die kommerziellen Stationen wegen Auslaufens der DAB-Lizenzen nach und nach von DAB auf DAB+ umstellten – die öffentlich-rechtlichen Stationen durften mit den bereits etablierten Programmen noch eine Weile weiter in DAB senden, nur neue Programme wie DR Wissen mussten von Anfang an in DAB+ abgestrahlt werden.

Für eine vergleichbare Tonqualität benötigt DAB+ dank effizienteren Codecs nur die halbe Bitrate von DAB, doch steht diese bislang keinem Programm tatsächlich zur Verfügung. So musste „Rockantenne“ beispielsweise von 192 kBit/s bei DAB auf 80 kBit/s in DAB+ zurückstecken, was schon ein Entgegenkommen der bayrischen Genehmigungsbehörde darstellte, denn eigentlich waren nur noch 72 kBit/s vorgesehen, wie sie für die Musiksender im bundesweiten DAB+-Paket ebenfalls verwendet werden. Dies entspricht „englischen Verhältnissen“, wo DAB mit 128 kBit/s oder weniger übertragen wird und so zwar noch besser als Mittelwelle klingt, doch deutlich schlechter als UKW. In Deutschland wird Digitalradio so kaum dauerhaft Freunde finden, selbst Standard-MP3s mit 128 kBit/s klingen besser.

Rock Antenne

Die eigentlich mindest notwendigen 96 kBit/s stehen bislang jedoch nicht zur Verfügung, weil die neuen Lizenzbedingungen im bayerischen DAB+-Ensemble statt bislang eines aufgeschalteten Programms nun in etwa derselben Bandbreite deren drei verlangen – davon ein Info-Wortprogramm. Letzteres benötigt zwar nur eine geringe Bandbreite von meist 40 kB/s, doch die fehlen den Musikprogrammen. Erst mit dem „Auszug“ des Bayerischen Rundfunks aus dem ersten bayerischen Ensemble, der nun sein eigenes Sendernetz betreibt, wird Platz frei für bessere Tonqualität. Dann soll Rockantenne beispielsweise 96 kBit/s erhalten und damit ungefähr wieder zur alten Qualität zurückkehren, von dem Problem mit den Datendiensten einmal abgesehen.

Zudem ist der Bandbreitenbedarf für digitale Zusatzsignale gleich geblieben, ob nun TPEG (Verkehrsfunkdaten), Standbilder mit Musik- und Wetterinformationen oder Nachrichtendienste: All diese Dienste haben sich in der Bandbreite ja nicht ebenfalls halbiert und nehmen daher dem Audiosignal nun prozentual mehr Bandbreite weg.

Probleme mit Dynamikkompression

Doch nicht nur die fehlende Bandbreite macht den DAB+-Stationen zu schaffen. Die Eigenschaften des DAB+-Codecs sind auch noch völlig andere als die des vorigen DAB-Codecs!

Der Grund liegt in der am Fraunhofer-Institut entwickelten MP3-Kodierung: Während MP2/Musicam (MPEG 1 Layer 2) bei DAB das Audio-Signal hauptsächlich digitalisierte und nur eine geringe inhaltliche Datenreduktion vornahm, basiert der effizientere MP3-Algorithmus (MPEG 1 Layer 3) ausgehend von der Reizwahrnehmung in Ohr und Gehirn darauf, dass laute Töne leise Töne verdrängen und die leisen Töne deshalb bei der Digitalisierung einfach weggelassen werden können. AAC, „MP4“, ist eine noch besser komprimierende Fortentwicklung von MP3, die bei DAB+ verwendet wird.

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Subjektive Hörtests bei 48 kBits/s in Stereo (Quelle: ©EBU TECHNICAL REVIEW – January 2006 / Meltzer and G. Moser)
Das Muster-Musikstück, an dem MP3 getestet und auf das es optimiert wurde, ist „Tom’s Diner“ von Suzanne Vega, eine vergleichsweise ruhige A-capella-Nummer. Doch seit den 80ern („Tom’s Diner“ kam 1981 auf den Markt) hat sich das Soundprocessing von Musikaufnahmen leider erheblich verändert: Obwohl die Dynamik der Aufnahmemedien deutlich gestiegen ist und Digitalradio diese rauschfrei übertragen könnte, haben sowohl Radiostationen als auch die Plattenindustrie die Dynamik der tatsächlichen Aufzeichnungen immer weiter abgesenkt, also diese immer intensiver begrenzt und komprimiert.

Auf Seiten des Rundfunks begann diese Dynamikkompression bereits in den 60ern, um die sehr eingeschränkte Dynamik der AM-Mittelwellenkanäle besser auszunutzen: Sender wie Radio Caroline nutzten Orban Optimod-Prozessoren, um die Modulation hoch zu halten, was die Lautstärke und Reichweite auf Mittelwelle deutlich verbesserte. Hiermit ließ sich zudem die Sprachverständlichkeit erhöhen, vor allem im Auto, und Pegelfehler aus dem Studio ausgleichen.

Lauter ist nicht immer besser

Diese Technik verbreitete sich dann in den 70ern und 80er-Jahren auch auf UKW, wo sie eigentlich gar nicht notwendig gewesen wäre: Der „Lautheitskrieg“ begann – jede Station wollte die lauteste sein, ohne dabei die zulässige FM-Bandbreite zu überschreiten, was nicht nur Ärger mit den Lizenzbehörden, sondern zudem Störungen beim Empfang verursacht hätte.

Das ist mittlerweile eigentlich Geschichte – es gibt inzwischen ja die EBU-Richtlinie R128, die Lautheit bei Radio und Fernsehen normieren soll, weil die Konsumenten sich zu sehr insbesondere an überlauten Werbespots gestört haben. Beim kommerziellen Radio wird R128 allerdings auf absehbare Zeit keine Anwendung finden, hier bleibt es bei „wer ist der Lauteste im Land?“. Nur bei den öffentlich-rechtlichen Programmen wird inzwischen so geregelt, dass eine an der 0-dB-Linie klebende Aufnahme von Lady Gaga soweit heruntergezogen wird, dass sie gleich laut klingt wie ein vernünftig ausgepegeltes Stück aus den 80ern.

Doch kamen beim UKW-Rundfunk in den letzten Jahren neue Forderungen hinzu:

  • Einhalten (und gleichzeitig Ausnützen) des maximalen UKW-Hubs von 75 kHz, wobei hohe Audiofrequenzen infolge der Preemphasis leicht zur Übersteuerung führen können
  • Einhalten (und gleichzeitig Ausnützen) der maximalen Multiplexleistung von 0 dBr. Es ist eine maximale Toleranz von 0,2 dB erlaubt. Diese Toleranz ist kaum messbar, wird aber strikt gefordert

Wer einen von diesen beiden Werten überschreitet, wird abgemahnt. Diese Abmahnungen gehen von der Bundesnetzagentur aus und treffen die Sendernetzbetreiber. Diese geben die Strafen aber 1:1 an die Sender weiter. Die Strafen reichen von Geldbußen bis hin zum Lizenzentzug. Jede Frequenz wird einzeln bewertet. Wenn also ein Anbieter mit einem Sendernetz von 43 Standorten wie Antenne Bayern die Werte überschreitet, wird die Strafe 43 mal fällig.

Das Problem liegt auf dem Plattenteller

Diese Normen sind natürlich nicht eingeführt worden, um die Senderbetreiber zu ärgern, sondern um Störungen zu verhindern. Doch während das klassische „Übersteuern“ mit einem einfachen Begrenzer (Limiter) verhindert werden kann, ist es mit der Spektraldichte und der Multiplexleistung schon schwieriger: Moderne CDs werden am liebsten die mögliche Dynamik der Musik völlig ignorierend ständig auf 0 dB hoch ausgesteuert – ob nun von Rosenstolz, Oasis oder Lady Gaga. Das hat den absurden Effekt, dass solche Musik von iTunes gekauft und auf einen iPod gespielt diesen bereits intern übersteuert, wenn noch ein Equalizer aktiviert ist.

Läuft also so ein modernes Stück über den Sender, würde dieses weit lauter erscheinen als ein älterer Rocktitel, der noch eine Dynamik in der Aussteuerung enthielt, und selbst bei eigentlich korrekter Aussteuerung würde der zulässige Grenzwert der Multiplexleistung überschritten.

Beliebtes Plugin für Lautheit: Der L2 Ultramaximizer von Waves
Beliebtes Plugin für Lautheit: Der L2 Ultramaximizer von Waves
Der alte Spruch des Senderchefs an den DJ „Wenn der Limiter fliegt, dann fliegst Du auch!“ hat inzwischen also einen ernsthaften Hintergrund: Ein exaktes Signalprozessing wird notwendig. Es muss so exakt sein, dass die entsprechenden Geräte mittlerweile teils Audio-Blöcke von bis zu zehn Sekunden in Sachen Hub und Multiplexleistung durchrechnen – und damit das Sendesignal um zehn Sekunden verzögern.

Es muss also, wenn alles gleich (und nicht nur gleich laut) klingen soll, die gesamte Musik auf „Lady Gaga“-Standard komprimiert werden, was dem geübten Hörer auffällt: Während Verdamp‘ lang her von BAP im Original leise anfängt und erst mit einem wortwörtlichen Paukenschlag auf volle Lautstärke springt, ist der Titel im heutigen UKW-Kommerzradio in der Lautstärke so komplett plattgebügelt, dass der Paukenschlag kaum mehr wahrnehmbar ist und der Titel brav in Einheitslautstärke durchdudelt und so auch als Hintergrundbeschallung geeignet ist – eigentlich sogar nur noch als Hintergrundbeschallung. Damit sind nun Regierungsbehörde und UKW-Empfänger zufrieden, allerdings nicht das Ohr des Hörers.

DAB+ braucht anderes Soundprozessing

Der MP3- und erst recht der MP4-Codec von DAB+ scheitern jedoch an so einem „plattgebügelten“ Signal: Sie beruhen ja gerade auf einem natürlichen Sprach- oder Musiksignal mit lauten und leisen Tönen, in dem die leisen Töne verdeckt werden. Wenn die leisen Töne jedoch ebenso laut gemacht werden, entstehen beim Versuch, sie trotzdem in der Berechnung wegzulassen, Artefakte – Störgeräusche. Die Folge: Das für die UKW-Ausstrahlung bearbeitete Audio-Signal klingt über DAB+ auf einmal bei Musikausstrahlung unerträglich!

Wortbeiträge (Nachrichten, Wetter, Verkehr) und Werbung bleiben klar, obwohl gerade Sprache eines der schwierigste Signale sowohl bei der Datenreduktion als auch beim Prozessing ist, da diese anders bearbeitet werden und selten Stereo benötigen.

Erst nach einigen Wochen nach der DAB+-Umstellung besserte sich die Tonqualität der DAB+-Stationen, die nun ihr Soundprocessing überarbeiteten und die Digitalsender von dem für die UKW-Abstrahlung bestimmten Signal abkoppelten. Außerdem wurde der vom Fraunhofer-Institut gelieferte DAB+-Codec noch optimiert.

Sind dann die für eine hochqualitative Übertragung samt den Digitaldaten für Verkehrsfunk, Nachrichtendienste und Bilder notwendigen Bitraten verfügbar, klingt DAB+ so gut wie versprochen. Wo jedoch für ein Musikprogramm, das von einem für UKW-FM bestimmten Signalprozessor in die Mangel genommen wurde, nur 72 kBit/s zur Ausstrahlung zur Verfügung stehen, ist mit einem sehr unbefriedigenden Digital-Klangerlebnis zu rechnen – Digital ist nicht automatisch besser.

Rock & Pop bekommt weniger Bandbreite

Bislang ist die Situation immer noch suboptimal: Die Stationen im Bundesmux haben meist viel zu wenig Bandbreite; nur die Kanäle des Deutschlandfunks können mit großzügigen 104 kBit/s operieren, obwohl sie ja nicht gerade als Musikstationen bekannt sind. Doch auch der Bayerische Rundfunk spendiert in seinem eigenen Ensemble nur seinem Klassikprogramm Bayern 4 144 kBit/s und BR Heimat noch 128 kBit/s – die Pop-Programme Bayern 1 und Bayern 3 müssen mit 96 kBit/s auskommen und klingen nicht 100% sauber, da hier zwar das Soundprocessing auf Senderseite dank R128 sanfter sein dürfte, aber die Musikquellen bereits komprimiert angeliefert werden und so auch den Codec mit 96 kBit/s überfordern. Der SWR spendiert seinem Pop-Programm SWR3 übrigens 128 kBit/s.

Das kommerzielle Klassik Radio hat mit 72 kBit/s nur die Hälfte des öffentlich-rechtlichen Bayern 4 Klassik. Hier fallen dennoch keine Artefakte auf, weil Klassik nicht vom Soundprocessing verhunzt auf CD gepresst wird und der Sender selbst auch gut genug weiß, dass starkes Soundprocessing bei Klassik definitiv unerwünscht ist. Man kann also auch mit 72 kBit/s noch ein ordentliches DAB+-Signal liefern. Allerdings ist ein solch bitratenarmes Signal natürlich dennoch weniger lebendig als eines mit hoher Bandbreite, wie auch Nicht-Klassik-Fans mit geeigneten Soundkarten mit den Klangbeispielen auf http://www.2l.no/hires/ selbst feststellen können. Es ist aber auch klar, dass sich kein kommerzieller und auch kein öffentlich-rechtlicher Sender aktuell solche Bitraten leisten kann.

AAC-SBR: Artefakte gehören zum System

Tatsächlich sind die Qualitätsprobleme bei DAB+ noch weit komplexer, wie in diesem Thread in den Radioforen diskutiert wird: Nicht nur bei der Codierung gab es anfangs Probleme, auch die Decoderchips in den Geräten sind wohl teils mit einem fehlerhaften Algorithmus programmiert, der die Möglichkeiten der Codecs nicht ausreizt. Kommt dann noch eine überflüssige Equalizer-Nutzung auf Senderseite hinzu und ein weiterer Equalizer im Autoradio, beispielsweise um schlechte Lautsprecher zu kompensieren, werden die Artefakte so angehoben, dass sie auch dem unsensibelsten Hörer unangenehm auffallen.

Quelle: ©EBU TECHNICAL REVIEW – January 2006 / Meltzer and G. Moser
Quelle: ©EBU TECHNICAL REVIEW – January 2006 / Meltzer and G. Moser
Das AAC-Verfahren für geringe Bandbreiten, wie es zuerst für die „digitale Mittelwelle“ DRM gedacht war und auch auf DAB+ aktiv ist, nutzt ja schon vom Funktionsprinzip her „Artefakte“: Die Bandbreite gibt hier bei niedrigen Bitraten gar keine echten Höhen mehr her; diese werden vielmehr künstlich errechnet, per SBR – Sprectral Band Replication. Hier werden typische musikalische Oberwellen aus den tieferen Tönen errechnet. Das klingt dann zwar immer noch besser als ohne (künstliche) Höhen, aber nicht immer natürlich. Ganz besonders dann nicht, wenn das Signal auch noch zuvor durchs Soundprocessing gejagt wurde, um ihm noch mehr Lautheit, Bässe und Höhen zu verpassen.

Es geht aber doch!

1064-TOP-FM-smallUnd genau deshalb gibt es durchaus kommerzielle Stationen, die mit 88 kBit/s (Ilmwelle) oder 80 kBit/s (Radio 2Day, Digital Classix, Top 106.4 FM) gut klingen. Sicher auch, weil dort nur wenige oder gar keine Slideshows übertragen werden. Und selbst das Schwarzwaldradio mit 64 kBit/s ist noch akzeptabel, da man sich dort offensichtlich beim Soundprocessing zurückhalten konnte: Auch wenn es die fehlende Bandbreite nicht verleugnen kann und deshalb etwas höhenschwach ist, was aber das kleinere Übel ist, halten sich Artefakte in Grenzen. Zumal AAC so schlecht gar nicht sein muss: Der AAC-Stream von Radio Caroline mit 48 kBit/s (allerdings variabler Bitrate) hat keine hörbaren Artefakte.

Während andere Programme mit 72 und 80 kBit/s nur grauenhaften Soundmatsch abliefern, der nicht nur voller Artefakte ist, sondern auch sofort zu Kopfweh führt, wenn man mal lauter dreht: Musik ohne Dynamik, die ständig an der 0-dB-Linie klebt und dann auch noch mit Bassverstärkung arbeitet, ist nämlich wirklich nur als Hintergrundgedudel auszuhalten, doch nicht bei normalen Hörlautstärken auf besseren Empfängern.

Wobei es zugegeben schwierig ist, bereits „ab Werk“ (sprich: Musikindustrie) kaputtkomprimierte Signale wieder erträglich zu machen. Doch mit weiterem Soundprocessing und einem DAB+-Codec mit sehr geringer Bitrate ist es einfach unvermeidlich, dass dem Hörer so die Bits um die Ohren fliegen und ein technisch eigentlich gutes System unnötig geschlachtet und in Verruf gebracht wird.

DAB+ braucht eine getrennte Soundstrecke

Das Mindeste ist es, für DAB+ ein reduziertes Soundprocessing zu verwenden. Das Signal kann und darf nicht über dieselbe Strecke laufen, die für das UKW-Processing genutzt wird. Dies ist bei inzwischen eigentlich bei allen Stationen der Fall, denen der Klang nicht völlig egal ist. Definitiv vorhanden sind getrennte Audiostrecken für UKW und DAB+ unter anderem bei Radio Z, AFK M 94,5 und Rockantenne. Und auch beim Schwarzwaldradio ist das Processing auf DAB+ optimiert: Hier gibt es ja gar keine UKW-Abstrahlung.

Am besten wäre es, völlig auf das Processing und auch auf Equalizer „für knackigen Sound“ zu verzichten. Um zu große Sprünge zwischen unterschiedlichen Musikstücken und den Wortbeiträgen zu vermeiden, ist allerdings eine DAB+-Sendestrecke ganz ohne Processing in der Praxis nicht zu erwarten. Obwohl auch heftigstes Soundprocessing hier nicht weiter hilft: Auf BOB! ist der voicegetrackte „alte Ami“ Rik de Lisle am Nachmittag beispielsweise mit seinen Ansagen gegenüber der Musik stets zu leise. Antenne Bayern nutzt deshalb sogar getrennte Processing-Strecken für Wort und Musik, zumal „knackige“ Baß- und Höhenbetonung bei Sprache auch noch ausgesprochen unangenehm werden kann.

(Teaserbild: ©deniskot / 123RF Stock Photo)

 

Wolf-Dieter RothÜber den Autor:
Wolf-Dieter Roth, Dipl.Ing. Nachrichtentechnik, ist Radiofan seit der Kindheit und war in den Datennetzen über Festnetz und (Amateur-) sowie Mobilfunk schon aktiv, als 1200 und 9600 Bit/s als „schnell“ galten und man gewohnt war, die eingehenden Daten live mitlesen zu können. Beruflich ist er in Elektronik, Internet- und Funktechnik, Fachjournalismus, PR und Marketing zu Hause.

 

Diskussion in den radioforen.de
DAB+: Warum kann nicht jeder Sender mit einheitlicher Tonqualität senden?