Ein neuer Sound erobert die Radiowellen. Zumindest weit unten im Süden der Republik. Mit “Tradimix“ und “Heimatsound“ setzt der Bayerische Rundfunk verstärkt auf moderne Musikströmungen aus dem alpenländischen Lebensraum.
Oh ja … es gibt sie eben doch, die anspruchsvollen und mutigen Musikkonzepte im Kosmos der deutschen Radiostationen. Zugegeben, es dürfen eben einige mehr sein. Trotz aller Kritik aber an zu viel Gleichförmigkeit und „durchformatierter“ Programme – vergessen wir nicht Flux FM, 917xfm oder egoFM, die als Privatprogramme scheinbar unbeeindruckt von Charts oder MA-Reichweitenerhebungen mit durchgedrücktem Kreuz so ganz ihre eigenen Formate jenseits des Mainstreams entwickelt haben. Oder aus dem öffentlich-rechtlichen Lager zum Beispiel die Jugendradios PULS und DRadio Wissen oder die vor einigen Jahren entstandenen Crossover-Musikmagazinstrecken beim Deutschlandradio Kultur, dem Nordwestradio, Funkhaus Europa, bei MDR Kultur und hr2-Kultur. Radio Eins und Fritz zählen eh schon lange dazu. Man muss diese Angebote eben nur finden und wahrnehmen wollen.
Dass Radio außer vermeintlich herzlosem „Hitgedudel“ noch immer die Kraft hat neue Musiktrends zu beflügeln beweist seit geraumer Zeit der Bayerische Rundfunk (BR) mit seinen programmübergreifenden „Heimatsounds“. Mit Bierzeltseligkeit und (auf den ersten Blick) falsch verstandener Heimattümelei hat die Musik von Interpreten wie LaBrassBanda oder Django 3000 wenig zu tun – wenngleich die Wahl der Instrumentierung oft an die traditionelle Volksmusik erinnert. Offenbar treffen die neuen Töne den Nerv der Menschen im Freistaat – und haben in die Wellen des BR zwischenzeitlich hörbar Einzug gehalten. Die weiß-blaue ARD-Anstalt sorgt neben Airplay auch für Unterstützung in Form von Sondersendungen, Wettbewerben, Festivals, Aktionen und Veranstaltungen.
Die Musikschaffenden nehmen den neuen Trend gerne mit. Die österreichische Band Wanda beispielsweise legte mit einem furiosen Festivalauftritt im vergangenen Jahr – verbunden mit massiver Präsenz innerhalb der BR-Programme – einen Grundstein für ihren späteren Erfolgszug durch ganz Deutschland. Am gewachsenen deutschsprachigen Anteil sowie am hohen inländischen Copyright-Wert dürften wiederum Gema und Urheber ihre Freude haben. Nicht zu vergessen den Promotionwert durch Airplay und – quasi – kostenloser A&R-Arbeit durch den Sender für die Labels.
RADIOSZENE sprach mit dem Leiter der Bayern 2 Programmredaktion Alexander Schaffer.
RADIOSZENE: “Heimatsound“ und “Tradimix“ sind wichtige Bausteine Ihrer Musikplanung. Lassen Sie uns zunächst die Begrifflichkeiten klären. Was versteckt sich hinter diesen Genre-Etiketten?
Alexander Schaffer: Für das Bayern 2 Musikprogramm ist „Heimatsound“ sicher das wichtigere Genre. Nicht nur, weil wir eine eigene Bayern 2 Sendung mit diesem Titel haben. Die Gründe dafür sind vielfältig. Das Genre „Heimatsound“ ist erstens stark in Bayern verwurzelt und zwar in nahezu allen Landesteilen. Da müssen wir uns als das wichtigste bayerische Medienunternehmen in Sachen Musik und Kultur natürlich damit befassen, weil diese Kultur einfach die aktuelle Lebenswirklichkeit der Menschen abbildet. Zweitens steckt in dem Wort Sound auch der internationale Anspruch dieser Musikfarbe, die Berührungspunkte zum internationalen Niveau in Sachen Produktion oder Songwriting. Dadurch passt sich der „Heimatsound“ einfach in das sonstige Musikprogramm von Bayern 2 ein, in dem ja internationale Künstler oder Bandprojekte aus aller Welt, aus dem anglo-amerikanischen Kulturraum, aus ganz Europa, auch aus anderen Teilen der Welt prägend sind. Das können Hörerinnen und Hörer des Kulturradios Bayern 2 erwarten. Und drittens verstehen wir „Heimatsound“ nicht ausschließlich bayerisch, sondern als Musikfarbe aus Bayern und dem Alpenraum. Hier gibt es einfach viel mehr Verwandtschaft nach Österreich oder in die Schweiz als – sagen wir – nach Niedersachsen. Auch aus diesem Blickwinkel begreifen wir “Heimatsound“ nicht provinziell, sondern europäisch, weltoffen.
… und “Tradimix“?
Der „Tradimix“ ist einfach aus der Volksmusik heraus entstanden und hat sich aus dieser Tradition heraus modernisiert. Hier hat sicher eine Band wie die Biermösl Blosn wichtige Breschen geschlagen, ohne diese Arbeit der Erneuerung von Volksmusik seit den 80er Jahren ist auch der „Heimatsound“ nicht zu denken. Andererseits haben aber viele “Heimatsound“-Künstler, gerade die Jungen, ihre Wurzeln eher im Pop und sie verwenden musikalische Traditionen oder Instrumente aus der Volksmusik. Es ist also sicher auch eine Generationenfrage. Und vielen Musikern ist die Einteilung durch uns Musikjournalisten eh Wurst. Die wollen einfach ihr Ding machen. Sie sind einfach die Men in Blech und so wollen wir sie auch nehmen.
Wann sind die neuen Sounds entstanden und welche Künstler sind Teil dieser Bewegung?
Am Anfang standen natürlich die Bands, die Künstler. Vorne dran LaBrassBanda oder Claudia Koreck, Mathias Kellner oder Kofelgschroa. Ohne Hubert von Goisern ist das Thema gar nicht denkbar. Haindling, der schon früh bayerisch-traditionelle Klänge mit weltmusikalischen Einflüssen zu einem ganz eigenen, weltoffenen Sound kombiniert hat. Sicher ein wahrer, früher “Heimat-Soundler“. Am besten jeder schaut auf die Track-List der “Heimatsound“-CDs, da sind die wichtigsten Vertreter schon drauf. Bei uns im BR ist „Heimatsound“ eine Gemeinschaftsaufgabe des BR Fernsehens und von uns in Bayern 2, unserer Musikredaktion. Christian Faust von der Unterhaltung im Fernsehen ist Ideengeber, das Passionstheater Oberammergau und der Veranstalter Till Hofmann machen das “Heimatsound“-Festival. Der BR ist hier Partner, sendet live vor Ort und in vielen Aufzeichnungen. Vor zwei Jahren kam Sony Music mit der CD dazu.
Welche Musikspektren umfassen diese neuen Strömungen?
Auch da sind wir sehr offen. Das sollen vor allem die Bands entscheiden. Unsere Musikredakteure sichten und bewerten die Neuerscheinungen. Was in Sachen Produktion und Instrumentalisierung mithalten kann kommt ins Repertoire. Da ist viel Mundart dabei, viel Pop mit Ziehharmonika oder Blech. Singer-Songwriter aus der Steiermark oder Balkan-Beats aus Franken. Aber auch eher Nischen wie Hip Hop, Reggae, Gipsy oder Americana. Wir würden die Grenzen da nicht eng ziehen, wir schauen was kommt. Interessant ist die Sichtung der an die 300 Bands, die sich am “Heimatsound“-Wettbewerb angemeldet haben und von denen viele ja noch gar nicht veröffentlicht haben. Eine wahnsinnige Vielfalt und musikalische Bandbreite haben wir da erlebt. Da war es wirklich schwer Endrunden-Kandidaten auszuwählen.
Wer im Hause hat diese Musik als “Heimatsound“ für den Bayerischen Rundfunk entdeckt?
Das ist ein Gemeinschaftsprojekt gewesen. Die Fernsehsendung gab es zuerst, die Kollegen sind mit der gemeinsamen Festival-Idee auf uns zugekommen und Bayern 2 hat mit der Radiosendung nachgelegt. Da haben einfach einige Leute zusammen die journalistische Nase im richtigen Wind gehabt.
In welcher Form integrieren Sie den „Heimatsound“ in Ihr Programm Bayern 2?
Es gibt die Sendung “Heimatsound“ selbst, immer am Sonntag ab 11.30 Uhr, hier trägt Dagmar Golle viel Neues aus Bayern und dem Alpenraum zusammen. Dort laufen auch Klassiker, Legenden also, die musikalischen Roots des “Heimatsound“ sozusagen. Viel mehr Hörer bekommt der “Heimatsound“ natürlich in der morgendlichen Prime Time oder in den regionalen Sendungen, hier bieten wir jeweils den Südbayern und den Franken Bands aus ihrer Region. Seit ein paar Monaten neu: “Heimatsound“ Musik zu den bayerischen Themen der Woche am Samstag, da sind auch sehr regelmäßig Bands zu Gast. Der “Heimatsound“ in Bayern 2 wächst weiter!
Wichtig ist natürlich, das die ModeratorInnen die Musik aus Bayern auch gut verkaufen, also schon mal die eine oder andere Geschichte erzählen. Da arbeiten wir dran. Insgesamt trägt der “Heimatsound“ dazu bei, dass Bayern 2 jederzeit auch nach Bayern kling, nicht nur nach international konkurrenzfähigen Pop. Das Rundfunkgesetz verlangt von uns ein wenig gespreizt, „die Lebensgewohnheiten Bayerns abbilden“. Unsere Erfüllung des Auftrags klingt dann unter anderem nach “Heimatsound“.
Wie erwähnt sind die “Heimatsounds“ sind auch in weiteren Programmangeboten des Bayerischen Rundfunks zu hören … wo und in welcher Form?
Ja natürlich haben wir das nicht exklusiv, warum auch? Ein großer Hit wie von Alex Diehl läuft natürlich bei Bayern 3. Unser DAB Kanal „BR Heimat“ spielt viele “Tradimix“ Künstler und sendet auch ausgewählte Konzerte vom Festival. Und viele der Bands der Woche bei PULS kommen aus Bayern und spielen vielleicht schon bald beim Festival, wer weiß?
Gibt es Erkenntnisse welche Hörer sich besonders für “Heimatsounds“ begeistern?
Darüber habe ich eigentlich keine Zahlen, das erheben wir nicht per Medienforschung. Ich kann aber sagen, dass die Resonanz der Hörerinnen und Hörer super ist. Man muss einfach anerkennen, dass kulturelle Nähe, musikalische Heimat ein wichtiger Wert für die Menschen ist. Das geht meinem Eindruck nach durch alle Altersschichten durch, einfach weil Menschen heute kulturell und musikalisch offener, pragmatischer sind. Bei aller Liebe für die großen amerikanischen Songs der Geschichte oder bei aller Offenheit für moderne französische Chansons oder Pop aus Afrika. Beim “Heimatsound“-Festival sehe ich die Leute ja und die sind zwischen 20 und 60 Jahren. Da sind 25 jährige barfuß in Lederhose, die gehen zu Moop Mama, Fiva oder Wanda total ab. Und man sieht Festival-Besucher mit eher grauem Haar, die bei Mathias Kellner abtanzen oder bei Sophie Hunger leuchtende Augen bekommen. Dazwischen Familien, die mit ihren Kindern Ami oder Jesper Munk oder gar Coconami entdecken.
Mit dem “Heimatsound Festival“ ist inzwischen ein begleitendes Konzert Highlight entstanden. Welche Eindrücke bringen Sie von der gerade absolvierten vierten Auflage der Veranstaltung mit?
Sympathische Atmosphäre, zwischen Bürgerfest und wildem Campingplatz das altehrwürde Oberammergauer Passionstheater mit einer wilden Musikmischung. Das Festival ist von Jahr zu Jahr früher ausverkauft, weil sich herumspricht, dass die Veranstalter ein gutes Näschen haben für Trends und immer was Neues zu entdecken ist. Wenn was nicht gefällt, dann mache ich halt eine Pause am Bierstand. Herbert Pixner aus Südtirol war toll, den kannte ich gar nicht vorher. Nehm ich mit aus diesem Jahrgang. Wir konnten diesmal beide Tage live in Bayern 2 übertragen und die Resonanz war großartig. Ich freu mich schon auf die Bands im nächsten Jahr.
Wagen Sie einmal eine Prognose – können sich die “Heimatsounds“ auch jenseits Ihres Sendegebietes durchsetzen? Das Beispiel Wanda zeigt, dass alpenländische Popmusik durchaus auch im Rest der Republik viele Freunde gefunden hat …
Ich weiß nicht, Wanda ist schon der spezielle Fall einer großartigen Rockband. Bilderbuch würde ich als nächstes empfehlen, wenn wir die Ösis nehmen. Die haben dieses Jahr schon das “Tollwood Zelt“ zum Zittern gebracht. Ich glaube schon, dass das ein regionales Thema ist und bleibt, schon von der Sprache her. Wenn jemand außerhalb Bayerns diese Nische für sich entdecken möchte: gerne, vielleicht eher mit den englischsprachigen Vertretern beginnen, Stefan Dettls Soultrain z.B., auf der aktuellen Heimatsound-CD Volume 3 (erschienen am 22. Juli 2016) befinden sich in der Tat einige „Magentratzerl“ (=Appetit-Anreger).