Heinz Canibol: „Trends entstehen nicht in den Büros der Plattenfirmen“

Heinz Canibol mit Ron Wood und Keith Richards (Bild: Privatarchiv)
Heinz Canibol mit Ron Wood und Keith Richards (Bild: Privatarchiv)

Der gebürtige Gelsenkirchener Heinz Canibol leitete während der Blütezeit der deutschen Musikwirtschaft als Geschäftsführer über viele Jahre der Geschicke von CBS/Sony Music, MCA Records und EMI Music. 2003 trat Canibol den Weg in die Selbständigkeit an und gründete in Hamburg das Label 105 Music. Mit der Fokussierung auf ein rein deutschsprachiges Künstleraufgebot entdeckte der Musikmanager unter anderen Ina Müller, Annett Louisan, Stefan Gwildis, Anna Depenbusch, Felix Meyer, Ruben Cossani oder Cosmo Klein und setzte viele von ihnen sehr erfolgreich am Markt durch.

POPSTOPSeit seinem Rückzug in den (Un-)Ruhestand im Jahr 2014 moderiert und gestaltet der „Brandmeister“ (Canibol ist ausgebildeter Feuerwehrmann) eine gute Zahl eigenentwickelter Musiksendungen beim Internetradio Popstop. In seiner Wahlheimat Köthel im Lauenburgischen Land fungiert Heinz Canibol zudem als ehrenamtlicher stellvertretender Ortsvorsteher.


RADIOSZENE sprach mit Heinz Canibol über die aktuelle Lage im Musikgeschäft sowie seine Erfahrungen als Musikmanager mit dem Radio.

RADIOSZENE: Die Musikwirtschaft verzeichnet in den ersten Monaten von 2017 – wie im vergangenen Jahr – erneut einen Aufwärtstrend. Liegt dies am attraktiven Repertoire des Frühjahrs oder ist Streaming nun tatsächlich die neue Cashcow?

Heinz Canibol (Bild: Privatarchiv)
Heinz Canibol (Bild: Privatarchiv)

Heinz Canibol: Streaming scheint sich nun auf breiter Basis im Markt durchzusetzen, jüngere Generationen nutzen Musik heute anders und wollen sich keine CD-Archive mehr aufbauen. Dazu kommt eine steigende Akzeptanz für legale Downloads/Streamings, so dass sich die Lücke der fehlenden Musikumsätze seit den letzten 15 Jahren endlich, wenn auch relativ langsam, wieder schließt. Und für die jüngeren Zielgruppen ist aktuelle Musik immer irgendwie attraktiv – sie kennen ja oft nicht die wirkliche Tiefe des Repertoires.

RADIOSZENE: Die CD-Verkäufe befinden sich allerdings weiter im freien Fall, wie lange wird es die Silberlinge noch geben?

Heinz Canibol: Die Silberlinge werden wie die Vinyl-Tonträger auf ewig im Markt bleiben – speziell im deutschen Markt wird die CD-Quote auf längere Sicht noch weit über denen im US-Markt und in Großbritannien liegen. Uns scheint ein Faible für‘s Jagen und Sammeln stärker zu prägen als ähnliche Käufergruppen im Ausland.

RADIOSZENE: Dagegen boomt Vinyl. Gibt es dafür eine plausible Erklärung?

Heinz Canibol:  Stimmt – Vinyl  boomt, wenn auch nur auf niedrigem Niveau. Junge Zielgruppen finden es plötzlich hip die schwarze Scheiben auszuprobieren – zumal ja viele Stimmen propagieren, dass das Hörerlebnis im Vergleich zur CD unvergleichlich besser sei. Mich als Vinyl-Freak der 1960er bis in die 1990er Jahre freut diese Entwicklung, ich bin aber gespannt, ob diese Faszination länger anhält, als beim Comeback des Hula-Hoop-Reifens.

RADIOSZENE: Streaming ist derzeit der wirtschaftliche Hoffnungsträger für die Musikwirtschaft, birgt das Geschäftsmodell nicht auch Gefahren? Einem Pressebericht zufolge lässt Spotify die Labels für gesponserte Plays bezahlen … Kann es sein, dass Spotify wieder so ein „goldenes Kalb“ wird um das die Branche tanzt – so wie es früher einige angesagte Musiksender wie MTV oder VIVA, TV-Shows wie „Formel Eins“ oder die Top 100-Charts waren?

Heinz Canibol: In der Tat schafft es die Musikbranche immer wieder neue Erfolgsmodelle exzessiv auszubeuten, anstatt sie pfleglich zu behandeln. Umgekehrt suchen auch die Macher solcher neuen Modelle nach Wegen, noch mehr Geld aus ihren neuen Systemen zu pressen, als es der Markt eigentlich hergibt – insofern gibt es fast immer zwei gleich schwer zu verurteilende Marktteilnehmer.

RADIOSZENE: Deutschland leistet sich für die wöchentliche Darstellung der Tonträgerverkäufe gleich zwei konkurrierende Chart-Systeme – mit unterschiedlichen Erhebungsmethoden und Ergebnissen. Führt das nicht zu einer Verunsicherung im Markt sowie letztlich zu Gleichgültigkeit bei Öffentlichkeit und Medien gegenüber Musik-Bestenlisten?

Heinz Canibol: Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht und es interessiert mich auch nicht mehr. Aber es ist irgendwie schon typisch deutsch, da wir ja jahrelang auch zwei parallele Branchenmagazine hatten … Musikmarkt und Musikwoche!

Heinz Canibol mit Ina Mueller (Bild: Privatarchiv)
Heinz Canibol mit Ina Mueller (Bild: Privatarchiv)

RADIOSZENE: Im Mittelpunkt der Musik sollte eigentlich der Künstler stehen. Hier scheint sich einiges verändert zu haben. In den Single-Charts stehen viele Namen, die man bis vor kurzem nicht kannte. Die etablierten Artisten rücken mehr und mehr in den Hintergrund, nur der Song zählt noch. Eine Folge der Castingshows? Und welche Folgen hat dies für das Musikgeschäft?

Heinz Canibol:  Diese Fragen haben sich eigentlich im Laufe der letzten zehn bis 15 Jahre selbst erledigt. Alle Castingopfer sind ja per se angeblich auch Künstler … einige TV-Sendungen erschaffen ja sogar regelmäßig „Superstars“. Wie also will man dann die „Voll-Künstler“ noch nennen? Die Kollegen Grönemeyer, Niedecken, Westernhagen, Naidoo, die überwiegend selbst texten und komponieren und auch noch interpretieren? Oder die erfolgreichen „Nur-Interpreten“ wie Helene Fischer, Andrea Berg, Helmut Lotti oder DJ Ötzi?

All die TV-konzipierten Verlierersendungen, bei denen es nur zweitrangig um Musik und Künstler geht – da das emotionale Element des Siegens und Verlierens vor der Kamera entscheidender ist als der künstlerische Inhalt – haben dazu geführt, dass klare Orientierungsbegriffe verwässert wurden und eigentlich jeder für fünf Tage im Monat ein „Star“ sein kann. Anschließend wartet die Versenkung im Markt oder der RTL-Dschungel!  Der Musikmarkt orientiert sich an den sich verändernden Zeichen der Zeit und arrangiert sich bestmöglich damit – unterstützt von einer willfährigen Boulevardpresse, die begeistert über die teilweise kriminellen Backgrounds der neuen „Stars“ täglich gerne berichtet.

RADIOSZENE: Bis zur digitalen Revolution wurden neue Songs meist über die Medien zu Hits gemacht. Heute ist sehr häufig das Netz der wichtige Impulsgeber …

Heinz Canibol: Diese Aussage gilt schon länger nicht mehr, denn neben den „Normal-Medien“ wurden schon lange Hits in den Clubs und Diskotheken geboren, die die Charts eroberten, aber nie im Radio liefen. Bei den herrschenden Radioformaten und deren Begrenzungen, ist die im Netz mögliche Promotion durchaus eine begrüßenswerte Alternative und vergrößert die Marktfläche. So können also immer mehr Titel an die Wasseroberfläche schwimmen  –  aber erst dann entscheidet sich, ob aus einem Potential ein richtiger Stückzahlenhit wird.

RADIOSZENE: Lange Zeit wurden über Konzerte und Live-Entertainment die Tonträger der Künstler promotet. Heute scheint sich auch dies gedreht zu haben …

Heinz Canibol:  Als ich in die Branche bei CBS Schallplatten Ende der 1970er Jahre einstieg, schalteten wir für Tourneen von wichtigen Künstlern noch mehrfach ganzseitige Anzeigen in den relevanten Magazinen – heute sehe ich in den Magazinen eigentlich nur noch Sammelanzeigen der Konzertveranstalter für Tourneen und Festivals. Früher haben die Künstler ihren Lebensunterhalt mit den Einnahmen aus Plattenverkäufen und Lizenzen von der Gema gesichert –  die Tourneen halfen der Statusverbesserung im Fan-Ranking und sorgten für zusätzliche Einnahmen durch Ticket- und Merchandise-Verkäufe. Heute machen erfolgreiche Künstler ihr Geld hauptsächlich bei Tourneen und Festivalauftritten, die Einnahmen aus Plattenverkäufen sind zweitrangig geworden.

RADIOSZENE: Welche Bedeutung haben für ein Major-Label die Überweisungen durch die GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten) für die Einsätze ihrer Künstler im Radio? Müssten die Labels nicht eigentlich ein bevorzugtes Interesse haben, dass die Sender ihre aktuellen Hits möglichst oft im Radio spielen? Diese ließen sich doch sicher leichter in den Radioprogrammen platzieren als unbekannte Newcomer …

Heinz Canibol:  Die GVL-Einnahmen sind eine sinnvolle Finanzquelle für die Labels, lassen sich aber keineswegs so maximieren, dass sie das Hauptgeschäft werden könnten. Außerdem lebt der Künstlerkreis davon, dass auslaufende Karrieren von potenten Newcomern abgelöst werden. Denn ansonsten würde bald nur noch Langeweile das Metier beherrschen – und damit stürbe der Markt.

Heinz Canibol mit Bela B (Bild: Privatarchiv)
Heinz Canibol mit Bela B (Bild: Privatarchiv)

RADIOSZENE: Welchen Stellenwert hatte zu Ihrer aktiven Zeit der Hörfunk im Promotion-Mix des Labels – welchen besitzt er heute noch?

Heinz Canibol: Radio war immer ein echtes Schwergewicht im Promotion-Mix … zumal benachbarte Medien oft erst positiv reagierten, wenn ein Titel bei den Hörfunksendern lief. Radio ist auch heute noch enorm wichtig – aber andere (neue) Medien haben den Abstand verkürzen können.

RADIOSZENE: Speziell deutschsprachige Musik hat es im Radio weiterhin schwer. Als Labelchef von 105 Music haben Sie bestimmte Radiomacher doch sicher gelegentlich verflucht. Kennen Sie die Gründe für diese Zurückhaltung? Mit welchen Argumenten hat man sich beispielsweise gegen Ihre (beim Verkauf doch) sehr erfolgreichen Künstler und Songs gesperrt?

Heinz Canibol: Bei einigen Programmmachern werden es geschmackliche Gründe gewesen sein – bei anderen vielleicht Programmvorgaben von „oben“. Wiederum andere haben tatsächlich damit argumentiert, dass deutschsprachige Texte für autofahrernde Hörer gefährlich sein könnten, da die Gefahr der Ablenkung bestünde. Andererseits muss man zugeben, dass speziell bei unseren Künstlern nicht immer unbedingt zwingende „Hitsingles“ auf den Alben waren, sondern einfach nur verdammt gute Songs, die sich in den Fankreisen auch ohne Radiounterstützung zu „Ohrwürmern“ entwickelten – das konnte man immer wieder bei ihren Konzerten erleben, wenn das ganze Haus die Songs mitsang!

RADIOSZENE: Viele Sender versuchen heute mit neuen kuratierten Sendungen oder bekannten Musikern am Mikrofon – wie etwa Wolfgang Niedecken bei WDR4 – beim Publikum zu punkten. Wurde das Interesse der Hörer an kompetent gemachten Musikshows zu lange unterschätzt?

Heinz Canibol: Grundsätzlich finde ich es toll, dass Wolfgang Niedecken seine Hörer kompetent mit seinen Meinungen, Hintergrundgeschichten und musikalischen Vorlieben versorgt. Das ist für bestimmte Zielgruppen sicher tausendmal spannender als der Verkehrsfunk beziehungsweise nur die Verlautbarung von Interpreten und Titeln. Ich bin auf die Hörerreaktionen gespannt und wünsche Wolfgang viel Spaß und Erfolg mit seiner Sendung!

RADIOSZENE: Warum hat die Musikindustrie – vergleichbar dem VIVA-Modell – eigentlich nie einen eigenen Radiosender gestartet?

Heinz Canibol: Ganz einfach – es gab immer eine ausreichend konkurrierende Radiolandschaft im deutschen Markt, aber im Musik-TV-Bereich dominierte MTV über viele Jahre so überdeutlich, dass wir uns quasi gezwungen sahen, einen Alternativsender im Markt zu platzieren. Mittlerweile spielen aber beide fast keine Rolle mehr, oder?

RADIOSZENE: Sehen Sie derzeit neue Musiktrends im Kommen? Oder kommen einige in Vergessenheit geratene Genres wieder zurück?

Heinz Canibol: In der Musik wiederholen sich Trends immer mal wieder oder tauchen in leicht veränderten Nuancen neu auf. Aber meist sind es neue interessante Künstler, die für sich einen eigenen Stil gefunden haben, und der Anklang im größeren Rahmen findet – unabhängig davon, ob es ähnliche Spielformen schon mal gegeben hat.

RADIOSZENE: Lassen sich seitens der Musikwirtschaft überhaupt Trend steuern? In früheren Jahren ist dies oft misslungen – wenn man beispielsweise an die wenig erfolgreich versuchte Etablierung amerikanischer Countrykünstler in Europa denkt …

Heinz Canibol: Trends entstehen nicht in den Büros der Plattenfirmen – pfiffige Mitarbeiter können aber Trends erkennen und dann sinnvoll verstärken und ausbauen. Die vielen gescheiterten Versuche US-Countrymusik hier zu etablieren, entstanden aus den Ideen der amerikanischen Mutterkonzerne, eine in den Staaten so lebendige Musikszene auch international besser ans Laufen zu bringen – sprich Profite zu maximieren. Es funktionierte aber leider nicht. Genauso wenig wie es funktionieren würde, im Schatten erfolgreicher deutscher Dancefloor-Produktionen auch noch deutsche Volksmusik zu verhökern – der Kunde ist ja nicht blöd.

Heinz-Canibol mit Cher und ihrem Award (Bild: Privatarchiv)
Heinz-Canibol mit Cher und ihrem Award (Bild: Privatarchiv)

RADIOSZENE: Oft hat man im Rückblick den Eindruck, dass die Musikwirtschaft regelmäßig durch übertriebenden Aktionismus erfolgreiche Trends bisweilen ohne Sinn und Verstand kaputtgetrampelt hat. Hatte sich eine neue Richtung etabliert, wurde der Markt durch den allgemeinen Hype an Veröffentlichungen wieder übersättigt und beim Publikum uninteressant. Lässt sich ein solches Phänomen nicht branchenintern durch Konsens regeln?

Heinz Canibol: Hier wird von einem Millionär verlangt, seine monatlichen Ausgaben auf 3.000 Euro zu beschränken. Unter den Plattenfirmen herrscht eindeutig Konkurrenz, jeder will das größere Stück vom Marktkuchen für sich – das erwarten auch die Konzernbosse in den USA! Da hilft einfach keine Selbstbeschränkung, denn der Trend stirbt irgendwann unbemerkt von allen, während noch zig Produktionen dieser Art auf ihre Veröffentlichung warten. Das Trendende erreicht die real Handelnden sozusagen mit einem Jet-Lag-Effekt – leider kaum zu verhindern.

RADIOSZENE: Beim Blick auf die Single-Charts dominieren aktuell Trends wie „Rhythm Pop“, Dance, Singer Songwriter und natürlich HipHop. Sie haben als einer der ersten Musikmanager in Deutschland Rap und HipHop entdeckt und im Markt durchgesetzt …

Heinz Canibol: Stimmt – es begann direkt nach dem Auftauchen der Fantastischen Vier aus Stuttgart, als wir bei der damaligen MCA Records Deutschland in Hamburg mit dem Rödelheim Hartreim Projekt und Schwester S. (Sabrina Setlur) zwei weitere wichtige Grundsteine für die deutsche HipHop-Szene erfolgreich im Markt etablierten. Danach folgten die Absoluten Beginner, dann bei der EMI Dynamite Deluxe und Samy Deluxe sowie Chima. Mit der heute dominierenden deutschsprachigen HipHop-Szene hatten diese Acts aber nur wenig am Hut.

RADIOSZENE: Welche Bedeutung für die Branche und Öffentlichkeit haben eigentlich Musikpreise wie etwa der „Echo“ oder die „Brit Awards“?

Heinz Canibol: Die „Brit-Awards“ in England haben tatsächlich regelmäßigen Einfluss auf das Geschehen im englischen Markt – wie auch generell Musik in England einen anderen sozialen Stellenwert hat als in Deutschland. Der „Echo“ hat es nie geschafft, den Markt wirklich zu bewegen, sondern ist eine leicht anstrengende Musiksendung zur Ergebnisverkündung für die breite Masse – der sich jetzt auch noch medial leider auf dem Weg ins Abseits befindet. Der „Echo“ bräuchte eine komplette Erneuerung …Eurovision Song Contest 2017

 

RADIOSZENE: Welchen Eindruck haben Sie über die aktuelle Entwicklung beim „Eurovision Song Contest“?

Heinz Canibol: Im Gegensatz zum „Echo“ ist der „Eurovision Song Contest ja eine interaktive Sendeform, an der sich der Zuschauer beteiligen kann. Im Grunde ein „Groß-Casting“ auf europäischer Bühne. Gewinner und Verlierer erzeugen Emotionen, aber schon lange keine Hits mehr – also ähnlich wie bei den deutschen Castingshows. Musik ist das Schmiermittel damit die Maschine läuft, es könnten sich aber auch Zirkusartisten oder Zauberer zur Abstimmung stellen!

RADIOSZENE: Kommen wir nochmals zurück auf das sich gewandelte Musikgeschäft. Für die meisten Jugendlichen der 1960er, 1970er und auch 1980er Jahre war Musik mehr oder weniger eine Glaubensfrage. Viele holten sich ihre Werteorientierung in Musik und Texten, verinnerlichten und behielten diese ein Leben lang. Dies hat sich in dieser Form offenbar grundlegend gewandelt – heute scheint Musik für viele Jugendliche und junge Erwachsene  nur ein beliebig austauschbarer Soundtrack für den Augenblick. Worin liegen diese Veränderungen begründet – am gesellschaftlichen Wandel, an der extrem gewachsenen Konkurrenzvielfalt durch das Internet? Oder vielleicht auch ein wenig an den aussterbenden Künstlerpersönlichkeiten?

Heinz Canibol: Ich befürchte, es ist tatsächlich ein wenig von allem … die Zeiten und die Orientierungsprioritäten der jeweils nächsten jungen Generation unterliegen einem ständigen Wandel – ansonsten würden wir ja heute noch an den Hits von Brahms, Händel und Mozart hängen anstatt an den Beatles, Beach Boys und Bee Gees. Mir begegnen auch immer mehr Jugendliche, die weder regelmäßig Zeitungen lesen oder TV-Nachrichten verfolgen. Sie beziehen ihr Weltwissen aus dem Computer und schauen sich auch dort ihre Filme an. Das macht die Basis der Verständigung untereinander immer kleiner – und provoziert so auch unter anderem die fehlenden Werte, die dann wiederum für eskalierende Straßengewalt ohne wirklichen Anlass verantwortlich sind. Manchmal glaube ich echt, dass Jugendliche aus relativ guten Verhältnissen endlich die Gewaltphantasien ihrer PC-Spiele mal live gegen die Polizei ausprobieren wollen … nicht ganz ungefährlich diese Entwicklung!