Heinz Canibol: „Da ist wirklich wieder Musik drin“ 

Musiknutzungsstudie2 bigDie Musikindustrie ist wieder obenauf! Nein, neue Musiktrends und Superstars sind (zum Leidwesen auch der Radiosender) nicht wirklich in Sicht, wohl aber regelmäßige Meldungen über fortgesetzt positive Jahresabschlüsse. Zumindest bei den Majorlabels – die Bilanzen anderer Zweige der Musikwirtschaft (wie die der Konzertveranstalter, Clubs oder dem Gros der Künstler aus den unteren Ligen) dürften wegen der Folgen der Pandemie in 2021 weniger rosig ausgefallen sein. Dennoch scheint die Branche die vieljährige Depression der 2000er-Jahre endgültig überwunden zu haben. 

sony musicMaßgeblicher Erfolgsgarant ist das Musikstreaming-Geschäft, das Labels mit geradezu explodierenden Nutzungszahlen auch für Investoren und Analysten wieder attraktiv macht. Aber auch konstant steigende Vinyl-Verkäufe sorgen dafür, dass derzeit die Börsengänge von Labels und Musikrechteverkäufe verdienter Musikstars stärkere öffentliche Wahrnehmung finden als manches neu erschienene Album. Wie teuer diese Rechte gehandelt werden zeigt das aktuelle Beispiel Bruce Springsteen, der laut Presseberichten gerade seine Aufnahmen- und Autorenrechte für über 500 Millionen US-Dollar an Sony Music abgegeben hat. Die Autorenrechte von Musiklegende Bob Dylan waren bereits 2020 dem führenden Musikriesen Universal Music immerhin 400 Millionen Dollar wert. Nun machte der Altmeister erneut Kasse und verkaufte seine Musikrechte der Jahre 1962 bis heute für geschätzte 150 Millionen Dollar ebenfalls an Sony Music.

Warner Music Group smallDer amerikanische Musikverlag Warner Chapell Music wiederum überwies für die weltweiten Verlagsrechte der Werke von David Bowie an dessen Erben eine Kaufsumme von rund 250 Millionen US-Dollar. Unbekannt (aber sicher nicht weniger lukrativ) blieb die Höhe der Verkaufssumme für die Songrechte von Tina Turner an das Musikunternehmen BMG. Weitere Deals für Rechtepakete dieser Größenordnung dürften in 2022 die Regel werden!

Das Geschäft mit der Musik hat also wieder mächtig an Fahrt aufgenommen. Wie in den seligen Hochzeiten der Branche während den goldenen 1980er- und 1990er Jahre – ehe die digitale Revolution in Form des Internets und von Tauschbörsen das physische Musikgeschäft massiv beschädigten. Die Folge waren ein harter Konzentrationsprozess und die lange Suche nach dem zukunftsweisenden Geschäftsmodell im digitalen Zeitalter. 

Heinz Canibol (Bild: privat)
Heinz Canibol (Bild: privat)

Heinz Canibol ist ein aufmerksamer Beobachter der internationalen Musikszene. Der gebürtige Gelsenkirchener leitete während der Blütezeit der deutschen Musikwirtschaft über viele Jahre als Geschäftsführer der Geschicke von Großlabels  wie CBS/Sony Music, MCA Records und EMI Music. 2003 trat Canibol den Weg in die Selbständigkeit an und gründete in Hamburg das Label 105 Music. Mit der Fokussierung auf ein rein deutschsprachiges Künstleraufgebot entdeckte der Musikmanager unter anderen Ina Müller, Annett Louisan, Stefan Gwildis, Anna Depenbusch, Felix Meyer, Ruben Cossani oder Cosmo Klein und setzte viele von ihnen erfolgreich am Markt durch. Seit 2013 moderiert Canibol eigene Radioshows beim Internetsender POPSTOP.


Im Gespräch mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich spricht Heinz Canibol über aktuelle Entwicklungen innerhalb der Musikbranche. 

RADIOSZENE: Das Jahr 2021 war kaum passé, veröffentlichten erste Standesorganisationen der Musikindustrie in UK und den USA bereits Marktdaten zum Musikkonsum. Demnach stiegen die Umsätze weiter an. Primär getrieben durch Streaming. Wie bewerten Sie die allgemeine Lage rund um die Musik?

Heinz Canibol: Nach mehr als einem Jahrzehnt mit rückläufigen Marktdaten, hat das Streaming von Musik jetzt zu einem neuen Höhenflug im Musikmarkt geführt. So wie sich damals die Langspielplatte (LP) nicht lange gegen die aufkommende Dominanz der CD erwehren konnte, so musste sich die CD als „alte“ Tonträgerform der nichtphysischen Tontechnologie geschlagen geben. Einher ging damit eine teilweise Veränderung des Musikkonsums. Das langbewährte Albumformat muss Spielfeldanteile an das neue  Konsumentenbedürfnis abgeben, wonach man nicht mehr blind das Gesamtpaket kauft, sondern es bei der Nutzung oft bei ein, zwei oder vier Titeln eines Albums im Download oder Stream belässt. Der Konsument genießt die größere Wahlfreiheit dieses „Song basierten“ Modells – und kauft unter dem Strich sogar mehr Musik als früher, die er als digitalen Stream ja auch nicht mehr aufwendig in Regalflächen parken muss. 

 

„Musik ist wirklich wieder ein stabiler Wachsumsmarkt“

 

RADIOSZENE: Weitere Impulse kamen auch durch den Absatz von Vinyl-Schallplatten…

Heinz Canibol: Formatvielfalt gab es ja früher auch schon zwischen LP und MC – und dann noch ergänzt durch die CD. Jetzt kommt neben der ehemals führenden CD eben die Nutzung per Stream oder Download dazu. Und in weltweiten Zeiten von Pandemie und Home Office-Nutzung finden Musikenthusiasten auch wieder mehr Zeit sich um alt-vertraute Formate zu kümmern – wie Vinyl-Alben oder sogar Musikkassetten. Dementsprechend dürften zumindest auch die Umsätze bei neuzeitlichen Plattenspielern gestiegen sein …

RADIOSZENE: Welche Genres und Künstler faszinierten die Menschen, sich wieder vermehrt mit Schallplatten einzudecken?

Heinz Canibol: Speziell in den USA dürften die Genres Pop, R&B und HipHop sowie Rock die führenden Musikrichtungen gewesen sein – aber auch in den Bereichen Country Music und Latin Music sowie Comedy Music gab es im letzten Jahr erhebliche Überraschungen. So landete das Doppelalbum von Morgan Wallen aus dem Country-Bereich sogar vor Adele‘s Album „30“ und der Latin-Rapper Bad Bunny sorgte für Chart-Geschichte, als sein rein spanischsprachiges Album „El ultimo tour del mundo“ erstmals Rang 1 der Billboard Top 200 Charts erreichte. In etwas kleinerer Form gelang dies auch dem Comedian Bo Burnham, dessen Album „Inside (the songs)“ erstmals seit 2015 als Comedy-Album die Top 10 der Billboard Top 200 Charts knackte.

Musikgeschaeft Interview Canibol Februar 2022Bild 27 Sabrina Setlur

RADIOSZENE: In den USA hat sich erstmals seit 17 Jahren auch wieder der Absatz von CDs erholt. Ein weiteres Signal für die wachsende Attraktivität von Musik?

Heinz Canibol: Das muss man auf den ersten Blick wohl so annehmen. Auf den zweiten Blick sollte man aber differenzieren, ob die Zuwächse bei der CD über die neuveröffentlichten Produkte kamen – oder aber den steigenden Backkatalogverkäufen zu verdanken sind.

RADIOSZENE: Welche Bedeutung hat für Sie die Entwicklung, dass beim Streaming erstmals die Nutzung von Backkatalog-Musik den Konsum von aktueller Musik übertraf?

Heinz Canibol: Auch bei der Markteinführung der CD in den frühen 80er-Jahren erlebten wir das Phänomen, dass nach dem Erwerb des CD-Players große Bestandteile der eigenen Vinyl-Sammlung nun nochmals als CD mit der „vermeintlich überlegenen“ Tonqualität nachgekauft wurden. So wird es wohl zum Teil auch beim Streaming sein und im Netz hat man auch mehr Zeit um sich im Backkatalog umzusehen und bislang „übersehene“ Perlen für sich zu entdecken.

Zudem steigt das Alter der Nutzer von Streaming-Diensten, also immer mehr ältere Menschen buchen Spotify und Co. Auch hier gilt offensichtlich weiter die alte Branchenformel: jüngere Menschen hören eher trendige Sounds aus den aktuellen Charts, ältere Erwachsene stehen naturgemäß auf Songs und Künstler, die sie während ihrer Jugend gehört haben und mit denen sie Musik-kulturell sozialisiert wurden. Für die heutige Ü50-Generation – ausgestattet mit vermehrt freiem Zeitbudget – dürfte die jederzeit und überall verfügbare Wiederentdeckung „ihrer Musik“ sowie das Surfen in den unendlichen Weiten der Backkataloge eine völlig neue Erfahrung und Faszination ausgelöst haben.

RADIOSZENE: Der Markt rund um die Musik wächst weiter und motiviert manchen Künstler seine Rechte zu monetarisieren. Würden Sie Ihr Geld  heute als Anlagenmodell im Musikgeschäft investieren?

Heinz Canibol mit Bela B (Bild: Privatarchiv)
Heinz Canibol mit Bela B (Bild: Privatarchiv)

Heinz Canibol: Musik ist ja auch Kunst und wir alle können miterleben wie die Preise für Kunst und Musikrechte in die Höhe schnellen. Die Anleger gehen wohl davon aus, dass nachwachsende Generationen von Musikkonsumenten ihr Interesse an den Inhalten der Backkatalog sowie die Nutzung der Musik in neuen Unterhaltungsformen beibehalten werden – zumal große Teile des internationalen Musikmarktes derzeit noch gar nicht vollumfänglich erschlossen sind. Diese Annahme macht Musikrechte zu relativ „sicheren“ Investitionsfeldern … zumindest bei international etablierten Künstlern oder bei ganz neuen digitalen Kunstformen, die sich gerade erst entwickeln.

Für altgediente Superstars wie Dylan, Springsteen, Bowie oder Tina Turner ist dies eine wunderbare Möglichkeit, ihre langfristige Musikrente jetzt sofort zu genießen. Und eventuell konkret weiter zu vererben – anstatt nur eine vage Hoffnung zu vermitteln!

Musik ist also wieder ein stabiler Wachstumsmarkt – da lohnt sich mit ausreichender Erfahrung jedes Investment! Man muss sich neben den Investitionen in Künstlerportfolios auch mal die Aktienwerte der drei führenden Musikfirmen Warner Music, Sony Music und vor allem Universal Music anschauen – da ist wirklich wieder „Musik“ drin!