Viktor Worms: „Übermut tut gut“

Viktor Worms: „Außergewöhnliche Talente brauchen uns nicht, wir brauchen sie!“„Was mit Medien“ – das war lange Zeit das Berufsziel vieler junger Leute und gleichbedeutend mit „Was mit Fernsehen“. Einstieg in dieses Ziel für viele: Print oder Radio, das Ziel: TV.

Mittlerweile hat sich das geändert. Noch in der Schulzeit versuchen sich Teens von heute als ihre eigenen Sender, kreieren Blogs, werden „Youtube-Stars“, produzieren sich bei Facebook, Instagram und anderen. Ein paar schaffen es zu kleinen oder größeren Berühmtheiten, die sich die Werbewirtschaft bei entsprechenden Kontakten nur allzugern einverleibt.

Radio ist da nicht mehr zwingend ein erstes Ziel und viele Sender müssen in diesen Tagen schon Volontäre per Anzeige suchen. Das mündet dann in landesweite Sender, die ihre neue Morningshow-Crew über Headhunter finden müssen. Ein Beleg für Versäumnisse der Vergangenheit, denn es gibt sie, die jungen Kreativen, Verrückten, Besonderen. Wir müssen sie nur für unser Medium begeistern und sie dann auch mal machen lassen. Wir Radiomenschen operieren nicht am offenen Herzen und die Welt bricht nicht zusammen, wenn mal was schief geht. Erfolg wird aus Mut gemacht, manchmal auch aus jugendlichem Übermut.

Um so schöner meine Erfahrung in diesem Jahr als Juror des deutschen Radiopreises. Während in vielen Kategorien die „Spitze“ wenig breit war, so zeigte sich gerade bei den Newcomern, dass einige Stationen ihre Hausaufgaben gemacht haben. Nominiert waren drei junge Kolleginnen (Zufall?), die mehr mitbringen als nur einfach ein wenig Praktikumserfahrung, die trotz profunder Ausbildung in anderen künstlerischen Bereichen ihren Weg zum Radio gefunden haben und ihren Sendern schon früh einen ganz besonderen Stempel aufdrücken.

Mara Kim Bäumlein, eigentlich gelernte Producerin, Komponistin, Sängerin und schon mit 32 Jahren Morningshowpersonality bei Radio7, Laura Larsson (27) , Jung-Journalistin und Moderatorin bei 89.8 Kiss FM in Berlin und die Siegerin Henriette Fee Grützner (Radio PSR) sind gute Beispiele für multimediale Talente und den Wert profunder Ausbildung. Vor allem aber, dass sie sich lohnt. Speziell die Siegerin, die sich in ihrer Hörerschaft einen Namen durch investigative Reportagen gemacht hat, ist ein wunderbares Beispiel, dass es uns sehr wohl gelingen kann, Multitalente ans Radio zu binden. Fee Grützner ist nicht nur Moderatorin, nicht nur Reporterin, sie singt, schauspielert, stand auf Musicalbühnen und für ihre 30 Jahre macht sie schon heute verdammt viel richtig. Wir müssen uns halt kümmern, sie ausbilden – heute auch im Umgang mit der Kamera – und wir müssen sie machen lassen. Die Sender der drei hochtalentierten jungen Damen haben da vieles richtig gemacht, lassen geschehen, bieten Spielfläche, lehren und sind bereit, dabei auch das eine oder andere Risiko einzugehen.

Der Umgang mit jungen, ungeschliffenen, gleichwohl selbstbewußten Youngsters ist nicht immer „vergnügungssteuerpflichtig“, gleichwohl habe ich mich mittlerweile weitgehend darauf spezialisiert und stelle an meinem Kundenkreis fest: das Fernsehen ist da zur Zeit aktiver als der gute alte Hörfunk.

Wenn nicht wir beim Radio den Mut haben, junge Talente zu entwickeln, nicht in sie zu investieren, wer dann? Wir müssen sie dahin bekommen, dass sie unsere Programme formatieren und nicht wir sie. Gutes Beispiel: Der Sieger in der Kategorie bester Moderator. Wolfgang Leikermoser war (auch von mir als PD) nicht zu formatieren, er hat wie John Ment (Radio Hamburg und Sieger: „Beste Morningshow“) seinen Sender maßgeblich (mit)formatiert. Die Jungs haben mit ihren Shows ein Umfeld geprägt, das irgendwann unverwechselbar wurde und so Markführerschaften zementiert. Du findest diese „Besonderen“ nicht durch Anzeigen „Morningshow-Team gesucht“, sie rennen uns nicht mehr die Bude ein, wie ich`s vor „ein paar Jahren“ bei Luxemburgs Frank Elstner gemacht habe. Ed Sheeran wurde auch nicht gefunden durch eine Annonce „Weltstar gesucht!“, sondern weil jemand an ihn geglaubt hat. Wir müssen glauben, versuchen und Perspektiven bieten, so wie Radio PSR, Radio 7 und 98.8 KISS FM es mit ihren drei hochbegabten jungen Damen getan haben.

Ich durfte noch ein weiteres Beispiel hautnah über 12 Jahre lang erleben: „Wetten, dass…?“. Wie sehr das erfolgreichste Format der deutschen Showgeschichte geprägt war vom Jahrhunderttalent, Thomas Gottschalk, haben wir doch alle erlebt. Dass es nicht weiterging, dass plötzlich ruchbar wurde, dass das Format in die Jahre gekommen war, wurde jedem klar, als der blonde Großmeister in den Unruhestand (und zurück zum Radio) ging.

Außergewöhnliche Talente brauchen uns nicht, wir brauchen sie!

„Aber…“ höre ich jetzt „dann bilden wir die aus und das Fernsehen oder Amazon kommen und kaufen sie uns wieder weg!“ Stimmt! Sisiphos lässt grüßen.

Ja, es ist schlimm, wenn wir in junge Menschen investieren und dann verlassen sie uns irgendwann. Schlimmer aber, wir investieren nicht und sie bleiben!


Über den Autor

Viktor Worms (Bild: WMP)
Viktor Worms (Bild: WMP)

Viktor Worms moderierte die ZDF Hitparade, war Programmdirektor bei ANTENNE BAYERN und ZDF-Unterhaltungschef. Er war in den vergangenen Jahren als Strategie- und Moderationscoach u.a. tätig für REGIOCAST, ZDF und das Bayerische Fernsehen, DRadio Wissen, bigFM, ROCK ANTENNE sowie die ARD.ZDF Medienakademie. Er ist seit 2015 Jurymitglied des Deutschen Radiopreises. Neben seiner Tätigkeit als TV Producer ist er Vorstand der Hugo-Tempelman-Stiftung sowie Beirat der Tabaluga Kinderstiftung.