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Viktor Worms: „Von Jägermeister, Klassikern und Klischees“

Viktor Worms: „Von Jägermeister, Klassikern und Klischees“Wir sind zwischen 2 Mediaanalysen und die einen hoffen, die andern bangen und starren wie gebannt auf den Juli und das Abschlusszeugnis, mit dem dann wir alle ein Jahr leben müssen. 14/49, 50+ und andere mehr oder weniger willkürliche Kriterien entscheiden über das Wohl und Wehe von Programmdirektoren, Marketingchefs und Geschäftsführern. Das ist so und „die Werbewirtschaft schreibt uns das ja vor“ höre ich allenthalben. Stimmt! Aber!

Aber wenn dies zum Kriterium für Programmgestaltung wird (und so ist es allzu oft), dann wird die Decke dünn, aber ganz dünn! Ja , ich bin 50+ , lebe auf dem Land und bin -danke lieber Gott- Besserverdiener. Der Programmchef, der daraus definiert, welche Themen mich interessieren, welche Musik ich mag und für welche Nachrichten ich mich interessiere und ob das bei meinem ebenfalls besserverdienenden 40-jährigen Nachbarn genauso ist und basierend darauf programmiert, der spielt auch Lotto und behauptet das ultimative System gefunden zu haben. Mein Nachbar ist Ingenieur bei einem großen Automobilunternehmen (und nicht windiger Gaukler wie ich) und er stellt einen Maibaum auf und so weiter. Der hört von Helene Fischer bis Hip-Hop das, wonach ihm gerade ist und auch mein Musikgeschmack wird viel mehr von meinen erwachsenen Kids, meinem Beruf und meiner Stimmung geprägt, als von meinem Alter. Die Werbewirtschaft muss in solchen Klischees denken und deshalb müssen wir das natürlich mitmachen und entsprechend liefern. Nur hilft das (14-49 / 50+ etc) uns Gestaltern wirklich? Tut`s nicht!

Ich habe gerade einem meiner Partner einen Moderator für die Vormittagsschiene empfohlen und der antwortet: „Ah, Viktor, der ist zu jung, ich weiß nicht ob der vormittags für die Hausfrauen…?!“ Aha, die Hausfrauen! Und die wollen einen Älteren, der ihnen im gesetzt, baßigen Timbre erklärt, wie man beim Staubwischen am Besten in die Ecken kommt? Klischees ersetzen keine Idee.

Ja, wir müssen mit Kategorien leben, die uns die Werbewirtschaft vorgibt, ja die Privaten noch mehr als die Öffentlich-Rechtlichen und wir müssen uns für ein durchhörbares Format entscheiden nur ich bezweifele, dass dies außer im Ansatz noch wirklich entscheidende Kriterien für die Programmgestaltung sein können.

Wir müssen lernen, uns mit Lebenswelten, mit kollektiven Befindlichkeiten auseinanderzusetzen, wie zum Beispiel der Tatsache, dass 40 % unserer Hörer (in jeder Altersgruppe) in Singlehaushalten leben, dass Frauen heute nicht mehr oder nur zum geringeren Teil vormittags am Herd stehen, dann den Kindern das Essen richten und nachmittags mit ihren Nachbarinnen beim Kaffee zusammensitzen. Jetzt erzähle ich von zuhause. 1. Mai: Meine 3 Kinder (Jungberufler, Studentin) kommen am Wochenende nach Hause ziehen sich die Lederhose an (ich habe nicht mal eine) und gehen mit ihren Freunden zum Maibaum-Aufstellen. Wenn die dann noch in der Woche zuvor im Konzert von irgendeinem HipHopper waren und mich fragen , ob ich noch an zwei Karten für Depeche Mode herankomme, dann wird die Decke mit der „Zielgruppe“ aber ganz dünn. In Sachen Radio das Gleiche: Wir sitzen im Auto und ich höre ganz toleranter Papa Lokalsender XY (Young- AC) und mein Sohn sagt, Papa, mach aus, dann schon lieber Bayern 1 oder „Klassik Radio“.

Will sagen: Die Zielgruppen, die die Werbewirtschaft will, müssen wir irgendwie liefern und klar, wenn ich 14-29 will, werde ich keine Klassik und keine Volksmusik spielen und schon gar nicht gemischt mit Hip-Hop! Aber zu glauben, Alter ist das Kriterium der Programmgestaltung ist Blödsinn. Der Erfolg von Klassikradio auch bei 14/49 (+25%) hat nichts damit zu tun, dass sie den neuen Hit von Beethoven als erste gespielt haben und den „besten Mix“ aus dem 18.Jahrhundert so gut treffen! Die Kollegen haben sich eine Alleinstellung ausgedacht und erkämpft und das im „Wie“!
Jägermeister ist vom Alt-Herren-Getränk zum Hipster-Drink geworden weil man sich irgendwann im Marketing nicht mehr um die „klassische“ Zielgruppe geschert hat. Man hatte eine Idee von neuer Ansprache und Positionierung.
Wenn mir jemand auf die Frage: „Was ist denn Deine Zielgruppe?“ antwortet „14/49 und hört Ed Sheeran“, dann ist das so als ob er auf die Frage, was für ein Auto er mir empfiehlt, antwortet „Ein blaues“.

Das Lustige ist: Die gleiche Werbewirtschaft, die uns 14/29, 14/39, 14/49… um die Ohren haut, hat Kunden, die schon lange nicht mehr nach diesen Kriterien produzieren und vermarkten. Die verlangen von uns diese Zielgruppen, weil´s einfach ist und weil man sich mit Radiobuchung nicht so lange aufhalten will.

Will sagen: Wenigstens wir Programmleute müssen uns endlich lösen von Klischees, die nicht mehr gelten. Markenentscheidungen sind heute (ausser bei Treppenliften) nicht mehr an Demographien sondern an Lebenswelten, aktueller Befindlichkeit und nur noch bedingt an musikalischen Orientierungen festzumachen. Und genau Letzteres führt dazu, dass Inhalte jenseits der Rotation immer wichtiger werden. „Das Beste aus drei Jahrzehnten“, „die größten Hits“ und der „beste Mix“ haben weitgehend ausgedient und wenn wir ihn postulieren, dann ist es so, als würde KIK mit der „fachmännichsten Beratung“ werben. Laßt uns antworten suchen auf Fragen, die ein veränderter Markt uns wirklich stellt und als AC – als „Deckel über allem“- natürlich gute Laune und Spaß verbreiten. Der Hörer sagt dann: „Weiß nicht, warum, aber irgendwie gefällts mir und den Müller (wahlweise Ohrner, Jähnicke, Leikermoser, Zeus oder Wirbitzky…), mag ich halt!“ oder „Du, das habe ich grad` im Radio gehört“.

Laßt uns schauen, daß auf unserem geliebten Radio nicht irgendwann die Patina fehlender Ideen liegt!


Über den Autor

Viktor Worms (Bild: WMP)
Viktor Worms (Bild: WMP)

Viktor Worms moderierte die ZDF Hitparade, war Programmdirektor bei ANTENNE BAYERN und ZDF-Unterhaltungschef. Er war in den vergangenen Jahren als Strategie- und Moderationscoach u.a. tätig für REGIOCAST, ZDF und das Bayerische Fernsehen, DRadio Wissen, bigFM, ROCK ANTENNE sowie die ARD.ZDF Medienakademie. Er ist seit 2015 Jurymitglied des Deutschen Radiopreises. Neben seiner Tätigkeit als TV Producer ist er Vorstand der Hugo-Tempelman-Stiftung sowie Beirat der Tabaluga Kinderstiftung.

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