Jazz & More: Tom Glagow startet club.radio

Jazz im Radio hat es nicht eben leicht. Traditionell sind die öffentlich-rechtlichen Anstalten über ihren Auftrag mit dem Kulturgut Jazz eng verbunden. Trotz Sparzwängen finden sich – meist zur abendlichen Stunde – eine große Zahl an regelmäßigen und gelegentlichen Jazzsendungen auf den Programmplänen der Kulturradios des ARD-Hörfunks und von Deutschlandradio. Zudem engagieren sich die Sender in besonderer Weise bei der Übertragung, Präsentation und Begleitung zahlreicher Konzerte, Konzertreihen sowie Festivals.

Jazz-Trompete-Chris-Bair (Bild: ©unsplash.com)

Ansonsten fristet das Genre  – vermutlich wegen fehlender Vermarktungsmöglichkeiten – eher ein Schattendasein. In Berlin sendet mit dem Privatsender JazzRadio ein einschlägiges 24-stündiges UKW-Angebot.

JAZZ RADIO BerlinAnsonsten sind es einige stundenweise ausgestrahlte Sendetermine bei verschiedenen Privatsendern oder Sendungen bei nicht-kommerziellen Programmen – wie beispielsweise dem Hamburger Lokalradio. Und natürlich diverse, sehr liebevoll gemachten Angebote im Internet.

Laut einer Statistik von GfK Entertainment im Auftrag des Bundesverbandes Musikwirtschaft (BVMI) generierte die Sparte im Jahr 2019 lediglich 1,5 Prozent am Gesamtumsatz der Musiklabels. Tendenz rückläufig.

Wobei der Überbegriff „Jazz“ eine große Spanne an Sub-Genres vereint. Wobei die Anhänger von New Orleans Jazz, Big Band Sound oder Swing ein mutmaßlich völlig anderes Konsumverhalten offenbaren als die Freunde moderner Facetten wie Smooth/-Pop-, Rock-, Acid- oder Nu Jazz. Ganz zu schweigen von den Freunden experimenteller Jazzformen der 1970er Jahre, als man auf dem Donaueschinger Jazzfestival mit Posaunen, Triangel, Blockflöten und Schlagzeugen sowie den Geräuschen von Mopeds versuchte in neue Klanghorizonte des Jazz vorzudringen.

Schon daher sind pauschale Befragungsergebnisse und Verkaufsstatistiken zum Genre kritisch zu hinterfragen. Auch beim Radiokonsum. Hier gibt es praktisch keine differenzierten Untersuchungen über die Präferenzen nach bestimmten Jazzausprägungen. Bei Abfragen nach dem Überbegriff „Jazz“ schneidet das Genre mit „Sehr gut“-Bewertungen naturgemäß somit meist eher mäßig ab und erreicht in dieser Kategorie nur selten mehr als 25 Prozent an Zustimmung.

PopStopBraucht Deutschland vor diesem Hintergrund ein weiteres Hörfunkangebot in dem „zu 90 Prozent Jazz und 10 Prozent Soul, Funk und der ein oder andere Rocksong gespielt werden“? Nach sieben Jahren bei Frank Laufenbergs Popstop mit der wöchentlichen Zwei-Stunden Sendung „Jazz and more“ glaubt Tom Glagow mit club.radio darauf eine Antwort zu haben.

Der neue Sender geht am Freitag, 4. September ab 18.00 Uhr über www.club.radio als Webradio erstmals on air. Im Fokus des 24-stündigen Programms stehen Jazz, Blues, Soul, Fusion, Crossover. Am Abend gibt es bis in die frühen Stunden moderierte Musikstrecken.

ClubRadio-Logo

Die club.radio-Musikrotation umfasst rekordverdächtige 12.000 Titel. Im Programm finden sich darüber hinaus keine Wiederholungen, Werbung, Nachrichten oder Wetter. 

 

„Ich möchte neugierige Hörer erreichen die nicht gleich abschalten wenn mal John Coltrane oder Iggy Pop kommt“

 

Tom Glagow gilt in der Radio- und Musikszene als ausgewiesener Jazz-Experte. Bevor er 1992 zu Universal Music wechselte und dort für die Jazz-Abteilung verantwortlich zeichnete, arbeitete er als Moderator und Redakteur fünf Jahre beim Hamburger Stadtsender Radio 107 (aus dem später Alsterradio 106!8 hervorging).

Bei seiner Station als Geschäftsführer der Global Chrysalis Musikverlage in München arbeitete Glagow mit Künstlern wie den Crusaders, Herbie Hancock, Till Brönner, Sebastian Studnitzki, Nils Wülker oder Lee Ritenour.

2008 gründete er die C.A.R.E. Music Group. Bis heute hat das Label 40 Alben veröffentlicht – von Tower Of Power, Chuck Loeb bis zu Dave & Don Grusin.

Seit 1998 ist Tom Glagow Mitglied und stimmberechtigtes „Votingmember“ der amerikanischen Institution NARAS (National Academy of Recording Arts and Sciences), die jährlich die begehrten US-“Grammy-Awards“ vergibt. Von 2009 bis 2018 war er Jurymitglied für den “Echo Jazz“.

Tom Glagow (Bild: Club.Radio)
Tom Glagow (Bild: Club.Radio)

RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich sprach mit Tom Glagow über sein neues Radioprojekt und die Lage der Jazzmusik in Deutschland.

RADIOSZENE: Ab 4. September 2020 bereichern Sie die deutsche Radiolandschaft mit einem neuen Jazzradio. Welche Hörerschichten wollen Sie mit club.radio genau ansprechen?

Tom Glagow: Mir ist klar, dass ich vermutlich wenige Jugendliche erreichen werde, aber das Feedback ist bisher riesig. Ich möchte neugierige Hörer erreichen, die nicht gleich abschalten, wenn mal John Coltrane oder Iggy Pop kommt. Das gleiche gilt für Fusion oder sogar für Smooth Jazz. Ich persönlich mag Smooth Jazz nicht so gerne, aber es gibt Perlen, die versuche ich zu finden. Bei Popstop hatte ich ja auch schon aktive Hörer aus Japan, Amerika oder England die mir immer geschrieben haben. Die Japaner haben dann bei Konzerten im Blue Note in Tokio von Till Brönner oder Torsten Goods vorbeigeschaut und mir dann die Bilder mit den Musikern geschickt. Das macht großen Spaß.

RADIOSZENE: Was waren die Gründe für den Start eines eigenen Radios?

Tom Glagow: Ich höre selbst immer noch gerne Radio. Aber den Stationen aus USA, England, Frankreich oder Polen ist immer nur eine Richtung wichtig. Smooth, Big Band, Piano Trio oder Vocal. Kein brutaler Mix der neugierig macht. Nach 20 Minuten muss ich immer den Sender wechseln. Ich weiß, was gemeint ist und dann wird mir schnell langweilig. Bei Popstop hatte ich alle Freiheiten, die man sich nur vorstellen kann – aber nach sieben Jahren wollte ich mal was wagen. Ich brauche für eine zwei Stunden Sendung rund 6 bis acht Stunden an Vorbereitung und Produktion, trotzdem hatte ich immer das Gefühl, ich hätte den Titel oder den Künstler noch einbringen müssen. Jetzt kann ich mich einfach gehen lassen. Wenn zwei Stunden nicht reichen hänge ich noch zwei Stunden ran. Außerdem haben mich sehr viele Hörer bei Popstop immer gefragt, wann es die Wiederholung gibt. Jetzt kann man eben auch Samstag oder Sonntag tagsüber Jazz bei club.radio hören. 

 

„Ich bin kein Jazz-Polizist, die Songs müssen mir einfach gefallen“

 

RADIOSZENE: Beschreiben Sie uns das künftige Musikprogramm ein wenig konkreter. Die Jazzmusik ist ja sehr facettenreich, setzen Sie hier Schwerpunkte?

Tom Glagow: Den Namen club.radio habe ich bewusst gewählt. Es geht eben auch um die Jazzclubs in Deutschland. In meinen Sendungen werde ich auf besondere Konzerte hinweisen, die in Berlin, München Hamburg, Tokio oder New York stattfinden. Mit dem Berliner A-Trane gibt es bereits eine Kooperation. Ich werde die Bands und Künstler vorstellen, ihre Songs spielen und hoffentlich auf das Konzert neugierig machen. Bei Popstop habe ich oft mit positiv Verrückten gechattet, die sich während der Sendung die Alben (Japaner), den Download (Franzosen) oder die CD (Deutsche) bestellt haben. Es gibt auch Hörer, die meine Sendungen auf Spotify als ihre eigene Playlist nachbauen. Die gesamte Entwicklung finde sehr spannend. 

RADIOSZENE: Nach welchen Kriterien treffen Sie Ihre Songauswahl?

Tom Glagow: Ich bin kein Jazz-Polizist, es muss mir einfach gefallen. Ich hoffe dass es den Hörern und Hörerinnen genauso viel Spaß macht wie mir. Von Albert Mangelsdorf, Weather Report, Miles Davis bis hin zu aktuellen Neuheiten von Spyro Gyra, Nils Wülker oder den Söhnen Mannheims Jazz Department ist alles dabei. Es kommen auch Singer Songwriter wie James Taylor, Joni Mitchell, Christina Lux oder Joan Armatrading vor. Die älteste Aufnahme ist von 1925! Dann habe ich auch Aufnahmen bekommen, die noch nicht veröffentlicht sind. Fertig produzierte, teilweise sensationelle Musik. Ich habe in meiner ersten Sendung ab 18.00 Uhr eine Weltpremiere die vielleicht nie veröffentlicht wird, aber die Künstler haben mir erlaubt, den Song spielen. Vielleicht hört ja jemand von einem Label zu und es passiert ein kleines Wunder.

Ich habe über die Jahre 44.000 Titel auf meinem Laptop bewertet, auch im Rahmen meiner Jury-Tätigkeit für den “Echo Jazz“. Da kamen jährlich immer so um die 160 CDs in einem Umzugskarton. Die habe ich alle geladen, gehört und bewertet. Daraus habe ich 12.000 Titel ausgesucht, die in der Rotation werktags von 10.00 bis 16.00 Uhr laufen. Da erlebe ich selbst immer Überraschungen und bekomme Ideen für neue Sendungen. Diese Rotation wird wöchentlich mit Neuheiten gefüllt. 

RADIOSZENE: Was ist Jazz?

Tom Glagow: Darüber habe ich vor kurzem sehr lange mit Andy Scott von The Sweet telefoniert. Er schwärmte von einem Konzert mit Chick Corea und Steve Gadd das er in New York gesehen hat. Andy Scott hat mich damals als Jugendlicher auf die Gruppe Steely Dan in einem „Bravo“-Interview aufmerksam gemacht. Das war damals seine Lieblingsband. Also habe ich mir AJA besorgt. Ich kenne viele renommierte deutsche Jazzmusiker, die auch Sweet-Fans in der Jugend waren. Im Kontext macht dann auch ein Sweet-Hit wie „Love Is Like Oxygen“ plötzlich Sinn.

RADIOSZENE: Bei Popstop standen Sie für die ambitionierte Spezialsendung „Jazz And More“, in der Sie den Hörer tiefe Einblicke in die Welt des Jazz vermittelten. Werden Sie diese Sendung fortsetzen?

Tom Glagow: Meine Sendung „Jazz and More“ wird tatsächlich genauso fortgesetzt. Dann gibt es noch den „Night Club“ mit Konzerthinweisen und Neuheiten und den „Jazz Club“, der sich dann mal wirklich mehr im Jazzbereich mit allen seinen Facetten bewegt.

Im „Club Special“ werden ich Künstler- oder Szene-Specials machen. Von Wolfgang Haffner, Earth, Wind & Fire, Stevie Wonder, Billy Cobham oder was mir gerade so in den Sinn kommt.

RADIOSZENE: Die deutsche Sendelandschaft ist nicht gerade übersättigt mit Jazzsendern. Meist gibt es nur punktuelle Angebote – und auch diese werdenweniger. Selbst bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. Wo sehen Sie den Grund für diese Entwicklung? Liegt es eventuell auch am passenden Personal?

Tom Glagow: Nein das Personal ist super klasse. Aber bei 2 bis drei Prozent Marktanteil tut es jeder Redaktion weh, wenn es Einsparungen dieser punktuellen Sendzeiten gibt. Ich hoffe wir behalten die wunderbaren Big Bands der öffentlich-rechtlichen Sender, die sind alle sensationell und haben ihre Berechtigung. Ich habe sehr viele Aufnahmen der Big Bands von NDR, SWR, WDR in der Rotation und auch in meinen Sendungen. Das sind wunderbare Klangkörper.

 

„Keine Konzerte für Jazz-Künstler in 2020 bedeutet ja auch keine GEMA Einkünfte in 2021. Das ist wirklich dramatisch!“

 

RADIOSZENE: Sie gelten als aufmerksamer Beobachter der Jazzszene. Wie entwickelt sich das Genre derzeit?

Tom Glagow: Ich finde die Szene entwickelt sich gerade in dieser schwierigen Zeit überraschend. Fusion ist wieder angesagt. Ich habe auch sehr viele Streaming Konzerte angeschaut. Was zum Beispiel ein Sebastian Studnitzky über Wochen jede Nacht live gespielt hat war teilweise atemberaubend. Auch ein Bob James hat viele Konzerte im Netz gegeben. Demnächst erscheint hoffentlich das neue Album mit Till Brönner und Bob James, auf das ich sehr gespannt bin. Aber auch Jonatha Brooke hat ihre alten Alben komplett neu gespielt. Chick Corea hat seine Online Academy gegründet und unterrichtet im Netz. Das wäre mit einem vollen Tourneekalender gar nicht möglich gewesen. Es ist für viele Künstler ganz schwierig ohne Konzerte zu überleben. Einige haben die Zeit genutzt um neue Musik zu schreiben. Ein junger Bassist aus Augsburg hat mal eben zwei Musicals geschrieben. Aber das nächste Jahr wird noch viel schwieriger. Keine Konzerte in 2020 bedeutet ja auch keine GEMA Einkünfte in 2021. Das ist wirklich dramatisch.

RADIOSZENE: Wie ist um den Jazz-Nachwuchs bestellt?

Tom Glagow: Ich glaube der Nachwuchs ist musikalisch hervorragend aufgestellt und wir werden einige Überraschungen erleben. Es wird hoffentlich bald ein Album von dem Koreaner Yohann Kim geben. Der haut mich mit seinen Fusion Videos auf Youtube einfach um. Ungefähr so wie in den 1980er Jahren Casiopea oder seit ein paar Jahren Jacob Collier der ja auch auf Youtube angefangen hat. Wenn die Amerikaner nicht kommen können, werden hoffentlich mehr lokale Künstler in Clubs spielen. Wenn es die Clubs dann noch gibt … 

RADIOSZENE: Welche mittelfristigen Pläne haben Sie mit www.club.radio?

Tom Glagow: Ich hoffe mit den Clubs in einen regen, automatischen Austausch zu kommen was die Konzerte und Musik betrifft. Dass Hörer sich bei mir melden und ihre Meinung und Ideen mit mir teilen. Ob ich das Ganze langfristig finanzieren kann, wird sich noch zeigen. Da ich bin optimistisch. Wenn ich die Überraschungen und Highlights der ersten Sendenacht in die folgenden Wochen übertragen kann, werden wir noch viel Spaß mit club.radio haben, versprochen!

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