Karl Bruckmaier: „Musikauswahl und Moderieren gehören für mich untrennbar zusammen“

Karl Bruckmaier hat 1978 beim Bayerischen Rundfunk die erste Sendung moderiert –  und ist mit seinen Autorensendungen bis heute in der ARD eine der höchsten Instanzen, wenn es um Aufspüren und Präsentation von Musik jenseits des Mainstream geht. Der gebürtige Niederbayer fand mit filigranem Gespür bei der Songauswahl sowie beschlagener Moderation rasch Zugang zu (s)einem Publikum, das Musik als Kulturgut noch zu schätzen weiß. Pop-Feuilleton in bestem Sinne eben. Ob beim legendären „Club 16“ oder später beim Bayern 2 „Zündfunk“ oder „Nachtmix“, die ausgefallenste Musik mit dem gewissen Etwas gab und gibt es „beim Bruckmaier“ zu hören.

Karl Bruckmaier beim Zündfunk im Januar 1992. (Bild: ©BR/Foto Sessner)
Karl Bruckmaier beim Zündfunk im Januar 1992. (Bild: ©BR/Foto Sessner)

Ab 1989 nahm Karl Bruckmaier seine Regiearbeit und Autorentätigkeit im Hörspiel-Bereich auf, unter anderem über Andy Warhol, die Beat-Generation, Techno mit Schauspielern wie Mario Adorf, Brigitte Mira, Marion Breckwoldt, Alexander Scheer, Ilja Richter, Lukas Resetarits, Hanns Zischler. Anfang der 1990er Jahre initiierte er in München die ersten Poetry Slams der Bundesrepublik. 

Von 1981 bis 2018 schrieb Bruckmaier Pop-Kritiken für die Süddeutsche Zeitung. Er ist zudem Verfasser zahlreicher Werke der Musikliteratur.


RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich sprach mit Karl Bruckmaier über seine Zeit beim Radio und aktuelle Entwicklungen innerhalb der Musikszene.

 

„Lieber hören mir relativ wenig Leute wirklich zu, als dass ich Unmengen von Menschen bloß beriesle“

 

RADIOSZENE: Herr Bruckmaier, Sie sind seit über 40 Jahre im Radio aktiv. Können Sie sich noch an Ihre erste Sendung erinnern?

Karl Bruckmaier: In meinem Abiturjahr habe ich mich per Postkarte beim Club 16 als Gast-Moderator einer Art Mitmach-Format beworben, bin akzeptiert worden und habe mich dort erneut vorgestellt, als ich im Herbst zum Studieren nach München ging. Damals hörten gerade einige Moderatoren auf; drei junge Talente erhielten eine Chance – eines davon war ich. Meine erste Sendung begann mit einem Desaster: Ich machte den Regler auf – und es kam kein Ton. Ich hatte den Arm des Plattenspielers nicht gesenkt. Mir war klar, das war meine erste und letzte Sendung.

Karl Bruckmaier (Bild: ©BR Julia Mueller)
Karl Bruckmaier (Bild: ©BR Julia Mueller)

RADIOSZENE: Welche Musik und Radiosender haben Sie vor Ihrer Radiozeit geprägt?

Karl Bruckmaier: Ganz klar Ö3-Musikbox und Club 16 auf Bayern 2, vor allem die Moderatoren Reichert, Schober und Hutter.

RADIOSZENE: Beim Bayerischen Rundfunk waren und sind Sie durch die Sendungen „Zündfunk“, „Club 16“ oder „Nachtmix“ als Spezialist für die Musik jenseits des Mainstream bekannt. Nach welchen eigenen Vorgaben gestalten Sie die Sendungen?

Karl Bruckmaier: Ich glaube nach wie vor an das Autorenprinzip. Text und Musik sollen ein Ganzes bilden, Musikauswahl und Moderieren gehören für mich untrennbar zusammen. Erst durch diese Einheit kann man sich in der Öffentlichkeit eine gewisse Glaubwürdigkeit erarbeiten – das einzige Kapital, das man schließlich hat.

 

„Ich spreche Hörer an, die nicht beleidigt von dannen ziehen, wenn sie die Musik mal nicht interessiert oder überfordert“

 

RADIOSZENE: Gibt es Erkenntnisse über die Zusammensetzung der Hörerschaft Ihrer Sendungen? An welche Hörer adressieren Sie die Musikauswahl?

Karl Bruckmaier: Ich spreche Hörer an, die nicht beleidigt von dannen ziehen, wenn sie die Musik mal nicht interessiert oder überfordert. Interessierte, kulturell offene Menschen. Zu-Hörer. In der Praxis der Nachtmix-Sendung heißt dies – auf der Basis der Hörerbriefe oder Mails – ganz oft Selbstständige, die spät noch arbeiten und eine anregende Begleitung durch eine gute Radiosendung suchen.

RADIOSZENE: Das Internet hat sich die Musikwelt doch sehr stark verändert. In wie weit schlagen sich diese Transformationen auch bei der Gestaltung Ihrer Sendungen nieder?

Karl Bruckmaier: Eine aktuelle Umfrage unter einigen hundert Nachtmix-Hörern hat ergeben, dass man zwar den Algorithmus von etwa Spotify zu schätzen weiß, aber mehr noch den für einen selbst passenden Moderator als menschliches Gegenüber. Daher erkenne ich die Bedeutung der Streaming-Dienste an, stelle mich und die Kollegen selbstbewusst daneben.

RADIOSZENE: Wie ist es um Alternative Rock bestellt? Viele Bands sind in Richtung Mainstream abgebogen …

Karl Bruckmaier: Ist das wirklich so? Eher scheint mir, hat sich der Mainstream komplett aufgelöst. Von weit draußen drängt wieder Schlagerschund in die Mitte, Hip-Hop feiert die Verrohung der Welt, Metal bewohnt einen eigenen Planeten, und zu allem säuselt die von den Männern enttäuschte Songwriterin und so weiter …

 

„Eine aktuelle Umfrage unter einigen hundert Nachtmix-Hörern hat ergeben, dass man zwar den Algorithmus von etwa Spotify zu schätzen weiß, aber mehr noch den für einen selbst passenden Moderator als menschliches Gegenüber“

 

RADIOSZENE: Durch die veränderten Bedingungen ist so viel Musik wie noch nie verfügbar. Hat sich damit einhergehend auch die Qualität der Musik gesteigert? Früher hatten die Labels eine Art „Filter-Funktion“. Ist es vielleicht gut so, dass dieser heute nicht mehr so gegeben ist?

Karl Bruckmaier: Labels hatten eine gewichtige Funktion als Gate-Keeper, ähnlich wie wir Journalisten. Durch die vermeintliche Verfügbarkeit von allen Informationen durch das WWW ist der Eindruck entstanden, dass es keine Journalisten mehr braucht und eigentlich auch keine Labels. So toll es ist, dass ich als Musiker heute direkt auf ein Publikum zutreten kann – es ist dadurch auch eine gewisse Magie verloren gegangen.

RADIOSZENE: Streaming scheint sich für die Major Labels zum Rettungsanker zu entwickeln. Umgekehrt stöhnt die Mehrzahl der Künstler über die minimalen Einkünfte, die ihnen Spotify und Co. gewährt. Tonträger werden kaum mehr umgesetzt, da meist bleibt nur noch das Tour-Geschäft. Ein Teufelskreis für viele Kreative?

Karl Bruckmaier: Das Internet weist der alten Hochtechnologie Rundfunk (Radio wie TV) einen Platz am Rande zu, so wie einst das Radio zum Beispiel Grammophone aus den Haushalten verdrängt hat. Das muss man akzeptieren und die neue Rolle annehmen. „Video Killed the Radio Star“, und wir alle gehen drauf wegen dem World Wide Web. Oder wir werden halt ein süßes Nischenprodukt, was mit mir völlig okay ist. Die Politik wird das anders sehen …

RADIOSZENE: Wie ist es in der Indieszene generell um den Nachwuchs bestellt?

Karl Bruckmaier: Schön, dass es diese Vielfalt gibt. Aber wenn jeder Trällermensch und Weltschmerzvertoner nur drei Hansel erreicht, ist natürlich die Relevanz dahin. Ich höre viel so Indie-Zeugs und denke mir immer, wie soll sich da ein Nicht-Gymnasiast mit wenig Bock auf Belehrung wiederfinden … Ein afroamerikanischer Dichter hat mir mal gesagt, er hätte als Jugendlicher Dichtung für den Unsinn der weißen Oberschicht gehalten, wo es ständig um Natur und irgendwelche Gefühle ging, die ihm fremd waren. Erst die Beat-Generation hätte ihm gezeigt, dass man auch anders dichten, also poetisch reden kann. Indie ist momentan in der isolierten Situation, vor lauter Sensibilität gegenüber meist selbst erfundenen Gesellschaftsproblemen die Realität aus den Augen zu verlieren. Die ist die neue Dichtung. Langweilig.

 

„So toll es ist, dass ich als Musiker heute direkt auf ein Publikum zutreten kann – es ist dadurch auch eine gewisse Magie verloren gegangen“

 

RADIOSZENE: Wie hoch ist der Anteil deutscher und bayerischer Musik, den Sie in Ihren Sendungen vorstellen?

Karl Bruckmaier: Wenn sie gut ist: hoch.

RADIOSZENE: Der Markenkern in Ihren Sendungen sind profunde Moderationen und Empfehlungen vom Musikmarkt. Über welche Orientierungshilfen informieren Sie sich über die Szene? Die Musik in Ihren Sendungen ist ja durchaus sehr breit gefächert …

Karl Bruckmaier: Ich bin reichlich damit beschäftigt, die Musik oder Bücher jener Menschen zu verfolgen, die mich früher schon mal überzeugt haben. Daher ist der Anteil an ganz neuen Dingen, die ich höre, zurückgegangen. Ich stöbere viel im Netz, lese Online-Magazine, die Feuilletons, höre die Kollegen weltweit … und dann auch mal wieder länger gar nichts. Höre in mich hinein.

RADIOSZENE: Bayern 2 unterstützt diese Form des Feuilletons im Bereich der Pop- und Rockmusik traditionell seit vielen Jahren. Bei anderen Sendern und Medien ist hier eher eine rückläufige Entwicklung zu beobachten. Wie etwa durch ein fortgesetztes Ableben der Musikfachpresse oder die Streichung einschlägiger Musikseiten vieler Zeitungen. Und im Fernsehen wurde früher auch schon mehr über die Indieszene berichtet. Ist das nicht die Chance für das Radio (und gerade auch vor dem Hintergrund von Streaming) sich als kompetentes Medium für Musikentdecker zu positionieren?

Karl Bruckmaier: Ja

RADIOSZENE: Wie sehen Sie überhaupt die derzeitige Entwicklung von Radio?

Karl Bruckmaier: Das Radio in der Form, wie es heute als computergesteuerte Zumutung für ein Massenpublikum gemacht wird, ist nicht überlebensfähig. Es muss seine Rolle als Nischenmedium annehmen und versuchen, genau als solches seinen alten Status als Primärmedium zurückzugewinnen. Lieber hören mir relativ wenig Leute wirklich zu, als dass ich Unmengen von Menschen bloß beriesle. Der Erfolg von Hörspiel-Downloads oder generell Podcasts geht doch in diese Richtung.

 

„Das Radio in der Form, wie es heute als computergesteuerte Zumutung für ein Massenpublikum gemacht wird, ist nicht überlebensfähig“

 

RADIOSZENE: Was bedeutet Radio für Sie?

Karl Bruckmaier: Radio war mein (Berufs-)Leben. Wie werde ich das wohl sehen? Mal lachend, mal weinend, aber immer verliebt. Eine Wunderkammer, kein Museum. Staunend, im besten Fall.