Kleine Geburtstagsfeier beim Westdeutschen Rundfunk: Vor rund einem Jahr startete die Unterhaltungswelle WDR 4 im Rahmen ihrer Umbauarbeiten die wöchentliche Sendereihe Songpoeten, bei der deutsche Top-Musiker wie Wolfgang Niedecken, Purple Schulz oder gelegentlich Gastmoderatoren wie zum Beispiel Wolf Maahn ihre ganz persönliche Musikauswahl der Hörerschaft vorstellen dürfen. Die weiteren Moderationen übernimmt der Musikjournalist Manuel Unger. Der Dienstagabend bei WDR 4 gehört also der handgemachten Musik, den Singer-Songwritern, dem Blues, dem Folk, dem Country. „Künstlern, deren Musik der Tradition genau wie der Gegenwart verpflichtet ist. Großmeister wie Bob Dylan, Neil Young, James Taylor oder Leonard Cohen stehen hier neben aktuellen Künstlern wie Ed Sheeran, Gregor Meyle und anderen. Egal, wo die Songpoeten herkommen, sie haben eins gemeinsam: Ihre Geschichten haben etwas zu sagen“, so der WDR.
Ein interessanter Ansatz, denn a) wird dieses Musikspektrum im deutschen Radio in Spezialsendungen ansonsten nahezu kaum berücksichtigt und b) können BAP-Frontmann Niedecken und Purple Schulz mit ihrem gelebten Wissen besonders facettenreiche oder erläuterungsbedürftige Genres – wie etwa die „Songpoeten“ – einem fachkundigen Publikum authentisch nahebringen. Die Musiker dürfen für die Sendung ausdrücklich ohne irgendwelche Formatvorgaben die Stücke auswählen und über alles berichten, was die Moderatoren im Tagesprogramm von WDR 4 den Hörern hautnah so nicht vermitteln könnten – etwa die professionelle Einschätzung über Songs, Anmerkungen zu den Texten oder ihre persönlichen Erfahrungen mit Künstlerkollegen und dem Musikgeschäft.
Jochen Rausch, Leiter der WDR-Breitenprogramme 1LIVE, WDR 2, WDR 4: „Wolfgang Niedecken ist eine große Musiker-Persönlichkeit und ein begnadeter Erzähler. Er lebt und liebt Musik und ihre Songwriter. Wir freuen uns sehr, dass unsere WDR 4-Hörerinnen und -Hörer nun regelmäßig hören werden, welche Musik, welche Songs und welche Songwriter Wolfgang Niedecken inspiriert haben.“ Programmstratege Rausch weiß aber auch, dass ein Musiker den Moderator beim Hörfunk nur punktuell ersetzen wird. Die Künstler gestalten ihre Shows live vor Ort im Studio, der monatliche Turnus soll den Neuzugängen den nötigen Freiraum für deren eigentliche Kerntätigkeiten als Musiker einräumen. Die „Songpoeten“ sind jeden Dienstag ab 21.00 Uhr im Programm von WDR 4.
Zum Einjährigen sprach RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich mit Wolfgang Niedecken über seine Beziehung zum Radio und über seine WDR 4-Sendung „Songpoeten“.
RADIOSZENE: Wann sind Sie erstmals im Leben mit dem Radio in Berührung gekommen?
Wolfgang Niedecken: Das erste Radio in unserem Haushalt stand im Büro meines Vaters und ich kann mich erinnern, dass er immer sonntags den „Internationalen Frühschoppen“ gehört hat. Ansonsten liefen bei uns hauptsächlich Schlagersendungen, das Lieblingslied meines Vaters war „Ich will ’nen Cowboy als Mann“. Sehr geprägt haben mich auch die vielen spannenden Fußballübertragungen, über die ich letztlich zum 1. FC Köln Fan wurde. Radio war damals für mich die Nabelschnur zur Welt.
Ein nützlicher Nebeneffekt war, dass ich meine erste Bassgitarre an das Radio anschloss und darüber zum Leidwesen der Familie „Keep On Running“ üben konnte und dabei auch prompt die Membran geflext habe.
RADIOSZENE: Welche Musik im Radio hat Sie in jungen Jahren sozialisiert?
Wolfgang Niedecken: Als es 1964 mit den Beatles losging war es für uns katholische Internatsschüler damals ein Muss die neuen Songs möglichst als erste im Radio zu hören – und dies zu wirklich jeder Tages- und Nachtzeit. Was gelegentlich auch Fragen aufwarf. So rätselten wir, als die Beatles „Eight Days A Week“ veröffentlichten: „Wie? Die Woche hat doch nur sieben Tage!“. Natürlich wurde auch zur Nachtzeit verbotswidrig unter der Bettdecke mit dem Transistorradio und dem kleinen Ohrstöpsel die damals angesagte Musik stundenlang im Radio verfolgt.
RADIOSZENE: Wie wichtig war der Hörfunk für die Karriere von BAP?
Wolfgang Niedecken: Das erste Stück von uns, das im Radio lief war „Wahnsinn“. Bereits Ende der 70er Jahre wurde ich vom WDR eingeladen und spielte in meiner Naivität allerdings mit „Ruut-wieß-blau querjestriefte Frau“ einen Titel, der gar nicht auf dem ersten Album zu finden war. Den Durchbruch im Radio brachte für uns aber ein absoluter Zufall: zum dritten Album spielte der damalige WDR-Moderator Wolfgang Neumann statt der ausgekoppelten Single „Jupp“ das für seinen Geschmack bessere Stück „Verdamp lang her“. Dieser Tausch blieb nicht ohne Folgen. Nach dem überraschenden Erfolg in der „WDR Schlagerrallye“ spielten immer mehr andere ARD-Programme den Song und wir mussten in einer Nacht- und Nebelaktion binnen kürzester Zeit „Verdamp lang her“ mit improvisierten Live-Cover-Foto als neue Single veröffentlichen.
„Für meine monatliche Sendung bereite ich mich jetzt tatsächlich ein bis zwei Tage vor“
RADIOSZENE: Seit rund einem Jahr sind Sie selbst als Programmmacher mit der WDR 4 Sendung „Songpoeten“ im Radio aktiv. Wie fällt hier Ihre Bilanz aus?
Wolfgang Niedecken: Die erste Sendung habe ich mehr oder weniger aus der Hüfte gemacht, aber schon bei der zweiten Ausgabe habe ich gemerkt: „Hoppla, du musst Dich besser vorbereiten!“. Ab der dritten Show hatte ich dann den Bogen raus: ich weiß nun, wie ich meine Moderation auf den Punkt konzentriere. In den ersten beiden Sendungen hatte ich so ziemlich alles erzählt, was ich zu Stücken wusste – und das wurde für die Hörer letztlich doch ein wenig wirr. Dies habe ich auf Hinweis meines Redakteurs Tom Petersen seither verändert. Für meine monatliche Stundensendung bereite ich mich jetzt tatsächlich ein bis zwei Tage vor. Und es macht weiter einen Riesenspaß, weil ich hier alles spielen darf, was ich will. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass WDR 4 mit mir jemanden hat, der sich bei den Songpoeten auskennt und über sie seinen Lebensweg gefunden hat. Außerdem lerne ich beim Recherchieren selbst noch eine Menge dazu.
RADIOSZENE: Nach welchem Motto wählen Sie die Musik aus?
Wolfgang Niedecken: Die Sendung heißt ja „Songpoeten“, das ist natürlich ein sehr weit gefasstes Feld. Vor allem achte ich darauf, dass die Texte passen, ein Text aus dem Reimlexikon hätte folglich keine Möglichkeit von mir gespielt zu werden. Das oberste Kriterium ist, dass es Stücke sind, mit denen ich etwas anfangen kann, die für mich irgendwann einmal wegweisend waren. Eine Mischung aus vergessenen Stücken oder Titeln, die ich erst im Laufe der Jahre entdeckt habe. Gelegentlich auch Musik, die seit den 30er Jahren in den USA mal eine Rolle gespielt hat, beispielsweise eine Nummer von Leadbelly. Diese Mischung ist es letztlich, was dieses Sendekonzept so packend macht. Den Bogen spanne ich über die Moderation und berichte, was diese Songs bei mir oder meinen Helden bewirkt und wo sie hingeführt haben.
Die Zustimmung zur Sendung ist auch jenseits der BAP-Fangemeinde sehr groß. Am liebsten hätte der Sender, dass ich die Show jede Woche mache – was aber aus zeitlichen Gründen leider nicht möglich ist.
RADIOSZENE: Was kann ein Musiker den Hörern besser vermitteln als ein gelernter Radiomoderator?
Wolfgang Niedecken: Beim Musiker setzt man von vorneherein eine gewisse Subjektivität voraus, ihm ist auch erlaubt, was einem Radiomoderator nicht gestattet ist. Dies macht es für uns Musiker einfacher: Ich spiele tatsächlich nur das, was mir gefällt.
RADIOSZENE: Was bemängeln Sie heute am deutschen Radio?
Wolfgang Niedecken: Ich glaube, dass das Formatradio nicht immer sinnvoll ist. Es erzieht Leute meiner Meinung nach zu Anpassungen, für mich kommt die Kultur einfach zu kurz. Wenn ich manchmal Mainstream-Radio höre, denke ich, das ist eine Musik, als hätte es die Beatles, die Stones oder Bob Dylan nie gegeben. Das liegt natürlich auch daran, dass sich Musiker heute, wenn sie von der Musik leben wollen, bis zur Selbstverleugnung anpassen müssen – und dann wird es halt ein Einheitsbrei. Diese Entwicklung ist schwer zu verdauen für alle, die mit den genannten Bands aufgewachsen sind. Natürlich hat sich vieles gewandelt, die Geschmäcker sind anders geworden – die Kommerzialisierung ist für die Kunst schädlich.
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