Nervt China!

Bitter Lemmer

Auf jeden Tibeter kommt dieser Tage in Lhasa ein chinesischer Soldat. 49 Jahre nach der Annexion Tibets durchs Maos rote Truppen ist das Land nur mit Gewalt unter Kontrolle zu halten. Mag sein, dass Regierungen diplomatisch herumdrucksen müssen, wenn so etwas passiert. Aber wir müssen das nicht – nicht hier, in einem freien Land. Wir dürfen sagen, was wir davon halten, und wir dürfen damit auch diejenigen nerven, die dafür verantwortlich sind. Wir dürfen das sogar derart nachdrücklich tun, dass es bis in die Führungsriege der Pekinger Kommunisten schallt und dort zu der Erkenntnis beitrage, die da lautet: Die Deutschen mögen nicht, was wir gerade in Tibet veranstalten, und das könnte unser Ansehen beschädigen.

Die Sache ginge ganz einfach: Jeder Radiosender dieses Landes (also ca. 180) könnte sich vornehmen, die chinesische Botschaft in Berlin um ein Interview zur Lage in Tibet zu bitten. Darin könnte man Fragen stellen wie diese: Befürchtet China, das Vorgehen in Tibet könnte das Ansehen Chinas in Deutschland beschädigen? Wie würde China reagieren, wenn das gewaltsame Vorgehen in Tibet Konsequenzen für die Olympischen Spiele hätte? Wenn z.B. Sportler sich mit den Tibetern solidarisieren? Wenn Sportler etwa vor laufenden Kameras die tibetische Flagge präsentieren? In welcher Weise wird das Gepäck von Sportlern bei der Einreise zu den Spielen kontrolliert werden? Oder die Quartiere in Peking? Werden die chinesischen Behörden Kontakte von Sportlern zu Oppositionellen oder Tibetern dulden? Und was die Ereignisse in Tibet selber angeht: Wie stellt sich die Führung in Peking die Zukunft Tibets vor? Was lässt Sie glauben, dass, nachdem 49 Jahre Gewaltherrschaft nichts brachten, das Volk in Zukunft die chinesische Okkupation hinnehmen könnte?

Vermutlich wird die Botschaft anrufende Redakteure auffordern, Fragen schriftlich per Fax oder E-Mail einzureichen. Sollten einige Dutzend Radiosender das tun, würde ich auf folgenden Ablauf tippen: Der Presseattaché wird jede einzelne Anfrage sorgfältig abheften und dem Militär- oder Stasi-Attaché übergeben. Der wird das Paket nach Peking übermitteln. Dort wird es an die diversen mit Sicherheit und Außenbeziehungen befassten Funktionäre weitergeleitet, die es wiederum zu kurzen Berichten an ZK-Mitglieder verarbeiten werden. Darin wird stehen, dass binnen weniger Tage eine gewisse Zahl deutscher Radiosender höchst kritische Fragen an die Botschaft in Deutschland richtete, verbunden vielleicht mit der Information, dass diese Sender mehr oder weniger überall im Land vertreten seien. Dieser Bericht würde inmitten Dutzender weiterer Berichte über ähnlich unangenehme Themen zu finden sein, etwa die Schlagzeilen deutscher und anderer Medien, die T-Shirt-Aktion der französischen „Reporter ohne Grenzen“, die zahlreichen Protestmärsche zu chinesischen Botschaften und Konsulaten überall in der freien Welt, und so weiter.

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Foto: reporters sans frontières

Je mehr von diesem Stoff nach Peking gelangt, desto größer der Druck auf die Funktionärskaste. Falls nun jemand Lust hat, bei der chinesischen Botschaft ein Interview zu bestellen, was ich großartig fände: Die Telefonnummer lautet 030-27588 0. Falls jemand nicht so recht weiß, welche Fragen er stellen soll: Ich erhebe kein Copyright auf meine Vorschläge. Falls jemand wider Erwarten plötzlich tatsächlich einen Interviewpartner ans Telefon bekommt: Bloß keine falsche Scheu, einfach die Fragen stellen und bloß nicht einschüchtern lassen. Falls dann hinterher ein Roh-Interview vorliegt, ohne, dass ein Sendeplatz vorhanden wäre: Nur Mut und Chef fragen, ob nicht ausnahmsweise mal drei, vier Minuten drin wären. Wäre ja möglich, angesichts dieses seit Tagen schlagzeilenträchtigen Themas. Wenn nicht: Aufheben. Wenn Olympia da ist, kann man es vielleicht doch noch gebrauchen.

Das großartige T-Shirt-Motiv, das auch diesen Text ziert, gibt‘s übrigens für 25 Euro hier zu kaufen: http://www.rsf.org/

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de