„It´s the content, stupid!“

Schaltreport_250Ich war vor einigen Wochen auf einer der derzeit zahlreichen – aber nicht minder uninteressanten – Veranstaltungen zum Thema Digitalradio. Nun ist das Thema nicht neu, aber bei vielen Radiomachern heiß. Es gibt unter den ambitionierteren Radiovertretern kaum noch jemand, der nicht mit technischen Standards und Konvergenzschlagworten brillieren könnte. Die Dialoge auf solchen Veranstaltungen laufen ungefähr so:

„AAC+ war ein ganz wichtiger Schritt.“
„Seit der Genfer Wellenkonferenz gibt es jetzt auch endlich eine Chance auf vernünftigen Inhouse-Empfang, 10 KW!“
etc.

Eher selten wird in den Pausen über Inhalte diskutiert. Was denn auf solchen digitalen Zusatzkanälen überhaupt ausgestrahlt werden kann.

Symptomatisch dafür war auch einer der Vorträge. Ein Engländer erzählt, wie sie in der englischen Provinz die Digitalisierung gemanagt haben. Unter anderem haben sie einen der zusätzlichen digitalen Sender als Lounge-Station positioniert. O-Ton: „Und als Programm haben wir mehrere Lounge-CDs über einen Ipod-Shuffle abgespielt!“

Auch wenn ab diesem Moment die Gedanken der anwesenden Geschäftsführer nur noch um einen zukünftigen, ungewohnt positiven Jahresabschluss kreisten, konnte man aus Produktsicht nachdenklich werden: Keiner macht sich wirklich Gedanken darüber, wie in der digitalen Radiozukunft die Hörer gelockt werden sollen.

Was sollen wir senden?

In den USA, wo die Digitalisierung mit ihren HD-Stationen ihren ersten Geburstag feiert, kommt genau diese Problematik langsam zum Vorschein: Da haben Station- und Clustermanager am Reißbrett die fehlenden Pendants ihrer bestehenden Stationen ermittelt und auf´s digitale Dial gebracht, mit teilweise kuriosen Folgen:

In New York zum Beispiel führte der Weg zur Countrylegende Dolly Parton über Wu-Tang-Clan-Rapper Method Man; wer sich die digitale Countrystation anhören wollte, musste zuerst den Hip-Hop-Sender einstellen.

Mittlerweile hat auch in New York die Vernunft gesiegt: Hinter dem Hip-Hop-Sender liegt als zweiter digitaler Sender ein Hip-Hop-Classics-Sender.

Mit einem Problem haben jedoch alle neuen digitalen HD-Radiostationen in den USA zu kämpfen: Sie sind zum größten Teil unbekannt und weit entfernt davon, „Brands“ zu werden.

Die Vorschläge, dieses Problem zu lösen, sind vielfältig: So schlägt Lary Rosin von Edison Media Research vor, die digitalen Stationen mit bestehenden Offline-Brands zu verbinden. Als Beispiel führt er eine mögliche „Ben & Jerry“-Station an, die die bestehenden Eigenschaften der Eismarke auf ein Radioformat übertragen könnte, sowie etablierte Magazin-Marken („Men´s Health-Radio“, „Cosmopolitan“). So könnte der Markentransfer schneller geschafft werden, als mühsam im ganzen Land neue Radiostationen mit viel Marketingaufwand bekannt zu machen.

Umgelegt auf Deutschland würde das bedeuten, dass man nachdenken könnte über eine „Obi-Station“ mit heimwerkertauglichem Rock, „Brigitte FM“ mit Lounge-Musik oder „Radio Ikea“ mit Familien-Content.

Welche Branding-Strategien die Broadcaster in den einzelnen Ländern auch wählen werden, eines zeichnet sich jetzt schon ab:
Nicht auf die Art der technischen Verbreitung kommt es an, auch mehrere Musikstreams werden nicht genügen, in der digitalen Überangebotswelt von morgen werden Produkte mit einem echten Mehrwert für eine klar definierte Zielgruppe gefragt sein – Content entscheidet.

Link-Tipp:
A Positive Plan for HD Radio: A Branded Audio Entertainment Strategy


Christian Schalt06 110

Christian Schalt

(Programmdirektor KISS FM Berlin)

Kontakt: http://www.xing.com/hp/Christian_Schalt