Jetzt macht das Fernsehen dem Radio vor, wie man Musik verkauft, mit einer Show, die nur eine einzige Botschaft hat, konsequent durchgestylt ist und mit knallharten Wordings nur eines tut: Positionieren. Die Rede ist von „The Voice of Germany“. Was da abläuft, taugt als Lehrbeispiel.
Der Aufbau: Fünf erfolgreiche Musiker veranstalten ein großes Schaulaufen für talentierte Nachwuchssänger. Nimmt man die aufwendige Glitzerkulisse beiseite, dann bleibt ein extrem reduziertes Konzept. Nur die Stimme soll zählen. Daher das Vorsingen in der ersten Runde, bei dem Nena, Rea, Boss Hoss oder Xavier die Bewerber nur gehört und nicht gesehen haben. Wobei auch diese vier natürlich mit Bedacht ausgewählt sind: Nena für Frauen und die 80er-Generation, Rea für die Freunde aktuellen Mainstream-Rockpops, Boss Hoss für die Anhänger des „Ich bin authentisch“-Trends und Xavier für die leicht verkopften musikalischen Schlaumeier. Ein spitzes Konzept für eine breite Zielgruppe.
Dazu passend das Wording, das querbeet in allen Sendungen auf Pro7 und Sat.1 gilt, in denen über „The Voice“ gesprochen wird. Die Sendung nennt sich nicht Castingshow, sondern Talentshow. Die Bewerber sind keine Kandidaten, sondern Talente. Und die Superstars in den roten Drehsesseln sind keine Jury, sondern Coaches, die ihrerseits seit dem Einstieg in die erste Ausscheidungsrunde von „musikalischen Beratern“ unterstützt werden. All das unterstreicht Ernsthaftigkeit und künstlerischen Anspruch und damit das Image der Sendung.
Besonders faszinierend: Wer bewusst hinhört, bemerkt, dass annähernd jeder Satz, der während der Show gesprochen wird, entweder direkt positioniert oder die Positionierung unterstützt. Das war während der ersten Runde der Blind Auditions fast schon penetrant. Jetzt, wo der Grundstein gelegt ist, gehen es die Macher etwas lässiger an, aber ihre Konsequenz ist immer noch bemerkenswert.
Kostproben:
„Die Kämpfer treffen mitten ins Herz, denn sie haben Stimmen aus Gold.“ (Moderator Stefan Gödde)
„Ich muss echt überlegen, ob ich schon jemals so viele gute Sänger auf einem Haufen gehabt habe.“ (Xavier Naidoo)
Und zwei Schnitte weiter: „Eigentlich nicht.“
„Lassen Sie sich anstecken von der Euphorie, die eine ganze Nation gepackt hat – ausgelöst durch sie: Die größten Gesangstalente Deutschlands“ (Gödde aus dem Off)
„Coaches und Talente arbeiten gemeinsam für einen unvergesslichen Auftritt“ (derselbe)
„Eure Stimmen sind sehr, sehr stark… total genial!“ (Nena zu zweien ihrer Talente)
„Musik ist ein Geschenk Gottes und die Sprache der Seele.“ (Rea)
„Ich bin wirklich sehr gern in dieser Show. Ich liebe es. Aber es gibt einen Moment, den ich zutiefst bereue, nämlich dass ich bei Dir, Rino, nicht auf diesen Knopf gedrückt habe.“ (Nena)
„So jung, und trotzdem haben sie schon so große Stimmen.“ (Stefan Gödde)
„Klar ist, dass ich eindeutig diesen Wettbewerb gewinnen werde, weil ich so viele Talente in meinem Team habe.“ (Rea)
Egal, von welcher Seite sie es angehen – es läuft immer auf dasselbe hinaus.
Das wirkt auch deshalb so stark, weil sonstige Aufpeppelemente fehlen, mit denen andere Castingshows arbeiten. Vor allem gibt es keine Verlierer, jedenfalls wird niemand, der ausscheidet, mit Häme verabschiedet oder der Lächerlichkeit preisgegeben. Ebensowenig gönnen sich Moderator oder Coaches gesellschaftskritische Ausflüge oder eitle Ego-Statements. Es gibt nichts, was stört oder ablenkt. Die Emotionen der Zuschauer werden auf den Punkt gelenkt. Die gesamte Dramaturgie orientiert sich am Zustandekommen von Gesangsauftritten – Auswahl der Künstler, Einstudieren, Proben, Lampenfieber, Auftritt, Applaus. Nicht mehr und nicht weniger.
Davon kann man sich einiges abgucken. Es fängt beim Offensichtlichen an: Manche Radio-Moderatoren verstecken Music-Sells oder Positionierungen hinter Beitragsthemen. Da gehen sie gern mal unter. Viele PDs bestehen auf unnatürlich klingenden Formulierungen für Positionierungen, die dann gekünstelt klingen. Manchmal hat man den Eindruck, weder der Chef noch der Mensch am Mikrofon findet wirklich toll, was er da als toll verkauft. Und meistens wird es auch nicht besser, wenn dann eine röhrende Station Voice übernimmt, was der PD dem Durchschnitts-Mod nicht zutraut. Die Wirkung ist fatal: Es klingt unglaubwürdig und übertrieben verkauft – obwohl kein einziger Radiosender mit so hoher Taktzahl positioniert wie „The Voice“ das tut. Nur: Bei „The Voice“ machen sie es so gut, dass die Zuschauer es lieben.
Freilich haben sie auch ein gutes Produkt und eine gute Strategie. Eine Show derart zielsicher auf exakt den richtigen Punkt zu zielen und alles andere wegzulassen – da haben ein paar Leute gut gearbeitet.
Ich wünsche angenehme Feiertage und ein erfolgreiches 2012. Meinen Teil will ich dazu beitragen: Ab sofort gibt‘s auf Anfrage diskrete Chef-Coachings zum Thema Strategie und Positionierung. Einfach unverbindlich eine E-Mail schicken.
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist.
E-Mail: christoph@radioszene.de