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Das Märchen vom Radio-Programm ohne Jingles

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Es war einmal eine Zeit, in der wurde gejinglet und geclaimt, was das Zeug hält. Es wurde geswusht und geSFXt bis an den Rand des guten Geschmacks, und manchmal auch darüber hinaus. Und wie in jedem guten Märchen, gibt es auch im Märchen vom Radio-Programm einen Bösewicht: Den Berater.

Er selbst verbreitet jedoch in der gesamten Radiolandschaft, dass nicht er der große Widersacher ist, sondern der Feind einen anderen Namen trägt: Das Jingle.

Spass beiseite: Warum müssen Radiosender eigentlich immer in die Extreme verfallen?

Nun sind also Jingles Teufelszeug. Jedenfalls bei Hit-Radio ANTENNE 1, bei DIE NEUE 107.7 und Hit-Radio Antenne Niedersachsen. Zwischen den Titeln werden keine Jingles mehr gespielt. Viele Soundelemente, die typischerweise nach den Nachrichten oder nach dem Verkehr kommen, werden weggelassen. Spätestens nach „4 Hits am Stück“ hat man schnell das Gefühl, einem Internet-Radio oder der eigenen MP3-Sammlung zuzuhören. Dieses Gefühl ist bei der 107.7 besonders stark. Hier verzichtet man nicht nur auf sämtliche Soundelemente, sondern tagsüber gleich ganz auf den Moderator. Zugegebenermaßen: Das muss nicht immer ein Nachteil sein.

Doch ist es wirklich erstrebenswert, dass ein ernst gemeintes Radio-Programm klingt, als würde ein 15jähriger Radio-Freak im Keller seiner Eltern an einem ausrangierten, alten Yamaha-Pult sitzen und versuchen Songs ineinander zu fahren – und Mama und Tante lesen die Nachrichten vor?

So klingt es nämlich, wenn ein seriös-gewollter Info-Block plötzlich zwischen einem Song und Werbung angerauscht kommt – ohne Bumper, Jingle und noch schlimmer: Ohne Vorwarnung. Und auch, wenn sich beim Durchzappen durch die Programme wirklich Abgründe auftun, so würde ich nun doch zu gerne wissen, wie denn der Sender heißt, der mich gerade berieseln will.

Sich daran zu erinnern, welchen Sender ich „gestern“ gehört habe, ist auch eine nicht ganz unwichtige Frage. Jedenfalls wenn man mehr Hörer gewinnen will.

Damit Sie mich nicht falsch verstehen. Grundsätzlich finde ich es begrüßenswert, wenn Radiosender (und die Berater) verstanden haben, dass Ihre Programme einfach zu viele, laute und nervige Soundelemente in ihrem Programm haben. Es prasselt jede Stunde ein Salat aus Showopener, Stationvoice, Sponsor, Moderation, Wetter, Verkehr, Trailer und Werbung auf die geplagte Hörerschaft nieder. Radioprogramme, die „überproduziert“ sind, NERVEN. Das Leben ist hektisch genug, da muss „mein Radiosender“ mich nicht auch noch stressen.

Leider wird nur offenbar nicht berücksichtigt, dass ein Auskommen ohne Jingles selbst im Jahr 2011 gewisse Fahrkünste vom Moderator erfordern.

Ja, wir fliegen schon seit Jahrzehnten erfolgreich durch das Weltall – aber Taktgefühl und ein gutes Gehör für Musik schaden nun wirklich nicht.

Wenn ich, in meiner Jugend schwelgend, gerade beim coolen Outro eines Depeche-Mode-Songs im Auto mit dem Fuß mitwippe – was zur Hölle bringt es dann, wenn anstatt einer sanften Blende mir das harte Intro von der neuen Roxette-Single um die Ohren geballert wird? Das sind Situationen, in denen ich mir wünsche, doch lieber meinen iPod angestöpselt zu haben. 2 Sekunden Pause zwischen den Songs sind mir dann nun doch lieber, als vor lauter Schreck wegen einer grottenschlechten Blende, das Lenkrad zu verreißen.

Liebe Berater: Wissen Sie denn noch, dass Jingles und Drops gerade so etwas verhindern sollen? Dass der Hörer erschreckt und der Musikfluss gestört wird?! Nicht zu vernachlässigen, dass ein jedes Sound-Design einfach als das betrachtet und angewandt werden sollte, was es nun ist: Ein Accessoire, das den Sendern einen Stempel aufdrücken soll. Es soll mir zeigen, wo ich gelandet bin. Egal, ob rockig, elektronisch, klassisch oder krachneu – ich will wissen, woran ich bin.

Denn: Fehlen sämtliche Soundelemente, verwandelt sich ein Radiosender zur schnell zur Musikabspielstation ohne Eigenschaften. Struktur und Orientierung bleiben somit auf der Strecke.

Nun gibt es leichte und schwere Sounddesigns, moderne und altbackene, leichtfüßige und breitbeinige. Vergleicht man das Soundesign mit der Inneneinrichtung einer Wohnung, stehen bei vielen Sendern schwere Eichenmöbel rum, es liegen dunkle Teppiche am Boden und es hängen vergilbte Vorhänge an den Fenstern.

Doch anstatt nun die alten Möbel rauszuschmeissen, die Wände weiss zu streichen, zeitgemäße Möbel und vielleicht sogar das ein oder andere Designerstück reinzustellen, sitzen ANTENNE 1, 107.7 und Antenne Niedersachsen nun in einer leeren Wohnung.

Dabei wäre die Renovierung so einfach gewesen. Ein Sounddesign, das auf altbackene Synthesizer, gesungene Jingles und sonore Sprecher verzichtet.

Stattdessen minimalistisch, mit dezenten Drums und wenigen Instrumenten. Eine Stationvoice, die nicht klingt, als wolle sie mir etwas verkaufen. Kein klassicher Sprecher, sondern eine angenehme, freche, leicht ironische Stimme.

Fest steht: Es spricht rein gar nichts dagegen, den alten Schrott rauszuschmeißen und ein angenehmes Sound-Design zu entwickeln. Jeder Gastgeber weiß es – und  jeder Radiomacher sollte es eigentlich wissen:

Gäste und Hörer sitzen lieber auf einer Couch als auf dem Fußboden.

 

Sascha-Baron-120

Sascha Baron ist Journalist, Radiocoach und Moderator und lebt und arbeitet in Berlin und Saarbrücken.

E-Mail: baron@radioszene.de

XPLR: MEDIA Radio-Report