100 Jahre anderes Radio: 30 Freie Radios senden Sonderprogramm am Wochenende

Wenn Gesellschaft gerechter werden soll, muss auch die Öffentlichkeit, müssen die Medien gerechter werden. Wer spricht für wen? Worüber? Wer hört überhaupt zu und wer kann auf gleiche Weise antworten? Was könnte Rundfunk sein, was braucht es dafür und woran mangelt es? Am 29. Oktober 2023 wird das Radio in Deutschland 100 Jahre alt. Das Jubiläum diesen alten Mediums ist Anlass, im Spannungsverhältnis von emanzipatorischem Anspruch und rauen Radiowirklichkeiten Ideen für die Zukunft auszuloten.

100 Jahre anderes Radio (Bild: BFR)
100 Jahre anderes Radio (Bild: BFR)

In Live-Diskussionen, Features, Interviews und anderen Formaten dreht sich zwei Tage lang alles um die Geschichte, Gegenwart und Zukunft Freier Radios.
Die Sendungen werfen einen Blick zurück auf die Arbeiterradiobewegung, die Freie Radio Bewegung, Piratenradios im Realsozialismus und ostdeutsche Radiopiraterie nach 1989. Sie erweitern die Perspektive um internationale Erfahrungen Freier Radios und rufen emanzipatorische Radio- und Medientheorien ins Gedächtnis. Sie betrachten die aktuelle Übernahme des Begriffs »Alternativmedien« durch rechte Strömungen und fragen nach berechtigter Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Und in all dem suchen sie nach Perspektiven für eine Demokratisierung der Öffentlichkeit.

Knapp 30 Freie Radios im deutschsprachigen Raum übertragen das gemeinsame Programm in ihrem Sendegebiet auf UKW, im Kabel oder über DAB+.
Beteiligt sind Radioinitiativen in Brandenburg & Berlin, Chemnitz, Dresden, Erfurt, Eschwege, Flensburg, Freiburg, Freudenstadt, Halle, Hamburg, Karlsruhe, Leipzig, Mannheim, Marburg, München (nachträgliche Ausstrahlung), Neumünster, Nürnberg, Frankfurt (Oder), Rostock, Schwäbisch Hall, Stuttgart, Tübingen, Ulm, Wien, Zittau und Zürich.

Jan Pinseler, Professor für Medienforschung an der Hochschule Magdeburg-Stendal: „Die Diskussion darüber, was Radio auch in Zukunft sein kann, wird in Deutschland gerade so intensiv geführt, wie schon lange nicht mehr. Bei den bundesweiten Sendetagen der Freien Radios wird die Debatte erweitert und auch über das Spannungsfeld zwischen Ansprüchen und alltäglicher Praxis bei Öf- fentlich-Rechtlichen und Freien Radios diskutiert werden.“

Jan Bönkost lebt in Bremen und promoviert zur Freien-Radio-Bewegung: „Allein in der BRD gab es Anfang der 80er Jahre über 100 illegale politische Radioinitiativen. Sie sind die Vorläufer der dritten Säule des dualen Rundfunksystems: der nicht-kommerziellen Lokalradios.“

Andreas Reimann, Geschäftsführer von Radio Dreyeckland (Freiburg): „Das Radio kann immer noch ein aufklärerisches Moment sein. Dass unser politischer Charakter auch weiterhin nicht über- all gern gesehen wird, zeigt die für rechtswidrige erklärte Durchsuchung unserer Redaktionsräume im Januar.“

Alex Körner promoviert zur Geschichte und Gegenwart Freier Radios: „Lizenziert und zum Teil finanziell gefördert von Landesmedienanstalten erfüllen Freie Radios heute von den Gesetzgebern mehr oder minder anerkannte Funktionen im bundesdeutschen Mediensystem. Diese Rahmenbedingungen des Legalen haben die Freien Radiosender verändert. Dennoch braucht es weiterhin andere Medienpraktiken – solche, die Kommunikation als Intervention in gesellschaftliche Verhältnisse begreifen.

Eine Kooperation des Projektes 100 Jahre anderes Radio und des Bundesverbandes Freier Radios (BFR).

Quelle: FREUNDESKREIS FREIER RADIOS


Sendeplan mit Ankündigungen

Samstag, 28. Oktober 2023

00:00-00:30 Uhr Vorstellung der Sendetage „100 Jahre anderes Radio“
Zum 100. Jahrestag des Radios in Deutschland senden knapp 30 Freie Radios aus der BRD, Öster- reich und der Schweiz ein gemeinsam produziertes Jubiläumsprogramm. In Live-Diskussionen, Features, Interviews und anderen Formaten dreht sich zwei Tage lang alles um die Geschichte, Ge- genwart und Zukunft des (Freien) Radios. Ein Überblick.

00:30-01:30 Uhr Aneignung der Medien
Feature, Radio Z, Nürnberg.
Was macht die Massenmedien zu dem was sie sind? Eine Reise zu den Anfängen des Radios und den Arbeiterradioclubs der 1920er Jahre. Zu Wort kommt auch Hans Magnus Enzensberger mit sei- nem „Baukasten der Theorie der Medien“.

01:30-02:30 Uhr Geschichte und Klassenbewusstsein als Mediengeschichte und Ideologie
FSK, Hamburg.
Die Freibaduniversität rekapituliert Oskar Negt und Alexander Kluge („Öffentlichkeit und Erfah- rung“ sowie „Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen“) und nimmt zudem die aus den 90er Jahren stammende Broschüre „Form Struktur Konzept“ des FSK zur Hand – mit dem Ziel die jüngere (Freie) Radio-Geschichte zu rekonstruieren.

02:30-04:00 Uhr Frequenzbesitzer und Frequenzbesetzungen (Veranstaltungsmitschnitt)
Karlsruhe, 27.9.23.
Das Jubiläum eines alten Mediums ist Anlass, im Spannungsverhältnis von emanzipatorischem An- spruch und rauen Radiowirklichkeiten Ideen für die Zukunft auszuloten. Es diskutieren Protagonist:innen von Radio Jessica (Heidelberg, 1978) und der Assoziation Freier Radios (1982- 1985), mit heutigen Aktivist:innen von Radio Querfunk sowie den Radio-Forschern Jan Bönkost und Alex Körner.

04:00-08:30 Uhr Internationale Freie Radios #1
Onda Info.
In einem weltweiten Blick kommen Protagonist:innen ganz unterschiedlicher Regionen und Länder zu Wort. Sie erzählen vom Recht auf Radio als kollektiven Anspruch, von Versuchen dies in legale Assoziationen zu übersetzen, von Forderungen nach anderen Mediengesetzen bzw. einer ganz ande- ren Kommunikation.

08:30-09:30 Uhr Zur Geschichte Freier Radios
Feature, Maximillian Netter
Piratenradio – das klingt nach selbst zusammengezimmerten Bausätzen und heimlicher Aktion. In den 70er-Jahren und zur Zeit der Anti-AKW-Bewegung gab es vielerorts illegale Radios mit idealis- tischen Grundsätzen. Das Feature erinnert an diese Praxis und fragt zugleich: Wie gestaltet sich die Arbeit heutiger Freier Radios entlang der Grundsätze Offenheit, Gemeinnützigkeit, Transparenz, Lokalbezug und Desinteresse am Kommerz?

09:30-10:00 Uhr Vorstellung der Sendetage „100 Jahre anderes Radio“
Zum 100. Jahrestag des Radios in Deutschland senden knapp 30 Freie Radios aus der BRD, Öster- reich und der Schweiz ein gemeinsam produziertes Jubiläumsprogramm. In Live-Diskussionen, Features, Interviews und anderen Formaten dreht sich zwei Tage lang alles um die Geschichte, Ge- genwart und Zukunft des (Freien) Radios. Ein Überblick.

10:00-11:00 Uhr Inklusion und Freie Radios FSK, Hamburg
Eine Sendung zweier Radioaktiver mit Handicap: von der Theorie runter gebrochen auf einfache Sprache.

11:00-14:30 Uhr Freie Radios OST und DDR-Piraten
Der ab Herbst 1989 erfolgte Bruch mit der Stagnation und der zentralistischen Bevormundung in der DDR, der mit einer zeitweiligen Implosion und Infragestellung der staatlichen Apparate einher- ging, ermöglichten auch im Rundfunk bisher Ungewohntes. In Ost-Berlin, Erfurt, Chemnitz, Dres- den und Weimar entdeckten ab Mai 1990 Initiativen aus den lokalen alternativen Szenen den Run- dfunk als Sprachrohr.

14:30-17:30 Uhr kürzere Beiträge Verschiedenes aus 100 Jahren anderes Radio..

17:30-19:00 Uhr Live-Diskussion: Gegenöffentlichkeit
Gesprächsrunde zur Geschichte und Aktualität von (Gegen-)Öffentlichkeit. Unter anderem mit: Fa- bian Virchow, Gottfried Oy, Lukas Holfeld, Lukas Meisner Jan Pinseler, Alex Körner und Jan Bön- kost

19:00-21:00 Uhr Dread pirates at the control!
Zonic, Radio Blau, Leipzig
Musikalischer Rückblick auf 100 Jahre Piratenradio, nicht nur mit The Clash..

21:00-21:30 Uhr Die Arbeiterradiobewegung
Feature, Radio Z, Nürnberg
Eigene Radiosender oder wenigstens die Beteiligung am Rundfunkprogramm forderte die Arbeiter- radiobewegung der 1920er Jahre. Doch bei der Geburt des staatlich kontrollierten Weimarer Run- dfunks hatte die Angst vor den revolutionären Massen Pate gestanden.

21:30-22:30 Uhr Hörende aller Länder
Hörbild, Radio Corax, Halle
Experimentelles nach Gedanken Brechts und Enzensbergers

22:30-01:00 Uhr Produktionen Freier Radios
Thematisch passende Sendungen aus Mannheim, Ulm, Leipzig, Hannover,…


Sonntag, 29.10.2023

01:00-02:30 Uhr Schweizer Radio-Aktivitäten
Radio Lora, Zürich
Ein ausführliches Gespräch mit zwei „Wellenhexen“ (ab 1976, Zürich) gibt Auskunft über viele Aspekte des feministischen Piratenradiosenders: interne Organisation (Aufteilung Technik und Re- daktion), Intention des Radiomachens, Vernetzung in der Frauenbewegung, praktischer Ablauf einer Sendung, Auswahl der Themen..

02:30-03:00 Uhr Freie Radios in und gegen Österreich
Radio Orange, Wien
Die Geschichte beginnt 1979, als mit Ö-Frei in Graz das erste Piratenradio zu senden begann. Die- sem Beispiel folgten in den 1980ern und frühen 1990ern zahlreiche andere Piratensender, stets mit dem Ziel, das ORF-Monopol zu Fall zu bringen.

03:00-05:00 Uhr Frequenzbesitzer und Frequenzbesetzungen (Veranstaltungsmitschnitt) Freiburg, 28.9.
Was könnte Rundfunk sein, was braucht es dafür und woran mangelt es? Fragen die sich besonders anhand der Geschichte Radio Dreyecklands, dem lange Jahre illegalen und ältesten noch existieren- den Freien Radios in der BRD, thematisieren lassen. Gesprächsgäste waren:Jan BÖNKOST (Radioforscher), Mireille Caselli (Gründergeneration Radio Verte Fessenheim), Clemens Hauser (Anfang und Mitte der 90er bei RDL), Pia Masurczak (SWR2), Christoph Taubmann (1988-1999 bei RDL) und Johanna Wintermantel (Koordinatorin der Aktuel- len Redaktion RDL)

05:00-08:00 Uhr Wiederholung..
..der Beiträge vom Samstag ab 14:30 Uhr

08:00-09:30 Uhr Internationale Freie Radios #2
Onda Info
Weltweite Schau mit Akteuren, die über ökonomische Rahmenbedingungen ihrer Radiopraxis, von Zensur, Anzeigen und Gewalt gegen Radiomachende – und ihren Antworten auf diese Begleiter- scheinung einer radiophonen Selbstermächtigung – berichten.

09:30-10:30 Uhr Zur Situation des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks
Beiträge zur Geschichte, aber auch den erneut anschwellenden Diskussionen des ÖR.

10:30-12:00 Uhr Live-Diskussion: Quo Vadis Radio?
Gesprächsrunde über Fragen zur Gegenwart und Zukunft des öffentlich-rechtlichen Radios sowie Perspektiven einer demokratischer Öffentlichkeit. Unter anderem mit: Sebastian Friedrich (NDR), Armin Scholl (Universität Münster), Andreas Reimann (Radio Dreyeckland), Pia Masurczak (SWR), u.v.m.

12:00-13:00 Uhr Radio Wars
Hörspiel, Pi-Radio, Berlin.
Die Freie Radioaktivistin Hildi kämpft im Jahr 2034 um den Zugriff auf den elektromagnetischen Raum.

13:00-14:00 Uhr Piraten BRD
Um das Jahr 1980 entstand eine ganze Bewegung illegaler politischer Piratensender. Sie selbst nannten sich Freie Radios. Ihnen war die gesellschaftliche Reichweite der Alternativpresse zu ge- ring und der öffentlich-rechtliche Rundfunk von den Parteien zu sehr zum Erhalt eines gesellschaft- lichen Status Quo gezwungen.

14:00-15:00 Uhr Piratensender in Westberlin, (Veranstaltungsmitschnitt)
Berlin, 11.10.
Diskussion über wenig bekannte Radiopraktiken mit Protagonist*innen (West-) Berliner Piratensen- der – u. a. Radio Kebab (1981) und Radio Gaga (1985) -, Beteiligten von Radio 100 (1987-1991) sowie dem Kommunikationswissenschaftler Jan Bönkost.

15:00-16:00 Uhr Knastradio
Radio Aktiv, Berlin
Antirassistische Radiobetrachtungen: Schwarzes Radio und Schwarze Stimmen in US-Radios.

16:00-17:30 Uhr Live-Diskussion: Aktionsradio
Gesprächsrunde über vergangene und gegenwärtige Erfahrungen mit Aktionsradios: Eingeladen sind Radioaktivist:innen aus Dresden-Neustadt (1992/93), dem Wendland (CastorRadio, 2003- 2011) und aus Hamburg (G20-Berichterstattung des FSK, 2017) sowie M8-Feministischen Radio (seit 2017)

17:30-19:00 Uhr Internationale Freie Radios #3
Onda Info.
Freie Radios aus der ganzen Welt werden porträtiert und damit unterschiedliche Formen eines unab- hängigen Radiomachens vorgestellt.

19:00-20:00 Uhr Wutpilger Streifzüge
Radio Corax, Halle.
Aus welcher Motivation heraus lohnt es sich, Radio zu machen? Was soll Gesellschaftskritik im Ra- dio?

20:00-21:30 Uhr Frequenzbesitzer und Frequenzbesetzungen, (Veranstaltungsmitschnitt)
Erfurt, 26.10.
Diskussion mit Protagonist:innen verschiedenerer Generationen von Radio F.R.E.I (Erfurt), Radio BRN (Dresden-Neustadt, 1992-93) und Radio Isnogod (Frankfurt/Main, 1980-81).

21:30-23:30 Uhr Zur Realität Freier Radios
Sachzwang FM, Karlsruhe.
Dr. Indoktrinator grübelt darüber, ob das sogenannte Freie Radio mehr sein kann als selbstgenügsa- mes, mehr oder weniger folgenloses Hobby.

23:30-24:00 Uhr Abschluss
100 Jahre und ein Tag anderes Radio – der Versuch eine Bilanz zu ziehen und einen Ausblick zu wagen.