Warum wir öfter Zahlen in Radio-Claims verwenden sollten

Parship-Citylight (Bild: ©Heiko Dietze)
Parship-Citylight (Bild: ©Heiko Dietze)

Von Heiko Dietze

„Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single über Parship“ – diesen Claim kennt fast jeder. Aber was macht ihn so bemerkenswert und eingängig? Dahinter steckt ein altbekanntes Prinzip.

Den Claim von Parship.de? Kennt fast jeder, hat man schon oft irgendwo gesehen oder drüber gelesen. Und damit ist auch fast schon geklärt, ob er erfolgreich ist. Aber: warum? Was ist das Geheimnis des Claims? Was macht ihn so „sticky“ – so bemerkenswert und gleichzeitig so eingängig?

Kurzfassung: die Story hinter dem Parship-Claim

Die Rechnung für die elf Minuten ergibt sich aus der Statistik: kündigen Parship-Nutzer ihre Premium-Mitgliedschaft, müssen sie einen Grund auswählen. 2013 erklärten insgesamt 48.000 Parshipper, sie hätten sich verliebt. Hochgerechnet aufs Jahr meldete sich also bei ca. fünf Millionen Mitgliedern alle elf Minuten ein Parship-Nutzer ab, weil er fündig wurde. 

Aktuell bezieht sich Parship laut Homepage übrigens auf ein ähnliches Ergebnis aus 20161. 

Das Echo auf den 11-Minuten-Claim war bemerkenswert 

Im Dezember 2015 wurde er zur „Unstatistik des Monats“2 gekürt. Ein Professor des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung errechnete: 

„Selbst wenn sich bei geschätzten rund 5 Millionen Mitgliedern in Deutschland sogar alle 10 Minuten zwei davon ineinander verlieben, […] beträgt für ein zufällig ausgewähltes Mitglied die Wahrscheinlichkeit einer neuen Liebe pro Jahr kaum mehr als zwei Prozent.”

Auf Twitter wurde weitergerechnet, User @deinbier schrieb: 

„Parship hat 4,5 Millionen Mitglieder. Wenn Sie sich neu anmelden, und sich alle 11 Minuten ein Single verliebt, sind Sie in 8,5 Jahren dran.“ 

Die Hamburger Biermarke Astra kaperte den Spruch leicht abgewandelt für eine Citylights-Kampagne: „Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single über Astra“. Sogar der Postillion griff das Ganze auf und witzelte: „Single, der sich alle 11 Minuten verliebt hat, meldet sich ab“3. Die Liste der Erwähnungen ist lang und trotz oder vielleicht gerade wegen der Verballhornungen, Imitationen und entlarvenden Stochastik, aber sicher auch wegen der anhaltenden werblichen Präsenz wurde der Claim zum geflügelten Wort. 

Sogar jetzt ist der Claim noch präsent. Ein Beispiel: Das im Mai 2019 veröffentlichte Album der Berliner Band „Von wegen Lisbeth“ enthält ein Lied mit dem Titel „Alle 11 Minuten“4 und der Zeile „Ich hab mich schon wieder in 11 Minuten verliebt“. 

Aus Marketing-Sicht ist das Ganze zweifellos eine echte Erfolgsstory. Die Frage ist: was haben diese 11 Minuten an sich, dass sie so „viral“ wirken? 

Die Antwort kommt, versprochen – aber vorher eine spannende Frage: wer wirbt eigentlich noch mit Zahlen?

Marketing und Claims mit Zahlen sind ein alter Hut

Heinz-Ketchup! Und auch das Ketchup des Amerikaners Henry John Heinz schrieb seit seiner Kreation im Jahre 1876 eine Erfolgsgeschichte: es wurde weltweit milliardenfach verkauft und hat heute in Deutschland einen Marktanteil von ca. 50 Prozent!5 Bereits seit 1892 steht auf den Ketchup-Flaschen der Hinweis: „57 Varieties“ – für die große Vielfalt an Produkten, die Heinz vertreibt.

Heinz Ketchup (Bild: ©Heiko Dietze)
Heinz Ketchup (Bild: ©Heiko Dietze)

Henry John schwor auf Produktqualität aber daneben legte er viel Wert aufs Marketing – und ersann dafür diesen Claim. Die Idee dazu kam ihm angeblich auf einer Geschäftsreise nach New York. Ein Schuhmacher warb im Schaufenster mit: „21 Styles of Shoes“. Von dieser Idee beeindruckt, adaptierte er den Spruch für sich. 

Kurios: obwohl er schon mehr als 60 Produkte vertrieb, wählte er die 57, weil 5 und 7 seine Glückszahlen waren. Bis heute ziert sie nicht nur das Ketchup sondern auch alle anderen Produkte der Marke Heinz6. 

Vieles, was Promille hat, wirbt mit Zahlen

Das nächste Beispiel für Werben mit Zahlen ist der italienische Digestif Ramazzotti. Er wird seit seiner Erfindung vor zwei Jahrhunderten aus exakt 33 Kräutern und Pflanzen hergestellt und permanent mit diesem Fakt vom Eigentümer-Konzern Pernod Ricard vermarktet7. 

Bleiben wir bei Kräutern. Wie wär’s mit einem Underberg? 

Der wird beworben mit: „Die erlesenen, aromatischen Kräuter aus 43 Ländern der Welt sind ein wertvolles Geschenk der Natur.“8

Konkurrenten wie Killepitsch und Jägermeister tun es ihm gleich. Bevor wir gleich doppelt sehen, noch ein Zahlen-Beispiel von Apple: Marketingmeister Steve Jobs ließ den iPod bei seiner Einführung 2001 mit dem Claim „1,000 songs in your pocket“9 bewerben. 

Diese Metapher war sofort verständlich, der Produktvorteil war verblüffend. Der iPod war ein Riesenerfolg. Und in seinem Claim wirkt das gleiche Prinzip wie im Parship-Claim. 

Des Pudels Kern: Wie wirken Zahlen in Claims?

Ein grundlegendes Verständnis für die Wirkweise liefert uns ein Klassiker der Werbung: Claude C. Hopkins’ Buch „Scientific Advertising“10. Für David Ogilvy, dem „Father of Advertising“, die Bibel unter den Werbefachbüchern. Er schrieb:

„Nobody should be allowed to have anything to do with advertising until he has read this book seven times.“11

Claude C. Hopkins, selbst hoch dotierter Werbetexter, entwickelte zahlreiche Methoden zur empirischen Werbeerfolgskontrolle. Anhand jahrelang ermittelter Test-Reihen konnte er die Werbe-Wirkung von Texten und Headlines, von Rückmeldungen und Werbekosten massiv optimieren. Er formulierte daraus Prinzipien, schrieb ein Manifest und wurde damit berühmt. 

Plattitüden sind die Behauptung des Erwartbaren

Laut Hopkins’ müssen Claims immer präzise und spezifisch sein: „Plattitüden und Allgemeingültigkeiten perlen vom menschlichen Verständnis ab wie Wasser vom Entengefieder. Sie hinterlassen überhaupt keinen Eindruck. Zu sagen, „Bester der Welt“, „Niedrigster Preis überhaupt“ usw. ist bestenfalls die Behauptung des Erwarteten.“ 12

Superlative wären wirkumsarm, so Hopkins. Der Kunde erkennt die Übertreibung, ignoriert sie und vermutet: die anderen sind genauso gut.

Aber, und jetzt kommt es: „wer eine bestimmte Behauptung aufstellt, sagt entweder die Wahrheit oder eine Lüge.“

Er erklärt:

„Eine definitive Aussage wird normalerweise akzeptiert. Tatsächliche Zahlen werden generell nicht angezweifelt. Spezifische Fakten haben, wenn angegeben, ihr volles Gewicht und ihre Wirkung.“

Axe-Werbung (Bild: ©Heiko Dietze)
Axe-Werbung (Bild: ©Heiko Dietze)

Bäm! Das ist es.

Und: „Ein Argument klingt um ein Vielfaches gewichtiger und überzeugender, wenn es präzise ist.“ 

Eines der vielen Beispiele, die er zitiert: Rasiercremes wurden lange mit Plattitüden beworben wie: „die perfekte Rasur“, „entspannt und pflegt“, „leicht aufzuschäumen“ *. Jeder Hersteller hatte mit diesen Behauptungen in etwa die gleiche Chance, um Kunden zu beeindrucken. 

Dann tauchte ein neuer Konkurrent auf. Die Branche war umkämpft, jeder Kunde musste einem anderen Hersteller entrissen werden. Der Neue warb mit konkreten Fakten: „Macht den Bart in einer Minute weicher.“ „Bewahrt seine cremige Fülle zehn Minuten lang im Gesicht.“ „Das Endergebnis von Vergleichstest mit 130 Formeln.“ Das erstaunliche Ergebnis: „vielleicht hat es in der Werbung und in einer so schwierigen Branche noch nie einen schnelleren und größeren Erfolg gegeben.“ 

flaschenpost.de-Citylight (Bild: ©Heiko Dietze)
flaschenpost.de-Citylight (Bild: ©Heiko Dietze)

Hopkins rät grundsätzlich: mach’ den Claim so präzise und imposant wie möglich!

Übrigens: achten Sie mal auf die Claims der aktuellen Rasiercremes, sie werden die Plattitüden wiederfinden.

Parship nutzt dieses Prinzip im großen Stil

Und genau das ist das Geheimnis des Parship-Claims: er ist präzise, sehr imposant und wirkt deshalb überzeugend. Man denkt unweigerlich: Das muss ja statistisch belegt sein! Auch impliziert „Alle 11 Minuten“, dass es am laufenden Band zwischen den Mitgliedern funkt.

Dass das Prinzip Methode hat, zeigt die Parship-Webseite: hier wimmelt es von präzisen Behauptungen – z.B.:

  • „9 von 10 Parship-Paaren bleiben zusammen. Parship-Paarbefragung 2013 in Koop. mit der Uni Duisburg-Essen“1
  • „Beste Aussichten: 38% unserer Premium-Mitglieder finden mit uns einen Partner. Mitgliederbefragung nach Ende der Premium-Mitgliedschaft“1
  • „Wussten Sie, dass die Partnersuche auf klassischem Weg durchschnittlich 6 Jahre lang dauert?!“1

Was das fürs Positioning im Radio bedeutet

Sollten Radiosender nun auch zwingend Claims mit Zahlen entwickeln?

Es wäre auf jeden Fall ein Weg, um mit einer wirksamen, nicht kopierbaren Botschaft aus der Masse hervorzustechen. Radiomarken sollten auf die Suche gehen nach dem gewissen Etwas, dem Prägnanten und Präzisen. Das sie unverkennbar macht, das sich gut erinnern lässt. 

Ein paar erste Ideen:

Radio XYZ: immer 1000 gute Songs in Ihrem Küchenradio/Auto/Ihrer App.

Radio ABC. 666 Rocksongs, die wirklich zählen. 

Alle 3 Minuten singt ein Hörer mit – bei Radio 123.

Radio Vinyl: Alles klingt besser auf 33 ½.

Gibt es schon Radiosender, die Zahlen im Claim verwenden?

Klar, es gibt die Claims mit Dekaden und für die Musikstrecken („Bei Radio X gibt’s jetzt wieder 25 Minuten am Stück“, „Jetzt: 10 Songs nonstop“). Letztere sind präzise, doch leider gut kopierbar. hr3 versprach früher „Bei 3 ist mehr drin“ und SWR1 BW claimt aktuell mit: „Eins gehört, gehört.“ 

Beidem geht trotzdem die Präzision ab und das Imposante auch. Einen Claim der den Gesetzmäßigkeiten von Claude J. Hopkins folgt, gab es und gibt es meines Wissens bisher nicht. 

Was das für einen boomenden Audiobereich bedeutet

Der Wettbewerb im Audiobereich wird sich mit jeder weiteren digitalen Marke verschärfen. Differenzierung und Herausstellung werden demnach immer wichtiger. Wenn Allgemeinplätze und reine Superlative die „Behauptung des Erwartbaren“ sind, weswegen der Zuhörer ihnen keine Beachtung schenkt, dann brauchen wir erfindungsreiche, einprägsame, punktgenaue Ideen. Und die Methode, nach denen der Claim von Parhip funktioniert, ist ein wirkungsvoller Weg dafür. 

Glossar

1 https://www.parship.de
2 www.rwi-essen.de/unstatistik/50/
3 https://www.der-postillon.com/2015/11/single-der-sich-alle-11-minuten.html
4 https://www.laut.de/Von-Wegen-Lisbeth/Songs/Alle-11-Minuten-993486
5 https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/kraft-heinz-wie-edeka-dazu-gezwungen-wird-ein-neues-ketchup-zu-entwickeln/24027112.html
6 https://de.wikipedia.org/wiki/The_Kraft_Heinz_Company
7 https://www.pernod-ricard.de/211.0.de.html
8 https://www.underberg.com/produkt/underberg/
9 https://thisdayintechhistory.com/10/23/1000-songs-in-your-pocket/
10 https://www.goodreads.com/book/show/2621927-scientific-advertising
11 https://en.wikipedia.org/wiki/Scientific_Advertising
12 http://www.scientific-advertising.co.uk/ch07-being-specific/


Heiko Dietze (Bild: privat)
Heiko Dietze (Bild: privat)

Heiko Dietze ist die zündende Idee hinter unzähligen OnAir-Aktionen und Radiospots. In den letzten beiden Dekaden kreierte er imageprägende OnAir-Kampagnen für Amazon, RADIO BOB!, R.SA, ENERGY Sachsen u.v.a. Heute lebt der On-Air-Promotion-Experte in Berlin und berät und betextet deutschlandweit Radiosender.

Auf seinem Radioblog audiolution.de veröffentlicht er regelmäßig Marktanalysen und gibt Denkanstöße für die deutsche Radioszene. www.heikodietze.xyz

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